Protokoll der Sitzung vom 30.11.2020

Entweder Sie wollen, dass die Zahlen runtergehen, oder Sie wollen lockern. Beides zusammen geht nicht.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Zweitens. Frau Hamburg, ich war - blöderweise oder Gott sei Dank - im Sozialausschuss dabei, als Ihre Anträge behandelt wurden. Sie sind nicht einfach ohne Debatte abgestimmt worden, sondern sie sind durchaus besprochen worden. Nur konnten Sie sich nicht entscheiden, ob Sie gleich darüber abstimmen oder ob Sie sie weiterberaten wollten. Das ist das, was im Sozialausschuss passiert ist. Bleiben Sie hier bitte bei der Wahrheit!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich will meine eigentliche Rede mit einem Dankeschön beginnen. Ein herzliches Dankeschön an all die Menschen richten, die seit Monaten die Corona-Maßnahmen mittragen! Ich betone ausdrücklich, dass sich die überwiegende Mehrheit in unserem Land solidarisch und verantwortungsbewusst zeigt und damit einen erheblichen Beitrag dazu leistet, dass der dramatische exponentielle Anstieg bei den Neuinfektionen abgebremst werden konnte. Und ich verstehe den Frust, die Wut und auch die Traurigkeit dieser Menschen sehr gut, wenn sie sehen, wie fahrlässig und verantwortungslos andere mit dieser Situation umgehen und nicht nur sich selber, sondern auch andere, aber vor allen Dingen auch den gemeinsamen Erfolg bei der Bekämpfung der Pandemie gefährden.

Meine Damen und Herren, seit dem 2. November gilt der sogenannte Lockdown Light, womit erneut harte Einschränkungen verbunden sind. Aufgrund der uns vorliegenden Zahlen wissen wir: Der dramatische Anstieg der Neuinfektionen konnte damit zwar abgebremst, aber leider nicht umgekehrt werden. Die Zahlen sind leider immer noch viel zu hoch. Es ist daher folgerichtig, den Teil-Lockdown zu verlängern und weitere Einschränkungen zu beschließen.

Die Beschlüsse der Regierungschefinnen und -chefs mit der Frau Bundeskanzlerin und dem Bundeskabinett vom vergangenen Mittwoch über weitere Maßnahmen zur Eindämmung des

Coronavirus sind aus unserer Sicht nachvollziehbar, verhältnismäßig und in der aktuellen Situation auch angemessen. Ich möchte deshalb gleich zu Beginn meiner Rede sagen, dass meine Fraktion, die SPD-Fraktion, hinter diesen Maßnahmen steht.

Meine Damen und Herren, in den vergangenen Monaten haben wir immer wieder darüber diskutiert, wie das Parlament in dieser Pandemie besser eingebunden werden kann. Die Abstimmung im Deutschen Bundestag zum Dritten Bevölkerungsschutzgesetz hat dafür die richtige und, ich glaube, auch eine gute rechtliche Grundlage gelegt. Ich finde, die aktuelle Verordnung wurde mit einer ausführlichen Begründung versehen. Und noch bevor die Verordnung in Kraft getreten ist, wurden wir darüber im Sozialausschuss nicht nur umfassend unterrichtet, sondern sind sie auch Artikel für Artikel durchgegangen. Ich glaube, das ist ein sehr gutes Beteiligungsverfahren. Und heute debattie

ren wir darüber noch einmal in einer Sondersitzung.

Eine kleine Randbemerkung, Frau Hamburg und Herr Dr. Birkner: Wir haben Ihnen - ich glaube, es ist schon ein paar Wochen her - die Vereinbarung zukommen lassen, die wir eigentlich miteinander abschließen wollten. Wir haben bis heute noch keine Rückmeldung von Ihnen.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Kann ich Ihnen gleich geben!)

Warum eigentlich nicht? Wollen Sie die Vereinbarung nicht mehr, oder setzen Sie wirklich nur auf Öffentlichkeit?

