Protokoll der Sitzung vom 30.10.2020

Das erwartet übrigens auch die große Mehrheit der Bevölkerung von uns. Ich verweise auf die letzte Umfrage des NDR. Die meisten Bürgerinnen und Bürger verhalten sich selbst vorbildlich. Sie tragen jeden Tag ganz persönlich zum Infektionsschutz bei. Sie halten Abstand, sie tragen die Maske, sie beachten die Hygiene. Das gilt für die große Mehrheit der Bevölkerung, aber eben nicht für alle. Darum geht es jetzt in den nächsten Wochen: dass wir alle - buchstäblich alle - unsere Kontakte deutlich reduzieren. Das ist die Grundlage für Erfolg oder Misserfolg der getroffenen Maßnahmen.

Wir haben ebenso wie im ersten Halbjahr jetzt die Chance, uns wieder aus einer gefährlichen Situation herauszuarbeiten. Tun wir es jetzt, tun wir es mit aller Entschiedenheit, tun wir es alle, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Mein größter Wunsch für das Weihnachtsfest in diesem Jahr ist, dass wir dann gemeinsam sagen können: Wir haben es wieder zusammen geschafft, eine gefährliche Situation zu meistern. In diesem Sinne herzlichen Dank für Ihre Unterstützung!

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Starker, lang anhaltender Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Herr Ministerpräsident, ich danke Ihnen für die Abgabe der Regierungserklärung und stelle fest, dass die Erklärung 20 Minuten gedauert hat. Für die nun folgende Aussprache erhalten vereinbarungsgemäß die beiden großen Fraktionen ebenso viel Redezeit, wie die Landesregierung verbraucht

hat, also ebenfalls je 20 Minuten. Die kleinen Fraktionen erhalten eine Redezeit von je 14 Minuten. Jedes fraktionslose Mitglied des Hauses, das sich zu Wort meldet, erhält, wie vereinbart, eineinhalb Minuten Redezeit.

Nun hat die Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen als erste Rednerin das Wort. Frau Hamburg, bitte, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich eines vorwegstellen: Die steigenden Zahlen sind hochbedenklich. Und es ist richtig: Wir müssen jetzt konsequent handeln, um diese Welle zu brechen.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

Ich bin froh, dass wir hier und heute über die Verordnung und über diese Maßnahmen diskutieren. Dabei ist die öffentliche Debatte in diesem Parlament kein Selbstzweck, sondern dient dazu, die Betroffenen in den Blick zu nehmen, über die sozialen Härten des Lockdowns zu diskutieren und zu schauen, wie wir als Landtag und Landesregierung die Auswirkungen des Lockdowns bestmöglich abmildern können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich will daran erinnern, dass wir in diesem Haus bis vor Kurzem noch über Lockerungen diskutiert haben. Der Ministerpräsident stand hier vorne und hat gesagt: „Wir haben im Umgang mit dem Virus gelernt. Wir wissen jetzt, wie das alles funktioniert. Wir können nach vorne schauen und zur Normalität zurückkehren.“

Heute müssen wir uns fragen, was die steigenden Infektionszahlen vor dem Hintergrund dieser Aussagen für uns und für unser Land bedeuten. Haben wir am Ende doch nichts gelernt? Wissen wir nun doch nicht, wie wir mit dem Virus umgehen müssen? War AHA vielleicht nicht griffig genug?

Oder ist es nicht vielmehr so, dass wir anerkennen müssen, dass wir wichtige Teile der Vorsorge für diesen Winter eben nicht getroffen haben, liebe Kolleginnen und Kollegen?

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Wir haben Ihnen im Juli gesagt: „Herr Ministerpräsident, verfahren Sie hier nicht nur nach dem Prinzip Hoffnung! Legen Sie nicht nur Ihren FünfStufen-Lockerungsplan auf, sondern reden wir jetzt

auch darüber, was passiert, wenn die Infektionszahlen wieder ansteigen, welche Einschränkungen für die Gesellschaft das bedeutet!“

Wir haben Ihnen gesagt: „Herr Ministerpräsident, beteiligen Sie das Parlament, stellen Sie die Eingriffe auf ein gutes Fundament, und schaffen Sie eine gesetzliche Grundlage!“

Wir haben Ihnen gesagt: „Herr Ministerpräsident, beteiligen Sie die Verbände, beteiligen Sie die Praktikerinnen und Praktiker, damit die Verordnung auch für die, die sie ausführen müssen, funktioniert!“

Wir haben Ihnen gesagt: „Herr Ministerpräsident, reden wir über Lüftungskonzepte!“

Von alledem wollten Sie im Sommer nichts hören. Das war für Sie kein Thema, sondern nur eines für die Opposition. Heute müssen wir anerkennen, dass wir den Sommer nicht genutzt haben, um Antworten auf all diese Fragen zu bekommen.

Wir haben gesagt: „Herr Ministerpräsident, lassen Sie uns die Gesundheitsämter noch stärker in den Blick nehmen! Schaffen wir Digitalisierung und personelle Unterstützung!“ - Ich begrüße sehr, dass Sie die Gesundheitsämter vor Ort jetzt mit Landespersonal unterstützen; denn die Kommunen sind am Rande ihrer Leistungsfähigkeit.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Dr. Stefan Birkner [FDP]: Sie sind schon darüber hinweg!)

