Protokoll der Sitzung vom 08.10.2020

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer sich mit dem Thema, über das wir jetzt sprechen, noch nicht auseinandergesetzt hat, fragt sich sicherlich, ob wir jetzt ScienceFiction machen wollen. Aber um Science-Fiction geht es nicht, sondern wir reden heute über die Zukunftsfelder, die es zu bestellen gilt und in denen Niedersachsen tätig sein sollte.

Es geht z. B. darum, die Klimaforschung durch Wetterbeobachtung zu verbessern - was wir, denke ich, fraktionsübergreifend wollen -, es geht darum, die maritime Sicherheit durch neue Technologien zu erhöhen, es geht um Navigationssysteme, die für das autonome Fahren elementar sind, und um andere Dinge, die wir uns für unser künftiges Leben auf der Erde wünschen und die wir hier im Plenum ja auch mit großer Begeisterung und mit großem Enthusiasmus diskutieren. Alle diese Technologien haben eines gemeinsam: Damit sie funktionieren, brauchen sie satellitengestützte Systeme.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, nach einer Prognose brauchen wir bis in das Jahr 2030 nur für Europa ungefähr 8 500 neue Satelliten im Orbit. 4 500 dieser 8 500 Satelliten wären idealerweise aus einem Startstandort in Nordeuropa ins Weltall zu bringen. Wir reden also über 500 Starts im Jahr.

An dieser Stelle sieht man übrigens, wie sich Forschung und Technologie weiterentwickelt haben. Wir reden bei diesen 8 500 Satelliten heute nämlich nicht mehr über solche, die man von Fernsehbildern kennt und die manchmal als großformatiger Weltraumschrott in den Umlaufbahnen herumschwirren oder auch mal verglühen und zurück auf die Erde fallen, sondern die Industrie und die Forschung berücksichtigen auch dort inzwischen Umweltgesichtspunkte. Sie schicken also nicht mehr die großen Kisten, sondern Mikrosatelliten ins All und haben entsprechend auch die Trägersysteme miniaturisiert. Diese Microlauncher sind natürlich immer noch groß, aber immerhin wesentlich kleiner als die Ariane-Raketen oder die Space Shuttles. Sie sind ökologisch sehr viel sinnvoller und erzeugen weniger CO2. Man arbeitet auch an weiteren Antriebssystemen, die ökologisch noch nachhaltiger sind.

Und das Ganze ist nicht einmal weit weg! Es findet in Niedersachsen statt, nämlich in Trauen in der Nähe von Faßberg. Dort befindet sich das einzige Testgelände für Raketenantriebe in Deutschland.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch ansonsten gibt es in diesem Bereich eine große industrielle und wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Niedersachsen. Zum Beispiel mit dem Laserzentrum Hannover. Ohne die dortigen Lasersysteme hätten die Amerikaner ihre ganzen Marsmissionen nicht durchführen können. Woanders gab es die technologisch bis dahin nämlich nicht.

Und nun sagt die Industrie, dass eigentlich nur noch eine Kompetente fehlt, um den letzten Schritt in der Raumfahrt zu gehen, nämlich die Startplattform. Und diese Startplattform brauchen wir hier in der Nähe. Auch andere Staaten der Europäischen Union stellen insofern Überlegungen an: Die Franzosen hätten so etwas gerne irgendwo Richtung Mittelmeer, und die Norweger mit ihrem vielen Wald sind auch aktiv, einen bodengestützten Standort zu wählen.

Die Industrie allerdings hält Deutschland und hier die Nordsee für den richtigen Raum. Dort hätte man einen kurzen Weg in die richtige Umlaufbahn, würde nicht in den Luftraum anderer Länder eindringen und würde, wenn man es mit einer mobilen Plattform macht, auch die ökologische Bilanz günstig halten.

