Protokoll der Sitzung vom 15.07.2020

Warum ist er nicht sinnvoll? Im Prinzip aus zwei Gründen. Der erste Grund ist: Das ganze Konstrukt ist äußerst bürokratisch und völlig kompliziert. Ich habe schon einmal vor längerer Zeit hier im Plenum gesagt, dass das „ein bürokratisches Monster“ ist, Herr Bode. Und das ausgerechnet von der FDP! Wir unterhalten uns ja oft über Bürokratieabbau - ich glaube, Ihr Gesetzentwurf ist ein klarer Fall für die Stabsstelle Bürokratieabbau. Ich habe mich schon im letzten Plenum und auch im Ausschuss dazu geäußert, wie die Berechnungsmodalitäten in Ihrem Gesetzentwurf geregelt sind; ich habe mich damit lange beschäftigt.

Ich kann nur feststellen: Die Finanzverwaltung, die sich damit zusätzlich zur Veranlagung zur Einkommensteuer, zur Umsatzsteuer und zur Körperschaftssteuer befassen soll, wird damit überfordert sein. Diese personellen Ressourcen haben wir nicht. Dafür sind der Berechnungsmodus und die Informationen, die Sie zur Berechnung des Schadens erfassen wollen, einfach zu umfangreich.

Warum eigentlich 75 % des entgangenen Umsatzes? So haben Sie es definiert. - Ich gehe nach der Berechnung von 75 % des entgangenen operativen Gewinns aus. Aber auch das, was Sie damit genau meinen, haben wir im Ausschuss letztlich nicht klären können.

(Jörg Bode [FDP]: Weil Sie es nicht diskutieren wollten!)

Ich jedenfalls halte die Entschädigungsgrenze von 75 % für völlig willkürlich gewählt. Sie unterscheiden noch zwischen vorsteuerbehafteten und nicht vorsteuerbehafteten Aufwendungen. Sie wollen der Finanzverwaltung zumuten, Löhne und sonstige Betriebsausgaben umfangreich zu ermitteln,

(Jörg Bode [FDP]: Nein!)

um letztlich allen Unternehmen in diesem Land nach einer komplizierten Formel 75 % des operativen Gewinns zu erstatten.

Noch einmal: Was Sie dafür an Informationen brauchen - Löhne, vorsteuerbehaftet, nicht vorsteuerbehaftet, Sachkostenaufwendungen etc. -, bedarf umfangreicher Ermittlungen. Das kann die Finanzverwaltung nicht leisten - es sei denn, Sie sagen, die Steuererklärungen der FDP oder der sonstigen Bürger in diesem Land werden zeitlich zurückgestellt und man zieht lieber die Berechnung vor, die nach dem Infektionsschutzgesetz vorgenommen werden soll.

Das kann nicht ernst gemeint sein. Die Finanzverwaltung hat andere Aufgaben. Es ist an dieser Stelle schlicht falsch angesiedelt. Es müsste möglicherweise durch das Gesundheitsamt oder wen auch immer geregelt werden, aber nicht durch die Finanzverwaltung; denn die schafft es mit Blick auf die personelle Ausstattung schlicht nicht.

Unklar ist auch die Finanzierung. Das ist der zweite Grund, aus dem wir den Gesetzentwurf ablehnen. Sie schreiben im Gesetzentwurf, dass Sie selbst nicht wissen, was die Umsetzung des Gesetzes eigentlich kosten würde. Das ist zwar eine offene und ehrliche Aussage, sie ist aber aus meiner Sicht finanzpolitisch nicht besonders klug oder sinnvoll. Ich bin es gewohnt, dass man, wenn man Gesetzentwürfe vorlegt, klar definiert, was der Spaß kostet.

Sie selbst haben gegenüber dem NDR von Erstattungen in Höhe von 1 Milliarde Euro gesprochen. Ich habe das mal allein anhand der DEHOGABetriebe ausgerechnet. Ich will Sie damit nicht langweilen - ich habe das schon im letzten Plenum vorgerechnet -, aber es gibt 20 000 DEHOGABetriebe, die ungefähr 6,5 Milliarden Euro Umsatz im Jahr haben. Bei einer Schließung von zwei Monaten aufgrund einer behördlichen Anordnung kommt man auf ungefähr 800 Millionen Euro Entschädigungsanspruch nur der DEHOGA-Betriebe.

Das heißt, Herr Bode, mit Ihrer 1 Milliarde Euro kommen Sie bei Weitem nicht hin. Damit werden gerade mal die DEHOGA-Betriebe abgedeckt. Das sind 20 000 Betriebe. Es gibt aber allein in Niedersachsen 300 000 Betriebe. All diese bringen Sie damit grundsätzlich in die Position, Entschädigungszahlungen in Anspruch nehmen zu können, wenn sie aufgrund behördlicher Anordnung geschlossen waren. Das sind eine ganze Menge Betriebe. Mit anderen Worten: Ihr Gesetzentwurf ist letztlich weder seriös durchgerechnet noch finanziell fürs Land leistbar.

