„Unsere Landesregierung“! Das war auch vorher unsere Regierung. Da unterscheide ich nicht. Aber ich finde es eine gute Sache. Wir haben es jetzt eben personell verstärkt.
(Zurufe von der CDU - Jens-Christoph Brockmann [AfD]: Man sieht halt kei- nen Unterschied! - Sebastian Lechner [CDU]: An den Satz werden wir Sie noch erinnern, Frau Camuz! - Gegen- ruf von Ulrich Watermann [SPD]: Die SPD war in jedem Fall dabei! Wir müs- sen nur feststellen, dass die SPD da- bei war! - Glocke der Präsidentin)
Frau Camuz, wir warten, bis sich alle wieder beruhigt haben. - So, Frau Camuz, Sie können fortfahren!
Durch das eigene Meldeportal unter hassanzeigen.de wurde die Hemmschwelle für Betroffene gesenkt, sich gegen Anfeindungen, Rassismus und Antisemitismus zur Wehr zu setzen. Zwischen Juli 2023 und Juni 2024 gingen 3 532 Anzeigen ein. Zwei Jahre zuvor lag die Zahl im gleichen Zeitraum noch bei 1 136, also bei einem Drittel. Rund 80 % der angezeigten Hasskommentare haben laut der Zentralstelle ZHIN einen politischen Hintergrund.
Sehr geehrte Abgeordnete, die Ursachen für Hasskriminalität sind vielfältig und die Täter ebenfalls. Dass sich gerade die AfD nun aber für die Abschaffung der Zentralstelle einsetzt, hat einen aktuellen Hintergrund und hat sicherlich auch mit einem bestimmten Täter*innenkreis zu tun. Die AfD folgt mit ihrem Aufruf im Titel dieser Aktuellen Stunde der Kritik von J.D. Vance, dem Vizepräsidenten der
USA. Er hat vor wenigen Tagen anlässlich eines Berichts über die Göttinger Staatsanwaltschaft deren Arbeit und Vorgehen kritisiert und daraus eine Belastung für die europäisch-amerikanischen Beziehungen abgeleitet. Die AfD folgt dem, weil es ihr offenbar gerade gut ins Konzept passt.
Dabei ist doch bekannt, dass sich das deutsche und das US-amerikanische Verständnis von Meinungsfreiheit wie auch unsere Verfassung und Rechtssysteme deutlich unterscheiden. Das deutsche Konzept folgt eher dem Ansatz, dass die Freiheit des einen endet, wo deren Ausübung die Freiheit des anderen einschränkt. Nach dem amerikanischen Ansatz ist die Meinungsfreiheit unbegrenzt. Schon deshalb verbietet sich diese Kritik inhaltlich.
Aber auch der Grundsatz, ein Staat habe sich nicht in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einzumischen, gilt selbstverständlich. Wir in Niedersachsen dulden in dieser Sache keine amerikanische Einmischung. Deswegen: Mind your own business, J.D. Vance!
In der Sache möchte ich darauf hinweisen, dass gerade die Haftungsfreistellung der US-Internetkonzerne durch die US-Regierung zu Beginn des Internetzeitalters das Debakel der weltweiten Hassrede und Desinformation verursacht hat. Die damalige Regierung wollte die gerade erblühende Interneteuphorie und Internetindustrie nicht ausbremsen. Das Ergebnis ist aber, dass im Internet komplett andere Regeln herrschen als in unserem analogen Leben, denen sich alle Nutzer*innen von Meta, Google und künftig auch der KI-Konzerne weitgehend unterwerfen müssen.
Wir müssen also alle demokratischen Partner und Partnerinnen und Verbündete mobilisieren und dafür sorgen, dass wir weiterhin standhaft bleiben und steuerrechtliche, haftungsrechtliche und kartellrechtliche Maßnahmen einführen, die zumindest in Europa gelten.
Ich plädiere dafür, dass das Internet im Sinne des von Herrn Susskind in seinem Buch „Digitale Republik“ vertretenen Ansatzes wieder eine Sache des Volkes wird - dass wir das Sagen haben und nicht nur die auf Gewinn ausgerichteten Konzerne.
Jede andere Industrie muss sich auch den Regeln des Strafrechts, des Umweltrechts, des Wettbewerbsrechts unterwerfen - nur die Internetkonzerne müssen dies nicht.
Ich begrüße den Ansatz der Justizministerin, die Schwerpunktstaatsanwaltschaft mit weiteren Stellen auszubauen. Das ist genau der richtige Weg, und daran werden wir festhalten und uns nicht von Ihren Ansagen beirren lassen.
Vielen Dank, Frau Camuz. - Für die Landesregierung hat sich zu Wort gemeldet: Frau Justizministerin Dr. Kathrin Wahlmann. Frau Wahlmann, bitte!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich gleich zu Beginn drei Missverständnisse aufklären, die diesem vorliegenden Antrag offenbar zugrunde liegen:
Erstens. Beleidigung, Verleumdung, üble Nachrede, Bedrohung und Volksverhetzung sind in Deutschland strafbar - sowohl im Internet als auch im realen Leben. Dass das so ist, das entscheiden - zum Glück! - nicht die Staatsanwaltschaften als Teil der Exekutive, sondern die Entscheidung darüber, was strafbar ist und was nicht, treffen die Parlamente, im Bereich des Strafrechts im Wesentlichen der Deutsche Bundestag. Das ist auch gut so. Denn in einem demokratischen Staatswesen nennt man das Gewaltenteilung.
