Protokoll der Sitzung vom 10.06.2021

einen Investitionsstau von 4,34 Milliarden Euro - Zitat aus #schlaglicht 4/2021 des DGB -:

„Und was macht die Landesregierung in dieser Situation? Sie dreht den Geldhahn weiter zu! Die Hochschulen müssen seit 2020 eine globale Minderausgabe von 24 Mio. Euro jährlich leisten.“

Mit dem Gute-KiTa-Gesetz unterstützt der Bund die Länder bis 2022; die Folgefinanzierung ist offen. In der Neuen Presse vom 5. Juni 2021 erklärte Minister Hilbers, dass er in Qualitätsverbesserungen in Kitas - wie eine dritte Kraft - nicht investieren, sondern lieber die Unternehmenssteuern senken will. Gleichzeitig sprach er sich gegen den von CDUKanzlerkandidat Armin Laschet vorgeschlagenen Deutschlandfonds für mehr Investitionen aus. Die Frage in der Neuen Presse lautete:

„Im Prinzip ist die Forderung von Armin Laschet aber schon sehr ähnlich zum Niedersachsenfonds, den die Grünen und der DGB

vorschlagen und den Sie auf Landesebene ablehnen, oder?“

Weiterer erheblicher Finanzbedarf ist in den kommenden Jahren beim Klimaschutz, bei der Digitalisierung, bei Wohnen, Bildung, Mobilität, Naturschutz, Wirtschaft und durch Corona-Folgen bei den Kommunen zu erwarten.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:

1. Soll nach Auffassung von Ministerpräsident Stephan Weil das von SPD und CDU im Landtag 2019 gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beschlossene Verbot der Nettokreditaufnahme in Artikel 71 NV für Investitionen in Bildung, Wohnen, Bauunterhaltung oder Klimaschutz geändert werden?

2. Wie steht die Landesregierung zum Modell des Niedersachsenfonds des DGB, um damit den finanziellen Handlungsbedarf bei kommunalen

Corona-Folgen, Bauunterhaltung, Klimaschutz,

Neubauten der Maximalversorger, Bildung und Digitalisierung zu finanzieren?

3. Wie und mit welchem Startkapital wird Minister Lies eine neue Landeswohnungsbaugesellschaft noch in dieser Legislaturperiode gründen?

Herzlichen Dank fürs Zuhören.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Wenzel. - Für die Landesregierung antwortet Herr Finanzminister Hilbers. Bitte, Herr Minister! Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Länder gilt seit 2020 ein Verbot der strukturellen Verschuldung. In Artikel 109 Abs. 3 des Grundgesetzes ist geregelt, dass es erlaubt ist, konjunkturelle Bereinigungen vorzunehmen und bei „Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen“ auf Ausnahmeregelungen zurückzugreifen.

Die niedersächsische Schuldenbremse ist in Artikel 71 der Niedersächsischen Verfassung geregelt und ist eine stabile Leitplanke auf dem Weg zu einer verantwortungsvollen Finanz- und Haushaltspolitik. Sie ist geltendes Verfassungsrecht und basiert damit auf dem formellen Rechtsträgerprinzip.

Dabei ist die Schuldenbremse ein Konstrukt, das in der Krise ausreichend flexibel ist - das hat sich gezeigt -, um angemessen auf die Herausforderungen reagieren zu können. In Krisenlagen ermöglicht sie, über das Instrument der Konjunkturbereinigung hinaus temporär Kredite aufzunehmen, verpflichtet aber gleichzeitig dazu, die aufgenommenen Schulden in einem dafür vorgesehenen Zeitplan zu tilgen und in konjunkturell guten Zeiten mit entsprechenden Rücklagen Vorsorge zu treffen.

Dabei bleibt die Nutzung der Ausnahmetatbestände zur Kreditaufnahme formell und materiell das Thema des Haushaltsgesetzgebers.

Meine Damen und Herren, eine vom Grundsatz abweichende zulässige Neuverschuldung in Krisenlagen muss, wie angesprochen, grundsätzlich mit einer Zweidrittelmehrheit beschlossen werden. Die Schuldenbremse ist ein Konstrukt, das sich auch in dieser Pandemiezeit bewährt hat.

