Protokoll der Sitzung vom 23.01.2019

Satire, meine Damen und Herren, das ist leider gelebte Realität.

Auf die Gefahren, die sich aus derartigen Entwicklungen für den Fortbestand des Rechtsstaats ergeben, hat jüngst auch der Herr Bundespräsident hingewiesen. In einer am 1. Oktober 2018 gehaltenen Rede hat er, anknüpfend an die Fehlentwicklungen in anderen Staaten der Europäischen Union und erkennbar unter Bezugnahme auf den soeben geschilderten Rechtsstreit in Bayern, ausgeführt:

„Aber der Blick ins europäische Ausland darf kein überheblicher Blick sein und sollte nicht davon abhalten, sensibel auf Veränderungen im eigenen Land zu schauen. Wir sollten aufmerken,... wenn Gerichte laut über die Anwendung von Zwangsmitteln gegenüber Behörden zur Durchsetzung ihrer Entscheidungen nachdenken müssen, wie es der Bayerische Verwaltungsgerichtshof kürzlich in einem Verfahren getan hat.“

Meine Damen und Herren, ich möchte nicht missverstanden werden oder übertreiben. Bislang sind all dies Einzelfälle. Allerdings beobachtet man schon, dass sich Fälle dieser Art mehren. Ich kann mich in meiner fast 40-jährigen Dienstzeit als Richter nicht erinnern, Ähnliches früher schon einmal erlebt zu haben.

Der Grundsatz der Gewaltenteilung und der Respekt vor der Unabhängigkeit der Justiz und der Verbindlichkeit ihrer Entscheidungen gehören zu den Fundamenten des demokratischen Verfassungsstaats. In diesem sensiblen Bereich kann es weder Ausnahmen noch Kompromisse geben, soll nicht das gesamte Gefüge ins Rutschen kommen. Insofern gilt hier aus großer Sorge und mehr als an anderer Stelle die dringende Mahnung: Wehret den Anfängen!

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Gestatten Sie mir zum Schluss ein Wort an Sie, die Damen und Herren Abgeordneten des Landtags.

Das Parlament ist die Herzkammer der Demokratie. Der Parlamentarismus lebt von der Debatte und von dem beständigen Ringen um die beste Lösung. Führen Sie deshalb in diesem Hohen Hause intensive, auch harte Auseinandersetzungen, aber wahren Sie den Respekt vor dem Andersdenkenden! Streiten Sie heftig, aber bleiben Sie fair! Streit gehört zur Demokratie, Hetze und

verbaler Radikalismus aber vergiften die politische Kultur.

Nicht nur einmal haben wir gerade in der deutschen Geschichte erleben müssen, dass aus Worten und der Verrohung der Sprache, aus verbalen Verunglimpfungen und fortschreitenden Tabubrüchen ganz schnell wieder Gewalt entstehen kann. Das möge uns allen erspart bleiben.

(Lebhafter Beifall)

In dieses Parlament gewählt und damit Vertreter des ganzen Volkes zu sein, ist eine ehrenvolle Aufgabe, aber auch eine große Verantwortung. Bleiben Sie sich dessen immer bewusst! Das Recht ist der wichtigste Schutz der Demokratie. Aber es bedarf immer auch aufrechter Demokraten, um das Recht und die Demokratie gegen ihre Gegner zu schützen.

Ich wünsche Ihnen kluge und gerechte Entscheidungen in dieser so kompliziert gewordenen Welt zum Wohle unseres Landes und der hier lebenden Menschen und zur Bewahrung des sozialen Friedens in dieser Gesellschaft.

Ich danke für die Aufmerksamkeit. Leben Sie wohl!

(Starker, lang anhaltender Beifall - Die Abgeordneten sowie die Mitglieder der Landesregierung erheben sich)

Sehr geehrter Herr Dr. van Nieuwland, ich danke Ihnen sehr für Ihre Worte, auch für Ihre mahnenden Worte. Die Abgeordneten des Hauses haben Ihnen aufmerksam zugehört. Ich möchte Ihnen aber vor allen Dingen im Namen des ganzen Hauses für Ihr großes Engagement im Amt des Präsidenten des Staatsgerichtshofs danken und wünsche Ihnen für Ihre Zukunft alles Gute.

(Lebhafter Beifall)

Nun erteile ich das Wort dem gewählten Nachfolger, Herrn Dr. Thomas Smollich. Bitte!

Dr. Thomas Smollich:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Für die Wahl zum Präsidenten des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs und das dadurch zum Ausdruck gebrachte Vertrauen, dass Sie mir diese herausgehobene Aufgabe zutrauen, bedanke ich mich ganz herzlich. Es ist für mich eine besondere Ehre, aus Anlass meiner Wahl heute hier vor Ihnen, dem Niedersächsischen Landtag, zu sprechen.

