Protokoll der Sitzung vom 16.09.2020

Vielen Dank Frau Kollegin Viehoff. - Für die SPDFraktion liegt eine Wortmeldung der Abgeordneten Silke Lesemann vor. Bitte schön, Frau Lesemann!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! In den vergangenen Jahren haben Fragen der Museumsethik, Fragen nach dem Ursprung und der Herkunft von musealen Objekten an Bedeutung gewonnen. Handfeste Spuren kolonialer Vergangenheit gibt es selbstverständlich auch in Niedersachsen. Kürzlich war ich zu Besuch im Roemer- und Pelizaeus-Museum. Das kann ich übrigens jedem von Ihnen guten Gewissens empfehlen - tolles Museum. Ein Großteil der Objekte wurde zwischen 1844 und 1900 gesammelt. Aufgrund unvollständiger Inventuraufzeichnungen ist bei vielen der über 15 000 Objekte unklar, wie viele von ihnen aus kolonialen Kontexten stammen.

Die Situation in Hildesheim zeigt sich ähnlich in anderen niedersächsischen Museen. Oft ist die Herkunft von Artefakten mit ethnologischen und außereuropäischen Bezügen unklar.

Gleichwohl bemühen sich die Museen nach Kräften sehr engagiert, Herkunft und Fragen der Legalität der Erwerbung vollständig zu klären. Die Debatte um den Umgang mit der kolonialen Vergangenheit und der Restitution von Raubkunst hat in Deutschland an Fahrt aufgenommen. Das gilt auch für Niedersachsen. Seit geraumer Zeit ist die Pro

venienzforschung auch in den Fokus niedersächsischer Museen gerückt, zumal es mit dem Kulturgutschutzgesetz von 2016 erklärtes Ziel von Bund und Ländern ist, Kulturgüter vor einer Beschädigung, Zerstörung oder Entfernung von ihrem angestammten Ort zu schützen. Denn Kulturgüter sind identitätsstiftend und sollten nachfolgenden Generationen erhalten bleiben.

In Niedersachsen befasst sich seit 2018 der Forschungsverbund Provenienzforschung in außereuropäischen Sammlungen und der Ethnologie - PAESE - mit der Aufarbeitung des kolonialen Erbes einiger niedersächsischer Museen.

Meine Damen und Herren, damit allein ist die Sache aber noch nicht erledigt; denn koloniales Erbe umfasst mehr und ist nicht nur in unseren Museen aufzufinden. Der Kolonialismus endete in Deutschland offiziell 1918 mit dem Ende der Herrschaft über Kolonien. Hegemoniale Diskurse und Strukturen wirken aber bis heute fort; denn entgegen vieler Auffassungen ist der Kolonialismus noch lange nicht Geschichte, sondern die Überordnung und vermeintliche kulturelle Überlegenheit eurozentristischer Sichtweisen gegenüber afrikanischen, chinesischen und ozeanischen Perspektiven setzt sich immer noch fort.

Wie einschlägige Schulbuchstudien, beispielsweise des Braunschweiger Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung nachweisen, werden bis heute eurozentristische Denkweisen in Schulbüchern kolportiert. Das ist problematisch; denn kolonialrassistisches Überlegenheitsdenken im globalen Norden begünstigt die Festigung kolonialrassistischer Vorstellungen gegenüber Menschen aus dem globalen Süden und schwarzen Menschen in Deutschland.

Schauen wir nur einmal auf die Demonstrationen von Black Live Matters, und wir sehen die vielfältigen Nachwirkungen des Kolonialismus: perfide, teils gut versteckte Vorurteile in breiten Teilen der Gesellschaft. Das können wir in Niedersachsen nicht weiter akzeptieren, und deshalb sollten wir uns auch mit diesem Thema beschäftigen.

In diesem Zusammenhang ist auch ein Blick in die Lehrpläne unserer Schulen wichtig. Vielversprechend scheint mir der Ansatz des neuen bildungspolitischen Schwerpunktes des Kultusministeriums „Demokratiebildung an Schulen in Niedersachsen stärken“ zu sein, in dem innerhalb der nächsten beiden Jahre verstärkt Formen und Folgen des Kolonialismus und der Dekolonisation in den Blick genommen werden sollen.

