Protokoll der Sitzung vom 18.06.2013

Vielen Dank, Herr Kollege Bäumer. - In der Aussprache zu der Regierungserklärung hat jetzt die Vorsitzende der SPD-Fraktion, Frau Modder, das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine Vorbemerkung, Herr Bäumer: Wenn man bei einem so wichtigen Thema so abgleiten kann, dann ist das nur noch peinlich.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal vielen Dank an unseren Ministerpräsidenten für die Regierungserklärung zu der seit Wochen anhaltenden Hochwassersituation.

Ja, es stimmt: Niedersachsen ist mit einem blauen Auge davongekommen - Gott sei Dank. Aber es gehört eben auch zur Wahrheit dazu, dass die Deichbrüche insbesondere in Sachsen-Anhalt hier in Niedersachsen für Entlastung gesorgt haben und wir ganz andere Pegelstände erreicht hätten, wenn auch dort die Deiche gehalten hätten. Das Leid der anderen hat also bei uns für Entlastung gesorgt. Bitte vergessen wir das an dieser Stelle nicht!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sie haben in der Regierungserklärung deutlich unterstrichen, dass sich die betroffenen Menschen auf die Niedersächsische Landesregierung verlas

sen können. Bereits in der letzten Woche haben Sie eine Soforthilfe des Landes in Höhe von 20 Millionen Euro auf den Weg gebracht. Ich denke, dies findet die Unterstützung des ganzen Hauses. Dies ist ein wichtiges Signal. Auch auf Bundesebene werden die finanziellen Folgen der Hochwasserkatastrophe beraten und die Vorbereitungen für schnelle Hilfe getroffen.

Seit Wochen hält uns die Hochwassersituation in ihrem Bann. Auch wenn sich die aktuelle Situation entspannt, drücken noch immer riesige Wassermengen mit gewaltigen Kräften auf die Deiche. Die Bürgerinnen und Bürger in den betroffenen Regionen an der Elbe und ihren Nebenflüssen leben in großer Sorge um ihre Gesundheit, ihr Eigentum und natürlich auch um ihre Perspektiven.

Tausende Helferinnen und Helfer der Bundeswehr, der Feuerwehren, des Technischen Hilfswerks, der DLRG, der Polizei, des Roten Kreuzes, der Johanniter und anderer Hilfsorganisationen, aber auch die vielen freiwilligen Helferinnen und Helfer haben dazu beigetragen, die Situation unter Kontrolle zu halten. Ohne diese Hilfsorganisationen und die helfenden Hände wäre ein Krisenmanagement dieser Art nicht möglich gewesen. Ihnen gebührt unser besonderer Dank. Das ist gelebte Solidarität. Darauf können wir stolz sein.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir sollten aber auch den Stäben in den betroffenen Regionen, in den Landkreisen Dank sagen, die die Koordinierung der Sofort- und Hilfsmaßnahmen geleitet haben. Die Lagen wurden professionell und unaufgeregt abgearbeitet. Der Katastrophenschutz hat funktioniert. Vielen Dank dafür!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Landesregierung hat, wie gesagt, bereits in der vergangenen Woche eine Soforthilfe für die vom Hochwasser betroffenen Menschen beschlossen. Über den notwendigen Nachtragshaushalt werden wir noch in dieser Woche im Fachausschuss beraten, und wir werden auch die erforderlichen Vorwegfreigaben beschließen.

Danke auch an die Oppositionsfraktionen, dass wir hier gemeinsam den Weg für eine schnelle und unbürokratische Hilfe freimachen!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Beseitigung der Schäden steht erst einmal ganz oben auf der Tagesordnung der Betroffenen: Schäden am Haus, im Haushalt, Linderung sozialer Notlagen, aber auch das Auffangen beruflicher Notlagen. Die Aufräumarbeiten sind in vollem Gange, und man versucht, wieder Normalität herzustellen.

Es geht im Weiteren um die Beseitigung der Schäden an der Infrastruktur. Es wird darum gehen, die Deiche zu überprüfen, auszubessern und dafür zu sorgen, dass sie auch dem nächsten Jahrhunderthochwasser standhalten und die Menschen vor den Wassermassen schützen. Aber was heißt heute noch „Jahrhunderthochwasser“? - Für die Hochwassersituation an der Elbe bedeutet es, dass das Jahrhundert immer kürzer wird: 2002, 2006, 2013. Das gilt in ähnlicher Form auch für andere Regionen unseres Landes, insbesondere in Südniedersachsen.

