Protokoll der Sitzung vom 18.06.2013

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als die Abgeordneten des Landtages hier am 30. Mai auseinandergingen, waren bereits Hunderte von Helfern im Einsatz gegen drohende Überschwemmungen an zahlreichen Binnenflüssen in der Mitte und im Süden Niedersachsens. Damals, vor knapp drei Wochen, waren vor allem die Leine, die Aller, die Oker und die Innerste betroffen. Die Namen dieser Flüsse, meine sehr geehrten Damen und Herren, habe ich vorhin in der Rede des Ministerpräsidenten vermisst.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Kaum einer konnte zu jenem Zeitpunkt ahnen, dass uns in Niedersachsen die größte Bewährungsprobe in Sachen Hochwasser und Katastrophenschutz noch bevorstand. Als Anfang Juni die Flutwelle der Elbe die Sächsische Schweiz erreichte, war allen Hochwassererprobten klar, dass sich auch Niedersachsen als Elbanrainer für mögliche Rekordpegelstände würde wappnen müssen.

Anders als 2002 und 2006 wurden wir dieses Mal aber nicht auf dem falschen Fuß erwischt. Alle Beteiligten waren, auch wegen der langen Vorlaufzeit, besser vorbereitet. Gewiss, meine sehr geehrten Damen und Herren, das Hochwasser hat auch in Niedersachsen verzweifelte Menschen, zerstörte Infrastruktur und beschädigte Häuser zurückgelassen, und zwar nicht nur in den Landkreisen Lüneburg und Lüchow-Dannenberg, sondern auch in den Überschwemmungsgebieten von Aller, Oker, Innerste und Leine.

Mein Landtagskollege Oesterhelweg hat mich darauf hingewiesen, dass im Landkreis Wolfenbüttel ein Gemüsebaubetrieb seine Früchte nicht mehr verkaufen kann, weil ein kleiner Zulauf der Oker über die Ufer getreten ist und einen Schaden von über 120 000 Euro verursacht hat. Dieser Betrieb, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist in seiner Existenz bedroht.

Insgesamt aber ist Niedersachsen auch im Vergleich mit Sachsen oder Sachsen-Anhalt glimpflich davongekommen. Wir haben vor allem dem Einsatz Tausender Freiwilliger und dem besonderen Engagement von Bundeswehr und THW zu verdanken, dass die Menschen an unseren Elbabschnitten vor Schlimmerem bewahrt wurden.

Ich bin, meine sehr geehrten Damen und Herren, diesen Menschen, diesen Kämpfern gegen das Hochwasser sehr dankbar, dass sie den Menschen dort vor Ort geholfen haben.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Dort an der Elbe war schon eine ganz besondere Atmosphäre. Davon haben sich meine Kolleginnen und Kollegen und ich mich selbst überzeugen können, als wir dort Sandsäcke befüllt haben.

(Zustimmung bei der CDU)

Man kam, man wurde überhaupt nicht gefragt, wer man war, man packte einfach mit an. Am Ende war man gemeinsam davon überzeugt, dass es richtig war, dies zu tun. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin sehr froh, diese Erfahrung gemacht zu haben, einmal zu sehen, wozu Menschen fähig sind. Ich glaube, dieses Land Niedersachsen kann mehr, als wir vielleicht jungen Menschen zutrauen.

(Beifall bei der CDU)

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, für eine umfassende Bilanz ist es noch zu früh. Einige Dinge kann man aber heute schon festhalten:

Aus den Fluten 2002 und 2006 sind wesentliche Konsequenzen gezogen worden. Gerade wir in Niedersachsen haben den Schutz vor dem Hochwasser an vielen Stellen nachhaltig verbessert. Lassen Sie mich dazu einige Beispiele nennen:

In den letzten zehn Jahren sind rund 160 Millionen Euro in den Bau und die Verstärkung von Deichen und anderen Hochwasserschutzanlagen entlang der Elbe investiert worden.