Auf Bundesebene ist der Anstoß der Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit und ihrer Verankerung in der deutschen Erinnerungskultur bereits erfolgt. Und auch in Niedersachsen - das wurde bereits erwähnt - wurden 2015 unter Rot-Grün Schritte zur Aufarbeitung eingeleitet, über die wir uns im Ausschuss für Wissenschaft und Kultur gerne unterrichten lassen sollten.

Grundsätzlich haben wir es mit einem Thema zu tun, dessen Aufarbeitung nicht von heute auf morgen gelingen kann. Der Antrag fordert, dies nicht nur der Fachöffentlichkeit zu überlassen. Wie das gut funktionieren kann, zeigt beispielsweise die in Hannover Ende der 1980er-Jahre erfolgte stadtöffentliche Diskussion um die Umbenennung des nach dem in höchstem Maße menschenverachtenden ehemaligen Reichskommissar von

Deutsch-Ostafrika, Carl Peters, benannten Platzes. Das war eine sehr gute Diskussion, besser als die Diskussionen, die derzeit um Straßenumbenennungen stattfinden.

Wesentliche wissenschaftliche Beiträge zur Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit gibt es gerade aus Niedersachsen schon seit mehreren Jahrzehnten. So gibt es an der Leibniz Universität bereits seit mehr als 40 Jahren einen Lehrstuhl - lange Zeit vertreten von Professor Helmut Bley -, der sich der afrikanischen Geschichte bzw. der deutschen Kolonialgeschichte widmet. Das ist ein damals noch sehr exotisch anmutender Forschungszweig, der aber in vielerlei Weise grundlegend für die heute geführten Diskussionen ist.

Ich begrüße den grundsätzlichen Ansatz, die wissenschaftliche und gesellschaftliche Aufarbeitung voranzubringen. Machen wir uns aber nichts vor: Das wird ein sehr langer Prozess sein, oder es ist bereits ein sehr langer Prozess, und er bedarf zahlreicher Beteiligungen.

Meine Damen und Herren, die Mutter des vorliegenden Antrags ist ein sehr ähnlicher Antrag der Grünen aus dem Bundestag. Das diskreditiert das Anliegen nicht. Zahlreiche Forderungen, die hier aufgestellt werden, zeigen aber deutlich in Richtung Bund und machen aus gesamtstaatlicher Perspektive eher Sinn.

Die koloniale Vergangenheit Deutschlands sowie das Fortbestehen kolonialer Denkmuster müssen aufgearbeitet und in der deutschen Erinnerungskultur verankert werden. Das ist eine wesentliche Voraussetzung für ein neues Miteinander in der Gestaltung einer gemeinsamen und auch gerech

teren Zukunft mit den ehemals kolonialisierten Ländern und Gesellschaften.

Dieser komplizierte und lang andauernde Prozess wird auch in den Bundesländern gestaltet. Niedersachsen leistet bereits sehr wichtige Beiträge für die Aufarbeitung des Kolonialerbes. Eine entsprechende Unterrichtung im Wissenschaftsausschuss wird hierzu sicherlich wichtige Einblicke liefern.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Lesemann. - Für die CDU-Fraktion erhält das Wort der Abgeordnete Christoph Plett. Bitte schön, Herr Plett!

Frau Präsidentin! Liebe Abgeordnete! Der vorliegende Antrag zum kolonialen Erbe greift eine Diskussion auf, die bereits seit einigen Jahren im Deutschen Museum im Rahmen des Aufbaus des Humboldt Forums und in den anderen ethnologischen Sammlungen geführt wird.

In den Grundzügen ist der vorliegende Antrag geeignet, die notwendige Diskussion auch in Niedersachsen zu führen. Die Diskussion um die Ausrichtung des Humboldt Forums als Weltkulturforum zeigt auch die Veränderung der Beziehung zwischen den europäischen Industrieländern und den Ländern der südlichen Hemisphäre, also den ehemaligen Kolonialländern.

