Protokoll der Sitzung vom 16.09.2020

(Beifall bei der FDP)

Ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss, wo der eine oder andere Punkt speziell im Hinblick auf das Expertengremium zur Evaluierung sowie die konkret benannten einzubehaltenden EU-Mittel nun doch entsprechend nachjustiert werden kann.

Wir danken Ihnen für die Einbringung.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Brüninghoff. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Abgeordnete Dragos Pancescu das Wort. Bitte schön, Herr Pancescu!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da hat unser grüner Gesetzentwurf zur Ergänzung des Europabezuges in der Landesverfassung vom Juni ja bereits Wirkung gezeigt! Die GroKo entdeckt die Grundwerte und die demokratischen Grundsätze der EU - und das ist gut so, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Denn - das muss man der Vollständigkeit und der Ehrlichkeit halber sagen - in der Praxis hat sich weder die Landes- noch die Bundesregierung oder die EU selbst mit Ruhm bekleckert, wenn man sich einmal die elende Lage der Geflüchteten in Griechenland und anderen Hotspots und das ebenso elende Geschacher um deren Verteilung auf die Mitgliedstaaten ansieht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Grundwerte und Menschenrechte sind da kaum noch erkennbar. Stattdessen werden Egoismen gepflegt, und es wird den EU-Kritikern Vorschub geleistet.

Deshalb sollten Sie, meine Damen und Herren von der CDU und von der SPD, nicht nur mit dem Finger auf andere wie Polen und Ungarn zeigen, sondern sich mit eben diesem Finger auch an die eigene Nase fassen. Aber wir begrüßen es, dass Sie das Thema gesetzt haben. Nun müsste es aber auch praktische Auswirkungen haben.

Leider haben nur drei der GroKo-Forderungen einen direkten niedersächsischen Bezug. Der Rest zielt auf höhere politische Ebenen und entspricht peinlicherweise in Teilen dem Forderungskatalog, den die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen bereits im Januar 2019 in ihrem Antrag „Für wehrhafte Demokratien in Europa - Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte in den Mitgliedsländern der EU stärken“ in der Bundestagsdrucksache 19/7436 vorgelegt hat.

Das sind die Forderungen:

- Eine kontinuierliche Überprüfung der Mitgliedstaaten durch eine Rechtsstaatskommission vornehmen - Punkt 4 der GroKo Antrages und Punkte II. 1 bis 4 unseres Antrages im Bundestag.

- Die Vergabe von Haushaltsmitteln an die Mitgliedstaaten an die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie knüpfen - Punkt 1 des GroKo Antrages und Punkt II. 5 im Antrag unserer Bundestagsfraktion.

Um es klar zu sagen, auch für Sie: Wir unterstützen alle diese Forderungen, sowohl die auf Niedersachsen bezogenen als auch die an den Bund und die EU. Aber, meine Damen und Herren von der SPD und der CDU, ich fordere Sie auf: Legen Sie bitte noch einmal kräftig nach!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Lassen Sie uns gemeinsam etwas ergänzen! Man könnte ergänzen: auf höherer politischer, also auf Bundes- und EU-Ebene - wenn man sich nicht nur auf die Landesebene beschränken möchte -, z. B. die Stärkung der Pressefreiheit und Medienvielfalt, die Korruptionsbekämpfung und die Stärkung und Verankerung der Grundrechtecharta der EU.

In diesem Sinne freue ich mich auf die Beratungen im Ausschuss. Wir sind alle zusammen für die Menschenrechte in der EU am Zuge.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Pancescu. - Für die AfD-Fraktion hat sich der Abgeordnete Stefan Wirtz zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Güte, wann geben Sie denn Ihre Wortmeldung ab? In der Mittagspause? Gestern anscheinend!

Sehr geehrte Damen und Herren! Sie berufen sich bei diesem Antrag auf die Grundlagen der EU, vor allen Dingen auf den Artikel 2.

Herr Wirtz, warten Sie bitte kurz, bis es etwas ruhiger geworden und die Gespräche eingestellt worden sind. - Bitte schön!

Artikel 2 ist der Kern Ihrer Aussage. Ich gebe Ihnen einen Tipp: Wenn Zahlen dahinter stehen, kommen noch andere Artikel. Auch die sollten Sie sehen. Zum Beispiel den Artikel 5. Der beinhaltet die Subsidiarität und die Verhältnismäßigkeit von

Maßnahmen. - Zur Subsidiarität komme ich später noch.

Es gibt bereits ein Kontrollsystem in Artikel 7; Sie haben es selbst erwähnt. Da sind Vertragsverletzungen und/oder Warnungen bei systemischer Gefährdung geregelt. Dann werden Verfahren angeschoben, und die sind auch gar nicht so banal. Da wird auch abgestimmt, und zwar nicht nur einstimmig. Ich weiß nicht, wo Sie das herhaben. Es wird einstimmig ohne den betroffenen Staat abgestimmt - zu Artikel 7 Abs. 2 und 3 -, oder es werden Mehrheiten gemacht: Zwei-Drittel- oder Vier-Fünftel-Mehrheiten, auch dies ohne den betroffenen Staat.

