Ich danke dem Herrn Innenminister Pistorius für die Unterrichtung und stelle fest, dass die Unterrichtung 15 Minuten gedauert hat. Für die nun folgende Aussprache erhalten, wie vereinbart, die
beiden großen Fraktionen ebenso viel Redezeit wie die Landesregierung verbraucht hat, also jeweils 15 Minuten. Die drei Oppositionsfraktionen erhalten in der Summe so viel Redezeit wie die beiden Regierungsfraktionen zusammen. Für jede der drei kleinen Fraktionen ergibt sich danach eine Redezeit von 10 Minuten.
Uns liegt für die Aussprache bereits folgende Wortmeldung vor: für die SPD-Fraktion der Abgeordnete Deniz Kurku. Bitte!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass der Generalbundesanwalt nach dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke das Verfahren an sich gezogen hat, zeugt möglicherweise von einer Dimension der Gewalt oder eben der politisch motivierten Gewalt gegen Mandatsträger, die nicht nur betroffen machen darf, sondern ganz unabhängig vom Ermittlungsausgang unser Zusammenstehen erfordert, und zwar von uns allen.
Ist Herr Lübcke Opfer geworden, weil er für Zusammenhalt und Menschlichkeit stand, so ist dies ein Anschlag auf uns alle.
Medienberichten zufolge gehen die Ermittler durch die Verstrickungen des Tatverdächtigen in rechtsextremistisch-militante Kreise hier von einem Zusammenhang aus.
Nicht zuletzt aufgrund der Erfahrung und der Folgerungen aus der schrecklichen Mordserie der NSU-Terrortruppe wird nun zu Recht eine lückenlose Aufklärung gefordert. Dieser Forderung schließt sich die SPD-Fraktion ausdrücklich an. Ein enger Austausch zwischen den Sicherheitsbehörden wird hierzu erfolgen; der Innenminister hat es eben ausgeführt.
Es gibt aber auch Dinge, zu denen wir heute schon etwas sagen können. Dass dieser heimtückische Mord - wie gestern Nacht berichtet - nun auch noch mitten in Niedersachsen von Anhängern ei
ner rechtsextremen, gewaltbereiten Gruppe gefeiert wird und darüber hinaus auch noch Morddrohungen gegen weitere Menschen ausgesprochen werden, ist nicht nur alarmierend, sondern das Zeugnis einer unglaublichen und reinsten Form von Menschenverachtung.
In allen Bundesländern, eben auch hier, erleben wir Ausläufer einer Bedrohung durch Rechtsextremisten bis hin zu rechtsextremistischen oder rechtsterroristischen Vereinigungen, für die „Combat 18“ mit Ursprung in Großbritannien ein Beispiel ist. In welchem Zusammenhang diese oder auch andere Gruppen mit dem Mord stehen, werden die Ermittlungen zeigen.
Eines steht aber jetzt schon fest: Es zeigt sich, dass wir uns diese Strukturen auch künftig genau - und zwar ganz genau - anschauen müssen. Im Verfassungsschutzbericht heißt es, dass seit einigen Jahren Erkenntnisse auf einen kontinuierlichen Ausbau von festen „Combat-18“-Strukturen vorliegen. Es handelt sich um den militanten Arm von „Blood and Honour“, sicherlich allen noch ein Begriff in Zusammenhang mit dem NSU.
Aber diese Vereinigung ist nur eine von mehreren. Der Rechtsextremismusexperte Reiner Becker äußerte jüngst im Spiegel-Interview, dass wir es mit einer ganz neuen Dimension der Enthemmung zu tun hätten. Dem muss ich leider zustimmen. Und an dieser Stelle möchte ich ganz ausdrücklich ein ehemaliges Landtagsmitglied, Michael Höntsch, hier begrüßen, der, stellvertretend für viele andere, Drohungen gegen seine Familie und sich selbst aushalten muss. - Hallo Michael, schön, dass du da bist!
Von der Nichtanerkennung unserer Gesetze über Vorbereitungen auf einen sogenannten Tag X, Waffenkunde und -besitz bis hin zu tätlichen Angriffen auf Menschen, von Reichsbürgern über Ableger des US-amerikanischen Ku-Klux-Klans auch bei uns hier in Niedersachsen bis hin zu den gestrigen Vorfällen in Braunschweig, auf die ich eben eingegangen bin - eines wird doch klar: Die Bedrohungen von der rechtsextremistischen Seite dürfen von niemandem unterschätzt werden, und das tun wir auch nicht. Wiederholt haben wir darauf hingewiesen, dass wir einen Mix mit konse
Das Magazin KOMMUNAL schreibt mit Verweis auf eine ganz frische Umfrage unter 1 000 Bürgermeistern von einer Hasswelle. Die Erscheinungsformen dieser Bedrohungen sind ganz unabhängig vom Ausgang der Ermittlungen zu dieser schrecklichen Tag vielfältig und leider auch ernst.
