Protokoll der Sitzung vom 11.09.2019

Frau Guth!

Vielen Dank.

Umgedreht haben Substanzen, die Schwangere unbedenklich einnehmen können, den Tierversuch nicht überstanden. Die Ergebnisse könnte man also genauso gut auswürfeln.

Trotz intensiver Tierversuche in den letzten 150 Jahren sind zwei Drittel aller schweren Krankheiten nicht heilbar bzw. sind bei ihnen noch nicht einmal die Ursachen bekannt. Alle Versprechen der letzten 30 Jahre haben sich nicht erfüllt.

92,5 bis 95 % aller Medikamente, die in Tierversuchen getestet wurden, fallen in den klinischen Phasen I bis III am Menschen durch, teils wegen Wirkungslosigkeit, teils wegen schwerer Nebenwirkungen. Die letzten Tests müssen immer an menschlichen Probanden erfolgen. Wenn die Ergebnisse aus den Tierversuchen aber nicht eine zuverlässige Größenordnung an übertragbaren Werten liefern, wovon man bei 92,5 bis 95 % Fehlerquote ausgehen muss, dann sind Tierversuche nutzlos, unethisch und moralisch nicht vertretbar.

(Beifall bei der AfD)

Es ergibt sich für den Menschen keine Schutzfunktion. 2006 führte die Testeinnahme eines potenziellen Medikaments gegen MS bei sechs Probanden zu einem Multiorganversagen. 2016 führte der Test eines potenziellen Schmerzmittels zu einem Todesfall und bei fünf weiteren Personen zu schweren neurologischen Schäden.

Umgedreht kann man feststellen, dass viele Substanzen, die der Mensch heute ganz selbstverständlich nutzt, einen Tierversuch niemals überstanden hätten.

Alkohol und Schokolade beispielsweise sind für Hunde giftig und können zum Tod führen, Rhabarber, Milch und Tomaten sind giftig für Pferde, Kartoffeln, Radieschen und Rettich für Ratten.

Noch abstruser ist es bei Medikamenten. Wirkstoffe wie Aspirin, Paracetamol, Ibuprofen und Diclofenac - die guten Kopfschmerztabletten; wir kennen sie alle - können für Hund und Katze tödlich sein. Penicillin ist tödlich für Meerschweinchen und Kaninchen. Aspirin sorgt bei Affen, Mäusen und Ratten für Missbildungen bei den Nachkommen. Schwangere hingegen können Aspirin einnehmen.

All diese Mittel hätten uns, wären sie vorher im Tierversuch getestet worden, niemals zur Verfügung gestanden. Warum also noch Tierversuche? - Weil es immer so war. Wirft man uns doch gerne Rückwärtsgewandtheit vor, kann man hier offensichtlich nicht von etwas lassen, weil es sich etabliert hat.

Wenn diese Einstellung für alle medizinischen Bereiche gelten würde, hätten wir heute noch den Aderlass, würden Menschen Löcher in die Schädel bohren und Patienten nach Amputationen Holzbeine anschnallen.

Aber es geht um wirtschaftliche Interessen. Tierversuche sind ein Milliardenmarkt, hat sich doch eine hochlukrative Industrie herausgebildet. Zuchtfarmen produzieren Tiere mit allen Krankheiten und Missbildungen, die das Herz begehrt. Testinstitute, Pharmafirmen, Zulieferer etc. - eine lukrative Kette aus Tierleid und Schmerz.

Frau Guth, einen Moment, bitte! Frau Kollegin Staudte möchte eine Zwischenfrage stellen.

Ich würde gern kurz zu Ende ausführen, dann gerne.

Und dann wäre da noch die Grundlagenforschung. Das ist ein Bereich, in den alles und nichts passt. Hier geht es nicht um Medizinprodukte oder das Heilen von Krankheiten. Hier wird geforscht um des Forschens willen, gedeckt vom Etikett der Freiheit der Forschung.

Schlimmer noch: Tierversuche - der „Goldstandard“ - sind fest in jeder wissenschaftlichen Entwicklung und damit Karriere verankert. Wer wissenschaftlich arbeiten will, kommt am Tierversuch nicht vorbei. Man muss Ergebnisse veröffentlichen. Schlimmer noch: Je mehr man veröffentlicht, umso höher die Forschungsmittel. Mehr als 99 % der Fördermittel gehen in Tierversuche, weniger als 1 % in tierversuchsfreie Forschung. Milliardenbeträge gegen einstellige Millionenbeträge!

