Protokoll der Sitzung vom 30.10.2020

leuchten! Lassen Sie uns vor allem auch endlich den Arbeitnehmerschutz ernst nehmen und das Ganze operationalisieren, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich möchte Sie eindringlich bitten: Lassen Sie uns durch konkrete und klare Maßnahmen deutlich machen, wie ernst die Lage ist, und nicht durch ein Panikorchester oder weitere Drohkulissen. Angst ist in dieser Zeit nämlich ein schlechter Berater, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Damit komme ich zu Herrn Tonne. Es ist zwar selten, dass Sie als Kultusminister Lob erhalten, aber heute möchte ich es einmal tun.

(Zurufe von der SPD und von der CDU: Oh!)

Sie haben nämlich in der neuen Verordnung das gemacht, wozu wir Sie seit Monaten auffordern. Sie haben klar gesagt, welche Maßnahmen auf welchen Inzidenzwert folgen: Bei einer Inzidenz von 50 passiert dieses und bei einer Inzidenz von 100 jenes. Damit geben Sie den Kommunen Handlungssicherheit. Über Details können wir natürlich diskutieren, aber diesen Weg sind Sie erst einmal gegangen. Und dieser Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist der richtige, weil jetzt alle Landkreise gleich agieren können und jeder Mensch weiß, was wann passiert.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das entlässt Sie aber nicht aus der Verpflichtung, die Schülerverkehre endlich besser zu regeln, die Digitalisierung weiter voranzutreiben und ein Lüftungskonzept für die Schulen auf den Weg zu bringen, das funktioniert.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Leider sind in dieser Verordnung aber nicht alle Bereiche so gut geregelt. Nehmen wir einmal den Bereich Kinder und Familien. Ich habe Sie hier im März und im April gefragt: Warum dürfen private Betreuungsangebote nicht stattfinden? Warum dürfen Schülerinnen und Schüler, die in der Schule ohne Abstand und ohne Maske zusammensitzen, sich nicht auch privat am Nachmittag treffen? - Wer soll das verstehen?

Warum lassen Sie Geschäfte offen, während Bibliotheken schließen müssen? Warum verbieten Sie Kindern, denen Sie fast alle Möglichkeiten der Beschäftigung nehmen, Bücher zu leihen, sodass

sie sich die im Handel kaufen müssen? Warum dürfen sich zwei Haushalte treffen, aber nur mit zehn Personen? Ganz ehrlich: Was für einen Unterschied macht denn die elfte oder zwölfte Person, wenn es der gleiche Haushalt ist? - Das werden die Leute nicht verstehen!

Und warum gilt das auch für Alleinstehende? Warum dürfen auch Alleinstehende nur eine weitere Person treffen? Warum dürfen sie nicht Infektionsgemeinschaften bilden und sich zu dritt oder viert treffen? Gerade Einsamkeit wird bei diesem Lockdown ein großes Problem sein, dem wir begegnen müssen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich möchte es noch einmal ganz deutlich machen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Pandemiebekämpfung funktioniert nur mit den Menschen, sie funktioniert nur dann, wenn wir die Menschen von den Maßnahmen überzeugen.

Am Ende werden wir die Akzeptanz nur dann erreichen, wenn wir den Menschen echte Perspektiven bieten für das Leben mit Corona auf Dauer. Deswegen fordern wir die Einrichtung eines gesellschaftlichen Beirats, der genau diese Perspektiven entwickelt: Was passiert im gesellschaftlichen Leben, wenn die Infektionszahlen steigen? Was passiert, wenn sie niedrig sind? Und wie können wir unser Freizeitverhalten unter Pandemiegesichtspunkten weiterhin ausüben? Das alles zu beantworten, wird entscheidend sein.

Insofern möchten wir auch, dass das Sondervermögen noch viel stärker dafür genutzt wird, diese Entwicklungen voranzutreiben. Wir haben viele Kulturschaffende, viele Sportvereine, viele in Handel, Gastronomie und Hotellerie, die sich wirklich viele Gedanken gemacht haben, wie ein Leben im Freizeitbereich unter Corona-Bedingungen aussehen kann. Diese Möglichkeiten müssen wir finanziell vorantreiben. Wir müssen sie sichtbar machen. Wir müssen sie nach Kräften unterstützen, damit Niedersachsen für das Leben mit Corona in den nächsten Wochen und Monaten eine Perspektive hat und wir Zuversicht geben. Daran möchten wir mit Ihnen arbeiten.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Hamburg. - Das Wort für die SPD-Fraktion hat nun die Fraktionsvorsitzende, Frau Modder. Bitte! Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Ministerpräsident, ich will mich zunächst ganz herzlich für die Regierungserklärung bedanken. Ich glaube, die heutige Sondersitzung des Niedersächsischen Landtages ist aufgrund der aktuellen Situation im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, aufgrund der steigenden Infektionszahlen und aufgrund der einschneidenden Maßnahmen, die von Bund und Ländern beschlossen wurden, geboten.