Wir müssen darüber sprechen - ich will das bewusst weit fassen -, wie wir mit dem Schutz vor Hochwasser bei immer extremeren Wetterlagen in immer kürzeren Abständen zukünftig umgehen. Ich füge hinzu: mal wieder; denn auch diese Debatte führen wir leider nicht zum ersten Mal und in einer Regelmäßigkeit, ohne wirklich in wichtigen Fragen vorangekommen zu sein.

Es wird in den nächsten Wochen und Monaten darum gehen müssen, dass wir ernsthaft bilanzieren: Wo sind die Schwachstellen, was muss dringend passieren, und wie stellen wir die Finanzierungsmittel dafür zur Verfügung? - Der zwischen den Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin verabredete 8-Milliarden-Euro-Hilfsfonds ist wichtig und wird dabei sicherlich helfen können.

Meine Damen und Herren, es geht dabei sicherlich auch um den klassischen und technischen Hochwasserschutz, keine Frage. Aber eben nicht nur. Auch wenn schon vieles gemacht wurde - der Ministerpräsident hat darauf hingewiesen -: Wir müssen unsere Anstrengungen in diesem Bereich weiter verstärken. Daran gibt es keinen Zweifel.

Die Menschen in den betroffenen Regionen haben einen Anspruch darauf, dass sie, ihr Eigentum und ihre Lebensgrundlage geschützt werden. Das betrifft die kleineren Orte im Übrigen genauso wie die größeren Städte. Aber - auch das gehört zur politischen Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit - wir müssen auch sagen, was finanziell möglich ist, welche Ressourcen zur Verfügung stehen, was damit überhaupt leistbar ist und wie diese Ressourcen gegebenenfalls ausgebaut werden können.

Ich denke, wir sind uns einig: Die einzelnen Bundesländer dürfen mit dieser Aufgabe nicht alleingelassen werden. Ich begrüße daher den Vorschlag unseres Ministerpräsidenten Stephan Weil ausdrücklich, die zukünftig notwendigen Maßnahmen des Hochwasserschutzes im Binnenland finanziell mit einem neuen Sonderrahmenplan des Bundes und der Länder abzusichern.

Dieses Instrument, meine Damen und Herren, hat sich übrigens im Bereich des Küstenschutzes sehr erfolgreich bewährt. Über einen Sonderrahmenplan stellt der Bund hierfür den Küstenländern befristet bis 2025 zusätzliche Mittel für den Schutz der Küsten zur Verfügung, sofern die Länder für denselben Zweck einen jährlichen Mindestbetrag aus dem ihnen zustehenden Anteil an der Gemeinschaftsaufgabe vorsehen.

Ein vergleichbarer Rahmenplan für den Hochwasserschutz im Binnenland wäre ein adäquates Instrument, um zu einer vernünftigen finanziellen Grundlage für die Hochwasservorsorge zu gelangen. Außerdem müssten wir dadurch auch die Hochwasserschutzmaßnahmen zwischen den Bundesländern enger aufeinander abstimmen. Ich will hier aber auch darauf hinweisen, dass auch die Beteiligung der Europäischen Union an dieser Stelle erforderlich ist, weil nicht nur Deutschland, sondern auch unsere Nachbarländer, wie z. B. Tschechien, vom Hochwasser betroffen waren und sind und wir auch über dortige Maßnahmen zum Hochwasserschutz reden und sie in ein Gesamtkonzept einbinden müssen.

Meine Damen und Herren, außerdem müssen wir erneut auch über die Planungs- und Genehmigungsverfahren sprechen, weil es nicht sein kann, dass es immer noch Genehmigungen in hochwassergefährdeten Gebieten gibt und dass wichtige Projekte des Hochwasserschutzes hinausgezögert werden. Dabei will ich ausdrücklich betonen, dass es dabei nicht um das Gegeneinanderausspielen von Naturschutz, Bürgerbeteiligung und Hochwasserschutz geht und gehen darf.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Debatte um eine Veränderung und damit Beschleunigung von Verfahren gehört aber eben auch auf die Tagesordnung.

