Protokoll der Sitzung vom 14.09.2005

Meine Damen und Herren! Ich heiße Sie zu unserer heutigen, der siebten Sitzung des Landtags NordrheinWestfalen herzlich willkommen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich acht Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden ins Protokoll aufgenommen.

Meine Damen und Herren, die Fraktionen haben sich auf folgende Änderung der Tagesordnung für den heutigen 14. September 2005 gemäß § 19 Abs. 2 der Geschäftsordnung verständigt:

Erstens. Der bisherige Tagesordnungspunkt 7, der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 14/208 mit dem Titel „Mehr Wettbewerb im Strom- und Gasmarkt - Stadtwerke stärken - neue Marktteilnehmer ermutigen!“, wird zusammen mit der Aktuellen Stunde in verbundener Debatte beraten. Die Redezeiten werden entsprechend um jeweils fünf Minuten pro Fraktion und fünf Minuten für die Landesregierung verlängert.

Zweitens. Der bisherige Tagesordnungspunkt 9, der Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 14/202 mit dem Titel „Reform des Sparkassenrechts darf nicht zur Zerschlagung des Sparkassensystems in Nordrhein-Westfalen führen“, wird neuer Tagesordnungspunkt 7.

Gibt es dazu Wortmeldungen? - Das ist nicht der Fall. Dann werden wir so verfahren.

Ich rufe auf:

1 Aktuelle Stunde

Thema: Verspielt die Landesregierung die Interessen des Energielandes Nordrhein-Westfalen und der Verbraucherinnen und Verbraucher?

Antrag der Fraktion der SPD gemäß § 90 Abs. 2 GeschO

In Verbindung damit:

Mehr Wettbewerb im Strom- und Gasmarkt - Stadtwerke stärken - neue Marktteilnehmer ermutigen!

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 14/208

Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 12. September 2005 zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion der SPD Herrn Dr. Horstmann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nicht das erste Mal, dass sich der Landtag mit Entwicklungen auf den internationalen Energie- und Rohstoffmärkten beschäftigt. Wir alle erinnern uns gut an die Debatten über die Verknappung und Verteuerung von Kohle und Koks und über die Strompreiserhöhungen. Jetzt sind es Gas und Öl, deren steigende Preise den Menschen in Nordrhein-Westfalen Sorgen bereiten. Heizen und Kochen mit Gas soll bis zu 25 % teurer werden, und die Autofahrer zahlen die höchsten Preise der Geschichte.

Es ergeht mir nicht anders als vielen von Ihnen wahrscheinlich auch. Die Debatten sind manchmal nicht sehr zufrieden stellend, weil es ja um Preisbildungsprozesse auf internationalen Märkten geht, auf die die nationale Politik und erst recht die Landespolitik recht wenig Einfluss haben.

Das ist aber auch der Grund, meine Damen und Herren, warum die Sozialdemokraten in diesem Haus stets ein strategisches Ziel besonders im Auge hatten, nämlich Nordrhein-Westfalen nicht noch stärker von internationalen Rohstoffbezügen abhängig zu machen, sondern im Gegenteil diese Abhängigkeit so gering wie möglich zu halten, indem wir mit den Rohstoffen so effizient wie möglich umgehen und die eigene Energiegewinnung so gut wie möglich weiterentwickeln.

Es ist unübersehbar, und es muss ausgesprochen werden, weil es ja um künftig richtige Strategien geht: Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP, haben in diesen Debatten immer das Gegenteil vielleicht nicht bezweckt, aber doch verfolgt, nämlich die Abhängigkeit Nordrhein-Westfalens von den unkontrollierbaren Rohstoffbörsen noch weiter zu vergrößern.

(Beifall von der SPD)

Sie haben sich für eine massive Steigerung der Steinkohleimporte ebenso eingesetzt wie für den

Ersatz heimischer Braunkohle durch russisches oder norwegisches Erdgas.

Sie haben sich an die Spitze der Kritiker der erneuerbaren Energien gestellt, nicht nur der Windkraft übrigens, sondern aller erneuerbaren Energien, wie wir uns aus der Haushaltsdebatte des letzten Jahres erinnern.

