Protokoll der Sitzung vom 14.11.2017

Tagesordnungspunkt 5: Feststellung des Zusammentritts des Landtages der 18. Wahlperiode

Nachdem wir entsprechend der Vorgabe in § 68 unserer Geschäftsordnung die Beschlussfähigkeit des Hauses festgestellt haben, stelle ich nunmehr fest, dass der Landtag der 18. Wahlperiode zusammengetreten ist. Damit hat nach Artikel 9 Abs. 1 der Niedersächsischen Verfassung die 18. Wahlperiode begonnen.

Wir kommen nun zum nächsten Tagesordnungspunkt, nämlich zum

Tagesordnungspunkt 6: Wahl der Landtagspräsidentin oder des Landtagspräsidenten (Artikel 18 der Niedersächsi- schen Verfassung - NV -, § 5 GO LT)

Nach Artikel 18 Abs. 1 der Niedersächsischen Verfassung wählt der Landtag seine Präsidentin oder seinen Präsidenten.

Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 unserer Geschäftsordnung schlägt die stärkste Fraktion ein Mitglied des Landtages für die Wahl zur Präsidentin oder zum Präsidenten vor.

Die stärkste Fraktion in diesem Hause ist die SPDFraktion. Sie hat Frau Dr. Gabriele Andretta schriftlich vorgeschlagen.

Nach § 5 Abs. 3 Satz 1 unserer Geschäftsordnung ist die Wahl mit Stimmzetteln durchzuführen. Sie kann nach Satz 2 dieser Vorschrift durch Handzeichen vorgenommen werden, wenn kein anwesendes Mitglied des Landtages widerspricht.

Erhebt sich gegen die Wahl durch Handzeichen Widerspruch? - Das scheint nicht der Fall zu sein.

Ich bitte nun diejenigen, die Frau Dr. Andretta zur Präsidentin wählen wollen, um ein eindeutiges Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Das ist einstimmig.

(Starker, nicht enden wollender Beifall - Die Abgeordneten erheben sich - Dr. Gabriele Andretta [SPD] nimmt Glückwünsche entgegen)

Sehr geehrte Frau Dr. Andretta, ich frage Sie jetzt, ob Sie die Wahl annehmen.

Herr Alterspräsident, ich nehme die Wahl an.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Dann spreche ich Ihnen zur Wahl die Glückwünsche des ganzen Hauses aus. Wir wünschen und hoffen, dass Sie eine gerechte und fürsorgliche Präsidentin sein werden, die mit glücklicher Hand die Geschicke des Hauses leitet, sich der Belange aller Fraktionen und aller Abgeordneten annimmt und ihr Amt zum Wohl des Landes wahrnimmt.

Ich bitte Sie nunmehr, mir meinen Platz abzunehmen. Er ist ein wenig gewärmt.

(Heiterkeit)

Aber das werden Sie schon schaffen.

(Starker, anhaltender Beifall - Die Ab- geordneten der SPD und der GRÜ- NEN erheben sich)

Tagesordnungspunkt 7: Amtsübernahme durch die gewählte Landtagspräsidentin oder den gewählten Landtagspräsidenten und Rede

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Gäste! Zunächst möchte ich mich bei unserem Alterspräsidenten, Herrn Schönecke, nicht nur für den gewärmten Sitz,

(Heiterkeit)

sondern auch für die umsichtige Eröffnung unserer heutigen Sitzung herzlich bedanken.

(Starker Beifall)

Da für diese Sitzung die Wahl des übrigen Präsidiums nicht vorgesehen ist, schlage ich Ihnen vor, dass Frau Byl und Herr Raulfs, die sich bereits bestens bewährt haben, bis zur Wahl der weiteren Präsidiumsmitglieder mit mir gemeinsam den vorläufigen Sitzungsvorstand bilden. - Widerspruch sehe ich nicht. Dann verfahren wir so.

