Die Politik war vielleicht in den letzten Jahrzehnten noch nie so stark gefordert wie jetzt. Ich fordere uns alle miteinander auf: Werden wir auch ganz persönlich dieser Verantwortung gerecht!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht jetzt darum, die Infektionswelle schnell und konsequent zu brechen und gravierende zusätzliche Schäden zu vermeiden. Wenn Sie diese Auffassung mit mir teilen, dann müssen wir uns um einen Schwerpunkt besonders kümmern, der von höchster praktischer Bedeutung ist.
Auf welchem Wege erfolgen Infektionen? Ganz allgemein formuliert: durch Kontakte. Also müssen wir in den nächsten Wochen alle - ich meine wirklich alle - unsere Kontakte reduzieren.
Wo genau sollen wir dafür ansetzen? Die ehrliche Antwort lautet: Nach allen Erfahrungen findet ein Löwenanteil von Infektionen im privaten Bereich statt - aber wir wissen nicht, wo genau.
Das ist eine entscheidende Aussage. Leider können wir eben nicht den einen oder den anderen Bereich herausnehmen, weil von dort ein großer Teil der Infektionen stammt. Dafür ist die persönliche Lebensführung von uns allen schlichtweg zu vielfältig. Es fehlt in dieser Hinsicht an einer konkreten Datenbasis. In etwa 75 bis 80 % der Fälle lässt sich leider im Nachhinein nicht mehr klären, wo und unter welchen Bedingungen genau die Infektion erfolgt ist.
Deswegen müssen wir den gesamten Bereich der persönlichen Lebensführung in den Mittelpunkt unserer Bemühungen stellen. Und deswegen haben wir uns auf die weitreichende Schließung von Einrichtungen verständigt, die ja gerade Menschen zusammenführen sollen: Gastronomiebetriebe und Kulturstätten, Hotels und Sportanlagen, Dienstleistungsbetriebe und Veranstaltungsstätten.
Wir müssen auch unsere persönlichen Kontakte reduzieren - in der Öffentlichkeit genauso wie im privaten Bereich. Auch daran führt kein Weg vorbei.
Über die Auswirkungen für die Betroffenen sind wir nicht mit leichter Hand hinweggegangen; das will ich betonen. Es liegt ja auf der Hand, dass die genannten Bereiche schon geschwächt in diese nächste Krise hineingehen. Wir sind uns der harten Konsequenzen für die Betroffenen sehr wohl bewusst. Es tut uns leid, aber sie sind in der aktuellen Lage leider zwingend geboten.
Vor diesem Hintergrund hat der Bund eine außerordentliche Wirtschaftshilfe zugesagt, die noch einmal deutlich über die bisherigen Programme hinausgeht. Für diejenigen, die von der Schließung erfasst sind, wird 75 % des entsprechenden Umsatzes aus dem Vorjahresmonat gewährt. Wenn also im November 2019 der Umsatz 100 000 Euro betrug, beträgt die Erstattung im November 2020 75 000 Euro.
Das gilt für Unternehmen bis 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; bei größeren Unternehmen findet eine differenzierte Ermittlung statt, weil EU-Vorschriften zu berücksichtigen sind. Nach den uns er
teilten Auskünften ist allerdings auch in diesen Fällen kein wesentlich reduzierter Entschädigungsbetrag zu erwarten.
Es gibt ein Detail, das ich inmitten all dieser schlechten Nachrichten als gute Nachricht empfinde: Von der genannten Wirtschaftshilfe profitieren auch und gerade die Soloselbstständigen, also z. B. Künstlerinnen und Künstler, die nun einmal keine laufenden Betriebskosten haben. Darauf soll es nicht ankommen; auch das ist Teil unserer Vereinbarungen. Ich freue mich sehr für die Betroffenen, die ja, weiß Gott, schon harte Zeiten hinter sich haben.
Ja, wir haben uns zu harten Einschnitten im Bereich der privaten Lebensführung entschieden. Wir sahen uns dazu gezwungen. Aber wir wollen das Bildungswesen so gut wie möglich unberührt lassen. Wir wollen Einschnitte in den Kindertagesstätten und Schulen nach aller Möglichkeit vermeiden - um der Kinder willen, aber auch um der Familien willen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wir wollen einen Stillstand der Wirtschaft vermeiden, so gut es irgend geht. Wir sind sicher: Andernfalls werden sich die Schäden vervielfachen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin überzeugt davon: Wir müssen so handeln. Aber natürlich gibt es auch Kritik.
