Protokoll der Sitzung vom 23.01.2008

Meine Damen und Herren! Ich heiße Sie zu unserer heutigen, 81. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen herzlich willkommen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich acht Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Wir treten nunmehr in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1 Starkes Wachstum – Chancen für alle

Zur Lage der Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen

Unterrichtung

durch die Landesregierung

Entschließungsantrag

der Fraktion der SPD

Drucksache 14/6066

Entschließungsantrag

der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP

Drucksache 14/6067

In Verbindung mit:

Aktuelle Stunde

NRW braucht jeden Arbeitsplatz – Nokia Produktion in Bochum muss erhalten bleiben!

Antrag

der Fraktion der SPD

Drucksache 14/6055

Aktuelle Stunde

Werksschließung Nokia Standort Bochum

Antrag

der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP

Drucksache 14/6056

Mit Schreiben vom 15. Januar hat der Chef der Staatskanzlei mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, den Landtag in der heutigen Plenarsitzung über das genannte Thema zu unterrichten.

Die Fraktionen haben vereinbart, dass die von der Fraktion der SPD mit ihrem am 21. Januar 2008 eingegangenen Schreiben beantragte Aktuelle Stunde gemäß § 90 Abs. 2 der Geschäftsordnung sowie die von den Fraktionen der CDU und der FDP zu derselben Thematik beantragte Aktuelle Stunde in Verbindung damit beraten werden. Vereinbart ist darüber hinaus, dass in der Unterrichtung durch die Landesregierung auch das Thema WestLB angesprochen wird.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung wird die Unterrichtung zum einen durch Ministerin Thoben und zum anderen durch Minister Dr. Linssen vornehmen. Ich gebe als erster Rednerin Frau Ministerin Thoben das Wort. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verunsichernde, widersprüchliche, beruhigende, empörende Informationen und Bewertungen machen in den letzten Tagen die Runde. Wirtschaftliche Debatten, Debatten um den Finanzplatz und über Finanzkrisen erreichen uns.

In einer solchen Situation den Landtag über sehr positive Aspekte des Wirtschaftsstandorts Nordrhein-Westfalen zu unterrichten ist etwas kompliziert, aber trotzdem, wie ich finde, in der Sache mehr als geboten.

Wir haben im abgelaufenen Jahr sehr wahrscheinlich ein reales Wirtschaftswachstum von 2,6 % erreicht. Das ist das höchste Wachstum in unserem Land seit 15 Jahren.

(Beifall von der CDU)

Nordrhein-Westfalen liegt in der Entwicklung mittlerweile gleichauf mit dem Bundesdurchschnitt, zum Teil sogar darüber. Es ist also gelungen, nach der Trendwende im Jahr 2006 dem Aufschwung Kraft und Beständigkeit zu geben.

So hat er jetzt den Arbeitsmarkt erreicht. 186.000 zusätzliche Arbeitsplätze, und zwar sozialversicherungspflichtige, sind von Januar bis Oktober letzten Jahres neu entstanden. Die Arbeitslosenquote hat am Ende des Jahres ein historisches Tief erreicht. Auch hier – das vermeldete die Bundesagentur – ist die Trendwende geschafft, und die Quote wird weiter sinken.

Die Wirtschaft Nordrhein-Westfalens gehörte im letzten Jahr zu den Treibern des Wachstums in Deutschland. Eines unserer wichtigsten wirtschaftspolitischen Ziele scheint erreicht: Nordrhein-Westfalen hat aufgeholt. Die sogenannten

NRW-Sonderfaktoren, die uns über Jahre schlechtere Werte als dem Bund beschert haben, sind und bleiben hoffentlich Geschichte.

Das RWI erwartet in seiner aktuellen Prognose, dass die Wirtschaft Nordrhein-Westfalens im laufenden Jahr um 1,8 % zulegen wird. Sie wird damit vor dem Bund liegen, für den nur noch 1,7 % geschätzt werden. Und – was noch erfreulicher ist – der Arbeitsplatzaufbau wird weitergehen. Das RWI rechnet mit weiteren zusätzlich 60.000 versicherungspflichtigen Arbeitsplätzen in unserem Land.

Wachstumsträger wird auch im gerade begonnenen Jahr die Industrie bleiben. Gewichtige Branchen mit den größten Produktionszuwächsen waren und sind bei uns der Maschinenbau und die Herstellung von Metallerzeugnissen. Den absolut größten Zuwachs unter den Industriebranchen verzeichnete übrigens – trotz einzelner sehr schmerzhafter Ankündigungen – die Rundfunk- und Nachrichtentechnik mit plus 24 %.

