Jürgen Rüttgers
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Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte ist von zwei Fraktionen, von der CDU und der FDP, beantragt worden, weil es auch Aufgabe des Landtags ist, dazu beizutragen, dass in einem Wahlkampf, der in wenigen Wochen als heißer Wahlkampf auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, wo jetzt schon Positionen beschrieben werden, wo sich die Parteien rüsten und auf den Wahlkampf vorbereiten, das notwendige Maß an Klarheit herrscht, damit die Wählerinnen und Wähler in unserem Land die Fragen klar sehen und erkennen können, die am 9. Mai zur Abstimmung stehen.
Natürlich versucht jede Partei, ihre eigene Programmatik in einem solchen Wahlkampf darzustellen, von ihren Erfolgen zu reden, wie es die Koalitionsfraktionen tun werden, nachdem fünf Jahre lang hier erfolgreich regiert worden ist.
Natürlich werden sich die Koalitionsfraktionen, die Mitglieder von CDU und FDP, in diesem Wahlkampf von dem Versuch der SPD und der Grünen distanzieren, eine Fälschung von Tatsachen vorzulegen. Wir haben es in diesem Landtag häufig erlebt, dass die Oppositionsvorsitzende hier angetreten ist und versucht hat, mit falschen Zahlen Stimmung zu machen, statt die Wirklichkeit darzustellen.
Nordrhein-Westfalen geht es heute besser als vor fünf Jahren, als Rot-Grün die Mehrheit abgeben musste.
Insofern kann man Verständnis dafür haben, dass Frau Kraft gerade an das Rednerpult getreten ist, um zu sagen, es ist klar, wir wollen das, es ist klar, wir wollen das, und damit ein Stück von ihrem Wahlprogramm vorgetragen hat. Natürlich, das ist ihr gutes Recht. Das ist okay. Das werden wir in einer Vielzahl von Veranstaltungen auch tun.
Aber bei dieser Debatte – so hat die SPD die Debatte angelegt – ging es um etwas anderes. Hier ging es erstens um die Frage, ob die Linkpartei eine extremistische Partei ist. Ich möchte einmal darauf hinweisen, Herr Moron: Dann kann man sich nicht hier hinstellen und aus dem Verfassungsschutzbericht vortragen: Es ändern sich auch irgendwann einmal die Zeiten. – Jawohl, es ändern sich die Zeiten – irgendwann einmal.
Aber heute sagt der Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen, dass die Linkspartei eine extremistische Partei ist und damit nichts in der Regierung oder in der Tolerierung oder wo auch immer zu suchen hat.
Und dann hilft es auch nicht, wenn vonseiten der SPD oder vom Kollegen Becker von den Grünen der Versuch unternommen wird, eine unzweifelhaft demokratische Partei, die für die Bundesrepublik Deutschland in 60 Jahren vieles geleistet hat, nämlich die Freie Demokratische Partei, als extremistisch darzustellen. Das ist unverschämt, das ist intolerabel!
Wer so etwas tut, der verspielt jedes Recht, in diesem Land Regierungsverantwortung zu übernehmen,
weil er den Bogen der Demokraten wegen eines wahltaktischen Vorteils mutwillig zerstört, meine Damen und Herren.
Dann gibt es noch einen weiteren Punkt, der in dieser Debatte wichtig ist, nämlich die Klarheit, ob vor der Wahl deutlich wird, wer mit wem gemeinsam zusammenarbeiten will.
Wer Frau Kraft zugehört hat, der hat genau gehört, dass Sie dasselbe gesagt hat, was sie seit Wochen sagt: Die Linkspartei ist derzeit nicht regierungsfähig. – Genau um dieses Wort geht es. Sie sind eine Derzeit-Politikerin, Frau Kraft, und Sie haben nicht die Statur, Ministerpräsidentin in diesem Land zu werden, wenn Sie da Unklarheit schaffen.
Insofern bedanke ich mich noch einmal bei den beiden Koalitionsfraktionen.
Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass diese Debatte heute notwendig war, dann war es der Auftritt von Frau Kraft. Sie schließt eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei nach wie vor nicht aus und darf darum in diesem Land keine Mehrheit bekommen.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße es, dass wir heute diese Debatte führen.
Lassen Sie mich dazu einige Bemerkungen machen.
Erstens. Dass wir heute diskutieren, ist kritischen Medien zu verdanken.
Es ist richtig, wenn Journalisten öffentlich machen, was nicht in Ordnung ist. Und die Angebote der CDU Nordrhein-Westfalen an Sponsoren waren nicht in Ordnung. Sie haben politischen Schaden angerichtet, weil dadurch der falsche Eindruck der Käuflichkeit entstanden ist.
Ja, wir sind damit unseren eigenen Maßstäben nicht gerecht geworden.
Der frühere Generalsekretär der CDU NordrheinWestfalen, Hendrik Wüst, hat mit seinem Rücktritt die Verantwortung dafür übernommen.
Dafür verdient er Respekt.
Zweitens. Was von der Opposition daraus gemacht worden ist, war unwürdig. Sie haben mit Unwahrheiten und Unterstellungen gearbeitet.
Sie haben von Käuflichkeit und sogar von Prostitution geredet. Das war unsäglich.
Ich habe sofort und von Anfang an klargestellt: Mir waren diese Offerten nicht bekannt.
Es hat keine derartigen Gespräche gegeben. Das wird auch in Zukunft so sein.
Die im Antrag gestellte Frage nach Offenlegung aller Sponsoren erübrigt sich dadurch. Es hat keine Praxis gegeben, dass solche Gespräche stattgefunden hätten.
Diese Praxis hat es nicht gegeben. Herr Morlok hat von Spenden gesprochen und nicht von Sponsoren. Das hat Frau Löhrmann gerade vorgelesen.
Das zeigt, dass es bei dieser Debatte in Wahrheit nicht um Transparenz geht, sondern um einen Schmutzwahlkampf. Das schadet allen Parteien.
Ich will jetzt nicht eine Vielzahl von Fällen von anderen Parteien vortragen. Wahr ist: Zum Beispiel auch beim Landesparteitag der SPD im vergangenen Jahr hat es Besuche von Herrn Steinmeier, Herrn Müntefering und anderen Spitzenpolitikern an den Ständen gegeben.
Diese Besuche sind auch angeboten worden.
Sie haben auch stattgefunden.
Gerade ist eine Tickermeldung mit der Überschrift „Der Ruch der grünen Käuflichkeit“ herausgekommen, die sich auf das Saarland bezieht. Ich finde das nicht in Ordnung. Dort ist eine Spende geleistet worden. Deshalb zu behaupten, die Partei der Grünen sei käuflich, finde ich genauso wenig erträglich wie das das, was hier insinuiert wird.
Ich finde allerdings: Niemand darf so tun, als sei er über alle Zweifel erhaben.
Alle Parteien brauchen Sponsoren. Sie haben auch Sponsoren gehabt, die bei Parteitagen Stände aufbauen und auch dafür bezahlen.
Der Generalsekretär der CDU Nordrhein-Westfalen, Andreas Krautscheid, hat angekündigt, dass die Offenlegung aller Sponsorenleistungen bei der CDU künftig vertraglich festgelegt wird.
Die Landesregierung hat in dieser Legislaturperiode bereits viel getan, um Sponsoring so transparent wie möglich zu machen.
Wir haben den betreffenden Runderlass des Innenministeriums vom April 2005 wiederholt ergänzt und verschärft.
Jegliche Vorgaben durch Sponsoren für die Erledigung öffentlicher Aufgaben sind danach eindeutig ausgeschlossen.