Das zweite Missverständnis: Eine Auflösung der Zentralstelle zur Bekämpfung von Hass und Hetze im Internet bei der Staatsanwaltschaft Göttingen würde Sie mitnichten davor bewahren, strafrechtlich belangt zu werden, wenn Sie sich entschließen würden, im Internet Straftaten zu begehen.
Die Zentralstelle ist allein deshalb gegründet worden, um Zuständigkeiten zu bündeln, um Expertise und Synergien zu schaffen und so schneller und schlagkräftiger zu sein. Das ist genau richtig so. Das
heißt aber natürlich nicht, dass nur diese Zentralstelle in der Lage wäre, Hass-Straftaten im Internet zu verfolgen.
Wenn man sie wieder abschaffen würde, würde die Verfolgung der entsprechenden Straftaten nämlich einfach wieder auf die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft übergehen.
Sie sehen also: Bei uns kommt keiner ungeschoren davon - Straftat bleibt Straftat, egal, ob sie von der Staatsanwaltschaft Göttingen, Lüneburg oder Aurich verfolgt wird. Und das muss auch so sein. Denn die konsequente Anwendung der Regeln ist einer der Grundpfeiler unseres Rechtsstaates.
Und das dürfte im Übrigen auch in Ihrem Sinne sein. Denn da kann ich gleich mal mit Missverständnis Nr. 3 aufräumen: Der deutsche Staat verfolgt keine Regimekritiker. Der Staat verfolgt Straftaten.
(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN - Wiard Siebels [SPD]: Das ist für Sie schwer auszu- halten! Ich weiß das!)
Der deutsche Staat ist auch kein Feind der Meinungsfreiheit. Dadurch, dass unsere Staatsanwaltschaften Straftaten verfolgen und die Gerichte die Täter entsprechend verurteilen, schützen wir gerade die Handlungsfreiheit des jeweils anderen. Die Freiheit des einen endet da, wo sie in die Freiheit des anderen eingreift. Grundkurs Grundrechte - kann ich nur empfehlen, wenn man den Anspruch hat, das Volk zu vertreten.
Und nein: Unsere Staatsanwaltschaften differenzieren auch nicht nach Parteibuch. Gerade die Bundesvorsitzende der AfD hat sich schon seit Langem und insbesondere seit Dezember 2024 zur Zielscheibe massenhafter Beleidigungen und Verleumdungen im Internet gemacht - und natürlich verfolgen die deutschen Staatsanwaltschaften auch diese Straftaten ganz konsequent.
Ich lasse die Standardbeschimpfungen gegen Alice Weidel jetzt hier mal im O-Ton weg, weil ich es mir nicht mit dem Präsidium verderben will, aber sie haben etwas mit Nationalsozialismus, mit einer angeb
lich unordentlichen Lebensführung und mit ihrer sexuellen Orientierung zu tun. Derartige Beleidigungen werden wir in unserem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat niemals dulden.
(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN - Wiard Siebels [SPD] - zur AfD -: Da können auch Sie klatschen!)
Und ich gehe im Übrigen sicher davon aus, dass auch Sie, meine Damen und Herren von der AfDFraktion, froh darüber sind, dass wir derartige Beleidigungen gegen Ihre Parteichefin nicht ungesühnt lassen.
Im Übrigen machen Beleidigungen zulasten prominenter Politikerinnen und Politiker ohnehin nur einen kleinen Teil der Arbeit der Zentralstelle in Göttingen aus. Der größte Teil der Verfahren betrifft „ganz normale“ Menschen. Sie werden nicht Opfer von Beleidigungen und Hetze, weil sie hauptamtlich politisch aktiv sind. Sie werden Zielscheibe wegen ihrer Weltanschauung, ihrer Hautfarbe, ihrer sexuellen Orientierung, ihres ehrenamtlichen Engagements vor Ort oder irgendeines anderen Umstandes, der den Täterinnen und Tätern nicht in ihr engstirniges Weltbild passt.
Wer ernsthaft meint, es sei in Ordnung, Menschen aus solchen Beweggründen verächtlich zu machen, zeigt nur, welches Verständnis von Freiheit er selbst hat. Er meint mit „Freiheit“ nicht die Freiheit der anderen, sondern nur die eigene Freiheit, seine niedersten Instinkte hemmungslos und ohne jeden Respekt auszuleben.
Diese Art rücksichtloser Freiheit lehnt unser Grundgesetz zu Recht ab. In Artikel 1 des Grundgesetzes heißt es seit 1949: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Diese Verpflichtung erfüllt die Zentralstelle in der Staatsanwaltschaft Göttingen mustergültig - und richtet ihr Fähnchen dabei nicht nach dem politischen Wind, sondern arbeitet streng nach Recht und Gesetz.
Ich bin deshalb sehr stolz darauf, dass diese Regierung und die sie tragenden Fraktionen der Zentralstelle gegen Hass und Hetze im Internet in den beiden letzten Jahren nachhaltig den Rücken gestärkt haben - auch in personeller Hinsicht.
Wir werden auch weiterhin dafür sorgen, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist - und wir werden den Weg eines menschenwürdigen Umgangs im Netz auch in Zukunft mit aller Entschlossenheit weitergehen. Und wenn es erforderlich ist, schützen wir auch Ihre Meinungsfreiheit.