Da ist die Kritik von Betroffenen, die sich unfair behandelt fühlen, weil sie sich in den vergangenen Monaten um ein vorbildliches Verhalten bemüht haben. Und da gibt es die Kritik aus rechtlicher Sicht, weil es sich nun einmal um Einschränkungen von Freiheitsrechten handelt.
Ich persönlich setze mich mit dieser Kritik sehr genau auseinander, weise aber auf eines hin: Es gibt kein schrankenloses Grundrecht. Unsere Verfassung stellt die Freiheit des Einzelnen aus guten Gründen vorneweg, aber sie gewährt sie nicht schrankenlos.
Wo hohe Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit Dritter gefährdet sind, bedarf es einer Abwägung mit anderen Rechtsgütern.
Das ändert nichts an dem hohen Rang unserer individuellen Freiheit, aber wir müssen sie abwägen mit den Rechten und den Interessen Dritter und der Gemeinschaft.
Ich will das einmal anhand von zwei Maßnahmen darstellen, die jüngst von den Gerichten aufgehoben worden sind: dem Beherbergungsverbot und der Sperrstunde in der Gastronomie.
In Kenntnis dieser Entscheidung haben sich Bund und Länder dennoch verständigt, wiederum Übernachtungsverbote und statt einer Sperrstunde sogar die Schließung von gastronomischen Betrieben vorzusehen. Dahinter steht kein Trotz, weil Gerichtsverfahren verloren worden sind, sondern eine sehr ernsthafte Überlegung:
Wie ich schon sagte, ergibt sich aus den Erfahrungen der vergangenen Monate, dass private Kontakte die Ursache für den Löwenanteil der Infektionen sind. Aber wie ich ebenfalls gesagt habe: Wir wissen eben in der großen Mehrzahl der Fälle nicht, wo genau diese Infektionen tatsächlich entstanden sind. Wenn wir uns jetzt in einer dramatischen Lage befinden, müssen wir deswegen alle Möglichkeiten für eine Kontaktreduzierung nutzen, weil wir nicht die Chance zu sicheren punktuellen Eingriffen haben. Das war vielleicht rückwirkend betrachtet ein Fehler bei den ergriffenen Maßnahmen. Jetzt aber nehmen wir das gesamte Spektrum privater Lebensführung in den Blick. Anders werden wir Leben und Gesundheit vieler Bürgerinnen und Bürger absehbar nicht schützen können.
Wir tun das nicht, um Freiheit einzuschränken, sondern wir tun das, um Freiheit zu schützen. Was geschieht, wenn nichts geschieht? Diese Frage müssen wir alle uns stellen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Um diese Frage zu beantworten, müssen wir nicht spekulieren. Es genügt ein Blick über unsere Grenzen: nach Frankreich, nach Belgien, in die Niederlande und in viele andere Länder dieser Welt. Dort sind die Eingriffe in den privaten Bereich ungleich härter als bei uns, und dennoch wird die Lage bei ihnen schwieriger.
Der einzige Vorteil, den wir gegenwärtig noch haben, ist die Zeit. Wir sind immer noch in einem relativ frühen Stadium dieser Infektionswelle. Wir können immer noch Einfluss nehmen. Wenn das mit Erfolg geschehen soll, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann aber jetzt und dann konsequent!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch kurz auf eine andere Diskussion eingehen, die zurzeit geführt wird: Ist eine Landesregierung eigentlich legitimiert, solche Maßnahmen durch eine Verordnung zu treffen? Die Antwort lautet Ja. Wir handeln auf der Grundlage des geltenden Rechts. Das Infektionsschutzgesetz ist ein Bundesgesetz. Der Bundestag hat mit der Durchführung die Landesregierungen beauftragt. Das bezieht sich ausdrücklich auch auf den Erlass solcher Verordnungen.
Daran arbeiten wir jetzt seit vielen Monaten - übrigens im vollen Bewusstsein der großen Verantwortung, die damit verbunden ist. Ich füge hinzu: Wenn der Bundesgesetzgeber die Eingriffsvoraussetzungen konkretisieren sollte, wie es z. B. Bundestagspräsident Schäuble vorgeschlagen hat, dann kann das aus unserer Sicht sogar eine Hilfe sein.
Und was die Beteiligung des Landtages angeht, ist die Landesregierung völlig offen. Seit Beginn der Corona-Krise gibt es regelmäßige Informationen - vor allem des Sozialausschusses als Corona-Ausschuss.