Und Sie haben in der Verkehrspolitik eine Richtung verfolgt, die unsere Mobilität immer stärker von Mineralölimporten abhängig machen würde.

Beginnen wir einmal mit der Verkehrspolitik: Vor sechs Tagen hat Herr Minister Wittke im Verkehrsausschuss des Landtags angekündigt, Nordrhein-Westfalen werde keine Vorrangpolitik für den öffentlichen Verkehr mehr betreiben. Wir alle wissen, was das bedeutet. Insbesondere da, wo wir die ganz hohen Fahrgastzahlen nicht haben, also dort, wo die Menschen die weitesten Entfernungen zurücklegen müssen, bleibt vielen dann nur noch, wieder das eigene Auto zu benutzen.

Ich nenne das eine kurzsichtige Politik, benötigt doch der Personenverkehr auf der Schiene nur rund die Hälfte der Energie eines PKW.

(Beifall von der SPD und Reiner Priggen [GRÜNE])

Aber ich nenne das auch eine unsoziale Politik. Sie passt zu Ihrem Bemühen, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die weitere Wege zum Arbeitsplatz zurücklegen müssen, die steuerliche Anerkennung der ihnen entstehenden Kosten zu verweigern.

(Beifall von der SPD)

Was wollen Sie den Autofahrern in NordrheinWestfalen noch zumuten? Bus und Bahn als Alternative zum Auto einschränken, die Wegekosten zum Arbeitsplatz verteuern, mit höheren Mehrwertsteuern die Spritpreise weiter erhöhen, und nach der Bundestagswahl kommt vielleicht noch die PKW-Maut!

(Beifall von der SPD)

Herr Minister Wittke - wenn er hier wäre, würde ich ihn fragen -, ist die PKW-Maut bei Frau Merkel vielleicht auch schon mit eingebaut?

Ich versichere Ihnen, dass diese Politik unseren schärfsten Widerstand finden wird. In einem Flächenland, in dem die meisten Menschen, aber auch die Wirtschaft hochgradig auf Mobilität angewiesen sind, müssen wir alles tun, um die nötigen Wege nicht weiter zu verteuern.

Nicht besser als die Autofahrer sind zurzeit die Nutzer von Strom und Gas dran. Das sind ja zumeist dieselben Menschen. Frau Thoben, ich habe mit Interesse gelesen, dass Sie angekündigt haben, energisch gegen die Preispolitik der Energieversorger vorgehen zu wollen. À la bonne heure! Sie haben uns an Ihrer Seite. Tun Sie aber bitte auch das, was Sie ankündigen.

Ich erinnere mich gut an die letzte Preisantragsrunde vor einigen Monaten. 75 % der Strompreissteigerungen sind nicht oder nicht in der vorgesehenen Höhe genehmigt worden. Sie haben jetzt viel bessere Möglichkeiten. Seit Sommer dieses Jahres gilt das neue Energiewirtschaftsgesetz des Bundes. Es gibt endlich die Chance, da, wo mit unwirtschaftlichen Kostenstrukturen oder auch mit missbräuchlicher Preisbildung gerechnet werden muss, nämlich im Bereich der Netze und Netzentgelte, öffentliche Kontrolle und Einfluss auszuüben. Die Länder haben erfolgreich darum gestritten, die Verantwortlichkeit für die meisten Netzbetreiber zu bekommen. Frau Thoben, Sie haben sie für Nordrhein-Westfalen, also machen Sie im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher in Nordrhein-Westfalen auch Gebrauch von dieser Verantwortung!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Ich habe hier schon kritisiert, dass auch die nordrhein-westfälische CDU der Absicht von Frau Merkel beipflichtet, die Restlaufzeiten der Atomkraftwerke zu erhöhen. Um wie viel eigentlich? Da gibt es ja ein ähnliches Dilemma wie mit Herrn Kirchhof. Herr von Pierer redet ja schon von 60 Jahren Laufzeit der Atomkraftwerke. Das alles ist jedenfalls zum Schaden der nordrheinwestfälischen Energieerzeugung.

