Diesen letzten Aspekt muss ich kurz erläutern. In den nächsten Jahren werden nach und nach die Windräder der ersten Generation aus dem Markt genommen; sie haben das Ende ihres Lebenszyklus erreicht. Die Windräder der neuen Generation sind wesentlich leistungsfähiger, aber auch höher. Wenn diese Erneuerung, das sogenannte Repowering, nicht rasch und unkompliziert stattfinden kann, dann wird in Deutschland de facto weniger Windstrom produziert werden als bisher.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht um Enercon und um Ostfriesland, es geht um Niedersachsen als Windland Nummer eins in Deutschland,
aber es geht um noch sehr viel mehr. Wir stehen am Ende des Jahres 2019, in dem so viel über Klimaschutz diskutiert worden ist wie noch niemals zuvor. Eines ist dabei vielleicht gelegentlich zu wenig betont worden: Es wird keinen Klimaschutz ohne erneuerbare Energien geben, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ohne einen zielstrebigen Umbau - weg von fossilen Energieträgern hin zu erneuerbaren Energien - sind die Klimaschutzziele schlichtweg nicht erreichbar. Das ist eigentlich ein simpler Grundgedanke, der aber in seiner Tragweite noch nicht überall angekommen zu sein scheint.
Wir stehen also nicht nur vor regionalen Problemen, sondern vor einem Lackmustest für die Glaubwürdigkeit der deutschen Klimaschutzpolitik insgesamt. Das macht die Bedeutung dieses Themas erst richtig aus!
(Beifall bei der SPD und bei der CDU - Christian Meyer [GRÜNE]: Wer hat denn die Energiepolitik im Koalitions- vertrag verhandelt?)
Und noch eines kommt hinzu: Im Vertrauen auf die staatlichen Klimaschutzziele werden beispielsweise in der Automobilindustrie umfassende Anstrengungen zum Umbau dieser wichtigsten deutschen Industrie unternommen. In der vergangenen Woche haben Wirtschaftsminister Bernd Althusmann und ich an den Beratungen zur Investitionsplanung von Volkswagen in den nächsten fünf Jahren teilgenommen. In den nächsten fünf Jahren unternimmt Volkswagen - wie die anderen Unternehmen dieser Branche auch - gewaltige Anstrengungen, um seine CO2-Emissionen drastisch zu reduzieren. Alleine bei uns in Niedersachsen wird das Unternehmen jedes Jahr mehr als 3 Milliarden Euro investieren, um insbesondere die Elektrifizierung seiner Fahrzeuge voranzutreiben.
Das schönste Elektroauto nützt dem Klima aber nichts, wenn seine Batterie mit Kohlestrom betrieben wird.
Für die Glaubwürdigkeit dieses groß angelegten industriellen Umbaus ist ein konsequenter Ausbau der erneuerbaren Energien unabdingbar. Das müssen alle Verantwortlichen begreifen!
Es geht jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, darum, Farbe zu bekennen. Meinen wir es ernst mit dem Klimaschutz oder nicht? Reden wir nur, oder handeln wir auch?
Wir müssen den Klimaschutz in Niedersachsen und in Deutschland nach meiner Überzeugung mit viel Augenmaß, aber auch mit viel Konsequenz angehen. Was heißt das konkret, bezogen auf die Windenergie?
Da empfiehlt sich zunächst einmal ein Blick auf die Gründe, warum sich die Windindustrie in einer existenziellen Krise befindet. Vor drei Jahren hat es einen Systemwechsel gegeben. Anstelle von festen Fördersätzen gibt es seitdem Ausschreibungen und einen Zuschlag für das günstigste Angebot. Die ersten Ausschreibungen waren allerdings Fehlschläge, weil sich die gut gemeinte Begünstigung von Bürgerenergieprojekten eben nicht in konkreten Projekten realisiert hat. Vor dieser Zubaudelle hatten viele, übrigens auch die Niedersächsische Landesregierung, von Anfang an gewarnt.