Von herausragender Bedeutung ist mit Sicherheit die Hochwasserschutzanlage in Hitzacker. Die mobile Schutzwand ist von der Bundeskanzlerin

Angela Merkel völlig zu Recht als vorbildliche Maßnahme des Hochwasserschutzes gelobt worden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Im Amt Neuhaus wurden ca. 45 Deichkilometer erneuert, und über 19 Millionen Euro wurden allein in den Abschnitten in Neu Garge und Neu Bleckede auf östlicher Elbseite investiert.

Vor fünf Jahren, am 2. Juli 2008, haben wir hier im Landtag das Gesetz zum Staatsvertrag über die Flutung der Havelpolder und die Einrichtung einer gemeinsamen Schiedsstelle beschlossen.

In Hildesheim hat am 1. Oktober 2009 die Hochwasservorhersage-Zentrale Niedersachsen ihre Arbeit aufgenommen. Zudem ist Niedersachsen gemeinsam mit den übrigen Elbanrainern am überregionalen Hochwasservorhersage-Zentrum Magdeburg beteiligt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, allen Fortschritten beim vorbeugenden Hochwasserschutz zum Trotz: Auch dieses dritte Jahrhunderthochwasser gibt der Politik eine Reihe von Hausaufgaben mit auf den Weg. Es reicht von der Frage, wo Polder angelegt und wie sie im Hochwasserfall gesteuert werden, bis zu der Frage, ob die Deiche überall eine halbwegs gleiche Höhe haben. Auch die Verlässlichkeit der Prognosen für Niedersachsen erscheint noch weiter optimierbar.

Wenn wir über weitere Verbesserungen im Hochwassermanagement sprechen, dann sollten wir auch anerkannte wissenschaftliche Einrichtungen aus Niedersachsen beteiligen. Beispielhaft nenne ich die Arbeit der Forschungsstelle Küste auf Norderney. Sie hat eine weit über die Wasserwirtschaftsverwaltung hinausragende Glaubwürdigkeit als fachlich unabhängige Institution.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Sie wird von der Häfen- und Schifffahrtsverwaltung, von Deich- und Entwässerungsverbänden und auch von Natur- und Umweltschutzverbänden gleichermaßen in Anspruch genommen.

Das Franzius-Institut an der Universität Hannover gilt national und international als eine feste Adresse für wissenschaftliche Aufgabenstellungen in den Bereichen Flussbau, Küstenschutz, Deichmonitoring sowie Hochwasser- und Risikomanagement. Auch diese Einrichtung in der Landeshauptstadt sollten wir zukünftig noch stärker im Sinne eines vorbeugenden Hochwasserschutzes nutzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, aber genauso wichtig ist der Ratschlag von Praktikern. Die Deichschützer an der Nordseeküste haben aus jahrhundertelanger Erfahrung den Deichbau und das System der Deichüberwachung nahezu perfektioniert. Davon könnten auch die Menschen an der Elbe verstärkt profitieren.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich nenne einen weiteren Punkt, über den gerade Umweltminister Wenzel intensiv nachdenken sollte: Je länger das Hochwasser vor den Deichen steht, desto schlechter ist das für den Deich. Wasser, meine sehr geehrten Damen und Herren, muss auch abfließen können. Wenn eine zu hohe Vegetation das Abfließen des Wassers verhindert, dann müssen die Büsche entfernt werden.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zuruf von der CDU: Sehr richtig!)

Niemand, meine sehr geehrten Damen und Herren - ich betone: niemand -, will die Entleerung der Auenlandschaft an der Elbe. Weil wir aber um die negativen Auswirkungen einer verbuschten Landschaft auf das Hochwasser wissen, müssen wir auch eingreifen und die Hölzer entsprechend zurückschneiden dürfen.

(Zustimmung bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es darf doch nicht wahr sein, dass ein Baum oder Busch mehr wert ist als der Mensch, der dahinter wohnt.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die EG-Hochwassermanagementrichtlinie schreibt bekanntlich die Erstellung von Risikomanagementplänen bis Ende 2015 vor. Die dazu notwendigen Hochwassergefahrenkarten und Hochwasserrisikokarten müssen bis Ende 2013 vorliegen. Da wird die Landesregierung in den kommenden Monaten noch liefern müssen.