Die Unterbrechung der Infektionsketten, eine gute Teststrategie und die Eigenverantwortung der Menschen sind das A und O, wenn wir diese Welle brechen wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Seit Monaten stehe ich hier vorne und sage Ihnen immer wieder: „Lassen Sie uns die sozialen Härten mitdiskutieren! Lassen Sie uns diskutieren, wie wir sicherstellen können, dass beim nächsten Lockdown möglichst niemand durchs Raster fällt!“ Und auf diesen nächsten Lockdown laufen wir gerade zu, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Ich beginne mit den Kulturschaffenden, der Gastronomie, der Hotellerie und all den Bereichen, die schon von Beginn an massiv von den CoronaMaßnahmen betroffen waren. Wie ist es denen ergangen? Erst mussten sie schließen und wurden mit Hartz IV abgespeist. Dann haben sie massiv gestrampelt. Sie haben Hygienekonzepte geschrieben, sie sind kreativ geworden, sie haben eigeninitiativ vorgedacht und die Politik gebeten, ihnen eine Perspektive zu geben. - Daraufhin ha

ben Sie, Herr Ministerpräsident, langsam gelockert. Das aber hat nicht gereicht, es war für sie immer noch nicht rentabel. Und jetzt wird ihnen aufgrund der Maßnahmen der nächste Rückschlag politisch verordnet!

Ich muss Ihnen sagen: Die Betroffenen fühlen sich hier weder gehört noch verstanden. Verstehen Sie mich nicht falsch: Die Entschädigungsleistungen, die Sie für den November planen, sind richtig; sie sind in dieser Zeit das richtige Signal. Aber sie sind zu bürokratisch, wenn erst ein Jurist oder Steuerberater prüfen muss, ob die Leistungen ausgezahlt werden können. Und vor allem, wenn es heißt, die Bemessungsgrundlage ist der November des Vorjahres. Aber was ist, wenn Kulturschaffende im Sommer verdient und im November davon gelebt haben? Oder wenn jemand sein Restaurant erst im Dezember eröffnet hat? Für alle diese Fälle gibt es keine Lösung.

Wir dürfen nicht wieder ein praxisfremdes Programm auf den Weg bringen, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP - Widerspruch bei der SPD und bei der CDU)

Deswegen fordern wir, dass man ein Jahresmittel nimmt.

(Jens Nacke [CDU]: Das ist alles ge- regelt! - Weitere Zurufe von der SPD und von der CDU)

- Dass Sie das nicht hören wollen, weiß ich.

(Anhaltende Unruhe - Glocke der Prä- sidentin)

Wir brauchen auch eine Antwort über den November hinaus. Wir brauchen die feste Zusage, dass es im Dezember einen Unternehmerlohn oder eine anders geartete Absicherung für die Bereiche gibt, die perspektivisch dauerhaft von den CoronaMaßnahmen betroffen sein werden. Und das sind allein schon 100 000 Kulturschaffende in Niedersachsen!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Darüber hinaus müssen wir über die sozialen Härten reden. Der Lockdown wird nicht alle Menschen gleichermaßen treffen, sondern besonders hart die Menschen, die allein sind, die depressiv sind. Er wird die Süchtigen, die Obdachlosen, die Geflüchteten in Sammelunterkünften besonders hart treffen. Angesichts dessen ist es für mich schier un

verständlich, dass Sie die Landeszuschüsse für das Obdachlosenprogramm in Hannover einbehalten haben. Und dass Sie planen, bei der Suchtberatung zu kürzen, ist in Zeiten wie diesen das absolut falsche Signal.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen die Kommunen finanziell noch stärker unterstützen, und zwar auch im nächsten Jahr, damit die Frauenhäuser, die Tafeln, die Jugendarbeit und all die wichtigen sozialen Bereiche nicht durchs Raster fallen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Jetzt möchte ich auf die konkrete Verordnung eingehen. Ich fand, dass die Debatte im Vorfeld des Corona-Gipfels schon etwas Toxisches an sich hatte. Wir wissen bei 75 % der Infektionen nicht, wie sie entstehen, und trotzdem haben wir mit dem Finger aufs Private gezeigt und all den Leuten, die sich seit Monaten zurücknehmen, die verzichten, die sich nicht mit anderen Leuten treffen und die Masken tragen, gesagt: „Ihr seid schuld, dass das jetzt so kommt!“ Das war die Debatte.

(Zurufe von der SPD und von der CDU: Nein!)

Ich bin sehr froh, dass Sie im Verlauf dieses Gipfels noch die Kurve gekriegt haben. Mittlerweile sagen Sie: „Unser Schwerpunkt liegt auf Wirtschaft, Arbeit und Schule, und deswegen reduzieren wir Kontakte im Privaten.“ So ist es richtig, genau das muss doch die Debatte sein! Wir sind doch auf die Kooperation mit den Menschen angewiesen, wir sind doch darauf angewiesen, dass sie am Ende mitmachen!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu den Debatten über Schleierfahndung und über Kontrollen in irgendwelchen Wohnungen kann ich nur sagen: Das kann nicht der Weg sein.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Absurd!)

So dürfen wir die Debatte nicht vergiften, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Ich habe gesagt, dass wir bei 75 % der Infektionen nicht wissen, wie sie entstanden sind. Wir wissen aber, dass in Niedersachsen viele Fleischfabriken und auch andere Arbeitsbereiche unzureichend geschützt waren, dass dort der Arbeitnehmerschutz nicht groß genug geschrieben wurde. Lassen Sie uns deswegen diese 75 % besser aus

leuchten! Lassen Sie uns vor allem auch endlich den Arbeitnehmerschutz ernst nehmen und das Ganze operationalisieren, liebe Kolleginnen und Kollegen.