Diskutiert werden insofern drei Varianten. Die erste Variante ist eine schon bestehende, aber umgebaute verankerte Plattform, z. B. eine Ölförderplattform. Die zweite Variante ist ein Errichterschiff, wie man es von der Offshorewindenergie kennt. Die dritte Variante - die mir persönlich am liebsten ist - ist ein Schiff, das mit den Microlaunchern rausfährt, den Start durchführt, zurückfährt und dann wieder neu auffüllt. Das wäre vermutlich auch die ökologisch sinnvollste Variante.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist eine große Zukunftschance, dieses Know-how und damit auch die Infrastruktur zu sichern, die sich in einem solchen Umfeld automatisch bildet, und zwar in Form von weiteren Forschungseinrichtungen und Unternehmen, die dort Arbeitsplätze und Wertschöpfung schaffen. Wir reden hier über ein Wertschöpfungspotenzial von etlichen Milliarden Euro.

Diese Zukunftschance sollten und müssen wir ergreifen, auch weil wir damit andere Technologien voranbringen. Der Kollege Schulz-Hendel hat gestern gesagt, er wolle die Luftfahrt CO2-neutraler gestalten. Ich sage: Die Antriebstechnologien aus dem Raketenbereich sind dazu geeignet, sich weiterzuentwickeln. Und wenn man den CO2-Zertifikatehandel auf den Raumfahrtbereich ausdehnen würde, wäre es heute schon so, dass kein Kerosin mehr verbrannt würde. Denn andere Treibstoffe sind heute schon besser als Kerosin - nur teurer.

Herr Schulz-Hendel und ich haben ja beide, unabhängig voneinander, Anfragen an die Landesregierung gestellt. Herr Minister Althusmann, ich muss Ihnen sagen: Wir vermissen den Einsatz der Landesregierung, mit den Playern der Branche zu

reden und etwas dafür zu tun, diesen Standort in den Fokus zu nehmen, vielleicht auch gemeinsam mit Bremen. Diesen Einsatz vermissen wir nicht bei Ihnen persönlich, aber den vermissen wir in Ihrem Haus. Dort wird diesem Bereich nicht der ausreichende Stellenwert eingeräumt. Deshalb unser Antrag, dort voranzugehen.

Herr Bode, würden Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Menge zulassen?

Jederzeit gern, Frau Menge. Ich glaube, jetzt kommt die Frage, die Sie mir vorhin schon beim Kaffee gestellt haben.

(Susanne Menge [GRÜNE]: Sie sind gut vorbereitet!)

Bitte!

Herr Bode, herzlichen Dank, dass Sie die Frage zulassen.

Glauben Sie nicht, dass es viel besser wäre, den energetischen Aufwand für die Mission Raumfahrt in den noch nicht ausgebauten ÖPNV zu investieren?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sehr geehrte Frau Menge, unsere Devise ist, das eine tun, ohne das andere zu lassen. Die FDP setzt sich sehr stark für den Ausbau des ÖPNV ein, und zwar auch hinsichtlich der Frage, wie man den Bürgerinnen und Bürgern die Ängste mit Blick auf COVID nehmen kann.

Aber trotzdem müssen wir doch die Zukunftstechnologien fördern, die dazu führen können, dass man die Luftfahrt CO2-neutraler gestalten kann, dass man die Klimaforschung verbessert, indem man durch die Satelliten, die man ins All bringt, die Wetterbeobachtung optimiert, dass man autonomes Fahren nach vorne bringt. Wir können doch nicht sagen: Wir machen zwar keine Klimaforschung mehr, aber dafür fahren wir Bus! Das kann nicht die Antwort der FDP sein, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Wir wollen tatsächlich mit Ihnen gemeinsam in die Zukunft gehen. Deshalb, Herr Minister Althus

mann, ist unsere herzliche Bitte, dass Sie in Ihrem Haus dafür sorgen, dass dieser Aufgabe der richtige Stellenwert zukommt, dass Sie mit dem Bund und dem Ministerium von Herrn Altmaier, das auch schon viel zu lange nur Überlegungen anstellt, aber nicht handelt, weiter vorangehen und gemeinsam mit Bremen agieren.

Sie haben eine Luft- und Raumfahrtrichtlinie gemacht, Sie haben ein Konzept für 2030 angekündigt. Nur: Euros allein fliegen nicht zum Mond, Herr Minister Althusmann. Und für Herrn Schulz-Hendel füge ich an: Angst auch nicht!

