Protokoll der Sitzung vom 30.10.2020

(Beifall bei der SPD)

Ich will an dieser Stelle noch eine Anmerkung machen. Wir müssen auf Bundes-, aber auch auf Landesebene ernsthaft darüber reden, wie wir der Wirtschaft, den Unternehmen und den Betrieben bei einer noch länger anhaltenden Pandemie helfen und sie unterstützen können. Wir müssen z. B. Investitionen anregen. Und da stelle ich auch für mich ganz persönlich die Frage nach der Schuldenbremse.

(Jörg Bode [FDP]: Was?)

Meine Damen und Herren, neben den wirtschaftlichen Folgen dieser Einschränkungen sind wir aber auch mit ganz beträchtlichen sozialen Einschnitten konfrontiert. Der Mensch ist ein soziales Wesen, und persönliche Kontakte gehören zum Kern unse

res Miteinanders. Mit der Kontaktreduzierung verlangen wir unseren Bürgerinnen und Bürgern wirklich viel ab. Doch es gibt in dieser Krise kein effektiveres Mittel, als konsequent die eigenen Kontakte zu beschränken. Nur so können wir die Ausbreitung des Virus eindämmen.

Meine Damen und Herren, die Entscheidungen, Schulen und Kitas geöffnet zu lassen und so gut es geht die Wirtschaft und das Berufsleben weiter aufrechtzuerhalten, halte ich für absolut richtig.

Wir haben im Frühjahr den Eltern viel zugemutet - rückblickend vielleicht sogar etwas zu viel, wenn ich an die vielen alleinerziehenden Mütter und Väter denke, die sicherlich nicht selten mit ihren Kräften am Ende waren. Wir müssen diese Situation so lange es geht vermeiden und von den Lehren der ersten Welle lernen. Solange es nur irgendwie geht, müssen wir die Betreuung der Kinder sicherstellen und aufrechterhalten.

Meine Damen und Herren, ich will hier auch auf einen Punkt eingehen, bei dem ich noch starken Verbesserungsbedarf sehe. Die Corona-Warn-App hat das Potenzial, mehr zu sein als nur ein Baustein in der Pandemiebekämpfung. Diese App könnte ein wirklich scharfes Schwert im Kampf gegen das Virus sein. Die App wurde mehr als 20 Millionen Mal heruntergeladen, und 60 % der Nutzer und Nutzerinnen teilen das Ergebnis ihres Corona-Tests über die App. Doch unseren Gesundheitsämtern ist durch die App nur mittelbar geholfen.

Ja, auch der Datenschutz ist ein hohes und schützenswertes Gut. Aber mit einer Anbindung der Gesundheitsämter an die Corona-Warn-App würden die zuständigen Behörden deutlich schneller über Risikokontakte und Infektionsfälle informiert werden.

Meine Damen und Herren, ich finde es außerordentlich wichtig, dass die Corona-Maßnahmen in unserer Gesellschaft kontrovers und offen diskutiert werden. Auch diese Sitzung des Niedersächsischen Landtags und die Aussprache über die neuesten Entwicklungen halte ich für richtig und angesichts der starken Einschnitte, wie gesagt, für unabdingbar.

Ich will zum Schluss aber noch zu der aktuellen Diskussion über die Beteiligung der Parlamente Stellung beziehen. Für uns als SPD-Fraktion ist es wichtig, dass der Staat und damit auch unsere Landesregierung in einer solchen Krisensituation handlungsfähig bleiben und dass die Verantwort

lichkeiten klar geregelt sind. Ich glaube, wir sind mit den Oppositionsfraktionen in guten Gesprächen, um vielleicht einen Kompromiss zu finden. Ich würde mir das wünschen.

Aber - und da knüpfe ich gerne an die Debatte der letzten Male an - es genügt nicht, bei den eigenen Vorstellungen vage und ungenau zu bleiben und nur die Beschränkungen zu kritisieren. Stattdessen muss jede Fraktion Farbe bekennen, ob und auch welche Maßnahmen mitgetragen werden können und welche eben nicht. Und ich wünsche mir für heute ein klares und starkes Signal auch hier aus dem Parlament.

