Meine Damen und Herren! Ich heiße Sie herzlich willkommen zur 43. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich neun Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.
Wir haben heute wieder ein Geburtstagskind unter uns; seinen Geburtstag feiert heute Herr Gerhard Lorth von der Fraktion der CDU. Herzlichen Glückwunsch und alles Gute im Namen der Kolleginnen und Kollegen!
Gestern Nachmittag hat mich die Nachricht erreicht, dass John van Nes Ziegler, der ehemalige Präsident und Erste Vizepräsident dieses Hauses, nach schwerer Krankheit, aber dennoch plötzlich im Alter von 85 Jahren verstorben ist. Dies erfüllt uns mit großer Trauer. Unser Mitgefühl gilt seiner Ehefrau und der ganzen Familie.
Mit John van Nes Ziegler verlieren wir in Nordrhein-Westfalen einen überaus erfahrenen und gradlinigen Demokraten, der über die Parteigrenzen hinweg geschätzt und geachtet wurde und der die Politik unseres Landes über Jahrzehnte geprägt hat. Dem Landtag Nordrhein-Westfalen gehörte er von 1953 bis 1985 an. Präsident dieses Hohen Hauses war er von 1966 bis 1970 und von 1980 bis 1985. In der zehnjährigen Zwischenzeit hatte er von 1970 bis 1980 das Amt des Ersten Vizepräsidenten inne.
Sein Wirken im Landtag war von unermüdlichem Engagement, großer Fairness und von tiefgründigem rheinischem Humor geprägt. Auch wenn heute nur noch vier Abgeordnete unter uns sind, die John van Nes Ziegler als Präsidenten erlebt haben – die Kollegen Anke Brunn, Helmut Linssen, Eckhard Uhlenberg und Lothar Hegemann –, so hat er doch bleibende und tiefe Spuren für uns alle hinterlassen. Das sichtbarste Zeichen seines Wirkens ist sicher dieses Haus, der Landtag am Rheinufer.
Präsident van Nes Ziegler hat mit großer Durchsetzungskraft die Planung dieses Hauses gegen manche Widerstände vorangetrieben, auch wenn erst sein Nachfolger im Amt, Karl-Josef Denzer,
den neuen Landtag 1988 präsentieren konnte. Nordrhein-Westfalen hat damit ein unübersehbares Zeichen für einen starken Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland gesetzt.
Doch John van Nes Ziegler hat auch weitere Spuren hinterlassen, die bis heute nachwirken. Ihm lag daran, dass die Arbeit des Landtages für die Bürgerinnen und Bürger transparent wird. Auf seine Initiative geht die wesentliche Verbesserung des Petitionswesens zurück, das in Artikel 41 a unserer Landesverfassung zur wichtigsten Brücke zwischen Bevölkerung und Parlament ausgebaut worden ist. Aber auch die Parlamentsreform Ende der 60er-Jahre, die die Rechte der Opposition stärkte, ist mit das Verdienst von John van Nes Ziegler. Seine Anregungen und Initiativen haben ihm in Nordrhein-Westfalen, aber auch bei der Konferenz der Präsidenten der Landesparlamente zu Recht den Ruf eines Parlamentsreformers eingebracht.
Es waren seine langjährigen Erfahrungen als Abgeordneter, als Präsident sowie als Oberbürgermeister der Stadt Köln, die ihn zu einem der großen Repräsentanten der parlamentarischen Demokratie in unserem Land machten. Hinzu kam sein Einsatz für die europäische Idee, die Verständigung und Einigung der europäischen Völker, die ihn seit dem Studium in der Nachkriegszeit nicht mehr losließ. Seine menschliche Ausstrahlung, seine Überzeugungskraft und sein sicheres Gefühl für Stil und Würde des Parlaments haben John van Nes Ziegler über die Maßen ausgezeichnet.
Gern hätte ich meinen Vorgänger im Amt beim Festakt zum 60. Geburtstag von Land und Landtag am 25. Oktober in der Tonhalle persönlich begrüßt, zumal er beim neuen Landtagsfilm anlässlich dieses Jubiläums noch mit einem Interview mitgewirkt hat. Doch teilte er mir mit, dass er sich erst von den Strapazen einer Operation erholen müsse und wir eine Begegnung nachholen würden. Leider ist dies nun nicht mehr möglich geworden.
Was bleibt, ist die Erinnerung an sein großes Lebenswerk. Der Landtag Nordrhein-Westfalen gedenkt John van Nes Ziegler in Dankbarkeit, Respekt und Verehrung.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich weise Sie auf die Gelegenheit hin, sich in das Kondolenzbuch des Landtages einzutragen; es liegt heute und in den nächsten Tagen in der Wandelhalle bereit.
Die Menschen in NRW brauchen Klarheit – Wie soll die kostenneutrale Umsetzung der Forderung nach einem längeren ALG IAnspruch für Ältere gegenfinanziert werden?
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mit Schreiben vom 13. November 2006 zu dieser aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Frau Löhrmann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, die Sicherheit, die Sie mit Ihrer Argumentation den Menschen versprechen, ist trügerisch.
Ja, in unserem Land sind viele Menschen verunsichert. Sie haben Angst um ihren Arbeitsplatz, sie haben Angst vor sozialem Abstieg. Und es ist wichtig, dass sich die Politik damit ernsthaft auseinandersetzt.