Auf genau diese Ausnahmeregelung, die ich eben beschrieben habe, zurückzugreifen, war bereits im ersten Jahr des Bestehens der Schuldenbremse notwendig geworden. Fast zeitgleich mit dem Startschuss für die Schuldenbremse begann die COVID-19-Pandemie, die auch den Landeshaushalt mit voller Wucht getroffen hat. Die Folgen der Pandemie haben gravierende Auswirkungen auf die Wirtschaft und damit auch auf die Steuereinnahmen unseres Landes und aller anderen staatlichen Ebenen. Die Größe dieser Herausforderung und die Höhe der Steuerausfälle waren und sind ohne eine Neuverschuldung in der aktuellen Situation nicht zu bewältigen.

Die Landesregierung und der Haushaltsgesetzgeber haben daher diese Herausforderung schnell und umfassend angenommen und darauf reagiert. Bereits am 25. März 2020 - das wissen Sie - wurden mit einem 1,4 Milliarden Euro umfassenden ersten Nachtragshaushalt für das Jahr 2020 die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen, um in unserem Land die notwendigen Maßnahmen zur Sicherung der Gesundheit der Bevölkerung sowie zur Unterstützung der niedersächsischen Wirtschaft ergreifen zu können. Am 15. Juli letzten Jahres hat der Landtag einen zweiten Nachtragshaushalt 2020 mit einem Finanzvolumen in Höhe von 8,4 Milliarden Euro beschlossen. Das war möglich, weil der Niedersächsische Landtag die Notsituation im Sinne der Schuldenbremse anerkannt und damit diese Verschuldung zur Überwindung der Krise möglich gemacht hat.

Die frühzeitig beschlossenen Maßnahmen entfalten auch im Jahr 2021 ihre Wirkung, wie Sie das von dem Sondervermögen kennen. Der Landeshaushalt 2021 hat ein Volumen von rund 35,9 Milliarden Euro. Mit diesen Geldern sichern wir die Strukturen in Niedersachsen und bringen unser Land voran. Dass dies möglich ist, verdanken wir der soliden und umsichtigen Haushaltspolitik vergangener Jahre. Nur dadurch bestanden in der Pandemie die entsprechenden Spielräume, die wir brauchten, um notwendige Kredite aufnehmen und entschlossen handeln zu können. Darauf waren wir gut vorbereitet: Seit 2017 haben wir deutlich mehr als eine Dreiviertelmilliarde Euro an Altschulden getilgt. Bereits 2019 - das ist hier eben schon bei einem anderen Tagesordnungspunkt angeklungen - war das strukturelle Defizit vollständig abgebaut, und wir haben vollständig auf die Nutzung von Einmaleffekte verzichtet. Die Schuldenbremse steht also - das stelle ich fest - der aktuellen Krisenintervention nicht im Wege.

Im Wege stand sie auch nicht einem deutlichen Ausbau der Investitionen. Ausgehend vom Niveau der Mipla 2017 bis 2021 haben wir die Investitionsausgaben vor allem in der mittelfristigen Finanzplanung deutlich erhöhen können und die Ausgabelinien nach oben verschoben. Mit den steigenden Investitionsausgaben in absoluten Zahlen geht eine Erhöhung der Investitionsquote in unserem Land einher. Die Mipla 2017 bis 2021 wies eine Investitionsquote von 4,6 % aus. Jetzt hören Sie zu: In der Mipla 2020 bis 2024 beträgt sie 6,4 % und im aktuellen Haushalt 6,6 %. Diese deutliche Steigerung bedeutet eine Stärkung der Investitionstätigkeit in unserem Land. Es ist wichtig, dass wir diesen Switch gemacht haben.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass angesichts der guten konjunkturellen Entwicklungen das Haushaltsvolumen insgesamt gestiegen ist. Die von mir gerade genannten Prozentpunkte beziehen sich also auf eine gestiegene Basis und wirken sich damit noch einmal deutlich stärker aus. Betrug das Haushaltsvolumen im Haushaltsplan 2017 noch 30,4 Milliarden Euro, belief es sich 2020 - vor der Pandemie - auf 34,7 Milliarden Euro. Damit zeigt sich, dass die Investitionsquote, aber auch der Ausbau der Investitionen deutlich nach oben gegangen sind.

Mehr als 3,7 Milliarden Euro - 3,7 Milliarden Euro! - wurden außerdem in den vergangenen Jahren in Form von Sondervermögen zusätzlich zur nachhaltigen Stärkung der Investitionen in unserem Land bereitgestellt. Es ist eine einmalige Situation, der

art viel Investitionsgelder für die Investitionen in unserem Land mobilisiert zu haben!

