Protokoll der Sitzung vom 18.09.2008

Die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat direkte Abstimmung beantragt. Wer dem Antrag Drucksache 14/7456 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen der CDU-Fraktion und der FDPFraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der SPD-Fraktion abgelehnt.

Ich rufe auf:

12 Volksinitiative gemäß Artikel 67a der Landesverfassung:

Volksinitiative mit der Kurzbezeichnung „Mehr Demokratie beim Wählen“

Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags zur Beschlussfassung Drucksache 14/6845

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kommunalpolitik und Verwaltungsstrukturreform Drucksache 14/7466

Nach dem Gesetz über das Verfahren bei Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid kam diese Volksinitiative durch Beschluss des Landtags vom 18. Juni 2008 auf Grundlage der genannten Unterrichtung zur Beschlussfassung rechtswirksam zustande.

Der Ausschuss für Kommunalpolitik und Verwaltungsstrukturreform hat die gesetzlich vorgeschriebene Anhörung der Vertrauenspersonen der Volksinitiative durchgeführt und mit Datum vom 12. September 2008 eine Beschlussempfehlung abgegeben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion Kollegen Lux das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Präsidentin hat gerade darauf hingewiesen, dass wir uns jetzt mit der Volksinitiative befassen und nicht grundsätzlich und allgemein mit dem Kumulieren und Panaschieren.

Angesichts der fortgeschrittenen Zeit möchte ich mich relativ kurzfassen und für meine Fraktion deutlich sagen, dass wir dieser Volksinitiative aus den unterschiedlichsten Gründen nicht folgen können. Sie sieht ein Modell des Kumulierens und Panaschierens nach dem süddeutschen Vorbild vor. Das hieße, dass wir für jede Kommune einen Stimmzettel hätten.

Es ist mehrfach darauf hingewiesen worden, dass wir in Nordrhein-Westfalen eine völlig andere Siedlungsstruktur als in den süddeutschen Ländern haben. Bei uns gibt es viel mehr Großstädte. Wenn man von 60 oder 90 Ratskandidaten und demnächst zehn oder elf Listen ausgeht, sähen die Wahlzettel wie Tischtücher aus. Das halten wir nicht für übertragbar.

Zudem sind wir der Meinung, dass die Gefahr, dass es zu ungültigen Stimmen kommt, gewaltig zunimmt. Darüber hinaus zeigen die Erfahrungen, dass selbst in den Ländern, in denen das Kumulieren und Panaschieren seit vielen Generationen eingeführt ist, noch nicht einmal die Hälfte der Wahlberechtigten von diesem Instrument Gebrauch macht.

Herr Kollege.

Man muss sich ernsthaft Gedanken darüber machen, wie stark das System die Wahlhelfer zeitlich zusätzlich strapaziert. Denn das Auswerten der Stimmzettel nimmt erhebliche Zeit in Anspruch und bedeutet damit auch erhebliche Kosten für die Kommunen.

Herr Kollege, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Frau Kollegin Löhrmann würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Nein, ich würde meine Rede gerne zu Ende führen.

Die Koalitionsfraktionen haben in dieser Wahlperiode deutliche Veränderungen in der Gemeindeordnung und im Kommunalwahlrecht vorgenommen. Daher sind wir der Meinung, dass diese Reformen erst einmal wirken sollten, bevor man sich mit weiteren Reformen befasst.

Ich sage noch einmal ganz deutlich: Dies ist kein grundsätzliches Nein zum Kumulieren und Panaschieren. Darin unterscheiden wir uns tatsächlich von der SPD, die das Instrument schon seit vielen Legislaturperioden sehr fundamentalistisch ablehnt. Das ist bei uns anders.

Lassen Sie mich abschließend etwas sagen, weil die SPD gleich sicherlich wieder darauf hinweisen wird, dass wir in der Vergangenheit einen Antrag zum Kumulieren und Panaschieren gestellt haben: Das ist richtig, jedoch unter anderen Bedingungen. Es geht heute nicht grundsätzlich ums Kumulieren und Panaschieren, sondern um den Inhalt der Volksinitiative.

(Monika Düker [GRÜNE]: Was waren das denn für andere Bedingungen? Was hat sich denn geändert?)

In Bezug auf die Aussagen vor und nach der Wahl sollte die SPD-Fraktion noch einmal über die Mehrwertsteuerdebatte und über die von Frau Schäfer häufiger angesprochene Tatsache nachdenken,

(Ralf Jäger [SPD]: Ich denke, es geht um die Volksinitiative!)

dass man vor der Wahl Lehrerstellen abbauen wollte und sich nach der Wahl nicht mehr daran erinnern will.

(Monika Düker [GRÜNE]: Nach der Wahl hat sich das alles geändert, oder was?)

Wir können der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kommunalpolitik und Verwaltungsstrukturreform nur folgen. – Danke schön.

(Beifall von CDU und FDP – Monika Düker [GRÜNE]: Was interessiert mich mein Ge- schwätz von gestern! So ein Blödsinn!)

Vielen Dank, Herr Lux. – Als nächster Redner hat Prof. Dr. Bovermann für die SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diskussionen über Wahlsysteme sind normalerweise geeignet, jede Gesprächsrunde zu sprengen. Details zu D’Hondt, Hare-Niemeyer, Sainte-Laguë sowie Kumulieren und Panaschieren führen meistens dazu, dass die Fachleute unter sich bleiben.

