Meine Damen und Herren! Ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen, der 27. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich acht Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.
Meine Damen und Herren, zu Tagesordnungspunkt 1 haben wir Gäste im Haus. Der Oberbürgermeister der Stadt Essen, Herr Dr. Reiniger, und der Kulturdezernent der Stadt Essen, Herr Dr. Scheytt, sind heute hergekommen, um die Debatte, die wir gleich führen werden, zu verfolgen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Nachricht vom Tode Paul Spiegels, der am Sonntag im Alter von 68 Jahren verstorben ist, erfüllt uns mit Schmerz und Trauer. Wir trauern mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern. Ihnen gilt unser tief empfundenes Mitgefühl.
Mit Paul Spiegel verliert unser Land eine große Persönlichkeit, die wie wenige andere dazu beigetragen hat, dass für Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens eine Zukunft in Deutschland überhaupt wieder vorstellbar wurde.
Als die Familie 1939 vor den Nazis nach Belgien flieht, ist Paul Spiegel keine zwei Jahre alt. Wie nahezu jede andere jüdische Familie wird auch die Familie Spiegel Opfer des Holocaust. Vater und Schwester kommen in ein Vernichtungslager, Schwester Roselchen stirbt in Auschwitz. Nach der Befreiung reist der Junge mit seiner Mutter aus dem belgischen Versteck zurück ins münsterländische Warendorf.
Hatte Leo Baeck, der große Berliner Rabbiner und Vater des deutschen Judentums, 1930 noch gehofft, dass „deutscher und jüdischer Geist durch ihre Vermählung zum Segen werden können“, hat er 1945 zutiefst resigniert gesagt: „Die Epoche der Juden in Deutschland ist ein für alle Mal vorbei.“
Dass Leo Baeck hier irrte, ist ganz entscheidend Menschen wie Paul Spiegel zu verdanken. Trotz des Leides, das ihm und seiner eigenen Familie zugefügt wurde, hat er sich am Aufbau des anderen, des demokratischen Deutschlands beteiligt und sich unermüdlich für Versöhnung eingesetzt. Dabei bestimmte der jüdische Glaube der Familie seine beruflichen und ehrenamtlichen Aktivitäten.
Bei der „Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung“ erlernte er den Beruf des Journalisten und arbeitete für deutsche und internationale Medien, bevor er seine Künstleragentur hier in Düsseldorf gründete.
Schon früh engagierte er sich für das jüdische Gemeindeleben in Deutschland. Aufbau und Stärkung dieses Lebens waren ihm Herzensangelegenheit. „Seiner“ jüdischen Gemeinde Düsseldorf war er bis zuletzt aufs Engste verbunden.
Mit zahlreichen Publikationen hat er dazu beigetragen, Nichtjuden das jüdische Leben näher zu bringen – zuletzt mit seinem einfühlsamen Buch „Was ist koscher?“.
1993 wurde Paul Spiegel Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland und nach dem Tode des unvergessenen Ignatz Bubis im Jahre 2000 zum Vorsitzenden gewählt. In diesem Amt hatte er zwei wichtige Aufgaben zu bewältigen: die Integration der russischen Zuwanderer in die inzwischen wieder über hundert jüdischen Gemeinden in Deutschland und die Wahrung der Interessen der Juden in unserem Land. Beides ist ihm in beeindruckender Weise gelungen – wenn auch in zunehmend kräftezehrender Arbeit.
Durch diese Integrationsarbeit hat er auch die Annäherung zwischen unserem Land und Israel entscheidend gefördert. Dass Deutschland und Israel seit nunmehr über vier Jahrzehnten wieder in Freundschaft und Vertrauen dieses besondere Verhältnis leben, ist auch dem Brückenbauer Paul Spiegel zu verdanken.
Der stets um Integration, Versöhnung und Ausgleich bemühte Paul Spiegel ist in seinem Amt des Präsidenten des Zentralrates zu einer moralischen Autorität geworden. Dabei setzte er sich nicht nur für die Menschen jüdischen Glaubens ein. Ebenso stritt er beherzt für Minderheiten, für Menschen anderen Glaubens, insbesondere Muslime, für Benachteiligte und Schwache.
Paul Spiegel war aber auch ein ständiger Mahner vor Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber unserer Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Er
forderte gerade von jungen Menschen mehr Zivilcourage und geißelte Antisemitismus, Hass und Fremdenfeindlichkeit – auch in der Sprache.
Niemand litt wie er unter Anschlägen auf Synagogen, geschändeten Friedhöfen oder antijüdischen Hetzparolen. Dennoch war er es, der nicht müde wurde, für Toleranz und Freiheit zu werben.
Paul Spiegel – darauf dürfen wir stolz sein – war ein Freund des Landtags Nordrhein-Westfalen. Ich weiß nicht, wie viele Termine er hier im Hause wahrgenommen hat; sein Rat war uns immer willkommen.
Gerne erinnere ich mich an das Lob, das er gegenüber diesem Parlament ausgesprochen hat, als wir im Jahre 2003 den von allen Fraktionen getragenen Antrag mit dem Titel „Jüdisches Leben in Nordrhein-Westfalen – mehr Wissen voneinander schafft mehr Vertrauen“ beschlossen haben.
