Protokoll der Sitzung vom 26.02.2020

Lasse Weritz (CDU) Ja

Dr. Thela Wernstedt (SPD) Ja

Editha Westmann (CDU) Ja

Klaus Wichmann (AfD) Enthaltung

Stefan Wirtz (AfD) Enthaltung

Mareike Wulf (CDU) Ja

Sebastian Zinke (SPD) Ja)

Vielen Dank, Frau Pieper.

Befindet sich ein Mitglied im Saal, das noch nicht aufgerufen wurde und somit noch nicht abgestimmt hat? - Dann schließe ich den Wahlgang, da dies ja nicht der Fall zu sein scheint.

(Zuruf)

- Es hat sich aber keiner gemeldet.

(Zuruf: Herr Birkner ist nicht da!)

- Genau. Diejenigen sind nicht anwesend.

Ich habe den Wahlgang geschlossen. Ich bitte Sie, sich einen Moment zu gedulden. Das Ergebnis der Auszählung wird gleich vorliegen. Die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung der Sitzung von 17.57 Uhr bis 18.01 Uhr)

Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis bekannt. Vorher möchte ich mich noch bei dem Schriftführer und der Schriftführerin sowie der Landtagsverwaltung bedanken.

Abgestimmt haben 133 Mitglieder des Landtages. Davon haben 102 mit Ja und 22 mit Nein gestimmt; 9 haben sich der Stimme enthalten.

Die Beschlussempfehlung des Ausschusses ist somit angenommen und der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Drucksache 18/4709 abgelehnt.

Wir fahren in der Tagesordnung fort und kommen zum

Tagesordnungspunkt 24: Abschließende Beratung: Niedersachsen soll Vorreiter bei der regelmäßigen Berichtslegung über die Kriminalitätsla

ge werden - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 18/2573 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen - Drs. 18/5880

Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag abzulehnen.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Wir steigen in die Beratung ein. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich der Abgeordnete Helge Limburg zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Debatten über Kriminalität, Kriminalität im Allgemeinen, Kriminalitätslagen, Bedrohungslagen oder auch Debatten über ganz konkrete Kriminalfälle sind häufig von großen Emotionen geprägt. Das ist auch nachvollziehbar und verständlich, weil natürlich die Bedrohung durch Straftaten für uns alle etwas sehr Existenzielles ist und uns in unserem Sicherheitsgefühl, in unserem Wohlbefinden massiv beeinträchtigt.

Im Grundsatz ist auch nichts dagegen einzuwenden, dass die Politik auf große Kriminalereignisse, wie jüngst den Terroranschlag von Hanau, mit politischen Debatten reagiert - selbstverständlich. Gleichwohl, liebe Kolleginnen und Kollegen, bleibt es wichtig, dass wir nicht nur allein auf die Kriminalität, über die groß berichtet wird, politisch reagieren und uns dafür Gegenmaßnahmen oder Antworten des Rechtsstaates überlegen, sondern es ist wichtig, dass wir uns ein differenziertes, ein möglichst objektives Gesamtbild der Kriminalitätsbelastung in unserem Land verschaffen, wenn wir über Gegenmaßnahmen, über Präventionsstrategien zur Kriminalität reden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was liegt uns in der Kriminalpolitik tatsächlich vor? - Da haben wir ganz wesentlich die Polizeiliche Kriminalstatistik, abgekürzt PKS. Diese Statistik, die Jahr für Jahr veröffentlicht wird, was von einer Pressekonferenz und in der Regel von politischen Debatten und Beiträgen begleitet wird, hat aber, was die Abbildung der Realität angeht, ganz, ganz große Schwächen. Es handelt sich zunächst einmal um eine Verdachtsstatistik. Es handelt sich um eine Statistik, in die Polizistinnen und Polizisten in diesem Land Verdachtsfälle von Straftaten aufnehmen, von denen sie annehmen, dass sie irgendwo verübt worden sind. Das heißt nicht ein

mal, dass alle Straftaten, die dort vermeintlich registriert sind, tatsächlich verübt worden sind oder tatsächlich Straftaten waren.

Das sagt vor allem auch nichts darüber aus, wie die Kriminalitätsbelastung tatsächlich ist, weil ganze Gruppen von Straftaten dort überhaupt nicht auftauchen. Erwähnt sei hier z. B. das Delikt der Steuerhinterziehung. Das ist der Polizeilichen Kriminalstatistik überhaupt nicht zugänglich, weil es in der Regel eben nicht von Polizistinnen und Polizisten registriert wird. Es gehört aber gleichzeitig zu den Straftaten, die de facto unserem Gemeinwesen mit den größten finanziellen, wirtschaftlichen und letztlich sozialpolitischen Schaden zufügen. Diese sogenannte Weiße-Kragen-Kriminalität wird dort überhaupt nicht erfasst. Schon dieses Beispiel zeigt, dass die PKS ein sehr verzerrtes Bild gibt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ein weiteres Beispiel möchte ich als Kind dieses wunderschönen Bundeslandes Niedersachsen

nicht verheimlichen. Niedersachsen hat es mit dem sogenannten Lüchow-Dannenberg-Effekt oder

dem Lüchow-Dannenberg-Syndrom in die Kriminalwissenschaft geschafft. Als Anfang der 1980erJahre die Polizeikräfte in Lüchow-Dannenberg in der Erwartung von Demonstrationen gegen das atomare Endlager massiv aufgestockt worden sind, es zunächst aber gar keine Demonstrationen gab und die Polizistinnen und Polizisten für den allgemeinen Polizeidienst eingesetzt worden sind, führte das zu dem erstaunlichen Effekt, dass die Kriminalitätsbelastung in Lüchow-Dannenberg

scheinbar dramatisch anstieg.