Mit Verlaub, liebe Kollegin Hamburg, der 15Punkte-Plan Ihrer Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nicht viel Neues hervorgebracht und bleibt in weiten Teilen sehr unkonkret.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU - Zuruf von der CDU: Gar nichts! - Christian Meyer [GRÜNE]: 15 Punkte mehr als ihr!)

Ihr Vorwurf - wie wir ja auch auf Bundeebene vernehmen durften -, die Landesregierung hätte die Zeit verschlafen und sich nicht auf den Winter vorbereitet, Herr Birkner, ist schlicht falsch, und das wissen Sie auch.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Dazu kom- me ich gleich! - Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Mitte Oktober! - Christian Meyer [GRÜNE]: Und was war im Sommer?)

Die Landesregierung hat das Handlungskonzept, das sogenannte Ampelsystem, vorgelegt. Das hat große Akzeptanz gefunden.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Bei wem?)

Und zu Frau Hamburg: Bei der Suchtberatung wurde nicht gekürzt. Das ist letztens auch richtiggestellt worden. Bitte erzählen Sie hier also nicht solche Sachen!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Und noch etwas, weil es mich wirklich ärgert: Sie haben hier gerade wieder einen Beirat angesprochen. Ich sage: Wenn wir die Beteiligung des Parlaments wollen, dann liegt die Verantwortung hier. Und dann steht es uns völlig frei, sachverständige Experten aus dem In- und Ausland anzuhören usw. Aber die Entscheidung muss dann auch hier gefällt werden! Einen Beirat neben dem Parlament zu installieren, würde wieder Zeitverlust bedeuten,

würde wieder bedeuten, dass wir uns im Kreis drehen.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Doch nicht jetzt! Sie hätten den Sommer mit den Verbänden nutzen können!)

Ich habe in meiner Fraktion durchgesetzt, einen Sonderausschuss zur Corona-Pandemie einzurichten. Dieser Sonderausschuss kann das alles aufarbeiten. Ich glaube nicht, dass wir einen Beirat brauchen, der diesen Ausschuss dann noch einmal berät.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU - Dr. Stefan Birkner [FDP]: Aus der Verantwortung gezo- gen!)

Meine Damen und Herren, die Einschnitte sind gravierend und verlangen den Menschen in unserem Land wirklich viel ab. Umso wichtiger ist es, dass wir alles dafür tun, die Maßnahmen und Einschränkungen auch umfassend zu erklären. Wir müssen alle Fragen beantworten und die Ängste ernst nehmen.

Jeder und jede Einzelne beeinflusst mit seinem und ihrem Verhalten den Verlauf der nächsten Monate. Abstand, Hygieneregeln, Kontaktreduzierung und die Alltagsmasken - diese Maßnahmen helfen, das Tempo des Infektionsgeschehens zu verlangsamen.

Ich weiß, dass ein großer Teil dieser Gesellschaft diese Regeln bereits sehr gewissenhaft befolgt. Es gehört aber auch zur Wahrheit dazu, dass eine Minderheit sich unverantwortlich und leichtsinnig verhält. Jeder und jede muss verstehen, was er oder sie in dieser Krise selber leisten kann.

Aber ich bin auch sehr dafür, dass wir die Maßnahmen auch konsequent durchsetzen und die Kontrollen verstärken. Das erwarten im Übrigen auch die Menschen, die sich an alle Regeln und Auflagen halten.

Meine Damen und Herren, wir werden noch einige Zeit mit dem Coronavirus leben müssen, und ich fürchte, wir haben noch eine sehr lange Strecke vor uns, bis das Virus mit einer flächendeckenden Impfung zuverlässig eingedämmt werden kann.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: So ist es!)

In dieser, ich glaube, historischen Krise müssen wir füreinander einstehen, wir brauchen Hilfsbereitschaft und Gemeinsinn. Ich danke allen, die dazu ihren Beitrag leisten. Und ich bin mir sicher,

dass wir auch den Winter gut überstehen können. Dazu müssen wir nun erneut solidarisch und mit einer großen Portion Verantwortungsbewusstsein füreinander einstehen!

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Modder. - Es hat nun für die FDP-Fraktion der Fraktionsvorsitzende Herr Dr. Birkner das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, dass wir uns in diesem Hause einig sind, dass die Lage in der Tat ernst ist, dass die Infektionsdynamik gebremst werden muss, dass diese zweite Welle gebrochen werden muss, dass wir dem sich abzeichnenden staatlichen Kontrollverlust entgegenwirken und ihn beenden müssen, dass also die Pandemie wieder - so gut es geht - unter Kontrolle gebracht werden muss.