Da Sie mir das ja nicht glauben wollen, hören Sie bitte auf die Worte des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger, den ich einmal zitieren möchte. Er sagte in dieser Woche in einem Interview im „Focus“:

„Eine Bundesregierung unter Führung von CDU/CSU wird die Laufzeiten der Kernkraftwerke wieder verlängern und damit die Energieversorger von dem Druck entlasten, neue Kohle- und Gaskraftwerke zu errichten.“

Frau Thoben, hier nimmt der baden-württembergische Ministerpräsident die Interessen des Kernkraftlandes Baden-Württemberg wahr. Sie sind offenkundig gegen die Interessen des Landes Nordrhein-Westfalen gerichtet, das wie kein anderes Land ein Interesse an modernen Kohle- und Gaskraftwerken haben muss. Merken Sie eigentlich gar nicht, was da gespielt wird? Strengen Sie

sich an, die nordrhein-westfälischen Interessen in der Energiepolitik Deutschlands wahrzunehmen!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Stattdessen verfolgen Sie mit großem Eifer Ihren Kampf gegen die Windkraftnutzung. Den wollen Sie uns im Laufe des Tages ja auch noch genauer erläutern. Ich will mich hier einer Detailkritik an den geplanten Regelungen enthalten, aber doch schon so viel sagen: Das sind Anstrengungen, die vor allem gegen das Ziel gerichtet sind, auf das sich eigentlich alle, die der Entwicklung der erneuerbaren Energien gutwillig gegenüberstehen, einigen können müssten. Ich meine das Ziel, die Windenergienutzung produktiver, wirtschaftlicher und zugleich in vielen Fällen auch landschaftsschonender zu machen. Denn die Verschärfungen des Baurechts betreffen ja weniger neue Anlagen an neuen Standorten, die ohnehin kaum noch entstehen, sondern vor allem neue und bessere Anlagen an alten Standorten, die mehr Leistung mit weniger Landschaftsverbrauch verbinden könnten.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Ich nenne diese Energiepolitik mit Bedacht rückständig - übrigens auch im Vergleich der Bundesländer. Sie werden das feststellen, sobald Sie mit Ihren Bundesratsinitiativen vor den Haustüren der Herren Wulff, Carstensen und anderer stehen.

Meine Damen und Herren, der Energiepolitik der Landesregierung fehlen Klarsicht und Kurs. Ob Atomenergie oder erneuerbare Energien - Schwarz und Gelb liegen daneben und verkennen die Interessen des Energielandes NordrheinWestfalen. Wir werden Sie mit diesem Thema nicht in Ruhe lassen und auch nicht in Ruhe lassen können; denn es geht um die Interessen von Millionen Menschen, die als Verkehrsteilnehmer und Energieverbraucher oder als Beschäftigte in der Energie- und Verkehrswirtschaft Leidtragende einer falschen Politik sind. - Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Danke schön, Herr Dr. Horstmann. - Als nächster Redner hat Herr Priggen von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! In der Energiedebatte werden im Moment drei Bereiche intensiv diskutiert.

Der erste Bereich ist die Kostenexplosion beim Öl und im Folgenden - so, wie wir die Praxis kennen - mit Sicherheit auch beim Gas. Wir haben es bisher noch nicht erlebt, dass Öl 70 Dollar pro Barrel kostet, und es gibt ernst zu nehmende Diskussionen darüber, dass das nicht das Ende der Fahnenstange ist, sondern dass wir uns womöglich - auch, wenn es noch etwas dauert - auf Preise von 100 und 200 Dollar pro Barrel einstellen müssen.

Es gibt seriöse Quellen, die sagen, dass die Gesamtmenge der Ölförderung in den nächsten fünf bis zehn Jahren den Höhepunkt erreichen wird. Es wird dann zwei Szenarien geben, die gleichzeitig ablaufen werden: Die Fördermöglichkeit wird abnehmen, gleichzeitig wird es einen deutlich ansteigenden Bedarf geben, weil Länder wie Indien und China auf den Weltmarkt drängen - wir erleben das ja jetzt schon in anderen Rohstoffbereichen - und mehr Öl haben wollen. Bei einem sich verknappenden Angebot und einer stärkeren Nachfrage bedeutet das, dass die Kosten dann noch weiter ansteigen werden.