„Nordrhein-Westfalen hat ein Zeichen gesetzt. Ich appelliere an alle anderen Landtage, Ähnliches zu versuchen. Ich bin stolz, ein Bürger dieses Landes zu sein.“
Paul Spiegel war im Januar dieses Jahres noch zweimal hier im Landtag: Am 19. Januar war er zu Gast bei der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe, die Herr Vizepräsident Moron leitet. Sein letzter Besuch war am Sonntag, dem 29. Januar. Hier stand er geduldig in der langen Reihe der Bürgerinnen und Bürger und trug sich in das Kondolenzbuch des Landtags ein, um von seinem Freund Johannes Rau Abschied zu nehmen.
Heute nimmt der Landtag Abschied von Paul Spiegel, dem liebenswerten Menschen und der großen Persönlichkeit. Seine unverwechselbare Stimme wird uns fehlen. Wir erinnern uns in Dankbarkeit an seine Leistungen für unser Land und werden ihm ein ehrendes Gedenken bewahren.
1 Vorschlag der Jury der Europäischen Kommission, Essen und das Ruhrgebiet zur Kulturhauptstadt 2010 zu benennen
Mit Schreiben vom 25. April 2006 hat die Staatskanzlei gebeten, die Unterrichtung auf die Tagesordnung zu setzen.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Entscheidung der europäischen Jury, Essen für das Ruhrgebiet zur Kulturhauptstadt Europas vorzuschlagen – so meine ich –, hat große Bedeutung für die Menschen nicht nur in Essen und im Ruhrgebiet, sondern auch in ganz NordrheinWestfalen. Deswegen haben wir alle die Daumen gedrückt. Aus diesem Grund haben wir uns alle gefreut, als die Entscheidung bekannt gegeben wurde. Das war ein großer Tag für NordrheinWestfalen.
Die Landesregierung wird sich mit besonderem Engagement daran beteiligen, dass die Kulturhauptstadt 2010 ein großer Erfolg für ganz Nordrhein-Westfalen wird.
Lassen Sie mich jedoch zunächst den Bürgerinnen und Bürgern des Ruhrgebiets – da stellvertretend Herrn Oberbürgermeister Reiniger – zu diesem Wettbewerbsergebnis gratulieren und ihnen für dieses Engagement danken.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben gute Voraussetzungen dafür, dass die Kulturhauptstadt 2010 ein voller Erfolg wird.
Eine Studie der GfW aus dem letzten Jahr vergleicht Nordrhein-Westfalen mit den Großräumen Paris, London, New York und Tokio. Sie zeigt, dass die kulturelle Dichte und Vielfalt NordrheinWestfalens mit den Großräumen Paris oder London vergleichbar, oder sogar kulturell reicher als Tokio ist. Dass Nordrhein-Westfalen in dieser Liga mitspielt, das ist vor allem ein Verdienst der Städte und damit auch ein Verdienst der Städte im Ruhrgebiet.
Das Ruhrgebiet ist heute eine der dichtesten und vielseitigsten Kulturlandschaften Europas. Welche Leistung das ist, meine Damen und Herren, kann man ermessen, wenn man sich vergegenwärtigt,
Im Ruhrgebiet haben keine Fürsten kulturelle Reichtümer hinterlassen. Es hat seinen kulturellen Reichtum nicht ererbt, sondern erarbeitet. Das Ergebnis ist beeindruckend: ob nun das Aalto Theater oder das Bochumer Schauspielhaus, die Essener Philharmonie oder das FolkwangMuseum; Veranstaltungen wie die Triennale, die Ruhrfestspiele, die Tage alter Musik oder das Klavierfestival Ruhr sowie die Oberhausener Kurzfilmtage und die Duisburger Akzente. Meine Damen und Herren, das ist nur eine sehr, sehr unvollständige Liste.
Essen hat damit geworben, dass das Ruhrgebiet nicht weniger als 200 Museen, 100 Kulturzentren, 100 Konzerthäuser, 120 Theater, 250 Festivals und Feste, 3.500 Industriedenkmäler und 19 Hochschulen zu bieten hat. Meine Damen und Herren, wo gibt es das schon?
Mit diesem kulturellen Reichtum hat das Ruhrgebiet der Jury zufolge die Chance, Symbol für die neue Rolle zu werden, die Kultur zukünftig in jeder europäischen Metropole spielen muss, und zu einem Symbol für andere Städteagglomerationen, die sich ähnlichen Herausforderungen stellen müssen.
Diese Chance des Ruhrgebiets, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist eine Chance für ganz Nordrhein-Westfalen, und diese Chance sollten wir auch gemeinsam wahrnehmen.
Das Motto „Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel“ gilt nicht nur für das Ruhrgebiet. Es lässt sich auch auf ganz Nordrhein-Westfalen übertragen. Denn in einer Zeit, in der nicht nur im Ruhrgebiet, sondern überall – das meint dann ganz Nordrhein-Westfalen – der Anteil der Industrieproduktion am Bruttosozialprodukt schrumpft und der des tertiären Bereichs zunimmt, kommt es mehr denn je auf die Entwicklung von Phantasie, Kreativität und Innovationsfähigkeit an. Kultur kann zu diesem Entwicklungsprozess einen entscheidenden Beitrag leisten.
Ich schlage vor, dass das Land zusammen mit der Stadt Essen, dem RVR und dem Initiativkreis Ruhr eine Kulturhauptstadt GmbH gründet und das Projekt von Anfang an in Partnerschaft mit den Städten und der Wirtschaft angeht. Eine solche Partnerschaft hat sich bereits in der Bewerbungsphase bewährt und sollte nunmehr fortge