Die Ziele dabei sind, denke ich, auch klar - denn das haben wir in den letzten Monaten an verschiedenen Stellen immer wieder diskutiert -: Das Gesundheitssystem darf nicht überlastet werden. Jeder und jede muss optimal behandelt werden können. Die Anzahl der schweren Verläufe muss gering gehalten werden. - Insofern, denke ich, haben wir eigentlich eine gemeinsame Zielbeschreibung.

Aber wo wir uns dann doch deutlich unterscheiden - Herr Ministerpräsident, auch zu dem, was Sie gemeinsam mit den anderen Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin verhandelt, besprochen und vereinbart haben -, ist die Art und Weise, wie man das macht.

Denn wir führen jetzt im Prinzip genau die gleiche Diskussion wie im Frühjahr, im März. Die Kontaktbeschränkung ist zwar jetzt auf einen Teilbereich konzentriert - auch wir wollen nicht die Schulen in den Blick nehmen, auch wir finden es richtig, den Unterricht weiterzuführen; es sind auch nicht alle Wirtschaftsunternehmen betroffen -, aber in diesem Teilbereich herrscht genau die pauschale Herangehensweise, die wir am Anfang der Pandemie, im Frühjahr, in allen gesellschaftlichen Bereichen erlebt haben.

(Zuruf von der CDU: Hat ja auch funk- tioniert!)

Meine Damen und Herren, wir sind der Auffassung, dass man es insoweit versäumt hat, Lehren aus den letzten Wochen und Monaten zu ziehen.

(Beifall bei der FDP)

Wir wissen doch mehr über dieses Virus als noch vor einigen Wochen und Monaten. Wir wissen so viel, dass Differenzierungen möglich sind.

Es ist klar, dass sich die Infektion insbesondere über Aerosole ausbreitet. Es ist klar, dass wir Ansteckungen dort, wo sich Menschen begegnen, mit Abstand, Hygienemaßnahmen, Masken - vermutlich eher höherwertigen Masken wie FFP2-Masken - und dem Lüften geschlossener Räume gerade in dieser Jahreszeit entgegenwirken können. Das heißt, dass durchaus sichergestellt werden kann, dass sich Menschen begegnen können - unter Einhaltung bestimmter Rahmenbedingungen, nach Auswertung der Erfahrungen und Erkenntnisse, die man in den letzten Wochen und Monaten gesammelt hat.

Diese Differenzierungsleistung bringen Sie eben nicht mehr auf. Die haben Sie zurückgestellt. Eine Zeitlang spielte Sie auch in der Pandemiebewältigung durch die Landesregierung eine Rolle, als man nämlich gesagt: Wo Hygienekonzepte gelten, können wir uns Begegnungen vorstellen, weil wir die Infektionswege kennen. - An dieser Stelle geht es nicht um die Infektionswege der jetzt Infizierten, sondern um die grundsätzlichen Infektionswege.

Statt das zu tun, statt dieses Wissen, diese Erfahrungen zu nutzen und umzusetzen, greifen Sie im Prinzip wieder zur Schrotflinte, indem Sie einen Bereich pauschal stilllegen, indem Sie ihn komplett ins künstliche Koma legen. Das halten wir für den falschen Weg. Hier sind nicht die Lehren gezogen, die hätten gezogen werden müssen.

(Beifall bei der FDP)

So schließen Sie den Gastronomiebereich, obwohl Hygienekonzepte eigentlich Begegnungen ermöglicht hätten. Sprechen Sie doch einmal mit den Gastronominnen und Gastronomen, die sich auf das verlassen haben, was Sie ihnen gesagt haben: dass sie öffnen können, wenn sie vernünftige Hygienekonzepte erstellen, das Gespräch mit dem Gesundheitsamt suchen und grünes Licht bekommen. - Stattdessen werden diese Betriebe jetzt pauschal geschlossen, obwohl selbst das RKI sagt: Es gibt keine Hinweise auf ein dynamisches Infektionsgeschehen in der Gastronomie.

(Beifall bei der FDP)