(Beifall bei der SPD und bei der CDU - Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Viel- leicht weil Sie keine gesetzliche Grundlage wollen!)

Meine Damen und Herren, wer in letzter Zeit mit Pflegekräften gesprochen hat, wird schnell merken, dass die Situation in manchen Krankenhäusern und Pflegeheimen äußerst angespannt ist. Es steigen nicht nur die Infektionszahlen, sondern es steigen auch die Zahlen der Patientinnen und Patienten in den niedersächsischen Krankenhäusern.

Die Kanzlerin sprach in ihrer Regierungserklärung von einer „anhaltenden nationalen Kraftanstrengung“. Diese Kraftanstrengung hat dazu geführt, dass wir das Schlimmste bislang verhindern konnten. Unser Gesundheitssystem ist momentan noch stabil und leistungsfähig. Doch darauf dürfen wir uns nicht ausruhen. Ein Blick in andere europäische Länder zeigt, wie schnell so etwas kippen kann.

Mittlerweile haben wir in Niedersachsen - der Ministerpräsident hat darauf hingewiesen - 1 154 Todesfälle zu beklagen. Diese Menschen sind an oder mit dem Coronavirus verstorben. Hinter diesen nackten Zahlen verbergen sich tragische Momente und traurige Geschichten. Auch hier bei uns in Niedersachsen trauern Menschen um verstorbene Angehörige und Freunde. Zahlreiche Menschen kämpfen heute noch mit den Folgen einer COVID-Erkrankung. Lassen Sie uns nicht vergessen, dass hinter jeder Zahl ein Schicksal steht!

Ich will dazu kurz etwas schildern. Ich habe vor ungefähr 14 Tagen im Radio den Bericht einer Krankenschwester gehört. Sie erzählte von einer Patientin Ende 50, der man sagen musste, dass sie ins künstliche Koma versetzt werden muss. Diese Patientin hat dann gefragt, wie das funktio

niert, wie lange das dauert und was mit ihr passiert. Das hat man ihr alles erklärt. Ihr letzter Wunsch war dann, sich von ihrem Mann und ihrer Familie verabschieden zu können, bevor sie ins Koma versetzt wird. - Wir dürfen in dieser Situation nie vergessen, dass es solche Schicksale gibt.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, unser Ziel muss deshalb bleiben, dass die Gesundheitsämter wieder Kontakte nachverfolgen können, damit die unkontrollierte Verbreitung gestoppt wird. Und da ist nun mal die Inzidenzzahl von 50 ausschlaggebend. Denn erst bei einem Inzidenzwert von weniger als 50 ist eine Rückverfolgung möglich und kann die Welle durchbrochen werden. Ich glaube, darauf sollten wir immer hinarbeiten, und Frau Hamburg, ich glaube, auch aus Ihrer Sicht müssten sich alle Strategien an dieser Zahl ausrichten.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Rich- tig!)

Meine Damen und Herren, die Vorschläge vom Bundesvorsitzenden der FDP, Christian Lindner, allerdings, wir sollten uns lieber auf die Risikogruppen konzentrieren und weniger pauschale Regelungen treffen, halte ich für falsch und - sehen Sie es mir nach - auch für moralisch verwerflich. Denn wie ich der Meldung entnommen habe, gehören in Deutschland 27 Millionen Menschen zu der sogenannten vulnerablen Gruppe. Sie alle verdienen natürlich unseren ganz besonderen Schutz. Aber 27 Millionen zu isolieren und von der Gesellschaft fernzuhalten - es gab ja unterschiedliche Vorstellungen, wie man das machen kann -,

(Zuruf von der FDP: Das haben Sie nicht ganz verstanden!)

kann und darf nicht unsere Antwort sein.

(Beifall bei der SPD - Wiard Siebels [SPD]: So ist es! - Zuruf von Christian Grascha [FDP])

- Dann sind wir eben unterschiedlicher Auffassung über Ihre Strategie.