Sehr geehrter Herr Minister Wenzel, Sie haben bei der Vorstellung des NLWKN-Jahresberichtes 2012 am 8. Mai 2013 angemerkt, dass in erster Linie Kommunen und Verbände für den Hochwasserschutz zuständig seien, dass darüber hinaus aber auch die Bürgerinnen und Bürger verstärkt Verantwortung übernehmen und sich beispielsweise frühzeitig über entsprechende Entwicklungen informieren müssten. Dies entstammt, wie gesagt, einer Pressemitteilung vom 8. Mai.

Ihre Äußerungen, Herr Minister, geben Anlass zur Sorge, dass das Land Niedersachsen die Investitionen in den Hochwasserschutz in den nächsten Jahren zurückfahren könnte. Das aber wäre vor dem Hintergrund der jüngsten Hochwasserlagen mehr als fatal. Sie sind deshalb aufgefordert, bei der anstehenden zweitägigen Haushaltsklausur Anfang Juli in besonderer Weise dafür zu sorgen, dass Sie für die Menschen in den vom Hochwasser gefährdeten Regionen Partei ergreifen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Gestatten Sie mir, meine sehr geehrten Damen und Herren, abschließend zwei Anmerkungen: Ich bin schon verwundert, welche Pirouetten die Landesregierung bei der Soforthilfe gedreht hat.

(Thomas Adasch [CDU]: Das kann man wohl sagen!)

Erst wurde eine schnelle Hilfe angekündigt, dann ruderte man zurück, und jetzt gelingt es mit Ach und Krach, dass man am Freitag einen Nachtragshaushalt in den Haushaltsausschuss einbringt, der dann aber erst nach der Sommerpause beschlossen wird. Meine sehr geehrten Damen und Herren, da sind unnötige Irritationen entstanden. Aber die Menschen können sich auf die CDU-Fraktion verlassen: Wir werden der Vorwegfreigabe zustimmen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Petra Tiemann [SPD]: Was haben Ih- re Leute denn im Haushaltsausschuss gesagt?)

Und die zweite Anmerkung, meine sehr geehrten Damen und Herren: Herr Ministerpräsident, warum setzen Sie mit Blick auf die Menschen, die ihr Hab und Gut in den Fluten von Elbe, Leine, Aller, Oker und Innerste verloren haben, nicht ein besonderes Zeichen und ernennen einen Sonderbeauftragten für die Flutgeschädigten?

(Ulf Thiele [CDU]: Gute Idee!)

Frau Honé hat doch als Regierungspräsidentin in Lüneburg 2002 Erfahrung mit dem Hochwasser sammeln können. Sie könnte - vergleichbar einer Ombudsfrau; die Stelle besteht ja auch schon - als unabhängige Ansprechpartnerin für die vom Hochwasser Betroffenen zur Verfügung stehen. Dann wäre sie auch wirklich und endlich sinnvoll beschäftigt.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Honé könnte als Ombudsfrau zentral für die betroffenen Bürger und Unternehmen zwischen den bei der Flutopferentschädigung tätigen Stellen vermitteln, etwa in Fragen der Existenzsicherung eines Betriebes - ich habe vorhin davon gesprochen - und ebenso in Fällen der Überlebenshilfe bei Totalverlust.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Analyse sind wir uns einig: Niedersachsen war diesmal besser auf das Hochwasser vorbereitet, dank guter Vorarbeit der früheren Regierung. Aber dieses neue Hochwasser hat auch neue Fragen aufgeworfen, auf die jetzt Antworten gefunden werden müssen. Die Arbeit an diesen Antworten muss heute beginnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Bäumer. - In der Aussprache zu der Regierungserklärung hat jetzt die Vorsitzende der SPD-Fraktion, Frau Modder, das Wort.