Ihnen ist es sicher auch schon wie mir ergangen, wenn Sie gegenüber Bekannten oder Freunden einmal den Staatsgerichtshof erwähnt haben. Sie werden oft mit großen Augen und verständnislosem Blick angesehen; denn die Bekanntheit des Staatsgerichtshofs und seine Verankerung im öffentlichen Bewusstsein halten sich in Grenzen. Ich bedauere dies sehr; denn zum einen ist ein eigenes Landesverfassungsgericht ein Sinnbild für die Eigenständigkeit eines Bundeslandes. Darüber hinaus genießt der Niedersächsische Staatsgerichtshof eine besondere Stellung. Er ist Gericht und Verfassungsorgan zugleich. Die Gerichtsqualität bedeutet, dass er wie ein Gericht organisiert ist, nach Verfassung und Gesetz entscheidet, nur auf Antrag tätig werden kann und die Rechtsstreitigkeiten in einem streng gesetzlichen Verfahren ablaufen.

Als Verfassungsorgan steht der Staatsgerichtshof neben dem Landtag und der Landesregierung. Seine Aufgaben und Befugnisse ergeben sich unmittelbar aus der Verfassung, und seine Entscheidungen binden die beiden anderen Verfassungsorgane. Er ist das einzige Verfassungsorgan, das selbst keiner Kontrolle unterliegt. Diese besondere Stellung ist mir und allen Mitgliedern des Staatsgerichtshofs stets bewusst und führt dazu, dass wir uns streng am Maßstab der Verfassung orientieren.

Meine Damen und Herren, es ist mir ein besonderes Anliegen, die Wahrnehmung des Staatsgerichtshofs in der Öffentlichkeit zu stärken. Die Wahrnehmung einer öffentlichen Institution wird allerdings maßgeblich durch die ihr zugewiesenen Aufgaben bestimmt. Die Aufgaben müssen sich an den staatspolitischen Bedürfnissen orientieren und bedürfen daher immer wieder der Überprüfung. Zwei Entwicklungen beschäftigen mich in diesem Zusammenhang und führen mich zu der Frage, ob der Niedersächsische Staatsgerichtshof einen Beitrag leisten kann.

Wir beobachten einen Vertrauensverlust eines Teils der Bürgerinnen und Bürger in die staatlichen Institutionen. Herr Dr. van Nieuwland hat eben in seiner Rede Beispiele aus dem Bereich der Justiz angesprochen. Aber der Vertrauens- und sogar Autoritätsverlust geht deutlich darüber hinaus, wie zunehmende Angriffe auf Polizisten und Rettungskräfte sowie der neue Begriff des Wutbürgers belegen.

Der Vertrauensverlust betrifft auch die klassischen politischen Parteien und das politische System der parlamentarischen Demokratie. Er zeigt sich in einer zunehmenden Zersplitterung der Parteienlandschaft und in deren Folge in der Zusammensetzung der Parlamente. Sowohl die Regierungsbildung als auch die Oppositionsarbeit werden schwieriger. Ich frage mich, ob der Staatsgerichtshof auf diese Herausforderungen reagieren sollte.

Um das Vertrauen in staatliche Institutionen zu stärken und einem Gefühl von Ohnmacht bei manchen Bürgerinnen und Bürgern zu begegnen, könnte man an eine Optimierung des Individualrechtschutzes denken. Dazu liegt in diesem Haus ein Gesetzentwurf zur Einführung einer Individualverfassungsklage vor dem Staatsgerichtshof vor.

In Vorbereitung meiner Rede habe ich festgestellt, dass dieses Thema bereits mehrere meiner Vorgänger beschäftigt hat. Der vorliegende Gesetzentwurf bietet meiner Ansicht nach eine gute Gelegenheit, das Für und Wider einer Individualverfassungsbeschwerde ausführlich zu diskutieren. Dabei mag auch eine Rolle spielen, dass nach der Einführung einer Verfassungsbeschwerde zum 1. Januar dieses Jahres in Nordrhein-Westfalen Niedersachsen und Schleswig-Holstein, wo derzeit ebenfalls ein entsprechender Gesetzentwurf diskutiert wird, die einzigen beiden Flächenländer ohne eine Landesverfassungsbeschwerde sind. Die Beschwerde ist also in der Praxis erprobt.

Die Einführung einer Verfassungsbeschwerde würde es den Bürgerinnen und Bürgern in Niedersachsen ermöglichen, ortsnah ihre objektiv verbürgten Grundrechte vor einem Landesgericht geltend machen. Dies könnte zu einer Stärkung des Vertrauens der Bürgerinnen und Bürger in die Funktionsfähigkeit der Justiz führen, das Rechtsschutzsystem in Niedersachsen erweitern, die bislang wenig bedeutsamen Landesgrundrechte stärken und den Staatsgerichtshof stärker in das öffentliche Bewusstsein rücken.