1 550 - das ist die Zahl der Neuinfektionen von heute in Niedersachsen. 1 550 neu infizierte Menschen an einem Tag, Tendenz steigend. Heute Morgen meldet das RKI einen erneuten Höchststand mit über 18 000 Neuinfizierten in Deutschland, genau sind es 18 681.

Jede und jeder der Neuinfizierten hat eine Familie, hat Angehörige, Nachbarn, Freunde und Arbeitskollegen.

Einige von ihnen spüren kaum Symptome, andere hat es vielleicht schlimmer erwischt. Doch eines teilen, glaube ich, alle: die Sorge. Die Sorge um die eigene Gesundheit, die Sorge um die Gesundheit ihrer Familien, Freunde und Kollegen. Wir alle wissen, dass eine COVID-19-Erkrankung auch einen schweren Verlauf nehmen kann. Vor allem für Menschen mit Vorerkrankungen kann das Coronavirus zu einer lebensbedrohlichen Situation führen.

Anfang Oktober lagen 29 Patientinnen und Patienten mit einer Corona-Infektion auf den Intensivstationen der niedersächsischen Krankenhäuser. Heute sind es bereits 134. 72 von ihnen sind auf eine künstliche Beatmung angewiesen.

Auch für Menschen ohne Vorerkrankung kann die Infektion mit dem Coronavirus eine enorme gesundheitliche Belastung darstellen. Wir alle kennen die Meldungen von jungen Menschen, die mit den Spätfolgen der Infektion zu kämpfen haben. Mittlerweile verdoppeln sich die Infektionszahlen in Deutschland innerhalb einer Woche.

Wenn wir jetzt nicht handeln, wird es auch in Niedersachsen zu einer dramatischen Entwicklung kommen. Die Neuinfektionen werden weiter ungebremst steigen, sodass auch unser Gesundheitssystem an seine Grenze kommen wird. Wenn wir

nichts machen, sind die Intensivstationen in den niedersächsischen Krankenhäusern Hochrech

nungen zufolge im Dezember überlastet.

Meine Damen und Herren, die Lage ist ernst, und wir müssen jetzt handeln. Die Kanzlerin sprach von einer befristeten „nationalen Kraftanstrengung“ mit „harten und belastenden Maßnahmen“. In der Tat, die Einschnitte, auf die sich Bund und Länder geeinigt haben, sind ohne Zweifel hart und eine enorme Belastung. Doch angesichts der rasant steigenden Zahlen war die Verabredung richtig und wichtig - vor allen Dingen, dass sie bundesweit gilt. Um es ganz deutlich zu sagen: Die SPD-Fraktion unterstützt diesen Weg und trägt die Maßnahmen mit!

Meine Damen und Herren, diese Pandemie ist nichts, was wir auf die leichte Schulter nehmen dürfen. Die neuen Einschränkungen und Verbote sind ganz bestimmt nicht leichtfertig getroffen worden. Sie sind das Ergebnis eines schwierigen Abwägungsprozesses. Die Verantwortung, die vor allem die Bundesregierung und die Landesregierungen momentan tragen, ist immens. Mein Respekt und mein Dank gelten all denen, die diese Verantwortung wahrnehmen und tragen - und auch Ihnen ganz persönlich, Herr Ministerpräsident Weil.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, man kann sicherlich an einzelnen Maßnahmen den einen oder anderen Kritikpunkt finden. Man kann die Verbote nicht verhältnismäßig finden oder die Einschränkungen zu locker. Doch wir müssen uns alle immer wieder vor Augen führen, wofür wir diese Einschränkungen brauchen: Mit diesen Maßnahmen wollen wir die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger schützen, unser Gesundheitssystem stabil halten, und vor allem geht es darum, Leben zu retten. Ich finde, bei aller Kritik darf dieses Ziel niemals aus den Augen verloren werden.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Meine Damen und Herren, für unsere Gastronomie, Hotels, Kinos, Theater, alle Kulturschaffenden, Soloselbstständigen, Schausteller und all denjenigen, die nun erneut ihre Betriebe schließen müssen, ist das ganz bitter und hart. Ich kann die Verzweiflung, jede Wut und Frustration verstehen. Viele von uns werden sicherlich entsprechende Anrufe, E-Mails und Briefe erhalten.