Die steigende Produktion findet ihre Abnehmer im In- und Ausland. Die Exporte stiegen in den ersten zehn Monaten des letzten Jahres um knapp 11 %. Dabei kommt der nordrhein-westfälischen Industrie im Auslandsgeschäft ihre regionale und sektorale Ausrichtung zugute. Die nordrheinwestfälische Industrie ist weniger vom US-Markt abhängig als der deutsche Durchschnitt. Sie ist im Gegenzug stärker im Nahen und Fernen Osten engagiert. Sie profitiert von den dortigen hohen Wachstumsraten und den Investitionen in die Infrastruktur, die aus den gestiegenen Einnahmen aus Rohöl- und Rohstoffgeschäften finanziert werden.

Aufgrund des hohen Produktionsvolumens arbeiten wichtige Teile der nordrhein-westfälischen Industrie an ihrer Kapazitätsgrenze. Über alle Industriebereiche gesehen lag die Kapazitätsauslastung im dritten Quartal bei 88 % und damit deutlich über ihrem langjährigen Mittelwert.

Die Auftragseingänge lassen bis jetzt keine Schwächezeichen erkennen. Das ist ein gutes Zeichen; denn Auftragseingänge von heute sind Produktion und Umsatz der kommenden Monate. Besonders erfreulich entwickeln sich die Auftragseingänge bei den Investitionsgütern und bei den Vorleistungsgütern.

Die Auftragseingänge kommen aus dem Inland, aber noch stärker aus dem Ausland. Bei den Metallerzeugnissen sorgten mehrere Großaufträge im Bereich des Turbinenbaus im Oktober für ein Plus der Auslandsaufträge in dieser Branche von 150 %. Im Zusammenhang mit dem Bau der GasPipeline stiegen die Inlandsaufträge im Bereich

der Herstellung von Metallerzeugnissen im November um 41 %.

Der Aufschwung kommt – und das ist das Entscheidende – bei den Menschen in NordrheinWestfalen an. Er kommt vor allem bei denen an, die es besonders nötig haben: bei den Arbeitslosen. Ich wiederhole die Zahlen: Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist zwischen Januar und Oktober 2007 um 186.000 auf 5,8 Millionen gestiegen. Die Zahl der Erwerbstätigen hat mit 8,6 Millionen im Jahresdurchschnitt 2007 den bisher absoluten Höchststand erreicht, der je in Nordrhein-Westfalen gemessen wurde.

(Beifall von CDU und FDP)

Zum ersten Mal seit 1991 ist auch die Zahl der Industriebeschäftigten gestiegen, und zwar um 11.000. Natürlich wird der Beitrag, den die Politik zu dieser Entwicklung geleistet hat, strittig bleiben. Unstrittig ist der Beitrag der Unternehmen und ihrer Beschäftigten. Sie treffen Entscheidungen, sie ergreifen Chancen, sie stellen ein.

Ich sehe ein Zeichen in unserem Land dafür, dass sich Wirtschaft und Politik ein Stück besser verstehen. Wir signalisieren, dass wir weiter an der Verbesserung der Rahmenbedingungen arbeiten. Insbesondere auf dem Feld der Energiepolitik unternehmen wir weitere Anstrengungen, und mit unserer Clusterpolitik wollen wir unsere Stärken durch die gezielte Begleitung des Landes ausbauen.

Damit ich nicht missverstanden werde, meine Damen und Herren: Wer optimistisch ist, kann auch 2008 darauf setzen, dass es uns wie in den Vorjahren gelingen könnte, die Prognose zu übertreffen. Die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen – auch das erwähnen die Forscher ausdrücklich – ist jedenfalls hervorragend gerüstet, um in dieses etwas unwägbare Wirtschaftsjahr zu gehen. Neben der wieder fußfassenden Binnenkonjunktur ist unsere Exportfähigkeit massiv gestiegen. Unsere Unternehmen haben sich mit ihren Produkten weltweit einen Namen gemacht und – das ist besonders wichtig – dabei in den letzten Jahren auch konsequent auf neue Wachstumsmärkte wie zum Beispiel China und Russland gesetzt.

Meine Damen und Herren, was macht mich den trotz aller Unwägbarkeiten für 2008 zuversichtlich? 293 der Weltmarktführer haben ihren Sitz in Nordrhein-Westfalen. Sie zählen zu den Hidden Champions. Fast alle verbinden Standorttreue mit hohem Engagement für Weiterbildung und Qualifizierung ihrer Mitarbeiter. Sie wissen, dass sie ohne ihre Mitarbeiter nichts sind.

Innovative Unternehmen, die sich daran messen lassen, dass sie ihre Fortbildungsorientierung ausbauen, haben hier ihren Standort. Sie machen Ideenmanagement. Nordrhein-westfälische Unternehmen sind übrigens unter den besten Ideenmanagements vertreten, die in Deutschland zu beobachten sind.