Wir haben die Transparenzregeln für Sponsoring drastisch verschärft. Danach müssen Sponsoringverträge grundsätzlich schriftlich abgefasst werden. Sämtliche Sponsoren müssen einer Veröffentlichung von Sponsorenleistungen zustimmen. Außerdem werden Sponsoren und ihre Leistungen ab einer Zuwendung von 1.000 € im Internet für jeden zugänglich veröffentlicht.
Darüber hinaus hat die Staatskanzlei seit 2008 einen eigenen Leitfaden für Sponsoringmaßnahmen eingeführt.
Darin wird genau festgelegt, wer überhaupt Sponsoring betreiben darf und wer nicht und in welchem Umfang Leistungen, wie zum Beispiel Werbemöglichkeiten, eingeräumt werden.
Auch dieser Leitfaden ist im Intranet der Staatskanzlei transparent und für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einsehbar.
Die Landesregierung hat im Dezember 2009 auch ein Transparenzgesetz für öffentliche Unternehmen verabschiedet – NRW als eines der ersten Länder –, das Transparenz über die Vergütung der Geschäftsführungen bei öffentlichen Unternehmen herstellt. Alle öffentlichen Unternehmen im Land müssen ihre Vorstandsvergütungen personenbezogen offenlegen.
Das gilt auch für privatrechtliche Unternehmungen mit öffentlicher Beteiligung. Auch das beweist, wie ernst die Landesregierung das Gebot der Transparenz von Vergütungen und Zuwendungen bei öffentlichen Institutionen nimmt.
Es ist gut, dass die Bundeskanzlerin das Parteiengesetz auf den Prüfstand stellt. Es kann nach meiner Auffassung nicht darum gehen, Sponsoring zu verbieten. Das kann niemand wollen. Wir brauchen aber klare Transparenzregeln. Spenden müssen ab einer Höhe von 10.000 € offengelegt werden. Wir müssen prüfen, ob diese Regelungen nicht auch auf Sponsorengelder übertragen werden sollen. Das wäre nach meiner Auffassung ein Beitrag für mehr Klarheit und Transparenz.
Wir müssen darüber reden, ob auch ein allgemeines Transparenzgesetz für Sponsoring notwendig ist.
Was für Sponsoring gilt, werte Kolleginnen und Kollegen, das gilt übrigens auch für Nebeneinkünfte von Abgeordneten. Sie verbieten zu wollen, ist weltfremd, und es ist schädlich.
Ein Verbot von Nebeneinkünften ist mit dem freien Mandat nicht vereinbar. Es erzeugt genau das, was wir alle nicht wollen: den Politiker, der völlig abhängig ist von seiner Partei und seiner Fraktion. Das Abgeordnetengesetz, das wir in NordrheinWestfalen haben, ist vorbildlich. Es regelt die Pflichten zur Veröffentlichung aller Einnahmen klar und eindeutig.
Werte Kolleginnen und Kollegen, es ist Schaden entstanden. Jawohl, das ist wahr. Aber lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten,
dass die Debatte unserem Land nicht schadet, sondern nutzt.
Tun wir alles dafür, dass die politischen Institutionen in unserem Land so transparent sind, wie das die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land zu Recht erwarten können!
Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, guten Morgen! Im Mai 2008 habe ich die Zukunftskommission Nordrhein-Westfalen ins Leben gerufen. Unter dem Vorsitz von Lord Dahrendorf haben 22 hochrangige Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik ein Jahr lang über die Zukunft NordrheinWestfalens nachgedacht. Man hat darüber nachgedacht, wie wir leben werden, vor allem aber darüber, wie wir leben wollen – nicht in einer fernen Zukunft, sondern in zehn, 20 Jahren.
Nordrhein-Westfalen im Jahr 2025 – das war der Horizont dieser Zukunftskommission. Und Nordrhein-Westfalen 2025 ist unser Konzept. Ich sage bewusst unser Konzept, meine Damen und Herren; denn es geht um alle Menschen in diesem Land.
Ich will eine breite öffentliche Debatte um unsere Zukunft in Nordrhein-Westfalen, eine Debatte, an
der sich alle beteiligen können und sollen, weil es alle angeht.
Diese Debatte mit den Berichten der Zukunftskommission anzustoßen, ist – das darf man, glaube ich, so feststellen – gelungen. Wir haben die Abschlussberichte im April 2009 der Öffentlichkeit vorgestellt. In fünf großen Foren zu den Themen Innovation, Integration, Energie, Kultur und Weiterbildung sowie zum Abschlussbericht haben die zuständigen Kabinettsmitglieder öffentlich mit Experten diskutiert.
Mit zwei Wettbewerben haben wir eine breite Öffentlichkeit vor allem junger Menschen in die Debatte einbezogen, nämlich mit dem Wettbewerb für Studierende „Vision 2025“ unter der Leitfrage „Wie gewinnen wir kreative Köpfe für das Land?“ und dem Jugendwettbewerb „Vision 2025 – wie sieht Deine Zukunft aus?“. Denn wir wollen vor allem von den jungen Menschen wissen, was ihnen am Herzen liegt,
wie sie ihre Zukunft gestalten wollen. Aus diesem Grund gab es auch ein breites Diskussionsangebot im Internet. Deshalb haben wir auch im März 2009 einen großen, international besetzten Kongress auf dem Petersberg und ein besonderes Forum für junge Menschen aus allen Teilen NordrheinWestfalens veranstaltet. Wir wollen dies in diesem Jahr mit der Petersberger Convention unter dem Titel „Zukunft 2.0 – Jenseits der Krise“ und einer weiteren Campusveranstaltung für junge Menschen fortsetzen; denn es ist wichtig, diese Diskussion immer wieder neu und engagiert zu führen. Nur dann kann Politik langfristig orientiert und nachhaltig sein.
Und nur dann kann sie eine erfolgreiche Politik für die Menschen in unserem Land sein.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen, heute will ich Ihnen berichten, welche Schlussfolgerungen die Landesregierung aus den Empfehlungen der Zukunftskommission zieht. Ich verbinde das mit einem herzlichen Dank für die großartige Arbeit, die die Kommissionsmitglieder ein Jahr lang für uns in Nordrhein-Westfalen geleistet haben.
Als wir den Abschlussbericht der Zukunftskommission im April 2009 vorgestellt haben, lebte Lord Ralf Dahrendorf noch. Am 17. Juni ist er gestorben. Als ich das erfahren habe, war ich erschüttert; denn mit ihm haben wir einen der wichtigen politischen Denker verloren. Es war ein Geschenk, ihn erleben zu dürfen.
Wir haben einen einzigartigen Menschen verloren, einen Menschen, der wie wenige andere die Frei
heit des Geistes verkörpert hat, einen großen Europäer und Vermittler zwischen den Kulturen. Er war ein Mensch voller Weisheit, Menschlichkeit und Humor. Ich war beeindruckt davon, wie sehr er in seinem Denken und Handeln stets Freiheit mit Gerechtigkeit, Selbstbestimmung und Solidarität verbunden hat. Innovation und Solidarität gehören zusammen – das war die Kernbotschaft Lord Dahrendorfs in seinem Abschlussbericht.
Eine Gesellschaft, die nur auf wissenschaftliche und wirtschaftliche Innovation setzt, droht auseinanderzufallen. Eine Gesellschaft, die sich mit der Erhaltung des Status quo begnügt und allenfalls Fragen der Verteilung stellt, droht zu erstarren.