Meine Damen und Herren, wir dürfen die Debatte um die Konsequenzen aus dem Hochwasser aber nicht nur auf den technischen Hochwasserschutz beschränken. Das wäre ein Fehler. Wir, besonders

die von der Küste, wissen um die Macht und die Kraft des Wassers. Es ist nur in Grenzen beherrschbar. Das müssen wir uns auch immer wieder vor Augen führen. Wasser braucht Platz und Raum. Dort, wo es diese nicht hat, sucht es sich diesen Raum und nimmt ihn sich.

Ich habe zu Beginn meiner Rede darauf hingewiesen, dass wir bestimmte Debatten in schöner Regelmäßigkeit führen. Ich komme daher zu dem Punkt, der das in aller Deutlichkeit zeigt: 2002, nach dem damaligen Elbe-Hochwasser, hat das BMU zu einer Konferenz geladen, die dann den sogenannten Fünf-Punkte-Plan zum Hochwasserschutz verabschiedet hat. Bereits dieser FünfPunkte-Plan betonte, dass jede Eindeichung die Hochwassergefährdung für die Unterlieger erhöhe. Es müssten daher länderübergreifende Anstrengungen unternommen werden, in unbesiedelten Bereichen den Flüssen ihre natürlichen Überschwemmungsflächen auch durch die Zurücklegung von Deichen zurückzugeben.

Die Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz hat das in der Süddeutschen Zeitung am vergangenen Donnerstag noch einmal auf den Punkt gebracht. Ich darf zitieren:

„Plakativ gesagt: Wir brauchen Breitwasser statt Hochwasser. Gebt den Flüssen mehr Raum und versucht umzusetzen, was vor Jahren beschlossen wurde, nämlich die natürlich durchflossenen Flächen zu erhöhen.“

Und sie fügt übrigens sehr kritisch hinzu:

„In 15 Jahren ist nur ein Prozent dazugekommen. Das ist zu langsam und zu wenig.“

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich bin mir bewusst, dass diese Debatte und die konkrete Umsetzung schwierig und anstrengend sein wird. Aber die Politik darf sich hier nicht länger verstecken. Wir müssen diese Debatte offensiv führen - vor Ort, im Dialog mit den Betroffenen.

Und hier schließt sich der Kreis zu dem Stichwort „Naturschutz“. Die früher in vielen Teilen vorhandenen Auen und Auenwälder haben einen wichtigen Beitrag zum Hochwasserschutz geleistet. Ihre Zerstörung ist heute ein Teil des Problems. Deswegen ist die medienwirksame Aktion des Herrn Sander durchaus zu hinterfragen.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Aller- dings!)

Herr Dr. Hocker, Sie haben vorhin gesagt, Herr Sander habe da Chapeau gehabt.

(Dr. Gero Hocker [FDP]: „Chuzpe“ habe ich gesagt!)

- Genau, Chuzpe. - Wissen Sie eigentlich, wofür das steht? - Für Dreistigkeit, für Frechheit und für Anmaßung!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Dr. Gero Hocker [FDP]: Sind Sie sich da sicher? Sie können es ja noch nicht einmal aussprechen! Lesen Sie bei Wikipedia auch mal die zweite Zeile!)

Meine Damen und Herren, Hochwasserschutz - sowohl an der Küste als auch im Binnenland - eignet sich nur begrenzt für die parteipolitische Auseinandersetzung.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir können im Detail sicherlich heftig streiten. Im Kern aber geht es darum, mit einer richtigen Mischung von Maßnahmen den Schutz der Menschen, die am Wasser leben, dort große Teile ihres Lebens verbracht haben, dort ihre Lebensgrundlagen haben, vor den Gefahren des Hochwassers zu schützen.

Lassen Sie uns deshalb gemeinsam an einer zukünftigen und nachhaltigen Hochwasserstrategie arbeiten und uns dabei eng mit unseren Nachbarländern, auch den europäischen, abstimmen!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Modder. - Es folgt jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Vorsitzende Anja Piel. Bitte sehr!

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre sind die Landkreise Lüneburg und Lüchow-Dannenberg von schwerem Hochwasser heimgesucht worden. Frauen, Männer und Kinder, die an der Elbe wohnen, mussten ihre Häuser zurücklassen. Tagelang bangten sie um persönliche Dinge, alles verbunden mit Erinnerungen und vielen Geschichten. Bei dieser Elbflut gab es, wie immer, eine Zeit des Zitterns. Das war die Zeit, in der die Flutwelle von