Diese Speicherungen können, auch wenn das nicht das primäre Ziel ist, schweren Schaden im Einzelfall anrichten. Auch deswegen wollen wir die Speicherung im Fall von Minderjährigen einschränken. Wir wollen denen, die in ihrer Teenagerzeit auf Abwege geraten, nicht die Zukunft verbauen. Auch das, meine Damen und Herren, gehört zu einer freien Gesellschaft dazu.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren, wir sollten uns davor hüten, nach einzelnen Straftaten und Vorfällen - seien sie auch noch so schrecklich - reflexartig härtere Gesetze zu fordern. Das ist in der Regel undurchdacht, selten zielführend und suggeriert häufig eine Sicherheit, die es in absoluter Form in freien Gesellschaften wie der unseren nicht geben kann, meine Damen und Herren.
Herr Nacke, wer wie Sie hinterher schon vorher alles immer besser gewusst haben will, kann das als Oppositionspolitiker noch viele Jahre genauso weiter tun. Seriöse Sicherheitspolitik sieht aber anders aus.
(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Jens Nacke [CDU]: Ich habe die gesamte Gesetzesberatung über darauf hingewiesen, dass die Alters- grenze so bleiben soll! Kommen Sie mir jetzt nicht so, dass ich das hinter- her behauptet hätte!)
denfalls, dass der Innenminister sorgfältig abwägt, bevor er Vorschläge unterbreitet. Sie hingegen fordern immer wieder reflexhaft schärfere Gesetze.
Meine Damen und Herren, in seinem Kommentar hat Dirk Altwig, den Herr Nacke etwas verkürzt zitiert hat, zu Recht u. a. darauf hingewiesen, dass eine frühere Speicherung der Täterin vom Hannoveraner Hauptbahnhof die brutale Tat nicht hätte verhindern können. Die bestehende Altersgrenze von 14 Jahren hat die Tat nicht verhindern können. Das gehört zur Ehrlichkeit dazu, und es ist unredlich, wenn anderes suggeriert wird.
Meine Damen und Herren, was haben die CDU und die FDP im Übrigen in ihrer Regierungszeit getan, um das Land sicherer zu machen? Und was tut Rot-Grün jetzt? Sie von CDU und FDP haben Moscheekontrollen und Islamistenchecklisten eingeführt. Mein Kollege Onay ist gestern schon darauf eingegangen. Damit haben Sie nicht nur der Sicherheit nicht gedient, sondern - im Gegenteil! - Sie haben der Sicherheit in Niedersachsen geschadet.
Anstatt sich um echte Gefahren zu kümmern, waren Polizistinnen und Polizisten dank der CDU damit beschäftigt, friedliche Muslime beim ungehinderten Besuch der Moschee zu stören.
Anstatt sich für die Demokratie einzusetzen, animierte Ihre Checkliste zu Denunziation und Bespitzelung. Anstatt gerade die muslimischen Gemeinden zu Partnern im Kampf gegen den Islamismus zu machen, haben Sie sie ausgegrenzt und vor den Kopf gestoßen.
(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Editha Lorberg [CDU]: Das ist doch überhaupt nicht wahr! Unver- schämtheit!)
Was macht Rot-Grün? - Wir haben eine Beratungsstelle für Angehörige von Islamisten auf den Weg gebracht.
Wir haben den Dialog mit den islamischen Verbänden wieder aufgenommen. Wir haben Aussteigerprogramme auf den Weg gebracht, die die CDU
explizit abgelehnt hat. Ihnen war die Ideologie der frühen Schuldenbremse wichtiger als die Stärkung der Sicherheit. Das Kultusministerium hat Fortbildungsveranstaltungen und Kongresse angeboten; das haben Sie hier unterschlagen, Herr Nacke.
Meine Damen und Herren, wir sollten bei aller Schwere der Straftat in unserem Bemühen, jedes einzelne Kind und jeden einzelnen Jugendlichen, der vom Weg abkommt, zurückzugewinnen, nicht nachlassen. Auch das macht eine freie, demokratische, rechtsstaatliche, eine menschliche Gesellschaft aus.
Vielen Dank. - Jetzt hat sich Dr. Stefan Birkner von der FDP-Fraktion zu Wort gemeldet. Bitte schön!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal ist es wichtig, sich die Dimension dieses Vorfalls in Hannover klarzumachen. Wenn ich es richtig sehe, ist es der erste erfolgte islamistische Anschlag in Deutschland seit den Anschlägen in Frankfurt auf zwei amerikanische Soldaten, die dort zu Tode gekommen sind, und mit zwei Verletzten.
Das muss man sich im Hinblick auf die sicherheitspolitische Situation klar machen. Hier hat sich ein Szenario verwirklicht, vor dem seit Monaten und Jahren im Prinzip intensiv gewarnt wird, dass der nicht erkannte radikalisierte Einzeltäter mit einer leicht zugänglichen Tatwaffe eine solche Tat begeht. Das bedarf einer intensiven Auseinandersetzung darüber, mit welchen Strategien man dem künftig begegnen will, ob die Sicherheitsbehörden tatsächlich alles richtig gemacht haben und ob daraus die richtigen politischen Schlussfolgerungen gezogen werden.