Die daraufhin in der Berliner Koalitionsvereinbarung enthaltenen Sonderausschreibungen haben sehr lange, allzu lange auf sich warten lassen. Parallel dazu entwickeln sich Windparkprojekte immer mehr zu einem Hindernislauf. Da geht es um Belange des Naturschutzes, des Denkmalschutzes, des Artenschutzes, es geht um militärische Belange und um Belange der Flugsicherung. Da geht es um Widerstand von Anliegern, um umständliche Planverfahren und schließlich um zahlreiche Klagen über mehrere Instanzen vor den Gerichten. Und wenn man alles dies zusammennimmt, ist es in der Tat kein Wunder, dass der Ausbau des Windstroms in Niedersachsen und in ganz Deutschland nahezu zum Erliegen gekommen ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind die wesentlichen Gründe. Diese Bremsen müssen wir lösen, wenn es mit den erneuerbaren Energien weitergehen soll. Bundesregierung und Bundestag haben einen solchen Willen sehr klar zum Ausdruck gebracht. Bis zum Jahr 2030 sollen 65 % des Strombedarfs aus erneuerbaren Quellen ge
deckt werden. 65 % Prozent! Dabei muss man übrigens berücksichtigen, dass der Bedarf dann noch wesentlich höher sein dürfte als heute, wenn man etwa die geplante Entwicklung der Elektromobilität berücksichtigt. Ich teile dieses Ziel der Bundespolitik ausdrücklich. Es ist die notwendige Grundlage dafür, dass der Klimaschutz in unserem Land insgesamt gelingen kann.
Was allerdings fehlt, ist ein konkreter Plan zur Umsetzung dieses Ziels. Da gilt vielleicht zunächst einmal das schöne amerikanische Sprichwort: „Wenn du im Loch sitzt, hör auf zu buddeln!“ - Das vorgesehene Abstandsgebot von 1000 m für neue Anlagen würde die theoretisch verfügbare Fläche noch einmal drastisch reduzieren. In Niedersachsen würde durch die 1 000-m-Abstandsregel das Potenzial noch deutlich verringert. Übrig blieben etwa 3,5 % Fläche des Landes - vor jeder Abwägung mit irgendeinem anderen Belang. Nach Abzug weiterer Schutz- und Nutzungsbelange verblieben dann faktisch kaum noch Flächenpotenziale für den Ausbau der Windenergie in Niedersachsen. Das gilt erst recht dann, wenn Maßstab eine Siedlung mit nur fünf Häusern sein soll und dies übrigens auch für Siedlungen gelten soll, die heute überhaupt noch nicht existieren. So sieht es derzeit jedenfalls ein Referentenentwurf vor.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns in der Landesregierung darin einig, dass wir diese 1 000-m-Abstandsregel in Niedersachsen nicht übernehmen wollen.
(Beifall bei der SPD sowie Zustim- mung bei der CDU - Helge Limburg [GRÜNE]: Das darf bundesweit nicht kommen! - Unruhe - Glocke der Prä- sidentin)
Wir werden von der vorgesehenen Öffnungsklausel für unser Land Gebrauch machen und erarbeiten derzeit eine für Niedersachsen angemessene Lösung, mit der ein Schutz der Bevölkerung gewährleistet ist und die der Windenergie in unserem Land eine faire Chance bietet.
An diesem Beispiel, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird vielleicht deutlich: Wir brauchen jetzt einen Neustart der Energiewende, und wir brauchen dafür auch den notwendigen politischen Willen. Das gilt vor Ort in den Kommunen und bei uns auf der Landesebene und das gilt erst recht auf der Bundesebene.
Welche Maßnahmen sind es im Einzelnen, die notwendig sind? - Ich will nicht ins letzte Detail gehen, aber doch einige Kernforderungen benennen:
Erstens. Um das 65-%-Ziel zu erreichen, ist ein gesetzlicher Zubaupfad von 5 GW pro Jahr notwendig. Es muss geklärt werden, wann genau welche Ausschreibungsmengen für Offshore
Zweitens. Gerade deswegen benötigen wir zusätzliche Sonderausschreibungen für die nächsten beiden Jahre. Wie ich bereits sagte, ist eine bis 2021 anhaltende Flaute bereits jetzt fast unumgänglich. Sollen in dem verbleibenden Zeitraum bis 2030 die Ziele dennoch erreicht werden, dann wird dieser Rückstand aufzuholen sein, daran führt kein Weg vorbei.
Drittens. Bürgerwindparks können dabei helfen, sie müssen aber auch tatsächlich realisierbar sein. Deswegen kann für sie eine sogenannte Deminimis-Regel die richtige Lösung sein, um einen allgemeinen Ausbau nicht aufzuhalten.
Viertens und besonders wichtig: An den Standorten der alten Windräder muss eine Modernisierung unter erleichterten Bedingungen möglich sein. Nicht mehr der Standort als solcher darf Gegenstand eines umständlichen neuen Planverfahrens sein, stattdessen muss sich die Prüfung auf neue Gesichtspunkte beschränken, z. B. die Höhe der neuen Anlagen.