Man könnte daraus ableiten: Mehr Polizisten führen automatisch zu einer höheren Kriminalitätsbelastung. Das ist natürlich nicht der Fall, sondern: Die Polizistinnen und Polizisten haben einfach viel mehr Verdachtsfälle aufgenommen und registriert, weil sie einfach da waren und alles Mögliche gesucht haben. Das hat zu dieser Verzerrung geführt. Auch dieses Beispiel zeigt, dass die PKS alleine jedenfalls nicht ausreichend ist, um ein differenziertes Lagebild zu bekommen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vor diesem Hintergrund hat bereits im Jahr 2001 die rot-grüne Regierung im Bund unter der segensreichen Wirkung des Innenministers Schily und der damaligen Justizministerin Herta Däubler-Gmelin angefangen, einen Periodischen Sicherheitsbericht als Ergänzung der PKS herauszubringen, der durch Dunkelfeldforschung, durch Befragung,

durch verschiedene andere Maßnahmen das Bild ergänzt und ein differenziertes Bild ergibt.

Es gab dann noch einen zweiten Sicherheitsbericht, noch in Auftrag gegeben von Rot-Grün, veröffentlicht unter Herrn Schäuble, und danach ist das Projekt leider - wie ich sagen möchte - auf Bundesebene eingestellt worden. Seitdem müssen wir wieder alleine auf die PKS zurückgreifen, wenn wir Debatten führen wollen.

Die kriminalpolitischen Debatten - auch in diesem Haus - über das niedersächsische Polizeigesetz und anderes zeigen aber doch, wie wichtig es ist, dass wir differenziert und verhältnismäßig wirklich im Einzelfall nachschauen: Wie ist die Belastung tatsächlich, und welche Gegenmaßnahmen sind in dem Einzelfall angemessen? Deswegen schlagen wir diesen Periodischen Sicherheitsbericht auch für Niedersachsen vor. Wir haben mit dem KFN, dem Kriminologischen Forschungsinstitut, hier auch eine Stelle, die das leisten könnte. Ich finde es sehr bedauerlich, dass die Große Koalition das hier sang- und klanglos ablehnen wird, ohne eigene Vorschläge zu machen, wie man zu einem genaueren Bild kommen wird.

Frau Ministerin Havliza zum Abschluss: Ihr Haus hat im Ausschuss sehr differenziert dargelegt - herzlichen Dank dafür -, wie andere Länder sich auf den Weg machen. Da sehen wir, dass z. B. Rheinland-Pfalz und andere Koalitionen sich längst auf den Weg zu einer solchen differenzierten Betrachtung machen. Ich kann nicht nachvollziehen, dass Niedersachsen hier hintanstehen wird.

Ich bitte darum, Ihr Votum noch einmal zu überdenken. Ich bitte um Zustimmung zu dem Antrag.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion hat sich der Abgeordnete Ulf Prange zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Vorschlag der Grünen hat aus unserer Sicht einige Schwächen. Der wesentliche Grund, warum wir ihn heute ablehnen werden - das haben wir ja auch schon im Ausschuss kommuniziert - ist, dass aus unserer Sicht Aufwand und Nutzen in keinem angemessenen Verhältnis stehen.

Herr Kollege Limburg, Sie haben eben viele richtige Dinge ausgeführt. Dass wir Defizite in der Erkenntnislage haben, ist, glaube ich, unstrittig. In der Frage, wie wir zu besseren Erkenntnissen kommen, halten wir Ihren Vorschlag aber tatsächlich für ungeeignet, und das ist ja auch nicht nur unsere Auffassung. Sie haben die schriftliche Unterrichtung über die Länderabfrage angesprochen, in der ja sehr deutlich geworden ist, dass die meisten anderen Bundesländer diesen Weg, den Sie hier vorgeschlagen haben, eben auch nicht gehen.

Im Übrigen würden wir mit solch einer regelmäßigen Berichtslegung Doppelstrukturen schaffen, Parallelstrukturen zu den bereits vorhandenen Statistiken, die Sie angesprochen haben: zur Polizeilichen Kriminalitätsstatistik und zur Strafverfolgungsstatistik. Damit haben wir gute Instrumente, die aussagekräftig sind und gute und solide Entscheidungsgrundlagen darstellen und die wir kontinuierlich weiterentwickeln müssen.

Da ist in den letzten Jahren einiges passiert. Ich will auf die Lagebilder zur organisierten und auch zur politisch motivierten Kriminalität hinweisen. Die PKS wird fortlaufend angepasst, um Schwächen zu beheben und aktuellen Informationsbedürfnissen nachzukommen. Und die Polizei führt ja auch bedarfsbezogene Erhebungen zur Kriminalitätslage einschließlich des Dunkelfeldes durch.

Hinzu kommen der länderübergreifende Informations- und Analyseverbund und auch neue Software und Technologien wie PreMAP, mit der wir im Bereich der Einbruchsdiebstahlkriminalität große Erfolge haben und tagesaktuell deliktsorientierte Auswertungen bekommen. Wir halten es für richtig, dass wir genau an dieser Stelle weiterarbeiten. Ich habe es angesprochen. Es ist in letzten Jahren viel geschehen. Mit unserem Innenminister Boris Pistorius haben wir einen Innenminister, der in diesem Bereich viel umgesetzt hat und mit seinem Haus hier auch weiter vorangehen wird. Ich glaube, das ist der richtige Weg.