Nur wenn Innovation und Solidarität zusammenkommen, hat eine Gesellschaft freier Bürger Zukunft. Beides zu verbinden war immer das Markenzeichen von Nordrhein-Westfalen, von Karl Arnold über Johannes Rau bis heute. Ich will, dass das auch in Zukunft so bleibt.
Als die Kommission vor gut eineinhalb Jahren mit der Arbeit begann, hat noch kaum jemand die globale Wirtschafts- und Finanzkrise vorhergesehen, die ein halbes Jahr später ausbrechen sollte. Seitdem erleben wir eine Wirtschaftskrise, die das Vertrauen in die Marktwirtschaft zu zerstören droht. Der Kerngedanke der Zukunftskommission, Innovation mit Solidarität zu verbinden, hat, so meine ich, durch die Krise noch einmal an politischer Bedeutung gewonnen.
Meine Damen und Herren, die Berichte der Zukunftskommission liefern eine exzellente Bestandsaufnahme der Lage unseres Landes. Wer wissen will, wie es um unser Land heute steht, muss diese Berichte lesen. Sie zeigen die Stärken unseres Landes und seine großartigen Entwicklungschancen, aber auch die Schwächen, an denen wir arbeiten müssen.
Politik beginnt mit der Wahrnehmung von Wirklichkeit. Die Zukunftskommission hat uns eine Agenda für dieses Land mit vier großen Schwerpunkten gegeben: Bildung, Arbeit, Wirtschaft und Gesellschaft.
Niemanden zurückzulassen, gerade die nicht, die keinen Erfolg auf dem normalen Bildungsweg haben, das ist die Kernaufgabe der Bildungspolitik.
Die notwendige Flexibilität mit Sicherheit zu verbinden, ist die Aufgabe für den Schwerpunkt Arbeit.
Wie Innovationen vorangebracht werden können, steht im Mittelpunkt des Konzepts für die Wirtschaft.
Die Einheit der Gesellschaft zu bewahren und dabei vor allem die Integration der Menschen mit einer Zuwanderungsgeschichte voranzutreiben, muss Schwerpunkt der Gesellschaftspolitik sein.
Lord Dahrendorf hat die Befähigung aller Bürger zur Kernaufgabe moderner Bildungspolitik gemacht. Sie ist für ihn – ich zitiere – „der Schlüssel zum Leben in einer freien und offenen Gesellschaft“.
Mit dieser Idee hat Lord Dahrendorf einen mutigen Vorschlag gemacht. Er will den klassischen Bildungsbegriff weiterentwickeln. Die alte Trennung zwischen sogenannter Bildung und praktisch orientierter Ausbildung muss überwunden werden. Stattdessen muss die Befähigung in den Mittelpunkt rücken. Jeder soll befähigt sein, etwas aus sich zu machen, und damit auch die Chance haben, sozial aufzusteigen. Wir brauchen dafür einen neuen, einen umfassenden Begriff von Bildung.
Die Fähigkeit zu abstraktem und analytischem Denken ist genauso wichtig wie die Fähigkeit zu emotionalen Zuwendungen. Künstlerische Talente zu entfalten, ist genauso bedeutsam wie die Fähigkeit, soziale und professionelle Netzwerke aufzubauen und zu erhalten. Das Ideal der Befähigung des Menschen, sich selbst umfassend zu bilden, also das Humboldt’sche Bildungsideal, ist nicht veraltet. Im Gegenteil, es war nie so aktuell wie heute.
Aber das ist heute, im Zeitalter der globalisierten Wissensgesellschaft, keinesfalls einfacher, sondern schwieriger geworden. Das Internet bietet uns heute eine schier unübersehbare Menge an Informationen. Nie war es einfacher, sich Wissen anzueignen – so scheint es.
Aber es gibt keinen Automatismus, dass mehr Information auch zu mehr Bildung führt. Viele Menschen stehen ratlos vor der steigenden Wissens- und Informationsflut der Medien. Es droht die Spaltung der Gesellschaft in diejenigen, die mit dem neuen Wissen umgehen können, und in diejenigen, die damit überfordert sind. Es muss uns gelingen, alle Kinder und Jugendlichen für die Wissensgesellschaft zu befähigen. Deshalb müssen wir, wie Lord Dahrendorf sagt, vor allem denjenigen besondere Aufmerksamkeit widmen, die auf dem normalen Bildungsweg nicht erfolgreich sind. Denn niemand, meine Damen und Herren, niemand darf zurückbleiben.
Bildung umfassend zu denken, heißt auch, Bildung nicht zu ökonomisieren. Ökonomischer Nutzen ist wichtig. Heutzutage gibt es eine ganze Reihe sogenannter Bildungsexperten, die Bildungsziele einzig und allein der Verwertungslogik des Marktes
unterordnen. Ihr Bildungskonzept zielt ausschließlich auf Praxisnähe und Beschäftigungsfähigkeit ab. Das greift zu kurz. Das führt zu kultureller Armut, zu einem zu kurzfristigen Denken. Genau das will Lord Dahrendorf verhindern. Ich teile seine Auffassung. Bildung hat ihren eigenen Wert. Sie trägt ihren Lohn in sich und muss für alle zugänglich und erreichbar sein.
Lord Dahrendorf und die Kommission plädieren für eine verstärkte frühkindliche Bildung, für neue Chancen für Schulabbrecher, für die Modernisierung des dualen Systems und für Weiterbildung. Die Landesregierung teilt diese Auffassung. Jedes Kind hat ein Recht auf Bildung und Entfaltung. Mit dem Ende dieser Legislaturperiode werden wir deshalb rund 2,7 Milliarden € mehr für Kinder, Jugend und Bildung ausgegeben haben als die Vorgängerregierung.
Meine Damen und Herren, es geht aber nicht nur um Quantität, sondern es geht vor allen Dingen um Qualität – darum, dass Kinder so viel Zuwendung wie möglich erfahren, darum, dass ihre Talente so früh wie möglich entdeckt und gefördert werden, und auch darum, dass sie vor Armut, Missbrauch und Verwahrlosung geschützt werden. Nur wenn einer Gesellschaft das gelingt, hat sie Zukunft.
Mit unserem neuen Kinderbildungsgesetz haben wir die frühkindliche Bildung deutlich verbessert.
Vor allem die vorschulische Sprachförderung ist ein großer Erfolg, und wir werden sie weiter ausbauen.
Wir haben die Anzahl der Betreuungsplätze für unter Dreijährige seit Mai 2005 verachtfacht. Bis 2013 werden wir sie auf 144.000 Plätze ausbauen.
Wir arbeiten mit den Familienzentren daran, dass die Betreuung von Kindern und Eltern noch besser wird. Am 1. August 2010 werden wir 2.818 Familienzentren eingerichtet haben. Bis 2012 sollen es mindestens 3.000 sein.
Besonders am Herzen liegt mir der Schutz von Kindern. Wir kämpfen entschlossen gegen Kinderarmut. Deswegen setzen wir uns für die Ausweitung der Hartz IV-Regelsätze für Kinder ein.
Wir haben den Landesfonds „Kein Kind ohne Mahlzeit“ eingerichtet. Er kommt in diesem Schuljahr schon mehr als 80.000 Kindern zugute.
Wir haben die sozialen Frühwarnsysteme flächendeckend ausgebaut, um Kinder besser vor Verwahrlosung zu schützen. Auch in Zukunft werden wir daran arbeiten, dass jedes Kind in unserem Land eine Zukunft hat. Denn jedes Kind in Armut oder Verwahrlosung ist eines zu viel.
