Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie herzlich zu unserer heutigen Sondersitzung, der 101. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich acht Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.
Vertrauen zurückgewinnen – Finanzmärkte und Realwirtschaft stabilisieren – wirksame Kontrollen ermöglichen
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion der SPD haben mit Schreiben vom 14. Oktober 2008 gemäß Art. 38 Abs. 2 der Landesverfassung eine Sondersitzung des Plenums zu dem obigen Thema beantragt: Die Voraussetzungen für die Einberufung einer Sondersitzung lagen vor. Die Einladungsfrist war gemäß § 20 unserer Geschäftsordnung nicht zu wahren.
Die Fraktionen haben sich in Vorbereitung der heutigen Sitzung darauf verständigt, in Verbindung mit
Wir beginnen mit den Redebeiträgen. Ich gebe Herrn Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers das Wort. Bitte schön.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die weltweite Krise der Finanzmärkte ist historisch ohne Beispiel; sie ist komplexer und dramatischer als die Weltwirtschaftskrise von 1929; sie ist tiefgreifender als die Krisen der späten 90er-Jahre. Es geht weltweit um ein Finanzvolumen von 140 Billionen $. Die USA mussten ein Rettungspaket in Höhe von 700 Milliarden $ schnüren, die Briten eines von 550 Milliarden Pfund, in Deutschland müssen Risiken in Höhe von 480 Milliarden € abgedeckt werden.
Die Ursache der Krise ist klar: das Auseinandergehen von Real- und Finanzökonomie und das weltweite Fehlen verbindlicher Normen und Spielregeln zur Risikobewertung auf den globalen Finanzmärkten.
Diese Trennung von Finanz- und Realökonomie hat einerseits zu gigantischen Gewinnen geführt. Amerikanische Wirtschaftswissenschaftler haben darauf hingewiesen, dass eine Bank wie Goldman Sachs allein in einem Jahr 25 Milliarden $ Gewinn unter ihren 4.000 Beschäftigen verteilen konnte. Auch die Risiken waren gigantisch. Die BaFin schätzt den Schaden aus dem Konkurs von Lehman Brothers alleine für nichtamerikanische Gläubiger auf 300 Milliarden $.
Diese Finanzkrise ist eine Vertrauenskrise. Sie zerstört das Vertrauen in das Bankensystem, sie zerstört aber auch das Vertrauen in die Marktwirtschaft, wenn wir jetzt nicht schnell, entschlossen und effektiv gegensteuern. Das tut die Bundesregierung im Rahmen des internationalen Krisenmanagements. Sie haben die Beratungen der Finanzminister der G7-Staaten verfolgt, die sich auf Hilfsmaßnahmen für die Finanzmärkte geeinigt haben, und die Sonderkonferenz der Regierungschefs der Euroländer in Paris, die umfassende Garantien – jeweils durch jedes Mitgliedsland – beschlossen haben.
Am vergangenen Montag hat die Bundesregierung bereits den Entwurf zum Finanzmarktstabilisierungsgesetz vorgelegt. Dieses Gesetz soll noch in dieser Woche von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden.
Kern des Gesetzes ist die Einrichtung eines Finanzmarktstabilisierungsfonds, der den deutschen Finanzmarkt mit einer Gesamtsumme von bis zu 480 Milliarden € stärken und stabilisieren soll. Er umfasst staatliche Garantien für kurzfristige Kredite zwischen den Banken in Höhe von bis zu 400 Milliarden €.
Der Fonds sieht außerdem vor, dass der Staat Anteile an Unternehmen erwerben und darüber hinaus den Banken auch faule Kredite abkaufen darf. Dafür steht ein Betrag von bis zu 80 Milliarden € zur Verfügung.
Entscheidend ist zudem, dass die Banken zum Akzeptieren von Auflagen verpflichtet werden können, wenn sie den Fonds in Anspruch nehmen wollen. Das kann etwa bei der Frage, ob in einer solchen Situation Dividenden gezahlt werden können, oder im Hinblick auf die Höhe von Gehältern und Abfindungen, wie wir sie teilweise in den letzten Jahren erlebt haben, der Fall sein.
Der Gesetzentwurf sieht darüber hinaus vor, dass sich die Länder an diesem Fonds beteiligen, weil es sich um eine nationale Krise handelt.
Meine Damen und Herren, ich habe diesem Entwurf vom Grundsatz her zugestimmt, denn das Gesetz ist richtig. Wer jetzt nicht zustimmen will, kommt seiner Verantwortung für das Land nicht nach.