Wir haben in der Unterrichtung des Ausschusses durch das MW am 19. Juni erfahren, dass auch das Ministerium anhand von Schätzzahlen versucht hat, Ihre 1 Milliarde Euro zu überprüfen; ich hatte das beantragt. Ich fasse kurz zusammen - der Kollege Schatta von der CDU hat eben auch schon dazu ausgeführt -: Wenn man die CoronaSoforthilfen als Maßstab nimmt, wird man im Zeitraum von April bis Juni 2020 auf 1 Milliarde Euro kommen. Hinzu kommt der Umsatzschaden im Tourismus, den das MW mit 2,1 Milliarden Euro angegeben hat. Der Einzelhandel ist aufgrund be

hördlicher Anordnung auch geschlossen: 2,3 Milliarden Euro. Der Dienstleistungsbereich: 2,2 Milliarden Euro.

Um es kurz zu machen: Am Ende sind wir bei ungefähr 8 Milliarden Euro Entschädigungsansprüchen der Wirtschaft hier in Niedersachsen. Das ist schlicht nicht leistbar. Es ist auch nicht sinnvoll, weil es - wir haben es schon häufiger diskutiert - eine Doppelstrategie der Landesregierung gibt. Besser als jede Entschädigungszahlung ist es, dass die Corona-Verordnung gelockert wird - was ja in der letzten Zeit geschehen ist -, dass man den Shutdown beendet und die Unternehmen in die Lage versetzt, Umsätze und Gewinne zu erwirtschaften, um sich sozusagen selbst aus der Misere zu ziehen. Das ist der erste Weg. Diesen hat die Landesregierung schon lange beschritten.

Was - zweitens - die Entschädigungsleistungen betrifft: Wir haben im Rahmen der NBank Soforthilfen geleistet, mit Maßnahmen von Bund und Land, durch KfW-Kredite, aber eben auch durch Kredite der NBank. Ich glaube, dass wir allein mit unserem Gesetzentwurf zum heute beschlossenen zweiten Nachtragshaushalt im Umfang von 8 Milliarden Euro ein hohes Maß an Entschädigungsleistungen vorgegeben haben.

Alles das ist meines Erachtens deutlich besser als das, was Sie mit Ihrem Gesetzentwurf vorgelegt haben. Mehr ist also nicht leistbar. Wir sehen keinen Bedarf für Ihren Gesetzentwurf.

Ich habe meine Redezeit überschritten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Henning. Sie bekommen eventuell zusätzliche Redezeit, weil sich der Kollege Bode zu einer Kurzintervention gemeldet hat. - Bitte schön!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Kollege Henning, ich versuche es noch einmal, auch wenn es im Ausschuss scheinbar nicht überzeugt hat.

Wir haben ein Rechenmodell vorgesehen, das gerade bürokratiearm umgesetzt werden kann; denn alle Daten, die nach unserem Modell für die Schadens- und Entschädigungsermittlung notwendig sind, liegen bei den Finanzämtern elektronisch

vor. Natürlich sollen sie nicht von Mitarbeitern per PC ausgelesen werden, sondern man programmiert ein IT-Tool, das diese Berechnung aufgrund der vorhandenen elektronischen Daten vornimmt.

Wir haben Ihnen aber auch angeboten, ein anderes System in Betracht zu ziehen. Das gelobte Bundesprogramm, das Sie erwähnt haben, ist sehr bürokratieintensiv. Für alles muss eine Bestätigung vom Steuerberater bzw. Wirtschaftsprüfer eingereicht werden. Viele Unterlagen und Dokumente müssen eingereicht werden. Da ist wesentlich mehr erforderlich als bei unserem Programm.

Es ist aber auch nicht so, dass Sie irgendein Interesse daran gehabt hätten, weiter zu diskutieren. Sie haben den Weg, den wir Ihnen vorgeschlagen haben, die Geschädigten gleich zu behandeln, vom Grunde her abgelehnt. Sie haben es eben wiederholt: Sie bevorzugen die Modelle im Umfang von weit über 20 Milliarden Euro und wollen diese Mittel hier in Niedersachsen lieber individuell weiterverteilen. Jede Klientel, die Sie berücksichtigen wollen, berücksichtigen Sie, und andere haben Pech gehabt.

Das verstehe ich nicht. Ich habe es immer so verstanden, dass für die SPD nicht nur soziale Gerechtigkeit wichtig ist, sondern auch Gleichheit und Gleichbehandlung. Nur bei denjenigen, die in der Corona-Pandemie aufgrund von staatlichen Maßnahmen geschädigt werden, lehnen Sie eine Gleichbehandlung ab. Das, Herr Kollege Henning, verstehe ich nicht. Das ist ungerecht, und das ist auch nicht der Maßstab, den die Niedersächsische Verfassung vorgibt.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Bode. - Herr Kollege Henning möchte

(Zuruf von Frank Henning [SPD])

nicht antworten, wollte er damit sagen. Danke schön.