Diese Entwicklung widerlegt sehr klassisch und deutlich die Behauptung, die Schuldenbremse sei eine Investitionsbremse, und zeigt schlagend, dass sie nicht stimmen kann.

(Beifall bei der CDU - Christian Meyer [GRÜNE]: Das sieht der Ministerprä- sident wohl anders!)

Ich komme jetzt zu Ihren Einzelfragen und beantworte die Fragen 1 und 2 gemeinsam: Die Landesregierung ist sich darin einig, den geltenden grundgesetzlichen und verfassungsrechtlichen

Rahmen bei der Aufstellung des Landeshaushalts einzuhalten. Jenseits der Regelungen zur Konjunkturbereinigung und in Notsituationen schließt dies Nettokreditaufnahmen aus. Die Landesregierung lehnt es nachdrücklich ab, zentrale Zukunftsthemen gegeneinander auszuspielen. Vielmehr hat sie das Ziel, diese sinnvoll und verfassungskonform miteinander zu verknüpfen und umzusetzen. Innerhalb des aufgezeigten Rahmens wird die Landesregierung im Sommer im Sinne einer vollumfänglichen und nicht nur einseitigen Generationengerechtigkeit einen Doppelhaushalt 2022/2023 vorlegen, der dem Regelwerk entsprechen und zugleich die notwendigen Akzente für Zukunftsinvestitionen vorsehen wird.

Zu Frage 3: Die Niedersächsische Landesregierung befindet sich noch mitten im regierungsinternen Entscheidungsprozess über die Wirkung und mögliche Ausgestaltung einer Landeswohnungsgesellschaft. Daher kann ich Ihnen zur konkreten Ausgestaltung einer möglichen Landeswohnungsgesellschaft noch keine Detailauskünfte geben. Natürlich werden wir Sie aber bei entsprechender Beschlussfassung über entsprechende Themen informieren.

Auch die Höhe des Stammkapitals steht nicht fest, meine Damen und Herren. Mögliche Angliederungen und Kooperationen - danach hatten Sie gefragt - mit bereits bestehenden Landesgesellschaften sind Teil der Überlegungen, die regierungsintern stattfinden. Das Umweltministerium sowie das Finanzministerium befinden sich hier auf Arbeitsebene im engen Austausch.

Ich bedanke mich herzlich.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister Hilbers. - Die erste Zusatzfrage für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stellt Frau Abgeordnete Viehoff.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herzlichen Dank, dass ich die Frage stellen kann.

Herr Minister Hilbers, vor dem Hintergrund, dass an den Hochschulen ein erheblicher Investitionsstau besteht, frage ich Sie: Wie stehen Sie zu einer landeseigenen Hochschulentwicklungsgesell

schaft, so wie sie der DGB vorgeschlagen hat, um zeitnah Investitionen an den Hochschulen zu ermöglichen?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Herr Finanzminister Hilbers antwortet. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Viehoff, das Modell, das ich dort gelesen habe, basiert darauf, dass der Kapitaldienst dann über die Hochschulen dieser Gesellschaft zugeführt wird. Damit wäre dies eine reine Umgehung der Schuldenbremse. Immer dann, wenn das Land für diesen Kapitaldienst und für die Begleichung des Kapitaldienstes aufkommen muss, ist das ein Schattenhaushalt. Insofern führt es nicht zu anderen Ergebnissen als dann, wenn der Staat diese Kredite selbst aufnehmen würde. Das wäre nicht schuldenbremsenkonform.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. - Die zweite Zusatzfrage für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stellt der Abgeordnete Meyer.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich frage noch einmal zur Landeswohnungsbaugesellschaft. Ist die zitierte Aussage, dass die Landesregierung die Notwendigkeit einer Landeswohnungsbaugesellschaft festgestellt hat und es nur noch um das Wie, aber nicht um das Ob geht, die Auffassung der gesamten Landesregierung? Denn das ist mir bei Ihrer Aussage, Herr Hilbers, nicht klar geworden.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zuruf: Das steht im Widerspruch zur Aussage des Ministerpräsidenten!)

Vielen Dank. - Bitte, Herr Minister!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Meyer, wir haben in der Regierung vereinbart, dass wir sowohl das Wie als auch das Ob prüfen.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Also war die Aussage von Herrn Lies falsch?)

- Ich habe keine falsche Aussage bei Ihrem Wortbeitrag feststellen können. Dann müssen Sie noch einmal nachfragen.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Das steht doch in der Anfrage drin! - Zuruf: Nein, bei Ihrem Wortbeitrag!)