Fünftens. Konkrete Anreize sind notwendig, um den regionalen Zubau von Windenergie überall in Deutschland, auch in Süddeutschland, sicherzustellen. Wir freuen uns ja, dass wir in Niedersachen das Windenergieland Nummer eins sind, und wollen es auch bleiben. Aber um die nationalen Ziele zu erreichen, muss die Windenergie überall in Deutschland vorangetrieben werden.
Sechstens. Die tatsächlich vorhandenen Potenziale müssen auch verfügbar sein. Es ist völlig klar: Windräder können nicht überall stehen. Wer wollte so etwas behaupten? - Aber Mindestabstände beispielsweise für die Belange der Flugsicherung oder für militärische Belange müssen technisch und auch rechtlich hergeleitet werden.
Siebtens. Für den Windenergieausbau vor Ort muss es mehr Anreize geben. Ob dafür der Hebesatz bei der Grundsteuer das richtige Instrument ist, wie es die Bundesregierung vorgeschlagen hat, erscheint durchaus zweifelhaft. Besser wäre ein System von Konzessionsabgaben, wie es die
Energiewirtschaft in anderem Zusammenhang bereits kennt, oder ein direkter finanzieller Nutzen der Nachbarn von Windparks z. B. durch verbilligte Grünstromtarife.
Achtens. Wir müssen den Netzausbau vorantreiben. Dabei machen wir in Niedersachsen große Fortschritte und erledigen systematisch unsere Hausaufgaben. Eine konsequente Digitalisierung der Netze würde die Durchleitungskapazitäten noch einmal deutlich erhöhen und damit auch das Argument widerlegen, der erneuerbare Strom könne gar nicht genutzt werden.
Neuntens. Wir müssen das Verhältnis von Klimaschutz und Artenschutz klären. Derzeit sind Aspekte des Artenschutzes mit deutlichem Abstand der häufigste Klagegrund. Artenschutz ist ganz gewiss ein besonders wichtiger Aspekt, aber der Klimaschutz auch. In dieser Hinsicht brauchen wir eine Klärung für künftige Verfahren im Bundesnaturschutzgesetz. Auch in Niedersachsen selbst werden wir übrigens hierzu den Dialog mit den Naturschutzverbänden in unserem Land suchen.
Zehntens. Last, but not least oder - man könnte auch sagen - ceterum censeo: Das Genehmigungsverfahren muss beschleunigt werden. Das gilt, weiß Gott, nicht nur für die Windenergie, sondern ist ein ganz grundsätzliches Problem bei nahezu sämtlichen Infrastrukturvorhaben. Da geht es um die aufschiebende Wirkung von Klagen und Widersprüchen, um den Instanzenweg bei immissionsschutzrechtlichen Vorhaben und vieles mehr. Um nicht missverstanden zu werden: Bürgerbeteiligung und Rechtsschutz sind essenzielle Bestandteile unseres Rechtsstaates. Das gilt aber auch für andere Rechtsstaaten, wie etwa die Niederlande oder Dänemark. Wir müssen schneller werden, nicht nur, aber auch bei den Genehmigungen für Windparks, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Es gibt also Mittel und Wege, aus der aktuellen Krise herauszukommen. Die Frage ist, ob Politik und Gesellschaft bereit sind, den dafür notwendigen Willen zu entwickeln. Klimaschutz ist in allen Umfragen seit geraumer Zeit aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger mit Abstand das wichtigste Thema. Es wird aber keinen wirksamen Klimaschutz geben können, wenn alles beim Alten
Ich nehme es ausgesprochen ernst - ich erlebe das immer wieder in Diskussionen -, wenn Menschen Windkraftanlagen in ihrer Nachbarschaft als Belastung empfinden. Es gibt - ich wiederhole es einmal - ganz sicher auch berechtigte Gründe, warum bestimmte Flächen nun einmal keine geeigneten Standorte für Windräder sind. Wenn wir es aber mit dem Klimaschutz ernstnehmen, dann darf der Ausbau der Windenergie nicht immer und überall nur nachrangig sein gegenüber allen anderen Belangen.
Und schließlich: Es geht auch für unser Land um einiges. Niedersachsen hat die Chance, das Klimaland Nummer eins in Deutschland zu werden. Wind ist der Rohstoff des Nordens, und davon haben wir sehr, sehr viel. Das ist über die Energieproduktion hinaus für uns eine echte Chance, etwa wenn es um den Aufbau einer leistungsfähigen Wasserstoffwirtschaft in Niedersachsen geht.
Ich bin dafür, dass wir diese Chance für unser Land engagiert nutzen. Dafür bitte ich um Ihre Unterstützung.
(Starker, anhaltender Beifall bei der SPD und bei der CDU sowie starke, anhaltende Zustimmung von Jochen Beekhuis [fraktionslos])