Der Satz „Kein Kind darf zurückbleiben“ gilt auch für Jugendliche. 7 % Schulabbrecher sind 7 % zu viel. Auch dagegen gehen wir mit dem Ausbau des Ganztagsunterrichts vor. Wir liegen schon im Schuljahr 2009/2010 bei insgesamt rund 550.000 Plätzen. Im nächsten Schuljahr kommen noch einmal mehr als 56.000 Plätze hinzu. Bis 2015 sollen mindestens 43 % aller Kinder einen Ganztagsplatz nutzen können. Bis 2025 soll das Angebot noch weiter ausgebaut werden.
Wir wollen, dass in Zukunft die Klassen kleiner werden.
So stärken wir die individuelle Förderung, die der Schlüssel zum schulischen Erfolg ist. Wir wollen maximale Klassengrößen von 25 Schülern in Grund- und Hauptschulen sowie 28 Schülern in Realschulen, Gesamtschulen und Gymnasien erreichen. Das ist zu schaffen, wenn wir den demografischen Wandel nutzen.
Wir sind optimistisch, dass wir dieses Ziel bei den Eingangsklassen der Grund- und Hauptschulen bis 2015 erreichen können. Denn gerade in den Grund- und Hauptschulen sind kleine Klassen besonders wichtig.
Wir wollen den Schulerfolg aller Kinder und Jugendlichen in unserem Land. Dafür haben wir – seit Mai 2005 gerechnet – mit dem Haushalt 2010 8.124 zusätzliche Lehrerstellen geschaffen. Das hat den Unterrichtsausfall halbiert. Außerdem reformieren wir die Lehrerausbildung und stärken wir die Hauptschulen mit einer Qualitätsoffensive.
Diese Investitionen und Reformen haben schon erste Früchte getragen: 2009 haben wir den niedrigsten Stand an Sitzenbleibern seit Beginn der Erhebung erzielt.
Auch beim Abitur haben wir das beste Ergebnis seit Beginn der Aufzeichnungen erreicht. Darauf können wir stolz sein, meine Damen und Herren.
Noch etwas hat uns die Zukunftskommission eindringlich mit auf den Weg gegeben: Wir müssen die Leistungen unserer Lehrerinnen und Lehrer stärker fördern und vor allen Dingen auch anerkennen.
Kaum ein Beruf ist so wichtig für unsere Zukunft, und er muss die öffentliche Anerkennung bekommen, die er verdient. Ich möchte, dass jede Lehrerin und jeder Lehrer in diesem Land sagen kann: Ich bin stolz, in Nordrhein-Westfalen die Verantwortung für die Bildung unserer Kinder zu tragen.
Ich will, dass er oder sie dafür auch die entsprechende Anerkennung bekommt. Ich meine, das muss unser aller Ziel sein.
Meine Damen und Herren, Lord Dahrendorf und die Kommission haben uns auch die Modernisierung der dualen Ausbildung und die Stärkung der Weiterbildung empfohlen. So sollen Flexibilität und Sicherheit in Zukunft auf den Arbeitsmärkten möglich sein. Wir wollen den Menschen Mut machen und ihnen Chancen geben, sich den Veränderungen auf den Arbeitsmärkten zu stellen. Mut haben Menschen aber nur, wenn sie wissen, dass es gerecht zugeht, dass jeder eine Chance hat.
Lord Dahrendorf hat für die Herausforderungen der Zukunft eine, wie ich finde, einprägsame Formel gefunden: Es geht um Beschäftigungssicherheit für alle, statt um Bestandssicherheit für wenige, wie er formuliert hat.
Um zumindest Beschäftigungssicherheit für die meisten zu erreichen, müssen wir bei den jungen Menschen beginnen. Mit unseren Partnern im Ausbildungskonsens Nordrhein-Westfalen haben wir 2007 ein umfassendes Konzept zur Berufsorientierung geschaffen. Mit dem 3. Weg in der Berufsausbildung und dem Werkstattjahr geben wir allen Jugendlichen eine berufliche Perspektive. Seit zehn Jahren hatten wir keinen so niedrigen Stand an Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz mehr. Das ist ein großer Erfolg.
Der Erfolg war möglich, weil Arbeitgeber, Handwerker, freie Berufe und Gewerkschaften sowie Politik an einem Strang ziehen. Das wird auch in Zukunft so sein. Kein Jugendlicher darf zurückbleiben!
In der kommenden Legislaturperiode werden wir dafür die gezielte individuelle berufliche Förderung aller Jugendlichen ab der 8. Klasse weiter vorantreiben. Wir haben mit „ILJA“ ein Projekt zur Integration lernbehinderter Jugendlicher in Ausbildung
entwickelt, damit auch junge Menschen mit Behinderungen besonders gefördert werden.
Wir wollen damit alle lernbehinderten Jugendlichen ab der Klasse 8 jeweils individuell fördern.
Meine Damen und Herren, Beschäftigungssicherheit für die meisten heißt aber auch, dafür zu kämpfen, dass junge Menschen nach der Ausbildung eine echte berufliche Perspektive haben. Deshalb haben wir mit unserem Projekt „Jugend in Arbeit plus“ seit 2006 rund 20.000 schwer vermittelbaren arbeitslosen Jugendlichen eine Chance gegeben. Rund 9.000 Jugendliche haben dadurch bisher eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bekommen.
Wir werden dieses Programm, das die Vorgängerregierung abschaffen wollte, im Sinne der Zukunftskommission fortführen.
Wir werden aber auch über den Ausbau von Berufsschulen und Berufskollegs zu regionalen Kompetenzzentren weiter nachdenken. Auch das hat die Zukunftskommission in ihrem Bericht ausdrücklich gefordert. Denn sie sieht ein Problem in der oft nur losen Kooperation zwischen Betrieben und Berufsschulen.
In diesen regionalen Kompetenzzentren sollen alle Bildungsbereiche von der Ausbildungsvorbereitung über die Erstausbildung bis hin zur Weiterbildung vertreten sein. Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Vertreter der Berufsschulen und der Arbeitsverwaltung sollen diese regionalen Kompetenzzentren gemeinsam betreiben. Ich appelliere an alle Verantwortlichen, diesen innovativen Weg mit uns gemeinsam einzuschlagen.
Ganz wichtig ist mir, dass wir auch den Alleinerziehenden bessere Berufsperspektiven ermöglichen. Sie leben mit einem besonderen Armutsrisiko. Viele Single-Mütter oder Single-Väter haben es schwer, Beruf und Familie zu verbinden. Viele haben Teilzeitjobs. Ein Unterhaltsvorschuss wird nur sechs Jahre und nur für bis zu 14 Jahre alte Kinder bezahlt.
Wir müssen die Alleinerziehenden langfristig stärken mit mehr Plätzen für unter Dreijährige, mit mehr Ganztagsplätzen in den Schulen. Wir werden sie gezielt in der Teilzeitausbildung und beim Wiedereinstieg ins Berufsleben unterstützen, gemeinsam mit den Unternehmen, den Berufsschulen und den Weiterbildungsträgern. Wir setzen uns auch für eine Verlängerung des Unterhaltsvorschusses bis zum 18. Lebensjahr analog zur Kindergeldregelung ein.
Meine Damen und Herren, wer sich für Kinder entscheidet, darf dadurch nicht zur Armut verurteilt werden. Wir brauchen mehr Unterstützung für diese Alleinerziehenden durch die ganze Gesellschaft. Hier sind vor allem die Erfahrung und die Einsatzbereitschaft der Älteren gefragt.