Meine Damen und Herren, wir müssen feststellen, dass der Salafismus zu einer Jugendbewegung geworden ist, und zwar in dem schlimmsten Sinne, den man sich vorstellen kann: mit radikalen und terroristischen Bestrebungen. Wir sehen das an den Zahlen: Vielfach sind es 20- bis 30-Jährige, aber es sind eben auch deutlich Jüngere darunter. Das alleine ist schon ein Hinweis darauf, dass man bei den Altersgrenzen flexibel sein muss.
Diese Einschätzung hat sich im vorliegenden Fall in tragischer Weise bestätigt. Uns ist z. B. unklar, warum sich der Verfassungsschutz, obwohl hier eine verhinderte Ausreise vorgelegen zu haben scheint, offensichtlich überhaupt nicht zuständig gesehen hat.
Herr Limburg, mit Ihrer Argumentation, dass der Verfassungsschutz quasi nur die Bestrebungen im weitesten Sinne beobachten sollte, können Sie im Prinzip jede individuelle Überwachung und Kontrolle sofort einstellen.
Aus unserer Sicht ist eine Überwachung und Kontrolle sehr wohl nötig, wenn sich eine an der Ausreise gehinderten Jugendliche in Deutschland aufhält. Es geht um die Kontakte, die es da gibt, und um die Strukturen, die dahinter stehen.
Soweit wir wissen, hat es diese Überwachung und Kontrolle im vorliegenden Fall nicht gegeben. Hier wird man der Frage nachgehen müssen, ob dies aus sachlichen Erwägungen nicht erfolgt ist oder ob dem politische Erwägungen zugrunde lagen, weil die Betreffende jünger als 16 Jahre ist.
Neben diesen Überlegungen sind darüber hinaus auch Aspekte der in der Beratung befindlichen Reform des Verfassungsschutzgesetzes zu berücksichtigen. Der Kollege Nacke und auch Herr Limburg haben darauf hingewiesen, dass die tragende Begründung für die Heraufsetzung der Altersgrenze ist - ich zitiere aus der Gesetzesbegründung -, dass Jugendliche, die sich erst in der Persönlichkeitsentwicklung befinden und in der Regel weit entfernt von einer sicheren politischsozialen Orientierung oder Überzeugung sind, im Hinblick auf die Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde noch keine Gefahr für die freiheitlichdemokratische Grundordnung darstellen.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Fall hat tragischerweise bewiesen, dass das nicht als generelle Leitlinie gelten kann, sondern dass es eben auch Fälle gibt, in denen bereits in jungem Alter eine innerliche Verfestigung und Radikalisierung stattgefunden hat, die es nötig macht, mit Verfassungsschutzmitteln tätig werden zu können.
Deshalb, Herr Minister, begrüßen wir es ausdrücklich, dass Sie angekündigt haben, den Sie tragenden Fraktionen zu empfehlen, von der Heraufsetzung des Alters von 14 auf 16 Jahre abzusehen. Denn gerade jetzt zeigt sich, dass das im Einzelfall notwendig ist.
Ich bedauere sehr, dass Ihr Koalitionspartner, die Grünen, es offensichtlich nach wie vor ablehnt, dieses wichtige Instrument des Verfassungsschutzes, das natürlich rechtlich eingegrenzt ist, zu nutzen. Das halte ich angesichts der aktuellen Entwicklung schlechterdings für unverantwortlich. Damit nehmen sie in Kauf, dass sich solche Fälle unter den Augen des Staates wiederholen.
Ich möchte noch einen weiteren Punkt ansprechen, der ebenfalls in diese Debatte gehört. Er betrifft die Präventionsarbeit. Insofern begrüße ich ausdrücklich, dass mittlerweile auch die Kultusministerin Frau Heiligenstadt der Debatte folgt.
Das, was die Landesregierung an Präventionsarbeit vorgibt - Herr Limburg hat das eben noch einmal ausgeführt -, liest sich wie ein Sammelsurium von Einzelmaßnahmen. Diese mögen für sich gesehen ja alle gut überlegt und begründet sein,
aber dem liegt kein wissenschaftlich fundiertes Gesamtkonzept zugrunde, das in alle relevanten Bereiche hineinreicht und bei dem die einzelnen Aspekte ineinandergreifen. Sie, Herr Limburg, machen das vielmehr einfach parallel nebeneinander und hoffen, dass am Ende etwas Gutes dabei herauskommt. Aber das ist angesichts der Bedrohung, so wie sie sich jetzt realisiert hat, eindeutig zu wenig.
Was ist mit Elternarbeit? Wie wollen Sie insbesondere die Eltern muslimischer Kinder und Jugendlicher, aber auch die Eltern konvertierter Kinder und Jugendlicher einbeziehen? Wie soll die Einbeziehung der islamischen Verbände konkret aussehen?
Herr Limburg, Sie haben zwar gesagt, der Gesprächsfaden sei aufgenommen worden, aber das Einzige, was sich in den Antworten auf unsere Anfragen darauf zur Islamismusprävention findet, ist ein Gespräch im Nachgang zur Absage des
Schoduvel in Braunschweig. Aber soll das wirklich alles sein? Was soll denn konkret passieren? Welche Rolle spielt das bei den Verträgen, die wir mit den islamischen Religionsgemeinschaften diskutieren? Wie wird das dort einbezogen?
Frau Heilgenstadt, was ist es denn mit der Präventionsarbeit an den Schulen? - Es ist ja gut, dass Sie das in den Fortbildungsveranstaltungen aufgreifen, aber entscheidend ist doch, dass das systematisch und flächendeckend in den Unterricht integriert wird.