(Detlev Schulz-Hendel [GRÜNE]: Ich habe doch noch gar nichts gesagt! Das kommt doch erst noch!)

Wir müssen anpacken und etwas tun. Ich würde mich freuen, wenn wir da ein gemeinsames Signal senden könnten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Ich danke Ihnen. - Herr Kollege Schulz-Hendel, Sie haben gleich das Wort. Aber zuvor spricht der Abgeordnete Jörn Domeier für die SPD-Fraktion. Bitte, Herr Kollege Domeier!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Als der Bundesverband der Deutschen Industrie bei seinem Weltraumkongress im Herbst letzten Jahres über einen deutschen Startplatz für kleine Trägerraketen zu diskutieren begonnen hat und dann im Rahmen der Berliner Weltraumerklärung die Vorschläge an den Bundesminister Altmaier übergeben wurden, war ich sehr gespannt darauf, was da drin steht.

Ich gebe zu, der erste öffentliche Tenor war vernichtend. Sinngemäß: Beim Bahnhof hapert’s, mit dem Flughafen ist das so eine Sache, also versucht man einen Weltraumbahnhof. Aber auch echte Fachleute wie unser Astronaut Professor Thomas Reiter haben richtigerweise kritisch darauf hingewiesen, dass es bei den Plänen nicht um ein deutsches Cape Canaveral gehen darf; erstens, weil es um Minisatelliten gehen soll - Sie hatten es eben ausgeführt -, und zweitens - und das ist eigentlich viel wichtiger -, weil ein Weltraumbahnhof in Deutschland nicht an Land funktionieren kann, weil bei uns - anders als in Kasachstan - flächendeckend Menschen wohnen und Trägerraketen

und Vorgärten sich bitte auch in Zukunft ausschließen.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN - Detlev Schulz- Hendel [GRÜNE]: Hauptsache in Na- turschutzgebieten, nicht wahr?)

Wir müssen also weit weg von dichtbesiedeltem Gebiet, und das ist in Mitteleuropa wirklich schwer möglich. Und neben den Herausforderungen des bewohnten Gebiets haben wir mit dem Nationalpark Wattenmeer - ein UNESCO-Weltnaturerbe - auch besondere Herausforderung für den Umweltschutz.

Die Auswahl des Standorts für einen Spaceport ist aber entscheidend, um gute Starts über die Bühne zu bringen. In Ihrem Antrag, Herr Bode, nehmen Sie diese Fragen auf und gehen den für mich einzig gangbaren Weg gleich mit: Es kann bei der Standortfrage nur um einen schwimmenden

Spaceport gehen. Und um das Rad nicht neu zu erfinden, wünschen Sie den direkten Dialog mit dem Nachbarn, in dem Fall mit dem Bundesland Bremen.

Sie haben die Idee des Bundesverbandes der Deutschen Industrie aufgegriffen. Ein weiterer Hintergrund des Bundesverbands der Deutschen Industrie war es aber auch, die Aufforderung an den Bund zu richten, seinen Beitrag zum Raumfahrtprogramm zu steigern. Statt 285 Millionen Euro wünscht er sich 700 Millionen Euro Steuermittel pro Jahr. Aus diesem Grund bin ich hinsichtlich der finanziellen Beteiligung des Landes mit Äußerungen lieber sparsam und warte gerne auf die Aussagen aus Berlin.

Dass die digitale Souveränität mehr Mini-Kommunikationssatelliten bedeutet, ist für mich klar. Dass Raumfahrttechnik auch immer etwas für den Wissenschaftsstandort tut, ist auch klar. Und dass die Hightech-Industrie das sicherlich nicht als Nachteil bewertet, darüber sind wir uns einig. Aus diesem Grund möchte ich es wieder mit unserem Astronauten Thomas Reiter halten:

„Wichtig ist, dass man verstanden hat und bei diesem Geschäft mitmischen will. … Diverse Unternehmen werden in den kommenden Jahren Tausende kleiner Kommunikationssatelliten ins All schießen. Wir sehen uns nicht in Konkurrenz zu diesen Unternehmen, sondern wollen gemeinsam mit ihnen die notwendigen Fähigkeiten entwickeln.“

Ich freue mich über eine spannende Sacharbeit im zukünftigen Space-Ausschuss. Möge die Macht mit uns sein!