Schon heute gibt es ein sehr erfolgreiches Programm, das das Wissen der Älteren in den Schulen zum Nutzen aller einsetzt. Warum sollten wir das nicht auch in den Kindertagesstätten machen? Warum sollte es nicht ein besonderes Programm für Patenschaften geben, mit dem gerade Alleinerziehenden geholfen werden kann? Wir werden mit entsprechenden Programmen für solche Seniorenpatenschaften werben.
Meine Damen und Herren, wir dürfen uns auch nicht damit abfinden, dass ältere Menschen auf Dauer ohne eine Chance auf Arbeit bleiben. Mit unserem Kombilohnmodell haben wir mehr als 12.000 Langzeitarbeitslosen wieder eine Perspektive gegeben. Diese Strategie war so erfolgreich, dass der Bund sie inzwischen übernommen hat. Wir werden diese Strategie auch in den nächsten Jahren weiter verfolgen. Unser Ziel ist es, Menschen nicht nur in Arbeit zu bringen, sondern auch in Arbeit zu halten, insbesondere die Älteren.
Unser Programm der Bildungsschecks für lebenslanges Lernen ist ein ganz großer Erfolg. Über 250.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben sich schon daran erfolgreich beteiligt, und wir wollen, dass es noch mehr werden. Auch hier sind die Sozialpartner gefragt.
Ich appelliere an die Gewerkschaften und die Arbeitgeber, die Vorschläge der Zukunftskommission aufzugreifen und zum Beispiel die Einrichtung von Lebensarbeitszeitkonten zu fördern, damit lebenslanges Lernen möglich wird.
Wir arbeiten außerdem mit Nachdruck daran, die Hochschulen stärker als bisher für beruflich Qualifizierte zu öffnen. Wir haben eine Neuregelung des Hochschulzugangs für Handwerksmeister und für beruflich Qualifizierte auf den Weg gebracht. Ab dem kommenden Wintersemester werden Handwerksmeister die Möglichkeit haben, an Universitäten und Fachhochschulen zu studieren. Und auch diejenigen, die eine Berufsausbildung und Berufserfahrung haben, werden unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit des Hochschulzugangs bekommen. Damit schaffen wir neue Chancen für sozialen Aufstieg.
Neue Chancen für Menschen bekommen wir auch dadurch, dass wir die Übergänge zwischen beruflichen und anderen Lebensphasen erleichtern – sei es Erziehungszeit, sei es Rente. Wir müssen dafür sorgen, dass die Übergänge vom Erwerbsleben in den Ruhestand flexibler werden. Es muss eine bessere Möglichkeit für eine Teilrente geben, und
die Möglichkeit, leichter als bisher im Alter etwas zur Rente hinzuverdienen zu können, ist auch wichtig.
Wichtig ist ebenfalls, jetzt die Hinzuverdienstgrenzen für Hartz-IV-Empfänger zu verbessern. Damit wird für sie der Anreiz erhöht, sich eine Beschäftigung zu suchen, die zur Finanzierung des Lebensunterhalts reicht. Kleine Hinzuverdienste müssen unattraktiver, größere dagegen attraktiver gemacht werden.
Das schlägt übrigens auch der Sachverständigenrat vor. Auch das ist ein Beitrag zu einer Gesellschaft, die dem Leitbild der Beschäftigungssicherheit folgt.
Meine Damen und Herren, die eigenen Stärken stärken und damit Innovationen ermöglichen – das ist die wirtschaftspolitische Kernbotschaft der Zukunftskommission. Wir sind Industrieland, und wir wollen es bleiben.
Hier liegen unsere Kernkompetenzen, hier können und müssen wir innovativ sein, weil wir damit Wachstum und Arbeitsplätze schaffen. Innovationen entstehen in starken Hochschulen. Deshalb haben wir unsere Hochschulen von bürokratischen Fesseln befreit und ihnen finanzielle Planungssicherheit gegeben. Wir werden außerdem bis 2020 rund 8 Milliarden € zusätzlich in die Modernisierung unserer Hochschulen investieren.
Innovationen entstehen meistens durch Vernetzung. Entscheidend ist eine enge Kooperation von Unternehmen mit Wissenschaft und mit Verbänden. Deswegen haben wir unsere Cluster-Strategie entwickelt, die weiter ausgebaut werden soll, zum Beispiel in der Logistik, in der Energiewirtschaft, in der Chemie, im Bereich der Materialwirtschaft, aber auch bei der Telekommunikation und Kreativwirtschaft.
Innovationen werden durch Investitionen in Zukunftsbranchen möglich. Wir haben deshalb seit 2005 gemeinsam mit der Wirtschaft 24 Spitzenforschungsinstitute, Hightechlabore und Denkfabriken neu eingerichtet oder erweitert. Alleine in die Zukunftsfelder Biotechnologie, Nano- und Mikrotechnik, innovative Werkstoffe und Energie- und Umweltforschung fließen bis 2013 für Spitzenforschungsprojekte Landesmittel von jeweils 100 Millionen €. Hinzu kommen weitere Mittel über die Ziel2-Förderung. Seit 2007 wurden ca. 200 Projekte mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von 2,6 Milliarden € gefördert.
Meine Damen und Herren, Innovationen brauchen Spitzenkräfte. Wir haben in Nordrhein-Westfalen die meisten Studierenden. Noch nie hatten wir so viele Hochschulabsolventen wie jetzt. Die Akademiker
quote ist seit 2007 um ein Viertel auf 27 % gestiegen. Damit liegen wir über dem Bundesdurchschnitt. Aber die Zukunftskommission hat uns gemahnt, die Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte zu stoppen. Wir dürfen nicht Bildungsexportland werden. Das ist in der Wissensgesellschaft eine Schicksalsfrage.
Entscheidend ist die bessere Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft, von Befähigung, Bildung und Ausbildung. Das neue Hochschulnetzwerk InnovationsAllianz von 24 nordrhein-westfälischen Hochschulen setzt als zentraler Ansprechpartner für die Wirtschaft bereits wichtige Akzente. Wir werden helfen, Hochschulen und Wirtschaft noch enger zu vernetzen, indem wir die Informationskanäle zwischen Wirtschaft und Wissenschaft unterstützen und stärken: durch ein Patentportal im Internet und durch Patentscouts, die helfen, dass neue Ideen der Wissenschaft auch in neue Produkte umgesetzt werden.
Dafür stellt das Land insgesamt 1,5 Millionen € bereit. Außerdem bauen wir mit Wettbewerben Forschungskooperationen von Fachhochschulen und Wirtschaftsunternehmen mit 28 Millionen € bis 2013 aus.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße es sehr, dass Bund und Länder ihre Anstrengungen für mehr Bildung und Forschung noch einmal verstärken. Mit dem neuen Koalitionsvertrag kann NordrheinWestfalen mit rund 1,1 Milliarden € an zusätzlichen Bundesmitteln rechnen. Es ist auch ein großer Erfolg, dass unser nordrhein-westfälisches Stipendienmodell jetzt auf ganz Deutschland übertragen wird.
Aber wahr ist auch: Der Staat kann nicht alles machen. Innovationen brauchen auch eine starke Forschung bei den Unternehmen. Das ist bei uns in Nordrhein-Westfalen noch zu wenig der Fall. Die Landesregierung tut, was sie kann, um die Forschung in den Unternehmen zu stärken. Wir haben uns erfolgreich dafür eingesetzt, dass die Bundesregierung jetzt steuerliche Entlastungen zur Forschungsförderung umsetzen will.