Um das Interesse der Öffentlichkeit zu wecken, muss man sich schon etwas einfallen lassen. Das ist der Volksinitiative „Mehr Demokratie beim Wählen“ zweifellos gelungen. 70.000 gültige Unterschriften verdienen Respekt und ernsthafte Prüfung.

Andererseits kann die breite Unterstützung aber auch nicht verwundern, denn wer ist schon gegen mehr Demokratie. Es muss aber auch die Frage erlaubt sein, ob wirklich alle Unterzeichner dieser Volksinitiative auch die Feinheiten des vorgeschlagenen Wahlsystems verstanden haben.

(Monika Düker [GRÜNE]: Die sind alle doof?!)

Schon die Kurzbezeichnung führt in die Irre, denn es geht gar nicht um mehr Demokratie, sondern um ein anderes Verständnis von Demokratie. Daher ist es auch falsch, das Kumulieren und Panaschieren von Stimmen als das demokratischere Wahlverfahren darzustellen und andere Formen der Stimmenvergabe abzuwerten.

(Beifall von Frank Sichau [SPD])

Lieber Kollege Lux, ich war doch schon etwas enttäuscht von Ihrem Vortrag.

(Ralf Jäger [SPD]: Das sind wir gewöhnt!)

Ich hatte erwartet, dass Sie uns erläutern würden, warum die CDU grundsätzlich für das Kumulieren und Panaschieren ist, aber gerade heute und bei dieser Volksinitiative zufällig oder auch nicht zufällig dagegen. Ich habe mir Mühe gegeben, Ihrer Argumentation zu folgen; das ist mir allerdings nicht völlig gelungen.

Das kommt davon, wenn man Wahlsysteme unter rein politisch-taktischen Aspekten betrachtet wie bei der Abkopplung der Rats- von der Bürgermeisterwahl, bei der Abschaffung der Stichwahl oder beim Kumulieren und Panaschieren. Wenn man allein die Machtsicherung im Kopf hat, manövriert man sich natürlich in solche Sackgassen.

(Beifall von der SPD)

Die Haltung der SPD – Sie haben das schon angesprochen – ist dagegen konsequent und demokratietheoretisch fundiert. Wir Sozialdemokraten verstehen lokale Politik als Teil der repräsentativen Demokratie und – ich sage das ganz offen – als Teil

der Parteiendemokratie. Wir bekennen uns zur Notwendigkeit und zu den Funktionen von Parteien, Programme und Kandidaten zur Wahl zu stellen.

Wir wissen alle: Gerade in diesen Tagen beschäftigen sich die Parteien damit, Kandidaten für die Kommunalwahl nach Kriterien wie Kompetenz, Bürgernähe, möglicher Positionen in Fraktionen, regionaler Repräsentanz und Geschlechterquotierung auszuwählen. Ich finde das auch gut so.

Was schlägt dagegen die Volksinitiative vor? Die Wähler sollen – ich zitiere –: „nicht mehr auf das Menüangebot einer Partei … angewiesen“ sein. Sie sollen „ihr eigenes Menü à la carte zusammenstellen“.

Das sieht folgendermaßen aus: Man lässt sich den quadratmetergroßen Stimmzettel zur Briefwahl nach Hause schicken und vergibt am Küchentisch beispielsweise in Köln 90 Stimmen an weitgehend unbekannte Kandidaten.

Im Gesetzentwurf heißt es dazu – ich zitiere noch einmal –: „Künftig ist ein intensiverer Kontakt zwischen den einzelnen Listenkandidaten und ihren Wählern erforderlich.“ – Das mag für kleine Gemeinden in Baden-Württemberg funktionieren. Wir haben uns an Rhein und Ruhr für ein anderes System entschieden. Wir teilen das Wahlgebiet in einzelne Wahlkreise ein, in denen Direktkandidaten antreten und für einen engen Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürger sorgen.

Völlig unverständlich ist für mich der Vorschlag im Gesetzentwurf, die möglicherweise höheren Kosten des Kumulierens und Panaschierens durch die Verringerung der Zahl der Ratsmitglieder zu kompensieren. Wo bleibt denn die notwendige Repräsentanz und Bürgernähe, wenn die Räte verkleinert werden?

Meine Damen und Herren, das bewährte, transparente und bürgernahe Verhältniswahlsystem soll nach dem Willen der Volksinitiative durch ein Wahlsystem ersetzt werden, das äußerst komplex ist, und das, wie das Beispiel Hessen zeigt, zu einer noch niedrigeren Wahlbeteiligung führt.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das stimmt doch gar nicht!)

Doch, das können Sie nachsehen. Die Wahlbeteiligung lag in Hessen um 10 Prozentpunkte niedriger als in NRW.

Es führt in Wirklichkeit bei der Wahl einer Person auch zur Wahl einer Partei, die man vielleicht gar nicht mit seiner Stimme unterstützen will. Es verändert die soziale Zusammensetzung der Räte zugunsten von Honoratioren. Es gewährleistet eine regionale Repräsentanz und eine Geschlechterquotierung nicht. Es schafft den Sonnenkönigen und den Bürgermeistern freie Hand.

(Beifall von der SPD)