Zur Einordnung der ca. 30-jährigen deutschen Kolonialzeit, die spätestens 1918/1919 endete, möchte ich folgende Anmerkungen machen:

Wie gehen wir mit Denkmälern um, die auf die koloniale Zeit in Deutschland verweisen? Meiner Meinung nach sind zwei Aspekte zu erörtern und zu bedenken: erstens der historische Kontext, in dem ein Denkmal aufgestellt worden ist, zweitens die Frage, ob dieses Denkmal noch die Einschätzungen, die gesellschaftlichen Entsprechungen widerspiegelt, wie die Kolonialzeit im Deutschen Reich heute beurteilt wird.

Ein Beispiel: das Denkmal in Bad Lauterberg im Harz für den preußischen Offizier Hermann Viessmann. Dieser preußische Offizier war in Südostafrika tätig. Er kartografierte Afrika. Er war aber auch verantwortlich für Tausende von Toten. Angesichts der Anzahl von Taten, die während der Kolonialisierung in den 80er- und 90er-Jahren des vorletz

ten Jahrhunderts begangen worden sind, kann man schon wie die Kollegin Viehoff zu dem Ergebnis kommen: Da kann ein Denkmal auch in ein Mahnmal umgewandelt werden.

Ein weiteres Beispiel ist die gute Diskussion, die sich jetzt langsam über das Kolonialdenkmal in Braunschweig entwickelt. Dort hat die Stadt Braunschweig - die Kulturdezernentin Frau Dr. Hesse - ein gutes Konzept in die Wege geleitet, um den Hintergrund aufzuarbeiten. Ganz wichtig ist dabei, diejenigen, an die es sich wendet, in die politische und gesellschaftspolitische Diskussion aufzunehmen, nämlich die in Braunschweig lebenden Bürger aus den ehemals kolonialisierten Gebieten.

Wenn man sich die Geschichte der Kolonisation auch in Niedersachsen anschaut, kann man zu dem Ergebnis kommen, dass der Kontinent der Aufklärung - wie es in Europa üblich ist - auch mal mit anderen Augen zu sehen ist.

Ein weiterer Punkt betrifft die Sammlungen. Wem gehören die Kunstgegenstände, die religiösen Artefakte aus der kolonialen Zeit in den Sammlungen? Provenienzforschung, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist angesagt.

In Frankreich ist ein Gutachten vorgelegt worden, das von Präsident Macron in Auftrag gegeben worden war, das, grob zusammengefasst, fordert, alle Güter, die aus den Kolonien kommen, an die betreffenden Länder zurückzugeben.

Es wird schon jetzt sehr stark darüber diskutiert, ob das der richtige Weg ist, mit der kolonialen Geschichte Frankreichs - und heruntergebrochen auch mit der der Bundesrepublik - umzugehen. Man spricht sogar von einer Selbstgeißelung. Ich glaube, dass wir uns mit diesen dort aufgeführten Fragen weiter auseinandersetzen müssen.

Wir müssen aber auch Regelungen treffen, die die Rückgabe von kolonialem Erbgut in Zukunft klärt. Das kann analog zum internationalen Abkommen über die Rückgabe von NS-Raubkunst, der sogenannten Washingtoner Erklärung, erfolgen.

Ich glaube, dass wir in dieser Frage auf einem guten Weg sind. Die Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe in Niedersachsen und in der Bundesrepublik Deutschland darf nicht dazu führen, dass wir die Diskussion am Ende mit uns selber geführt haben und dass moralische Aspekte in eine Diskussion eingebracht werden, die hier nichts zu suchen haben.

Wenn ich ganze Diskussionen im Zusammenhang mit dem Antrag betrachte, habe ich die Sorge, dass wir uns in Teilen mit uns selber beschäftigen. Das ist nicht meine Auffassung. Das ist nicht die Auffassung der CDU-Fraktion. Ich bin aber guten Mutes, dass wir gute Gespräche im Ausschuss führen werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Plett. - Für die Fraktion der FDP habe ich eine Wortmeldung der Abgeordneten Susanne Schütz. Ich erteile Ihnen hiermit das Wort. Bitte, Frau Schütz!