Aber wir unterstützen die Unternehmen auch direkt, und zwar gerade und besonders den Mittelstand. Wir werden das Förderpaket für den forschenden Mittelstand mit Innovationsdarlehen, Innovationsgutscheinen und Innovationsassistenten ausbauen. Das Paket hat allein bis 2012 ein Gesamtvolumen rund 32 Millionen €.
Die Landesregierung tut alles finanziell Leistbare, um den Standort Nordrhein-Westfalen zukunftssicher zu machen. Wir haben seit 2005 die Förderung
von Innovationen um ein Viertel auf fast 600 Millionen € gesteigert. Wir haben heute im Bereich Forschung und Entwicklung fast 11 % mehr Arbeitsplätze als 2005. Das ist weit mehr als der Bundesdurchschnitt und der höchste Zuwachs in der Geschichte unseres Landes. Ich finde, auch darauf können wir stolz sein.
Meine Damen und Herren, Sie wissen, dass ich Ende vergangenen Jahres Abu Dhabi besucht habe. Ich war damals fasziniert von der visionären Öko-Stadt Masdar City, konzipiert von Sir Norman Foster. Die Stadt soll ohne Autos auskommen, keine Treibhausgase emittieren, keine Müllhalden benötigen; sie soll ihren eigenen Strom produzieren und ohne fossile Brennstoffe auskommen. Das ist eine kühne Vision. Ob sie machbar ist, wird sich zeigen.
Bei uns – das kann man allerdings sagen – so schnell sicherlich nicht. Und dennoch weist diese Idee, diese Vision den Weg in ein neues Zeitalter, das Ökonomie und Ökologie nicht mehr als Gegensätze begreift, sondern als Einheit. Hier liegen die großen Innovationen des 21. Jahrhunderts und hier liegt der nächste große Innovationszyklus.
Nordrhein-Westfalen – ich habe es eben gesagt – ist und bleibt Industrieland. Hier liegen unsere Stärken. Ich frage aber: Ist eine ökologische Industrieregion möglich? – Meine Antwort lautet: Ja.
Aber nicht als Ökotopia. Eine ökologische Industrieregion muss beides verbinden: Industrie und nachhaltiges Wirtschaften,
industrielles und grünes Wachstum. Eine Politik für eine ökologische Industrieregion heißt: Kraftwerke nicht stilllegen, sondern modernisieren.
Deshalb ist es richtig, dass wir den Kraftwerkspark erneuern mit Kraftwerken, die bei gleicher Stromerzeugung um rund 20 % effizienter sind als die alten. Wir wollen, dass alte Kohlekraftwerke so schnell wie möglich abgeschaltet werden. Neue werden nur genehmigt, wenn sie den CO2-Ausstoß deutlich reduzieren und die Energieeffizienz verbessern – so wie in Datteln.
Und deshalb, werte Kolleginnen und Kollegen, muss das neue Kraftwerk da auch gebaut werden.
Eine Politik für eine ökologische Industrieregion heißt, sich auch zum Chemiestandort NordrheinWestfalen zu bekennen: zu einem Chemiestandort mit innovativen Techniken – deshalb brauchen wir auch die CO-Pipeline –, aber auch als Standort zur Weiterentwicklung von sogenannten Überlebenstechnologien wie der Wasserwirtschaft oder der Entsorgungswirtschaft. Hier liegen große Potenziale auch für den Weltmarkt. Das Wirtschaftsministerium arbeitet an einer gemeinsamen Strategie zur Bündelung unserer Stärken auf diesem Feld. Eine Politik für eine ökologische Industrieregion heißt auch, die erneuerbaren Energien auszubauen. Auch daran arbeiten wir.
Mit einer umfassenden Klimastrategie wollen wir bis 2020 den Umsatz der regenerativen Energiewirtschaft auf 15 Milliarden € steigern und die Anzahl der Beschäftigten in der Branche auf 40.000 erhöhen. Wir treiben die Energieforschung zum Beispiel mit dem neuen Energieforschungszentrum an der RWTH Aachen und dem weltweit einzigartigen solarthermischen Versuchskraftwerk in Jülich voran.
Bis 2020 wollen wir mit dem „Biomasseaktionsplan NRW“ auch die Strom- und Wärmeproduktion aus Biomasse von knapp neun Milliarden auf fast 18 Milliarden Kilowattstunden verdoppeln.
Damit können 20 % des Strombedarfs und 10 % des Wärmebedarfs der Privathaushalte NordrheinWestfalens abgedeckt werden. Unser Ziel ist es, bis 2020 die CO2-Emissionen in Nordrhein-Westfalen um 81 Millionen t zu reduzieren. Das sind rund 44 % des Einsparvolumens, das die Bundesregierung anstrebt. Das ist ehrgeizig, aber machbar, und es ist notwendig. Wir sind Energieland Nummer eins und wir wissen um unsere ökologische Verantwortung.
Eine Politik für eine ökologische Industrieregion ist eine Politik, die Industrie und Natur zu einem Raum mit neuer Lebensqualität verbindet. Der Umbau der Emscher ist hier vorbildlich. Es ist das größte wasserwirtschaftliche Projekt in Europa. Es ist ein Jahrhundertprojekt, das weit über die wasserwirtschaftlichen Aspekte hinausgeht. Es ist Teil einer Gesamtstrategie zur Renaturierung früherer Industrieanlagen in der Metropole Ruhr. Ich nenne nur Stadtentwicklungsprojekte wie PHOENIX in Dortmund oder Graf Bismarck in Gelsenkirchen. Wir folgen der Vision, dass nicht nur der Himmel über der Metropole Ruhr wieder blau ist, sondern auch, dass ihr Herz wieder grün wird.
Die Zukunft gehört einer neuer grünen Mitte in der Metropole Ruhr.
Unsere Städte müssen mehr Lebensqualität bekommen. Eine Politik für eine ökologische Industrieregion heißt deshalb, auch Bedingungen dafür zu schaffen, dass Künstler und Kreative hier gerne leben und arbeiten. Schon heute arbeiten bei uns in Nordrhein-Westfalen etwa 160.000 Menschen in der Kreativwirtschaft. Das schafft nicht nur wirtschaftliches Wachstum. Kreative schaffen auch ganz neue Perspektiven für mehr Lebensqualität in der ganzen Region.
Ich will deshalb das Beispiel der Kreativquartiere, die jetzt im Rahmen der Kulturhauptstadt Essen entstehen, nennen. Sie sollen Künstlern und Kreativen aus ganz Europa einen bezahlbaren Wohn- und Wirkungsraum bieten. Durch ihre Arbeit werden sie diese Quartiere verändern. Es wird ein neues kreatives Milieu geschaffen. So entstehen lebendige Stadtviertel. Das ist nicht nur gut für die Künstler, das ist gut für alle Menschen, die hier leben.
Deshalb unterstützt Nordrhein-Westfalen die Kreativquartiere im Rahmen der Kulturhauptstadt 2010 mit großem Engagement. Das Land legt außerdem ein Förderprogramm für Kreativquartiere im Umfang von 15 Millionen € für die Metropole Ruhr auf. Ab 2011 sollen sie im ganzen Land entstehen.
Eine Politik für eine ökologische Industrieregion bedeutet, Mobilität und Klimaschutz nicht als Gegensatz zu verstehen, sondern beides zu verbinden, gleichermaßen als Antrieb für Innovationen und Wachstum. Deshalb setzen wir auch auf die Entwicklung des Elektroautos. Unser Ziel ist: Bis 2020 sollen 250.000 Elektrofahrzeuge auf unseren Straßen rollen. Wir wollen die erste großräumige Modellregion für Elektroautos in Europa werden. Meine Damen und Herren, mit diesem Projekt setzen wir ein Zeichen für unseren Anspruch, Nordrhein-Westfalen zu einem Modellland für nachhaltigen Klimaschutz und innovative Stadtentwicklung zu machen.