(Beifall bei der SPD - Heiterkeit - Dr. Stefan Birkner [FDP]: Wo gibt es denn so einen Ausschuss?)

Vielen Dank, Herr Kollege Domeier. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich das Wort dem Abgeordneten Detlev Schulz-Hendel. Bitte schön, Herr Kollege!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginne und Kollegen! Kurz vor Ende dieser Landtagswoche und zweieinhalb Monate vor Heiligabend ist es nun so weit: Wir reden heute über die Weihnachtswünsche scheinbar nie groß werdender Jungs wie meinen lieben Kollegen Herrn Bode.

Beim Bundesverband der Deutschen Industrie und auch im Bundeswirtschaftsministerium steht der Offshore-Weltraumbahnhof ganz oben auf der Wunschliste. Im Juli hatte der BDI kräftig die Werbetrommel dafür gerührt, dass in der Nordsee für kleinere Trägerraketen ein Weltraumbahnhof errichtet werden soll. Von dort aus sollen dann z. B. Satelliten ins All geschossen werden. Im September hieß es im Handelsblatt dann, das Bundesministerium würde ein Konzept für den Bau eines Weltraumbahnhofs in der Nordsee prüfen.

Ganz hoch hinaus will nun auch die FDP. Beim Baustart des Forschungszentrums AeroSpacePark in der Lüneburger Heide erklärte mein geschätzter Kollege Jörg Bode: Man müsse die „Raumfahrt groß denken“ und den „niedersächsischen Weltraumbahnhof vorantreiben“. Gesagt, getan - und nun also der Antrag der FDP!

Und offenbar findet die Landesregierung die Idee doch nicht so schlecht - insofern muss ich das ein bisschen korrigieren, Herr Bode -, bald inmitten von drei großen sensiblen Naturschutzgebieten Raketen abfeuern zu lassen. Das aber bitte schön - das geht ja aus der Antwort der Landesregierung auf die Anfrage der FDP hervor - umweltverträglich und wirtschaftlich. Ich persönlich kann mir aber selbst bei blühendster Fantasie nicht vorstellen, wie wir diesen Widerspruch auflösen wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Bedeutung der Luft- und Raumfahrt würde zunehmend in den Fokus rücken, heißt es in der Antwort auf die FDP-Anfrage weiter. Man entwickle eine „Luft- und Raumfahrtstrategie 2030“. SPD und CDU planen tatsächlich, im kommenden Jahr die Mittel von 4 Millionen auf 8 Millionen Euro zu verdoppeln. Ich frage mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, ob wir angesichts der Corona-Krise und der drohenden Insolvenzen bei kleinen und mittelständischen Unternehmen in Niedersachsen keine anderen Sorgen haben als hier zusätzliches Geld zu investieren und den großen Jungs die Abenteuerwünsche zu erfüllen.

Laut Raumfahrtszene soll das Geschäft viel Geld einbringen. Der BDI glaubt, dass ein deutscher Startplatz der letzte wichtige Baustein für eine erfolgreiche New-Space-Strategie Deutschlands sei - also für die kommerzielle Raumfahrt. Viele Probleme sind aber ungelöst. Luftverkehrssperrungen, die Vereinbarkeit mit dem Schiffsverkehr und vor allem der Umwelt- und Naturschutz oder auch Konkurrenznutzungen durch Fischerei und Offshorewindparks sind in die Rechnung bisher nicht eingepreist, Herr Bode.

Wir können es uns nicht vorstellen, dass sich Raketenkrach und Treibstoffwolken mit dem Klima- und Umweltschutz vereinbaren lassen. Wir erwarten von der Landesregierung ganz klar, dass sie die Pläne kritisch bewertet - und ihnen eine klare Absage erteilt.