Lassen Sie mich noch auf einen zweiten Gesichtspunkt eingehen.

Eine wichtige Aufgabe des Staatsgerichtshofs ist die Schlichtung von Streitigkeiten von und zwischen den Verfassungsorganen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass derartige Streitigkeiten überhaupt an den Staatsgerichtshof herangetragen werden können.

In erster Linie sind es die Oppositionsfraktionen, die von der Möglichkeit, den Staatsgerichtshof anzurufen, Gebrauch machen. Aufgabe des Staatsgerichtshofes ist es daher auch, die Rechte der Minderheiten zu schützen und ihre in der Landesverfassung verbürgten Rechte zur Geltung zu bringen.

Die letzteren Wahlen haben zu einer größeren Vielfalt der Fraktionen in den Landesparlamenten geführt. Diese Entwicklung und die Festlegung von bestimmten Quoten zur Inanspruchnahme von Rechten aus der Verfassung führen möglicherweise dazu, dass die Fraktionen, die nicht die jeweilige Regierung stützen, ihre verbürgten Rechte nicht effektiv wahrnehmen können.

Mit Blick auf den Staatsgerichtshof betrifft das den Zugang zum Normenkontrollverfahren. Ein Fünftel der Mitglieder des Landtages muss den Antrag unterstützen, was gegenwärtig eine Einigung aller Oppositionsfraktionen erfordert. Für eine funktionierende Demokratie und einen starken Rechtsstaat mag das eine unbefriedigende Lösung sein, die Anlass für eine ausführliche Debatte bieten kann.

Meine Ausführungen stellen natürlich nur eine Anregung für eine Diskussion dar. Letztendlich sind es rechtspolitische Fragen, die Sie hier in diesem Haus zu diskutieren und zu entscheiden haben. Ich werde die Zurückhaltung wahren, die den Staatsgerichtshof seit jeher auszeichnet.

Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, zum Schluss ein Wort des Dankes an meinen demnächst ausscheidenden Amtsvorgänger zu richten. Sie, Herr Dr. van Nieuwland, waren 19 Jahre Mitglied des Staatsgerichtshofes und davon die letzten 6 Jahre als Präsident. Sie zählen zu den profiliertesten Richterpersönlichkeiten in Niedersachsen und haben den Staatsgerichtshof mitgeprägt.

Der Respekt vor der Organqualität des Staatsgerichtshofes war und ist Ihnen ein besonderes Anliegen. Ihnen war es immer wichtig, die Landesverfassung über das zu entscheidende einzelne Verfahren hinaus auszulegen, zu interpretieren und weiterzuentwickeln. Damit haben Sie die Messlatte für Ihre Nachfolge hochgelegt und ganz wesentlich zum hohen Ansehen des Staatsgerichtshofes beigetragen. Meinen herzlichen Dank dafür!

(Starker Beifall)

Meine Damen und Herren, ich bin mir bewusst, dass ich mit der heutigen Wahl in große Fußstapfen trete. Aber ich kann Ihnen an dieser Stelle

versichern, dass ich diese neue Aufgabe nach bestem Wissen und Gewissen zum Wohl des Landes Niedersachsen wahrnehmen werde.

Herzlichen Dank.

(Starker Beifall)

Vielen Dank, Herr Dr. Smollich. Ich danke Ihnen für Ihre Rede und wünsche Ihnen im Namen des ganzes Hauses für Ihr verantwortungsvolles Amt eine glückliche Hand.

Ich darf jetzt aufrufen den

Tagesordnungspunkt 12: Abschließende Beratung: Auswirkungen des Brexit auf die niedersächsische Fischfangindustrie begrenzen - Fanggebiete für die Hochseefischerei erhalten - Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU - Drs. 18/1070 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung - Drs. 18/2108 - Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU - Drs. 18/2645

Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag in der Drucksache 18/1070 unverändert anzunehmen.

Mit dem gemeinsamen Änderungsantrag zielen die beiden Fraktionen auf die Annahme ihres Antrages in einer geänderten Fassung.

Ich eröffne nun die Beratung und erteile das Wort für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Santjer.

(Herr Dr. Smollich nimmt Glückwün- sche von Abgeordneten entgegen)

- Einen Moment, bitte, Herr Kollege! Bevor Herr Santjer startet und Ihre volle Aufmerksamkeit haben wird, möchte ich noch ein bis zwei Minuten warten, bis die Glückwünsche ausgesprochen sind.

Herr Santjer, es lohnt nicht wegzugehen. Bleiben Sie hier! Wenn die Kollegen das sehr ruhig tun, können wir jetzt auch beginnen. - Bitte, Herr Santjer!

Es gibt keinen schöneren Anlass zu gratulieren.