Mobilität und Klimaschutz zu verbinden heißt auch, den öffentlichen Nahverkehr zu stärken. Auch das ist ein wichtiger Baustein für eine ökologische Industrieregion der Zukunft. Denn Erfolg braucht Vernetzung, insbesondere in unseren Ballungsgebieten. Das ist eine der zentralen Thesen der Zukunftskommission. Das gilt auch und vor allem für die Verkehrsinfrastruktur.
Meine Damen und Herren, das Kirchturmdenken muss der Vergangenheit angehören. Wir brauchen einen ÖPNV der passgenauen Verbindungen. Anschlüsse im Schienenverkehr und im Busverkehr müssen optimal aufeinander abgestimmt sein. Wartezeiten von mehr als zehn Minuten müssen der Vergangenheit angehören.
Das ÖPNV-Gesetz fordert und fördert die Kooperation unter den Aufgabenträgern. Die Menschen erwarten zu Recht, dass Kooperation täglich gelebt wird und sich positiv auf ihren Alltag auswirkt. Die Zusammenarbeit der Verantwortlichen in den Kommunen und Zweckverbänden muss besser werden.
Wir brauchen ein einheitliches Tarifsystem für das ganze Land. Ich erwarte in punkto Vernetzung von den Betroffenen mehr Engagement.
Aber ich sage auch: Die Landesregierung wird die Kommunen in allem unterstützen, was die Vernetzung der Infrastruktur voranbringt. Nicht nur für die Infrastruktur gilt in Zukunft: Die Städte in der Metropole Ruhr dürfen ihre Stärken nicht gegeneinander ausspielen, sondern sie müssen sie bündeln und ein gemeinsames Profil ihrer Stärken entwickeln.
Ich verspreche mir von der Kulturhauptstadt ein klares Signal für diesen Kurs.
Wir in Nordrhein-Westfalen, meine Damen und Herren, wissen: Unsere Infrastruktur ist das starke Pfund, das unser Land zum international so gefragten Standort macht. Immerhin haben sich seit Mai 2005 115 neue ausländische Unternehmen bei uns angesiedelt. Ich will, dass es noch mehr werden.
Wir stehen vor großen Herausforderungen. Verkehrsprognosen sagen uns bis 2025 für alle Verkehrswege einen drastischen Anstieg voraus: um knapp ein Fünftel beim Personenverkehr, um über zwei Drittel beim Güterverkehr. 2009 flossen deshalb 1,3 Milliarden € in die Sanierung von Autobahnen und Bundes- und Landstraßen. 300 Millionen € haben die Kommunen erhalten, um die Verkehrssituation in den Städten und Gemeinden zu verbessern. Wir haben die Zahl der Planfeststellungen deutlich erhöht.
2004 gab es nur einen einzigen Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau einer Bundesfernstraße. Seit 2005 waren es im Schnitt zwölf Planfeststellungsbeschlüsse pro Jahr.
Wir stärken unsere Häfen. Der Duisburger Hafen ist schon heute der größte Binnenhafen der Welt. Für den Ausbau von logport II werden wir insgesamt 48,8 Millionen € zur Verfügung stellen.
Gemeinsam mit dem Bund und der Deutschen Bahn haben wir uns im Masterplan NordrheinWestfalen auf einen umfassenden Ausbau der Schieneninfrastruktur geeinigt. Für die Betuwelinie, die Nordrhein-Westfalen an den Seehafen Rotter
dam anbindet, wird die Planfeststellung im Frühjahr kommen.
Auch der Rhein-Ruhr-Express wird kommen.
Das ist mit der Bahn und dem Bund vereinbart.
Wir wollen ihn so schnell wie möglich auf die Schiene bringen. Das Projekt hat oberste Priorität.
Eine Politik für eine ökologische Industrieregion heißt nicht einfach, Infrastrukturen zurückzubauen, sondern in neue, intelligente Infrastrukturen zu investieren. Das ist unser Ziel.
Seit 2006 haben wir zum Beispiel rund 60 dynamische Verkehrslenkungstafeln an wichtigen Autobahnkreuzen und rund 100 Zuflussregelungsanlagen eingerichtet.
Solche intelligenten Systeme werden wir weiter vorantreiben, auch durch eine einheitliche Verkehrszentrale, die alle Verkehrsinformationen bündeln soll. Die Zukunftskommission plädiert für einen umfassenden Infrastrukturplan mit klaren Prioritäten und Zielvorgaben in Zusammenarbeit mit den Kommunen und umfassend für Straße, Schiene, Luftverkehr und Häfen. Daran arbeiten wir.
Meine Damen und Herren, wir wollen Vorreiter für ein neues ökologisches Industriezeitalter sein, in dem Industrie und Ökologie eine Einheit bilden. Das kann nicht gleich die totale Ökostadt wie Masdar City sein, aber die Idee einer ökologischen Stadt ist richtig, einer Stadt, die Klimaschutz auf allen Ebenen praktiziert. Wir in Nordrhein-Westfalen haben dafür die besten Voraussetzungen, zum Beispiel mit dem zukunftsweisenden Projekt „50 Solarsiedlungen in NRW“,
das die Nutzung der Solartechnologie fördert. 29 Siedlungen sind schon im Bau. NordrheinWestfalen ist damit europaweit Spitzenreiter bei allen Solarsiedungen. Oder mit dem Projekt „100 Klimaschutzsiedlungen in Nordrhein-Westfalen“, mit dem CO2-Emissionen in Wohnsiedlugen konsequent reduziert werden.
Meine Damen und Herren! Wir werden zusammen mit den großen Unternehmen der Energiewirtschaft und mit führenden wissenschaftlichen Insti
tuten wie dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie an einem Konzept arbeiten, wie die Stadt der Zukunft in einer ökologischen Industrieregion aussehen kann. Wir werden die Kommunen gezielt darin unterstützen, diesem Ziel näher zu kommen.
So sehr es auf Wachstum, auf Bildung, auf Innovation ankommt – ohne die Einheit der Gesellschaft geht es nicht. Auch das ist eine Kernbotschaft der Zukunftskommission, und auch sie ist mir sehr wichtig. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Kluft in unserer Gesellschaft weiter auseinandergeht: zwischen Arm und Reich, zwischen Ausgebildeten und Nichtausgebildeten, zwischen denen, die Arbeit haben, und denen, die arbeitslos sind, zwischen Alten und Jungen, Einheimischen und Zugewanderten.
Lord Dahrendorf spricht davon, dass gerade heute nichts so wichtig ist wie die Stärkung des Gemeinwohls, die Stärkung von Chancen auf Teilhabe, die Stärkung der aktiven, der vitalen Bürgergesellschaft. Denn, ich zitiere: Ohne die Gesellschaft aktiver Bürger geht es nicht. – So sagt es Lord Dahrendorf, einfach und treffend. Der Staat kann sie nicht ersetzen und er soll sie auch nicht dominieren, aber er muss sie unterstützen. Dabei, dass wir mehr miteinander leben statt nebeneinander, dass wir gemeinsame Werte und Ziele haben. Es geht um mehr Lebensqualität in unserem Land.