Doch wenn in Berlin z. B. die AfD von „Kriegspropaganda“ und „von einer Art Kriegskabinett“ spricht

und sagt - Zitat -: „Wir müssen abwägen, auch um den Preis, dass Menschen sterben“, so ist das beschämend und macht mich wütend.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU sowie Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ich hätte an dieser Stelle gerne mit einem Zitat von Franz Müntefering geantwortet. Aber das wäre unparlamentarisch geworden.

Oder nehmen wir den Fraktionsvorsitzenden der FDP, Herrn Lindner, der von „aktionistischem Krisenmanagement“ spricht. Da will ich wirklich ausdrücklich widersprechen. Wenn wir hier in Niedersachsen auf Sie von der FDP - besonders auch auf Sie, Herr Birkner - gehört hätten, hätten wir zu einem ganz frühen Zeitpunkt sehr viel mehr Lockerungen zugelassen. Ich mag mir nicht ausmalen, wo unser Gesundheitssystem dann jetzt stehen würde. Das bitte ich zu bedenken!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU - Dr. Stefan Birkner [FDP]: Meinen Sie das ernst, Frau Kollegin?)

Meine Damen und Herren, ja, es stimmt: Viele Betriebe in der Gastronomie und der Hotellerie haben in den vergangenen Monaten umfassende Hygienekonzepte entwickelt. Zum Teil wurden kreative und effektive Lösungen gefunden. Wir haben dazu Gespräche geführt. Ich bedanke mich an dieser Stelle ganz herzlich für diese Mithilfe. Doch leider haben diese Maßnahmen die Dynamik des Infektionsgeschehens nicht durchbrochen. Das zwingt uns nun, wie ich finde, zum Handeln.

Es sind die Begegnungen, Frau Hamburg, die Kontakte, die wir herunterfahren müssen! Bei allem, was wir machen - ob es Restaurantbesuche sind, ob es das Kino ist oder die Museen sind -, wir müssen die Zahl der Kontakte herunterfahren, wenn wir Bildung, Wirtschaft und Unternehmen nicht gefährden wollen.

Gestatten Sie mir an dieser Stelle einen kleinen Einwurf: Ich will ausdrücklich sagen, dass auch wir als SPD-Fraktion den geplanten Castor-Transport bei dem derzeitigen Infektionsgeschehen für unverantwortbar halten. Auch wir haben eine Fürsorgepflicht für unsere Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, meine Damen und Herren.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Wir befinden uns mitten in der zweiten Welle, und diese Welle müssen wir brechen.

Meine Damen und Herren, jeder dieser neuen Einschnitte hat weitreichende Auswirkungen und Folgen für die persönlichen Freiheiten jedes und jeder Einzelnen. Die persönliche Freiheit ist ein hohes Gut, und ich finde, wenn man die Freiheitsrechte einschränkt - wenn auch zeitlich begrenzt -, muss man außerordentlich gute Gründe dafür haben. Doch aus meiner Sicht endet die Freiheit da, wo die Gesundheit anderer beeinträchtigt wird oder wenn ein nationaler Gesundheitsnotstand droht. Und genau an diesem Punkt befinden wir uns!

Die bisherigen Maßnahmen haben leider nicht die gewünschten Erfolge erzielt. Wenn es stimmt, das man rund 75 % der Neuinfektionen nicht mehr rückverfolgen kann, dass man nicht zuordnen kann, wie und wo es zu der Infektion gekommen ist, dann müssen alle Alarmglocken läuten.

Meine Damen und Herren, das Gesamtpaket, das in Berlin verhandelt wurde, sieht für die betroffenen Unternehmen, Selbstständigen, Vereine und Einrichtungen aber auch eine außerordentliche Wirtschaftshilfe mit einem Volumen von ca. 10 Milliarden Euro vor. Das ist ein sehr wichtiges Signal für die Betroffenen.

Wichtig wäre hierbei - und da schaue ich zu unserem Wirtschaftsminister - eine schnelle und unbürokratische Hilfe. Bitte sorgen Sie mit dafür, dass diese Hilfen des Bundes bei den niedersächsischen Betrieben, bei den Soloselbstständigen und bei den Schaustellern auch schnell ankommen. Wir brauchen jetzt dringend ein transparentes und unbürokratisches Verfahren; denn viele Selbstständige haben keine Zeit mehr, um auf Hilfen zu warten. Es geht um ihre Existenz!

(Beifall bei der SPD)