(Lebhafter Beifall)

Herrn Landesbischof Dr. Meyns und Herrn Bischof Dr. Bode sowie dem Bläserensemble des Gymnasiums Andreanum Hildesheim und dem Freitagschor der Tellkampfschule Hannover danke ich für die Gestaltung des ökumenischen Gottesdienstes heute Morgen.

Lassen Sie auch mich - ich denke, in unser aller Namen - einen besonderen Gruß an alle Kolleginnen und Kollegen richten, die mit Ablauf der 17. Wahlperiode aus dem Parlament ausgeschieden sind. Ihnen allen möchte ich unseren Dank und Respekt für die geleistete Arbeit zum Wohle des Landes aussprechen. Vielen Dank!

(Lebhafter Beifall)

Vor allem möchte ich meinem Vorgänger im Amt des Präsidenten, Bernd Busemann, danken. Es war Ihnen, lieber Bernd Busemann, ein ganz besonderes Anliegen, nicht nur die Rechte und die Würde des Parlaments zu wahren, sondern auch den Blick für die parlamentarische Demokratie zu schärfen. Insbesondere mit der von Ihnen ins Leben gerufenen Veranstaltungsreihe Parlamentsleben ist Ihnen das nachhaltig gelungen.

Für immer mit Ihrer Präsidentschaft sichtbar verbunden bleiben wird der gelungene Umbau unse

res Landtages. Als Bauherr haben Sie nicht nur starke Nerven bewiesen, sondern mit emsländischer Hartnäckigkeit - die ich auch kennenlernen durfte - und bewährter Erfahrung dafür Sorge getragen, dass wir den 18. Niedersächsischen Landtag heute im neuen Plenarsaal konstituieren können. Herzlichen Dank, Bernd Busemann!

(Lebhafter Beifall)

Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, danke ich für das Vertrauen, das Sie mir mit der Wahl zur Präsidentin des Niedersächsischen Landtages entgegenbringen. Mir ist die Bedeutung dieses hohen Amtes sehr bewusst, und ich werde alles tun, eine faire, gerechte und unparteiische Präsidentin zu sein.

Mit Ihrer Wahl haben Sie heute zugleich Landesgeschichte geschrieben. Es ist seit Gründung des Landes Niedersachsen vor 71 Jahren das erste Mal, dass der Landtag eine Frau in dieses hohe Amt gewählt hat.

(Starker Beifall)

Damit haben Sie ein weiteres Zeichen für die faktische Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der Politik gesetzt.

Sie werden mir zustimmen, dass dies ein guter Anlass ist, an die Vorkämpferinnen für gleiche Rechte von Frauen zu erinnern, an Frauen wie Lida Gustava Heymann und Clara Zetkin, die für das Frauenwahlrecht kämpften, das im November kommenden Jahres 100 Jahre alt wird und den Beginn der ersten Demokratie in Deutschland markiert, an Marie Juchacz, die am 19. Februar 1919 als erste Frau in einem deutschen Parlament das Wort ergriff.

Erinnern möchte ich auch an die Frauen der ersten Stunde dieses Landesparlaments. Stellvertretend für alle nenne ich die Sozialdemokratin Rosa Helfers, die Christdemokratin Ilsa Reinhardt, die Liberale Margarethe Gramberg.

Die politischen Wurzeln einiger der Frauen, die dem ersten gewählten Niedersächsischen Landtag oder seinen Vorgängern, dem ernannten Niedersächsischen Landtag und den ernannten Landtagen von Hannover, Oldenburg und Braunschweig, angehörten, reichten bis in die Weimarer Republik zurück. Einige von ihnen waren für ihre politischen Überzeugungen während der NS-Zeit Verfolgungen und Gefängnisstrafen ausgesetzt. Für alle weiblichen Abgeordneten war die große soziale Not der Nachkriegszeit ausschlaggebend für ihr

politisches Engagement. Sie packten mit an, die Not zu lindern, engagierten sich bei der Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen und setzten sich für die Schaffung eines demokratischen Bildungs- und Kulturwesens ein - um nur einige Bereiche zu nennen. Jede dieser Frauen war ein Vorbild, das andere Frauen zu politischem Engagement ermutigt hat.