Danke, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der Kollegen der Grünen befasst sich mit einem wichtigen Thema - da stimmen wir völlig zu -, das in der Öffentlichkeit bisher deutlich zu stiefmütterlich präsent ist.

Wie umgehen mit dem kolonialen Erbe Deutschlands, in diesem Fall natürlich Niedersachsens? Auch im Bundestag gibt es, wie eben erwähnt wurde, einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu diesem Themenkomplex mit einem - verständlicherweise - ähnlichen Tenor.

Worum geht es im Einzelnen? In Sammlungen und Museen auch in Niedersachsen befinden sich Kulturgegenstände, Artefakte und auch naturhistorische Exponate, die während oder im Zusammenhang mit der deutschen Kolonialzeit ihren Weg nach Niedersachsen gefunden haben.

Wir alle kennen Debatten um die Herkunft von Kunstgegenständen im Zusammenhang mit der NS-Zeit, der sogenannten Raubkunst. Diese Thematik ist in Sachen Eigentumserwerb mit diesen Gegenständen in gewisser Weise vergleichbar: Wem haben die Gegenstände vormals gehört? Wie lief der Erwerb ab? Waren die Herkunftsgesellschaften überhaupt irgendwie in eine Entscheidung über einen Erwerb, Verkauf oder Ähnliches eingebunden? Oder wurde das Artefakt - simpel gesagt - einfach genommen, in eine Kiste mit Stroh gepackt, auf ein Schiff geladen und nach Europa gesandt?

Da ist zum einen die klassische Provenienzforschung, also die Forschung zur Herkunft. Dazu gehört immer weiterer Forschungsbedarf an der Entstehung und Bedeutung der Stücke. Was er

zählen sie selbst für eine Geschichte vor dem Zugriff und der Lagerung in der eben erwähnten Holzkiste? Dazu sehen auch wir noch großen Forschungsbedarf - überhaupt keine Frage! Viele Ideen, die im Antrag stehen, haben unsere volle Sympathie.

An den Kulturstücken aus kolonialer Herkunft besteht riesiger Forschungsbedarf, und zwar vor allem zusammen mit den Wissenschaftlern aus den Herkunftsländern. Die betreffenden Objekte zu inventarisieren und zu digitalisieren, kommt eine große Bedeutung zu. Dann ist auch eine weltweite digitalisierte Nutzung von Kunstgegenständen, um mit ihnen arbeiten und an ihnen forschen zu können, möglich - ein ganz wichtiger Punkt!

Eine Erinnerungskultur zum kolonialen Erbe auszubauen, da ist sicherlich noch eine Menge Luft nach oben - keine Frage!

Es gibt aber auch Problemstellen, die der Antrag bisher nicht so betont.

Die Diskussion um die Herkunft der Gegenstände bedingt zwangsläufig auch eine Auseinandersetzung mit der Frage nach den Rückgaben. Die Rückgaben sind angesprochen worden, aber nur am Rande. Das würde ich in der Beratung gerne noch vertiefen.

Gehören diese Stücke eher in Sammlungen und Museen in den Herkunftsländern? Wenn man das bedenkt, stellt sich, sobald die Diskussionen um die Rückgabe von Artefakten aufkommt, aber die Frage: An wen überhaupt? - Nicht nur in Europa, auch auf der ganzen Welt hat sich die Landkarte geändert und haben sich Herrschaftsformen verändert. Eine Rückgabe in andere Länder sollte den Zugang der dortigen Gesellschaft zum Kulturgut unbedingt sicherstellen. Das ist leider nicht in jedem Land gewährleistet.

An der einen oder anderen Stelle hat die Formulierung im Antrag für mich noch ein wenig Zungenschlag. Darüber können wir vielleicht noch in der Beratung reden. Zum einen erkennt er, wie ich finde, zu wenig an, was schon alles stattfindet - Frau Dr. Lesemann hat eben eine lange Auflistung angeführt - und wo unsere Museen und die Besitzer von Sammlungen schon tätig sind. Damit, dass all das in eine breitere Öffentlichkeit gehört, bin ich komplett d’accord.