Stattdessen brauchen wir Solidarität, Verantwortungsbewusstsein und Rücksichtnahme. Nur so schaffen wir den Weg durch die Krise, ohne jemanden zurückzulassen.

Meine Damen und Herren, zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Corona-Maßnahmen vielen Bürgerinnen und Bürgern eine Menge abverlangen

und weitreichende Folgen haben. Wir haben hier des Öfteren darüber gesprochen.

In den vergangenen Wochen und Monaten habe ich mit zahlreichen Bürgerinnen und Bürgern sprechen können, die um ihren Arbeitsplatz bangen, die besorgt sind, dass die Firma, für die sie arbeiten, Insolvenz anmeldet oder riesige Einsparungen vornehmen muss und dass sie am Ende in die Arbeitslosigkeit rutschen, ihren Kredit nicht mehr abbezahlen können und ihr Eigenheim oder ihre Wohnung zur Disposition steht und dass sie besonders in diesen Krisenzeiten nur schwierig einen neuen Job finden werden.

Die Corona-Krise bringt viele Unternehmen in große Bedrängnisse. Trotz des verlängerten Kurzarbeitergeldes wird es zu Kündigungen kommen. Ich glaube, das ist uns allen klar.

Trotzdem - das sage ich hier ganz bewusst - dürfen sich Arbeitgeber und Unternehmen auch in dieser schwierigen Zeit nicht hinter der CoronaPandemie als möglicher Ausrede verstecken.

(Beifall bei der SPD)

Ja, wir befinden uns in einer Krise. Doch ich glaube, es gehört zur Wahrheit dazu, dass Stellenabbau in einer solchen Krisensituation auch immer sozialverträglich und in einer vernünftig gelebten Sozialpartnerschaft miteinander zu verhandeln ist.

(Beifall bei der SPD)

Mir ist bewusst, dass einige Branchen, wie z. B. die Gastronomie, die Hoteliers, die Tourismusbranche, die Schausteller oder die Kulturschaffenden, momentan wohl die größte Bürde für unsere Gesellschaft auf ihren Schultern tragen. Sie müssen mit enormen wirtschaftlichen Einschnitten leben und zum Teil Existenzängste aushalten.

Umso wichtiger ist es, dass der Bund angekündigt hat - der Ministerpräsident ist vorhin darauf eingegangen -, dass die Novemberhilfen auch für den Dezember fortgeführt werden. Dieser Schritt ist auch deshalb so entscheidend, weil wir damit rechnen müssen, dass diese Maßnahmen vielleicht noch weit in den Januar hineinragen. Wir brauchen schnelle und unkomplizierte Lösungen, damit die Betroffenen nicht unter dieser Last zusammenbrechen.

Ich bin davon überzeugt, dass unser Kurs richtig ist, auch wenn sich Stimmen auch aus der Wissenschaft mehren, die Infektionszahlen könnten nur mit einem echten Lockdown heruntergebracht werden. Die Schulen und Kitas solange wie mög

lich offen zu halten, ist aus meiner Sicht richtig. Das Recht auf Bildung hat höchste Priorität. Die Schule ist nämlich nicht nur ein Ort des Lernens, sondern auch ein Ort des sozialen Miteinanders. Ohne Schule und Kita fehlt nicht nur den Eltern eine wichtige Betreuungsoption, sondern auch den Kindern und Jugendlichen ein bedeutender Bezugspunkt. Eine Schlagzeile aus der letzten Woche spiegelt das wunderbar wider: „Wenn Krippen schließen, haben wir keine Krankenschwester mehr!“

Natürlich gilt aber auch hier, dass wir weiter das Infektionsgeschehen beobachten müssen. Die Hotspot-Strategie von Kultusminister Grant Hendrik Tonne halte ich für einen wichtigen Baustein. Diese Strategie schafft Klarheit und bietet einen nachvollziehbaren Plan, Schule und Infektionsschutz in Einklang zu bringen. Das ist ein Balanceakt, den wir unbedingt bewältigen müssen.