Herr Rüttgers, Sie greifen mit Ihren Vorschlägen zur Korrektur von Hartz IV diese Ängste auf und sprechen etwas an, was die Menschen berührt. Zusätzlich setzen Sie geschickt auf die Unzufriedenheit mit der Arbeit der großen Koalition in Berlin.
Nur, Herr Rüttgers: Diese Aktion mag Ihrem Image dienen, den Menschen in unserem Land dient sie allerdings nicht.
Eines möchte ich zu Beginn in aller Deutlichkeit in Erinnerung rufen: Die Hartz-Gesetzgebung ist das Ergebnis eines Kompromisses zwischen der Union und der früheren rot-grünen Bundesregierung. Die besonderen Härten dieses Gesetzes hat die CDU, deren stellvertretender Bundesvorsitzender Herr Rüttgers auch damals schon war, zu verantworten,
weil sie der rot-grünen Bundesregierung im Bundesrat aufgezwungen worden sind. Für das, was heute in der Kritik steht, sind Sie maßgeblich mitverantwortlich.
Was Sie jetzt tun, entspricht wieder einmal dem alten Muster: „Haltet den Dieb!“ – Sie machen sich vom Acker, Herr Ministerpräsident.
Nehmen wir Ihre Vorschläge doch einmal genauer unter die Lupe. Ein Beispiel: Heute bekommt Hans Müller, 55 Jahre alt, arbeitslos, 18 Monate Arbeitslosengeld I, wenn er drei Jahre lang Beiträge gezahlt hat.
Nach Ihrem Vorschlag, Herr Rüttgers, bekäme er erst dann genauso viel, wenn er 25 Jahre lang Beiträge gezahlt hätte.
Mehr bekäme er erst nach 40 Jahren Beitragszahlungen, wenn er also seit seinem 15. Lebensjahr ununtergebrochen gearbeitet hätte.
Ein weiteres Beispiel: Gerda Meier. Auch sie ist 55 Jahre alt. Auch sie hat mit 15 Jahren angefangen, in die Arbeitslosenversicherung einzuzahlen – also vor 40 Jahren. Nur hat sie nach zehn Jahren eine Unterbrechung vorgenommen, um sich ganz auf ihre Kinder zu konzentrieren. Wenn es nach Ihnen ginge, Herr Rüttgers, bekäme sie weniger als heute.
Herr Ministerpräsident – deswegen haben wir diese Aktuelle Stunde beantragt –, wir möchte heute von Ihnen nicht nur die Textbausteine hören, mit denen Sie in den Zeitungen stehen, mit denen Sie in Talkshows und mit denen Sie auf Veranstaltungen waren. Wir möchten heute von Ihnen genau wissen, wie Sie Ihre Versprechungen konkret gegenfinanzieren wollen. Das wollen wir heute von Ihnen wissen, und das wollen auch die Menschen in Nordrhein-Westfalen wissen.
Woher kommen die 1,2 Milliarden €, die Ihre Vorschläge kosten? Durch welche Leistungskürzungen wollen Sie Ihre vermeintlichen Wohltaten gegenfinanzieren? Wer muss dafür bluten? – Das wollen wir heute von Ihnen wissen.
Es liegt auf der Hand; ich will Ihnen gerne auf die Sprünge helfen: Es ist der junge Familienvater, der keine kontinuierliche Arbeitsbiografie vorweisen kann. Es ist die junge Akademikerin, die Familienplanung und Karriere unter einen Hut bringen will. Es ist der Bauarbeiter, der im Winter arbeitslos wird. Es ist die Friseurin, die sowieso schon viel zu wenig hat, um vorzusorgen, und in Teilzeit arbeitet. Es sind die Mutigen, die den Schritt in die Selbstständigkeit – mit Lücken in der Versicherungszeit – gewagt haben. – Sie alle kommen in Rüttgers schöner, neuer Sozialwelt nicht vor, meine Damen und Herren.
Herr Ministerpräsident, beschränkt sich Ihr Blick auf die Arbeitsrealität der Menschen immer noch auf die Standarderwerbsbiografie von Männern, das ist eine Vorstellung aus dem letzten Jahrhundert? – Diese Männer waren 40 Jahre lang am gleichen Arbeitsplatz. Herr Althaus hat erkannt, dass dieser Ansatz frauenfeindlich ist und Frauen diskriminiert.
Wollen Sie so Nordrhein-Westfalen zum familienfreundlichsten Land machen? – Was auf den ersten Blick sozial erscheint, ist tatsächlich populistisch und ungerecht.
Oder haben Sie eine andere Finanzierung im Sinn? – Dann müssen Sie es sagen. Ich habe es aber so verstanden, dass es kostenneutral sein soll.
Herr Rüttgers, macht es Sie nicht nachdenklich, dass, wenn man sich auf Ihre Logik einlässt, landauf, landab die Öffentlichkeit Ihre Vorschläge mit dem Einwand kritisiert, dass dadurch wie schon in der Blüm-Ära ein massiver Anreiz für Unternehmen entsteht, ältere Beschäftigte, wie es so schön heißt, sozialverträglich zu entlassen und Arbeitsplätze auf Kosten der Sozialversicherung abzubauen? Das ist nicht sozial. Das ist unsozial, meine Damen und Herren.