Waren im ersten gewählten Niedersächsischen Landtag gerade einmal 10 Frauen vertreten, so sind es in der jetzigen Legislaturperiode 37 Abgeordnete - gegenüber 1947 ein Fortschritt, aktuell jedoch ein Rückschritt; denn in diesem 18. Landtag ist der Frauenanteil erstmals wieder gesunken: auf unter 30 %. Gemeinsam sollten wir uns überlegen, welchen Beitrag wir als Parlament leisten können, um in Zukunft mehr Frauen für die Politik zu gewinnen und ihnen Chancen zu geben.

(Lebhafter Beifall)

Denn, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bin fest davon überzeugt, dass sich unsere demokratische Gesellschaft nur dann zum Wohle aller weiterentwickeln kann, wenn Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen, gerade auch in der Politik, gleichberechtigt teilhaben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Parlament sitzen heute viele Abgeordnete - um genau zu sein: 56 -, die zum ersten Mal an einer Plenarsitzung teilnehmen. Ich begrüße Sie als neue Kolleginnen und Kollegen besonders herzlich. Jede und jeder von Ihnen ist von Bürgerinnen und Bürgern Niedersachsens gewählt. Diese erwarten, dass Sie - unabhängig davon, ob Sie zukünftig einer Regierungs- oder Oppositionsfraktion angehören werden - Niedersachsen in seiner sozialen Vielfalt und kulturellen Verschiedenheit - Stadt und Land, Norden und Süden, Jung und Alt - vertreten. Sie alle stehen für unterschiedliche Perspektiven, und es ist der Austausch unterschiedlicher Perspektiven, der für die Gestaltung des gemeinschaftlichen und öffentlichen Raums unverzichtbar ist. Ich wünsche mir, dass daraus neue Impulse und Ideen für die politische Arbeit im Parlament erwachsen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Eröffnung des neuen Plenarsaals vor wenigen Wochen wurden uns viele gute Wünsche mit auf den Weg gegeben. Unser Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erinnerte daran, dass Parlamente Orte politischer Kultur seien, diese Kultur aber kein einmal erworbener Verdienst sei, sondern von uns Abgeordneten bewahrt und gelebt werden müsse -

mit gegenseitigem Respekt und Kompromissfähigkeit in der Sache, nicht durch politische Feindschaften und gegenseitige Missachtung. Diese Worte sollten wir beherzigen.

(Lebhafter Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies gilt umso mehr, als wir wissen, dass sich die Parlamente nicht gerade auf dem Höhepunkt ihres öffentlichen Ansehens befinden. Das gilt insbesondere für das Ansehen von Politikerinnen und Politikern. Sie gelten in den Augen vieler Bürgerinnen und Bürger als abgehoben, realitätsfern, und in Befragungen rangieren die Werte für das Vertrauen in sie inzwischen - Sie wissen das - auf der Skala ganz unten auf einem Niveau mit Gebrauchtwagenhändlern und Immobilienmaklern.

Eine repräsentative Demokratie ist jedoch darauf angewiesen, dass sie von den Bürgerinnen und Bürgern innerlich anerkannt und getragen wird und dass ein Vertrauensverhältnis zwischen Repräsentanten und Repräsentierten besteht. Vertrauen in die Integrität der Politik und Ehrlichkeit sind das Fundament einer parlamentarischen Demokratie, und wir sollten alles tun, um dieses Fundament zu stärken.

(Zustimmung bei der SPD)

Das bedeutet nicht den Verzicht auf Streit. Streit ist nicht nur erlaubt - der Alterspräsident hat dies ebenfalls betont -, sondern Streit ist im Ringen um die beste Lösung unverzichtbar. Streit ist keine Schwäche der Demokratie, sondern eines ihrer konstitutiven Merkmale, genauso wie die Fähigkeit zum Kompromiss, so mühsam die Suche danach auch immer sein mag; denn für das Ergebnis muss gelten: Nicht das gut Gemeinte, sondern das gut Gemachte ist die Essenz des Politischen.