Dieses Gesetz schafft wieder grundlegendes Vertrauen. Es ist wichtig, dass es schnell kommt, damit diese vertrauensbildenden Maßnahmen ihre Wirkung so schnell wie möglich entfalten können. Ich glaube, dass die Wirkungen etwa beim DAX ein Beleg dafür sind, dass es richtig ist, jetzt schnell zu handeln.
Wenn sich die Länder an den Garantien des Bundes beteiligen, müssen sie mitentscheiden können. Über die genauen Modalitäten der Risikoabsicherung und über Form und Höhe der Beteiligung von Bund und Ländern wird zurzeit noch geredet. Finanzminister Linssen wird nach mir noch etwas Genaueres zum aktuellen Verhandlungsstand berichten.
Wir wollen erreichen, dass die Leistungen des Landes etwa bei der Absicherung der WestLB angerechnet werden, denn auch sie tragen erheblich zur Stabilisierung bei.
Diese Verhandlungen werden morgen weitergehen. Die Abstimmungen erfolgen Freitag im Bundestag und im Bundesrat. Die vorgesehenen Verordnungen werden danach erstellt. Finanzminister Linssen wird wie bisher die Fraktionen zeitnah informieren und notwendige Zustimmungen einholen.
Darüber hinaus gilt: Wir werden solche Risiken auf Dauer nur in den Griff bekommen, wenn wir das internationale Banken- und Finanzsystem grundlegend reformieren. Dies soll im November im Rahmen der internationalen Gemeinschaft beschlossen werden, wie die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister gesagt haben.
Sie wissen, dass ich auf diesen Punkt in den letzten Jahren immer wieder hingewiesen habe. Wir brauchen mehr Transparenz, weil viele dieser kritischen
Subprimegeschäfte außerhalb der Bilanzen getätigt wurden. Wir brauchen mehr Transparenz und mehr Kontrolle etwa bei den Ratingagenturen. Es kann nicht sein, dass die Aufsichtsbehörden weiterhin national arbeiten, während die Akteure an den Finanzmärkten längst global agieren.
Wir brauchen auch klare Verantwortlichkeiten! Meine Damen und Herren, wenn Bankvorstände die Geschäfte, die in ihren Häusern getätigt werden, nicht mehr verstehen, läuft etwas falsch. Ich finde: Dann muss man über andere, auch private Haftungen dieser Manager reden.
Viele Bürgerinnen und Bürger fragen in diesen Tagen: Wie kann es eigentlich sein, dass der Staat für die Rettung von Banken so viel Geld in die Hand nimmt? Warum soll der Steuerzahler jetzt die Zeche für die Fehler von hoch bezahlten Managern übernehmen? – Das versteht niemand; das ist auch nicht gerecht.
Aber es gibt, meine Damen und Herren, wohl keine Alternative mehr. Wenn wir nicht handeln, wird die Krise noch schlimmer. Das kostet unter Umständen Hunderttausende Arbeitsplätze. Dann kann unsere Volkswirtschaft erheblichen Schaden erleiden.
Wir in Nordrhein-Westfalen arbeiten daran, dass die negativen Auswirkungen der Krise auf unser Land so gering wie möglich ausfallen.
Deshalb bemühen wir uns um die Rettung unseres Sparkassensystems und der WestLB. Das tun wir in einem schwierigen finanzpolitischen Umfeld. Aber ich bin sicher: Wir werden eine Einigung mit den Sparkassenvorständen wie auch mit der EUKommission erreichen.
Wir müssen aber auch – dieser Punkt ist sehr wichtig – alles tun, um ein Abgleiten unserer Wirtschaft in eine tiefe Rezession zu verhindern oder zumindest zu vermindern. Sie wissen, dass ich dazu im Sommer schon Vorschläge vorgelegt habe. Es geht aber nicht um ein Konjunkturprogramm klassischer Art auf Pump, sondern es geht um die Verbesserung der Angebotsbedingungen für unsere Wirtschaft.
Meine Damen und Herren, wir werden die Krise in den Griff bekommen. Ein Kernproblem der Krise ist, dass sich ein Teil der wirtschaftlichen Eliten nicht nur ökonomisch, sondern auch mental von der Gesellschaft isoliert hat. Das gefährdet die Einheit unserer Gesellschaft.
Es gilt aber weiterhin mehr denn je das alte Leitbild von Ludwig Erhard: „Das Ziel ist Wohlstand für alle!“- und nicht: Weniger für alle.
Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Gesellschaft in Ausgebildete und nicht Ausgebildete, in Arme und Reiche oder gar Superreiche oder in Einheimische und Zugewanderte auseinanderfällt. Deshalb müssen wir die Krise gemeinsam bekämpfen. Dabei baue ich auf die Unterstützung aller Fraktionen dieses Hohen Hauses.
Frau Präsidentin, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie jetzt dem Finanzminister das Wort erteilen würden.