Lassen Sie mich eines abschließend festhalten: Wir Demokratinnen und Demokraten stehen zu den Grundfesten unserer Bundesrepublik und wehren uns entschieden gegen die Angriffe auf unsere freiheitliche demokratische Grundordnung. Und eines auch ganz klar an die Adresse von Neonazigruppen und Rechtsextremisten: Auch wenn Sie es sich vielleicht wünschen und Ihre Menschenfeindlichkeit durch Worten und Taten ausdrücken - instabile Verhältnisse oder eine Weimarer Republik 2.0 wird es nicht geben. Dafür werden wir alle gemeinsam sorgen.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kurku. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Abgeordnete Helge Limburg. Bitte, Herr Limburg!
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal ganz herzlichen Dank, Herr Innenminister, für die zeitnah erfolgte Unterrichtung. Danke an Sie, aber insbesondere auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihres Hauses, die das so zügig und umfassend vorbereitet haben.
Herr Innenminister, Sie haben es relativ zu Beginn Ihrer Rede sehr vorsichtig ausgedrückt und darauf hingewiesen, dass es bemerkenswert sei, dass die Darstellungen über rechtsextreme Netzwerke ausführlicher geworden seien, seit das Bundesamt für Verfassungsschutz einen neuen Präsidenten habe. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir noch vor einem Jahr mit Herrn Maaßen einen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz hatten, der rechtsextreme Gewalttaten und Ausschreitungen in Chemnitz öffentlich verharmlost und kleingeredet hat.
Damit hat er letztlich genau nicht das getan, was Sie hier eingefordert haben, nämlich konsequent jeglichen demokratiefeindlichen Tendenzen entgegenzutreten, sondern er hat sie verharmlost und damit das Engagement gegen Rechtsextremismus geschwächt. Das ist ein Riesenproblem, Herr Innenminister.
Wenn es vorkommen kann, dass solche Personen an der Spitze von Sicherheitsbehörden stehen, dann ist es kein Wunder, dass Teile der Zivilgesellschaft eben kein ausreichendes Vertrauen darin haben, dass ebendieselben Behörden für ihre Sicherheit einstehen. Aber das dürfen wir nicht hinnehmen. Dieses Vertrauen muss da sein können.
Deshalb hätte ich es mir schon gewünscht, Herr Innenminister, dass Sie in Ihrer Unterrichtung auch auf die Berichte im NDR und in der taz eingehen, in denen z. B. der Sprecher des Bündnisses „Braunschweig gegen Rechts“ äußert, dass viele rechtsextreme Straftaten nach seinen Erfahrungen in Braunschweig gar nicht zur Anzeige kämen, weil die Menschen Sorge hätten, dass über die Straf- und Ermittlungsverfahren ihre privaten Daten - ihre Adressen - in die Hände der Nazis fielen. Auf solche alarmierenden Aussagen müssen die Polizei Braunschweig und die Justiz- und Polizeibehörden doch eine Antwort finden. Sie müssen das Gespräch suchen und müssen den von Straftaten betroffenen Opfern in irgendeiner Form Vertraulichkeit gewährleisten und zusichern. Die Menschen müssen doch Vertrauen haben können, dass Justiz und Polizei in solchen Situationen an ihrer Seite sind.
Sie haben die Aktivitäten von „Adrenalin Braunschweig“ angesprochen, die Hetze, die Bedrohungen und auch den Spott, der über diese schreckliche Mordtat ausgesprochen wurde. Wir gehen davon aus, dass Staatsanwaltschaften und Polizei diese Postings konsequent untersuchen und alles, was irgendwie strafrechtlich relevant ist, zu Ermittlungsverfahren gebracht wird.
„Adrenalin Braunschweig“ hat seine Selbstauflösung erklärt, die Gruppe hat aber auch erklärt - darauf hat mich Frau Hamburg eben hingewiesen -, dass ihre Mitglieder fest vorhaben, in weiteren Parteien und Organisationen aktiv zu bleiben. Insofern ist es richtig - darauf haben Sie ja auch hingewiesen -, dass natürlich die Beobachtung der Personen und deren Aktivitäten weitergehen muss. Wir erwarten, dass es einen konsequenten Strafverfolgungs- und Verbotsdruck gibt. Sobald sich dort wieder Netzwerke oder Gruppierungen bilden, muss ein Vereinsverbot immer auf der Tagesordnung stehen. Diese Gruppierungen müssen spüren, dass man sie nicht einfach agieren und gewähren lässt. Das sind wir den Menschen schuldig, die sich für Demokratie und Zivilgesellschaft engagieren.
Herr Innenminister, wir müssen auch insgesamt die Frage stellen, was wir tun können, um Personen gerade in ihrem privaten Umfeld - ich darf daran erinnern, dass Herr Lübcke auf seiner eigenen Terrasse an seinem Privathaus ermordet worden ist - zu schützen.