Meine Damen und Herren, was wir nicht akzeptieren dürfen, sind Lügen, falsche Informationen und absurde Vergleiche, die auf so mancher Demonstration gestreut werden. Der offene und kritische Diskurs ist einer der Grundpfeiler unserer Demokratie. Jeder und jede hat das Recht auf freie Meinungsäußerung und natürlich ein Recht auf Demonstration. Doch die vermehrten HolocaustVergleiche von Corona-Leugnern darf unsere Demokratie nicht unwidersprochen hinnehmen. Wenn die Geschwister Scholl und Anne Frank für NaziRhetorik einiger Teilnehmer herhalten müssen, dann ist das beschämend und macht mich das wütend.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Die Toleranzgrenze ist eindeutig überschritten, wenn die aktuelle Situation mit der Machtergreifung Hitlers verglichen wird. Wer Neonazis die Hand reicht, meine Damen und Herren, entzieht sich jeder demokratischen Diskussion.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU sowie Zustimmung von Stefan Wenzel [GRÜNE])

Das Coronavirus als Grippe herunterzuspielen und von „Impfpflicht“ und „Gleichschaltung“ zu sprechen, ist schlichtweg falsch. Die sogenannten Fake News sind besonders in dieser Phase dieser dramatischen Pandemie brandgefährlich.

Aber ich bin auch der Meinung: Wir dürfen an dieser Stelle nicht immer nur über diejenigen sprechen, die sich nicht an Regeln halten und laut sind.

Diejenigen, die mit breiten Schultern die Maßnahmen und Einschränkungen mittragen, dürfen nicht die Leidtragenden sein. Ihnen sind wir es schuldig, dass die Corona-Regeln in diesem Land eingehalten werden. Auch bei Maskenverweigerern in der Innenstadt oder unvernünftigen Party-Veranstaltern sollten und müssen die Corona-Regeln eingehalten werden.

Meine Damen und Herren, besonders die nahenden Weihnachtstage haben der Diskussion um Einschränkungen und Lockerungen noch einmal einen emotionalen Anstrich gegeben. Weihnachten ist ein Fest der Familie, eine Zeit des Zusammenseins. Natürlich wollen die Menschen in diesem Land vor allem in dieser schweren Zeit, auch wenn sie schon so lange auf diese Begegnungen verzichtet haben, besonders zu Weihnachten zusammenkommen. Dafür habe ich vollstes Verständnis. Natürlich dürfen auch Angehörige von Risikogruppen sowie Bewohnerinnen und Bewohner von Alten- und Pflegeheimen nicht einsame Weihnachten erleben müssen. Allerdings bedeutet das auch - das ist das Risiko dabei, wenn wir zu Weihnachten und Silvester lockern -, dass dann auch immer das gewisse Risiko mitschwingt. Deswegen ist es, glaube ich, richtig, dass wir hier noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, Vernunft walten zu lassen und sich zu besinnen, ob es nicht vielleicht besser ist, auch die Liebsten nicht in Gefahr zu bringen und doch etwas Abstand zu halten.

Ich finde es richtig, dass wir auch das Thema Weihnachten im Sozialausschuss im Zusammenhang mit der neuen Verordnung explizit besprochen haben, weil auch die Übernachtung zu Weihnachten vielleicht eine ganz besondere Herausforderung darstellt.

Meine Damen und Herren, diese Zeiten sind ohne Zweifel hart und stellen uns beinahe täglich vor neue schwierige Herausforderungen. Doch wenn ich mir die Fortschritte in der Impfstoffforschung anschaue, gibt es durchaus berechtigte Hoffnungen. Der Chef der Weltgesundheitsorganisation sprach vor wenigen Tagen von einem Licht am Ende des Tunnels.