Kommen Sie da irgendwie mit den Mehrheiten nicht zurecht? Denn auch diese Minderheiten müssen Sie schützen. Sie können nicht sagen: Wir müssen da noch mehr eingreifen können, müssen diejenigen, die nicht einverstanden sind, noch mehr ignorieren können.

Was treiben Sie da eigentlich? Sind Sie mit den Wahlergebnissen da nicht zufrieden? - Wir kennen das ja schon. Manchmal kommt dann ein Kanzlerinnen-Edikt, und dann werden auch schon einmal Wahlen rückgängig gemacht. Ich hoffe, darauf wollen Sie nicht hinaus.

(Beifall bei der AfD)

Die kontinuierliche Evaluierung, was wird das werden? Wird das eine Art Amadeo-Antonio-Stiftung auf Staatenbasis werden? Alle werden auf ständiges Wohlverhalten überprüft und zur Not verpetzt?

Was ist in Polen eigentlich geschehen? Worüber reden wir hier eigentlich? Was ist der Auslöser für Ihren Antrag? - In Warschau hat ein liberaler Bürgermeister besondere Förderungen von LGBTInteressen initiiert. Er wollte ein Programm mit viel Geld auflegen und die Darstellung dieser Lebensweisen fördern. Dieses Programm ist in einigen konservativen Gemeinden auf Widerspruch gestoßen. Diese haben dann eigene Resolutionen gemacht: Diese separaten, besonderen Förderungen verstoßen gegen das Gleichbehandlungsprinzip. - Genau das ist der Streit in Polen. Vielleicht sollten Sie sich das genauer angucken!

Herr Dr. Siemer, an der Stelle haben Sie es vergeigt. Es gibt keine Ausrufungen von lesben- und schwulenfeindlichen Zonen, wie Sie wörtlich gesagt haben, sondern Gemeinden haben allenfalls eine Resolution gegen solche besonderen Programme erlassen. Und Sie werden es kaum glauben: Polnische Bezirksgerichte haben solche Re

solutionen auch wieder kassiert. Das Rechtssystem in Polen funktioniert. Und wie haben die Gerichte das begründet? Damit, dass solche Resolutionen von diesen Gemeinden gegen das Diskriminierungsverbot der polnischen Verfassung verstoßen. - Also kein Grund, von außerhalb einzugreifen.

Wenn ich jetzt höre, es ist September und die Deutschen drängen nach Polen: Ich denke, das sollten Sie sich mit diesem Antrag tatsächlich verkneifen.

(Beifall bei der AfD)

Sie machen es mal nicht mit aufgerissenen Schlagbäumen und Uniformen. Sie spielen die Sache über die EU. Das ist ganz etwas Tolles. Sie reden davon, Gelder zu sperren, wenn Gemeinden oder Regionen sich nicht wohlverhalten.

(Dr. Stephan Siemer [CDU]: Menschen diskriminieren!)

- Das ist Ihr Antrag!

Sie bestrafen Regionen, wenn sie nach Ihrer Meinung gegen Rechtsgrundlagen der EU verstoßen.

(Immacolata Glosemeyer [SPD]: Ge- gen die Grundrechte!)

Sie greifen auf den mittelfristigen Finanzrahmen zu. Sie greifen auf Gelder zu, mit denen über Jahre hinweg geplant wurde und mit denen Abhängigkeiten geschaffen worden sind. Wenn Sie den Hahn zudrehen, betreiben Sie Dealerei.

Das Schönste ist der Kohäsionsfonds. Kohäsion heißt Zusammenhalt. Den gibt es dann später nur noch gegen Wohlverhalten. Das heißt, wer sich nicht benimmt, der wird automatisch aus dem Zusammenhalt herausgenommen.

(Immacolata Glosemeyer [SPD]: Da- rauf zielt der Zusammenhalt! Solidari- tät! Kennen Sie das?)

Fast der letzte Satz in Ihrem Antrag besagt, die niedersächsischen Partnerregionen und -gemeinden sollten aufpassen, was ihre Gegenstücke in Polen tun, ob die sich wohlverhalten.

(Dr. Stephan Siemer [CDU]: Das stimmt ja gar nicht!)

Es kann ja sein, dass Ihnen die dort gerade herrschende Regierung nicht gefällt und dass Sie eine andere Einstellung haben.

Aber eines kann ich Ihnen sagen: Lassen Sie die Einmischung in innere Angelegenheiten Polens und auch Ungarns!

(Dr. Stephan Siemer [CDU]: Es wer- den Grundrechte verletzt!)

Es geht hier um die Achtung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Aber Sie sollten als Erstes sehen: Die Polen kommen ganz gut ohne Sie zurecht - und vor allem ohne Ihren Antrag.

Wir stimmen dafür, ihn im Ausschuss zu beraten, aber wir werden ihm bestimmt nicht in seiner Gesamtheit zustimmen.