Wir forschen an künstlicher Intelligenz und können genetische Veränderungen vornehmen. Wir können Zellkulturen züchten, Befruchtungen außerhalb des Körpers durchführen, Organe verpflanzen und vieles mehr. Warum halten wir an so vorsintflutlichen und absolut unsicheren Forschungsmethoden fest?

Bitte lassen Sie uns gemeinsam diesen Teufelskreis durchbrechen und uns gemeinsam gegen Tierversuche aufstellen!

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Danke schön. - Bleiben Sie ruhig hier vorne. - Hat sich das erledigt?

(Miriam Staudte [GRÜNE] nickt)

- Okay. - Dann vielen Dank, Frau Kollegin Guth.

Es ist nun die SPD-Fraktion dran: Kollegin Logemann. Bitte sehr!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Sorge um das Wohl von Tieren ist ein zentraler Punkt in unserer Gesellschaft. Uns beschäftigen die Zustände in der Nutztierhaltung genauso wie Qualzuchten, auch im Haustierbereich, sowie das Halten von Tieren im Zoo und im Zirkus beispielsweise.

Nun zu Ihrem Antrag zum Thema „Schluss mit Tierversuchen - mehr alternative Forschung“. Okay, werten wir das einmal als einen ernsthaften Versuch der Auseinandersetzung mit ethisch schwierigen Themen. Allerdings ergeben sich für mich aus Ihrem Antrag doch einige Fragen.

Zum einen frage ich mich, warum Sie in einem Antrag schreiben, dass Tierversuche mit der Stufe „gering“ in Niedersachsen oder Deutschland weiterhin genehmigungsfähig bleiben sollen, die Einfuhr von Waren und Medikamenten aus anderen Ländern aber verboten werden soll, wenn sie unter Zuhilfenahme von Tierversuchen entwickelt oder produziert wurden. Das ist ein Widerspruch, den Sie mir erklären müssen.

Sie fordern von der Landesregierung, sich beim Bund für ein generelles Verbot von Tierversuchen in den Einstufungskategorien „mittel“ und „schwer“ einzusetzen. Da werden Sie beim Bund offene Türen einrennen; denn im Koalitionsvertrag ist das

längst festgeschrieben. Die intensiven Bemühungen - ich zitiere - „zur Erforschung und Anwendung von Ersatzmethoden für Tierversuche wollen wir fortführen.“ Das steht so im Koalitionsvertrag.

Zum anderen klingt Ihr Antrag danach, als sei eine Forschung für alternative Methoden zu Tierversuchen kaum existent und als würden Forschende und Forschungsinstitute noch immer arbeiten wie vor 150 Jahren. Dann mal aufgepasst! Seit 1986 besteht z. B. die Stiftung zur Förderung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zur Einschränkung von Tierversuchen. Diese Stiftung entstand durch die Initiative des damaligen Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Bisher konnten durch die Arbeit der Stiftung fast 60 erfolgreich abgeschlossene Projekte unterstützt werden.

Dann gibt es das CAAT - Europe, Center for Alternative to Animal Testing, an der Universität Konstanz. Es fördert seit 2009 die Entwicklung von Alternativen zu Tierversuchen auf europäischer und transatlantischer Ebene.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt über 500 Projekte für Alternativmethoden zu Tierversuchen.

Das BMEL unterstützt die Entwicklung von Alternativmethoden zu Tierversuchen und verleiht seit 2001 alljährlich den Tierschutzforschungspreis.

Das Deutsche Zentrum zum Schutz von Versuchstieren koordiniert seit 2015 bundesweit die Aktivitäten, um Tierversuche auf ein unerlässliches Maß zu beschränken und den bestmöglichen Schutz der Versuchstiere zu erreichen.

Noch nicht genug damit: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützt Projekte zur Entwicklung von Alternativmethoden.

An einigen deutschen Universitäten und Hochschulen sind in den vergangenen zehn Jahren Lehrstühle für die Erforschung von Alternativen zu Tierversuchen entstanden.