Das heißt zum Beispiel mehr Lebensqualität für Ältere. Deshalb fördern wir zukünftig auch den Bau von Wohngenossenschaften und Wohnstiften anstelle traditioneller Altenheime. Dort soll jeder alte Mensch eine altengerechte Wohnung, aber auch Gemeinschaftsräume haben. Er entscheidet selbst, welche Hilfe er in Anspruch nimmt. Jeder verpflichtet sich, dem anderen dort zu helfen, wo er kann. Das hat Sinn für diejenigen, die Hilfe brauchen, und für diejenigen, die helfen.
Auch für Heime gilt: Das Heim soll nicht in erster Linie Krankenhaus, sondern Wohnung für alte Menschen sein. In diesem Sinne haben wir das Heimgesetz neu gestaltet: für mehr Selbstbestimmung, mehr Eigenverantwortung und weniger Bürokratie und Bevormundung.
Mehr Lebensqualität für Ältere heißt übrigens auch, dass man gegen Altersdiskriminierung vorgeht. Es kann nicht angehen, dass jemand keine Versicherung oder keinen Kredit für den Aufbau eines Unternehmens mehr bekommt, nur weil er älter ist. Auch das muss sich ändern, meine Damen und Herren.
Mehr Lebensqualität heißt vor allem, Altersarmut zu verhindern. Wir setzen uns dafür ein, zum Beispiel mit der erfolgreichen Erhöhung des Schonvermögens für Hartz-IV-Empfänger oder mit dem
Kampf für eine bedarfsabhängige und steuerfinanzierte Mindestrente, die über dem Niveau von Hartz IV liegt. Denn es kann nicht sein, dass jemand, der ein Leben lang gearbeitet hat, am Schluss weniger bekommt als jemand, der kaum gearbeitet hat.
Wichtig ist auch, dass die Älteren der Gesellschaft ihr Erfahrungswissen und ihr Engagement stärker als bisher zur Verfügung stellen können. In einem Generationenatlas werden wir alle zukunftsweisenden Projekte und Erfahrungen im Land bündeln, damit sie Vorbild werden können.
Der öffentliche Dienst wird ein Zeichen setzen mit der Entwicklung eines Mentorenprogramms von älteren Experten für junge Führungskräfte in der Verwaltung. Das Schulministerium wird den Vorschlag der Zukunftskommission aufgreifen und eine Akademie für Führungskräfte gründen, um das Wissen der Schulleiter und vieler anderer Experten für ein besseres Schulmanagement zu bündeln und effektiv zu vermitteln. Erste Gespräche mit Experten und der Stiftung Mercator zur Organisation als Studienkurs oder universitäres An-Institut haben schon begonnen.
In Kürze wird das Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration eine Gesamtstrategie für die Gesellschaftspolitik im demografischen Wandel vorstellen: Nordrhein-Westfalen fit für 2025.
Diese Strategie wird viele Vorschläge der Zukunftskommission aufgreifen: für eine neue Solidarität zwischen den Generationen, für die Stärkung der Bürgergesellschaft, für die Stärkung des freiwilligen Engagements der Bürgerinnen und Bürger, für die Anpassung des Bildungssystems an eine alternde Gesellschaft mit mehr Angeboten des lebenslangen Lernens, für den Umbau und Neubau von Wohnungen und ganzen Stadtquartieren, um sie den Bedürfnissen einer Gesellschaft im demografischen Wandel anzupassen. Meine Damen und Herren, es geht darum, Wohlstand zu bewahren und gleichzeitig neue Sicherheit zu schaffen – für alle Menschen in unserem Land.
Natürlich ist eine Schlüsselfrage für die Einheit der Gesellschaft die Integration der Menschen mit einer Zuwanderungsgeschichte, insbesondere der jungen Zuwanderer. Auch daran hat die Zukunftskommission keinen Zweifel gelassen. Die meisten Menschen mit einer Zuwanderungsgeschichte haben sich gut in unsere Gesellschaft integriert. Bei uns leben Menschen aus 170 Nationen, und sie sind eine Bereicherung für unser Land.
Aber noch zu viele, vor allem junge Menschen mit einer Zuwanderungsgeschichte sind in unserer
Gesellschaft leider noch nicht angekommen. Eine vor Kurzem veröffentlichte Studie hat mich alarmiert. Danach wollen nur 24 % der älteren, aber schon 42 % der jüngeren Menschen mit einer türkischen Zuwanderungsgeschichte, die teilweise schon lange bei uns leben, in die Türkei zurückkehren.
Der Hauptgrund dafür sei ein stark ansteigendes Gefühl der Ablehnung durch die deutsche Gesellschaft. Das wirft ein Schlaglicht darauf, dass wir noch viel tun müssen, um die Integration der Menschen mit einer Zuwanderungsgeschichte in unserem Land voranzubringen.
Es hat keinen Sinn, meine Damen und Herren, die Wirklichkeit zu tabuisieren oder schönzureden. Zu viele junge Menschen sprechen teilweise schlechter Deutsch als ihre Eltern. Zu viele verfügen immer noch über eine unzureichende Schul- und Berufsbildung. Zu viele finden immer noch keine dauerhafte Arbeit, und zu viele lehnen auch nach wie vor die deutsche Gesellschaft und ihre Grundwerte ab. Das muss sich dringend ändern.
Wir wollen keine Gesellschaft, in der die Menschen nebeneinander leben, sondern wir wollen, dass sie miteinander leben. Jeder soll seine Chance zur Integration bekommen. Er muss sie dann aber auch nutzen.
Integration heißt: Für jeden, der bei uns lebt, ist das Grundgesetz verbindlich.
Grundlage unseres Zusammenlebens ist für uns die europäische Leitkultur, wie sie im Grundgesetz und in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union festgelegt wird. Zwangsehen und sogenannte Ehrenmorde dürfen nicht als kulturelle Besonderheiten gelten.
Nordrhein-Westfalen 2025 – das muss ein Land sein, in dem es für jeden, der hier lebt, ganz selbstverständlich ist, unsere Sprache zu beherrschen, sich zu unseren Werten zu bekennen und sich entsprechend zu verhalten.
Ich erwarte, dass auch die islamischen Verbände Straftatbestände wie Zwangsehen und sogenannte Ehrenmorde sowie antisemitische Äußerungen und Taten, wenn sie vorkommen, klar verurteilen und mit uns bekämpfen.
Integration heißt aber nicht Assimilation. Auch das hat Lord Dahrendorf betont. Ich stimme ihm zu.
Nordrhein-Westfalen muss ein Land sein, in dem jeder Respekt erwarten kann, egal woher er kommt, welche Hautfarbe er hat und woran er glaubt. Es muss auch ein Land sein, in dem jeder, wenn es nötig ist, gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit vorgeht. An dieser Gesellschaft müssen wir gemeinsam arbeiten.
Wir in Nordrhein-Westfalen sind wie kein anderes Bundesland bei der Integration vorangegangen – mit einem eigenen Integrationsministerium, mit einem bundesweit vorbildlichen Aktionsplan für ein Land der neuen Integrationschancen, mit einem neuen Schulgesetz, in dem wir als erstes Bundesland die frühe Sprachförderung von Kindern verankert haben, und mit einem bundesweit einmaligen Schwerpunkt auf der Förderung von Kunst und Kultur im Dialog der Kulturen.
Wir wollen auch in Zukunft Vorreiter sein. Wir wollen einen bekenntnisorientierten Islamunterricht in den Schulen unter deutscher Schulaufsicht und mit in Deutschland ausgebildeten Lehrern.
Deshalb haben wir den landesweiten Schulversuch „Islamkunde in deutscher Sprache“ begonnen.
Das Ganze kann erfolgreich sein, wenn die Verbände sich auf gemeinsame Ziele einigen.