In diesem Kontext kann ich Ihnen nicht ersparen, auf Ihre Äußerung zu Beginn des Jahres hinzuweisen. Da haben Sie nach dem großen Hackerangriff, der uns alle miteinander empört hat, in Radiointerviews gesagt, man sei viel zu früh alarmiert gewesen, es sei ja doch nur ein Schüler, ein Einzeltäter gewesen - übrigens im Gegensatz zur SPD-Fraktion, die sehr wohl auf rechtsextreme Zusammenhänge beim Täter hingewiesen hat. Als dann einige Tage später der Spiegel und andere Medien in der Tat über rechtsextreme Verbindungen, Bezüge und Aktivitäten dieses Täters berichtet haben, haben Sie geschwiegen und Ihre Darstellung nicht korrigiert. Das war und ist ein Problem, Herr Minister, weil so natürlich auch - auch wenn Sie das nicht wollen und nicht beabsichtigen - de facto verharmlost und kleingeredet wird. - Nein! Dieser Hackerangriff ist zumindest aus rechtsextremen Motiven und Kreisen heraus erfolgt.
Die Tragik ist doch, Herr Innenminister, dass in solchen Situationen - wie es übrigens bei Walter Lübcke an anderer Stelle auch vorkam, als seine Privatadresse veröffentlich wurde - zwei Personen quasi indirekt zusammenarbeiten können, sogar ohne sich zu kennen. Die eine veröffentlicht private
Daten wie die Wohnanschrift, die andere schreitet dann zur schrecklichen Tat. Das sind Zusammenhänge, die wir erkennen und denen wir nach Möglichkeit im Rahmen des geltenden Rechts entgegentreten müssen.
Darum müssen wir aus meiner Sicht in diesem Hohen Hause auch die Frage diskutieren, wie wir zukünftig die privaten Daten von Politikerinnen und Politikern schützen. Und ich rede nicht nur von uns Hauptberuflichen, sondern auch von den vielen Ehrenamtlichen, die sich in diesem Land in Orts- und Gemeinderäten vor Ort für die Demokratie engagieren, die die tragenden Säulen der Demokratie in diesem Land sind. Wie können wir diese dabei unterstützen, ihre privaten Daten zu schützen, damit sie nicht wegen ihres demokratischen Engagements Angst haben müssen, Zuhause aufgesucht und bedroht zu werden? - Das muss bei uns hier auf der Agenda stehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Sie haben in Ihrer Unterrichtung auch von überregionalen Netzwerken gesprochen. In der Tat gibt es diese Netzwerke. Das ist bekannt. Diese Netzwerke gab es auch bereits in der Vergangenheit. Ich darf daran erinnern, dass der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund, der NSU, eben auch Bezüge zu verschiedenen Regionen und zu handelnden Personen in Niedersachsen hatte, z. B. zu Thorsten Heise.
Auch wenn der große Strafprozess zunächst einmal abgeschlossen ist - nach meiner Kenntnis laufen weiterhin Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft gegen unbekannt -, bleibt es aus meiner Sicht dringend und zwingend notwendig, dass wir alles tun, um auch die Bezüge der Gruppierung NSU nach Niedersachsen aufzuklären und zu klären, ob es nicht doch noch etwaige Mittäterinnen und Mittäter, Unterstützerinnen und Unterstützer, Helfershelfer und Mitwisserinnen und Mitwisser gab. Das sind wir den Opfern des NSU schuldig. Aber das sind wir auch - das zeigt der schreckliche Mord - Walter Lübcke und allen anderen, die Opfer werden könnten, schuldig. Wir müssen alles tun, um hier wirklich zu einer umfassenden Aufklärung zu kommen, damit bestehende Netzwerke nicht in der Zukunft wieder für terroristische Straftaten genutzt werden.
Abschließend noch etwas zu den Kolleginnen und Kollegen der AfD. Es war schon bemerkenswert: In Debatten versuchen Sie hier immer wieder, sich vom Rechtsextremismus sehr deutlich abzugrenzen, und Sie reagieren sehr empfindlich auf entsprechende Kritik. Aber wir haben das gerade sehr genau beobachtet: Bei dem allgemeinen Appell in den Schlussworten des Herrn Innenministers, für Demokratie einzutreten, haben vier Fraktionen hier in diesem Haus geklatscht, aber Sie nicht. Das wird einen Grund haben. Ich bitte Sie, das gleich in Ihrem Redebeitrag darzustellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin froh, dass bei der Frage der Verteidigung des Engagements für unsere Demokratie in diesem Haus stets breite Einigkeit besteht. Das alles muss für uns aber Ansporn sein, in unserem Engagement nicht nachzulassen, sondern alles zu tun, um diejenigen, die jeden Tag für diese Demokratie einstehen, tatsächlich zu schützen.