Für die Landesregierung hat sich Frau Ministerin Dr. Reimann gemeldet. Bitte schön, Frau Ministerin!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Corona-Pandemie hat es notwendig gemacht, eine Vielzahl von Schutzmaßnahmen

nach dem Infektionsschutzgesetz anzuordnen. Da der Erreger schon vor dem Auftreten von Symptomen übertragen werden kann, richten sich die Maßnahmen jetzt nicht mehr nur gezielt an Erkrankte oder als erkrankt im Verdacht Stehende - der Kollege Henning hat das Konzept des Störers erläutert -, sondern an die gesamte Gesellschaft. Die Auswirkungen der Pandemie haben leider auch zur Folge, dass viele Gewerbetreibende und Unternehmen erhebliche Umsatzeinbußen hinnehmen mussten und noch hinnehmen müssen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, für derartige finanzielle Belastungen besteht bislang kein Anspruch auf Entschädigung auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes. Dies hat auch das Landgericht Hannover in der letzten Woche in einer ersten Entscheidung bestätigt, mit der es die Klage eines Gastwirts auf Entschädigung abgewiesen hat. Das Gericht hat festgestellt, dass weder nach dem Infektionsschutzgesetz noch nach einem anderen Gesetz ein Entschädigungsanspruch besteht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete, glücklicherweise können wir aufgrund der geringen Infektionszahlen die notwendigen Beschränkungen weiter zurückfahren - natürlich mit aller Vorsicht. Die Landesregierung prüft fortlaufend, ob die Infektionszahlen auch noch eine weitere Lockerung der Beschränkungen ermöglichen, und setzt diese um, so schnell es möglich und vertretbar ist. Das wurde eben schon erläutert.

Selbstverständlich ist uns bewusst, dass viele Gewerbetreibende und Unternehmen die unverschuldeten Einnahmeausfälle nicht so einfach schultern können. Der hier vorgelegte Entwurf ist aber der falsche Weg, um Gewerbetreibende und Unternehmen in Niedersachsen zu unterstützen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es lässt sich kaum beziffern - das ist ja mehrfach angeklungen -, welche finanziellen Belastungen auf das Land zukämen, wenn man dem Vorschlag folgen würde. Auch der FDP ist keine belastbare Schätzung gelungen. Würde das Land aber alle Schäden ausgleichen und kompensieren, müsste man voraussichtlich mit einem Volumen von der Größe des jetzigen Nachtragshaushalts rechnen.

Ich will auch eine Orientierung versuchen: Die Tourismus- und Gastronomiebranche geht für die Zeit des Lockdowns von einem Umsatzschaden von 1,1 bis 2,8 Milliarden Euro aus. Im Handel werden die Lockdown-bedingten Umsatzeinbußen

auf über 4 Milliarden Euro geschätzt, im Dienstleistungsbereich ebenfalls.

Darüber hinaus wäre eine Entschädigung mit einem kaum zu übersehenden Verwaltungsaufwand und Bürokratieaufbau verbunden. Der Abgeordnete Frank Henning hat das hinlänglich erläutert.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Bund und das Land Niedersachsen haben schon sehr viel getan, um die Einbußen, die Schäden für die Unternehmen zu mindern und so gering wie möglich zu halten. Niedersachsen hat als eines der ersten Bundesländer bereits am 24. März mit einem landeseigenen Corona-Soforthilfeprogramm kleine Unternehmen, die durch die Pandemie in einen Liquiditätsengpass geraten sind, unterstützt.

Die Unternehmen und die Selbstständigen, die anspruchsberechtigt waren, haben die Zuschüsse sehr umfangreich in Anspruch genommen. Bis zum 8. Juli - dazu liegen mir Zahlen vor - belief sich das Volumen der Bewilligungen aus den Soforthilfeprogrammen von Bund und Land schon auf 760 Millionen Euro, und es sind nach wie vor Anträge in Bearbeitung. Aus dem neuen Überbrückungshilfeprogramm des Bundes und auch aus dem Notfallfonds des Landes wird es weitere Hilfen geben. Hierzu haben wir umfangreiche Hilfsprogramme auf den Weg gebracht.

Sie sehen: Der vorliegende Gesetzentwurf birgt unübersehbare Risiken für den Landeshaushalt und einen erheblichen Aufbau von Bürokratie. Mit den bereits bestehenden Hilfen wird Gewerbetreibenden und Unternehmen bereits zielführend geholfen.

Der Gesetzentwurf sollte daher abgelehnt werden.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Herzlichen Dank, Frau Ministerin.

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Demzufolge kommen wir zur Abstimmung.

Meine Damen und Herren, wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses folgen und damit den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP in der Drucksache 18/6266 ablehnen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Beschlussempfehlung des Ausschusses ist mit großer Mehrheit gefolgt worden.

Ich rufe auf den