Die Entwürfe von Verordnungen werden zugeleitet, und in jeder Sitzungsperiode des Landtages in den vergangenen Monaten ist politisch intensiv über Corona und die Folgen diskutiert worden, heute eben auch.
Es muss nur zweierlei klar sein und auch bleiben. Das Land muss zu jeder Zeit handlungsfähig sein. Das haben wir aus der Dynamik dieser Pandemie nun wirklich gelernt, gerade auch in den letzten Tagen. Und zum anderen: Die politische Verantwortung muss klar sein. Auch das ist für ein erfolgreiches Krisenmanagement unabweisbar.
Und vielleicht eine letzte Bemerkung in diesem Zusammenhang: Vielleicht ist die bisherige Politik in Sachen Corona in der Bundesrepublik nicht perfekt, aber im internationalen Vergleich gehört sie mit Sicherheit zu den erfolgreichsten Modellen. Unsere Demokratie ist eben gerade nicht in Gefahr, und ich habe die herzliche Bitte an alle Beteiligten, auch gar nicht erst einen solchen Eindruck zu vermitteln!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, parallel zu diesen Plänen und Vorgaben kämpfen die Gesundheitsämter in Niedersachsen überall darum, den Infektionsketten nachzuspüren und sie zu unterbrechen. Die Bundeswehr, die Hilfsorganisationen und auch das Land unterstützen diese Bemühungen. Aus der Landesverwaltung werden wir den Kommunen einen Pool von etwa 1 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur Verfügung stellen, die dabei helfen sollen. Kurzfristig werden wir 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr schnell dafür freigeben. Und ich danke insbesondere auch der Finanzverwaltung herzlich für ihr konstruktives Mitwirken an dieser Aktion. Wir wissen, wie wichtig die Arbeit in den Gesundheitsämtern ist, und ich sende ein weiteres Mal allen Beteiligten in den Kommunen herzliche Grüße und ein besonders herzliches Dankeschön!
Richtig ist auch der Hinweis, dass die besonders verletzlichen Gruppen besonders zu schützen sind. Der Einsatz von Schnelltests läuft jetzt an, und ich bin sicher, die Verantwortlichen in den Krankenhäusern und Pflegeheimen geben sich allergrößte Mühe, ihre Einrichtungen von dem Virus freizuhalten. Diese Bemühungen sind ungeheuer wichtig, und ich danke allen Menschen in den Krankenhäusern und in den Heimen in Niedersachsen, allen Menschen, die überall in Niedersachsen in diesen Einrichtungen arbeiten, ein weiteres Mal besonders herzlich!
Und schließlich: Diese Bemühungen haben natürlich eine sehr hohe Bedeutung, aber sie können andererseits auch nicht den allgemeinen Infektionsschutz ersetzen. Wir brauchen beides: Wir brauchen einen wirksamen Schutz besonders gefährdeter Menschen und eine konsequente Unterbindung von weiteren Infektionen. Wir brauchen also beides. Wir dürfen das nicht gegeneinander ausspielen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, es ist jetzt eine besonders wichtige, eine besonders heikle Phase unseres Kampfes gegen das Virus. Ich verstehe alle Betroffenen, die mit den Einschränkungen hadern. Ich verstehe alle, die nach diesen Mona
Ich bitte Sie aber auch herzlich, sich selbst einmal die Frage zu stellen, die unsere Situation vielleicht am besten beschreibt: Was geschieht, wenn nichts geschieht? - Ich bin überzeugt davon, das wäre ein Spiel mit dem Feuer, und davon kann ich uns allen nur dringend abraten.
Die Politik hat jetzt eine große Bewährungsprobe zu bestehen; das gilt für uns alle. Liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir gemeinsam dieser Verantwortung gerecht!
Das erwartet übrigens auch die große Mehrheit der Bevölkerung von uns. Ich verweise auf die letzte Umfrage des NDR. Die meisten Bürgerinnen und Bürger verhalten sich selbst vorbildlich. Sie tragen jeden Tag ganz persönlich zum Infektionsschutz bei. Sie halten Abstand, sie tragen die Maske, sie beachten die Hygiene. Das gilt für die große Mehrheit der Bevölkerung, aber eben nicht für alle. Darum geht es jetzt in den nächsten Wochen: dass wir alle - buchstäblich alle - unsere Kontakte deutlich reduzieren. Das ist die Grundlage für Erfolg oder Misserfolg der getroffenen Maßnahmen.