Dies sollen nur einige Beispiele sein. Die Liste ist wesentlich länger.

Wichtig ist mir noch ein Punkt, mit dem ich zu den offenen Türen beim Bund zurückkomme. Beim Bundesministerium für Bildung und Forschung standen unter dem Punkt „Alternative Forschung“ für 2018 und 2019 jeweils 5,4 Millionen Euro zur Verfügung. Im Entwurf für 2020 ist ebenfalls diese Summe vorgesehen.

Außerdem gibt es das 3R-Prinzip, auf das sich alle Forschenden geeinigt haben, die Tierversuche durchführen. Dieses Prinzip wurde bereits 1959 formuliert und steht für die drei Begriffe Verfeinerung, Verringerung und Vermeidung. Ziel ist es, Tierversuche, wenn möglich, zu vermeiden, ihre Zahl zu reduzieren und das Leid der Tiere in Versuchen auf das unerlässliche Maß zu beschränken. Sollten wir Möglichkeiten finden, Tierversuche ganz zu ersetzen, würden auch die Forschungsinstitute und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dies begrüßen, nähme dies doch einen erheblichen Teil des ethischen und seelischen Drucks.

Wie groß dieser Druck ist, zeigt auch die 2010 verabschiedete Baseler Deklaration, die sich mit der ethischen, wissenschaftlichen und rechtlichen Stellung von Tieren sowie dem Verhältnis von Mensch und Tier in der Forschung beschäftigt. Mittlerweile wurde die Deklaration von fast 5 000 Institutionen und Personen weltweit unterzeichnet.

Einen Punkt der Deklaration möchte ich hier abschließend herausgreifen. Die Unterzeichner bitten darum, dass neue Gesetze und Bestimmungen nur dann eingeführt werden, wenn diese das Resultat eines sachlich geführten, faktenbasierten, demokratischen Diskurses sind. Genau das vermag ich in Ihrem Antrag nicht eindeutig zu erkennen. Mich würden die Quellen Ihrer Zahlen und Behauptungen interessieren, vor allem was die Förderung von und die Forschung an Alternativen angeht. Ich bin gespannt auf die Diskussion.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Logemann. - Vielleicht klärt sich ja jetzt das Erste. Frau Guth hat sich nämlich zu einer Kurzintervention gemeldet und erhält jetzt für 90 Sekunden das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich gehe davon aus und unterstelle einfach mal, dass Sie sich hier tatsächlich politisch mit dem Antrag auseinandersetzen wollen. Grundsätzlich stellt sich mir aber die Frage: Haben Sie den Antrag überhaupt gelesen? Es geht hier um Tierversuche und nicht um irgendwelche Kennzahlen. Einstufungen als „mittel“ und „schwer“ bei Tierversuchen heißt, dass die Tiere versterben bzw. so schwer geschädigt sind,

dass sie danach versterben. Leichte Tierversuche sind u. a. Dinge wie Besenderungen und Ähnliches. Wenn daraus wissenschaftliche Erkenntnisse gezogen werden, schadet es dem Tier nicht. Daran ist nichts Schlechtes zu finden.

Sie verweisen auf den Koalitionsvertrag. Darin steht natürlich alles. Papier ist geduldig - wie wir wissen. Das gilt auch für den Koalitionsvertrag in Niedersachsen. Das sollte mal umgesetzt und nicht nur irgendwo reingeschrieben werden.

Die einstelligen Millionenbeträge, die Sie hier anführen, werden niemals dafür sorgen, dass sich Forschungsmethoden, die einen Milliardenmarkt darstellen, verändern. Wer mit einem Tröpfchen auf den heißen Stein versucht, irgendwo Forschungsmethoden neu zu etablieren, wird feststellen, dass das mit Geld in dieser Größenordnung gar nicht geht.

Tierversuche zu ersetzen, wird nur funktionieren, wenn sich ein Druck ergibt. Und Druck entsteht immer da, wo es um Geld geht. Das heißt, wenn die Forschungsmittel in großen Maßen für tierversuchsfreie Versuche angeboten und eingesetzt werden, werden die Wissenschaftler umdenken. So lange ist es für sie notwendig, weiter bei diesen ursprünglichen Methoden zu bleiben.

Vielen Dank.