Oberstes Prinzip sollte die Nachhaltigkeit sein. Wir sollten 2010 kein Strohfeuer abbrennen, sondern bis 2010 Strukturen schaffen, die auch über das Kulturhauptstadtjahr hinaus fortwirken und sich möglicherweise auf ganz Nordrhein-Westfalen übertragen lassen.
Dabei brauchen wir uns nicht nur auf die Schwerpunkte zu konzentrieren, die wir auch insgesamt in der Kulturpolitik des Landes setzen.
Erstens. Wir sollten uns vor allem auf die vorhandene Substanz besinnen und diese mit vereinten Kräften in Ordnung bringen, wo sie noch nicht oder nicht mehr in Ordnung ist. Dazu gehören auch ungelöste Fragen wie die Zukunft der Zeche Zollverein, die Trägerschaft des Ruhrmuseums und generell die Route der Industriekultur. Ich sage dazu: Dabei werden alle Beteiligten gefordert sein, nicht nur das Land, aber auch dieses.
Zweitens. Wir müssen das Vorhandene besser verkaufen. Wie für das gesamte Land benötigen wir auch für die Kulturhauptstadt eine systematische Marketing- und Tourismusstrategie, die im Sinne von Nachhaltigkeit Teil der landesweiten Strategie sein sollte. So sieht das Begleitkonzept für Essen beispielsweise vor, das Weltkulturerbe Zeche Zollverein zum touristischen Mittelpunkt der Kulturhauptstadt zu machen. Die Gutachter rechnen immerhin allein für dieses Weltkulturerbe mit einer Besucherzahl von zwei bis drei Millionen Besuchern im Jahre 2010. Insgesamt lassen sich, wie uns die Jury bescheinigt hat, durchaus bis zu sieben Millionen Besucher aus dem In- und Ausland erreichen. Hier ist mit einem Kaufkraftgewinn im zweistelligen Millionenbereich zu rechnen, von dem nicht nur das Ruhrgebiet, sondern ganz Nordrhein-Westfalen profitieren wird.
Drittens. Die Basis für eine nachhaltige Kulturentwicklung unseres Landes ist die kulturelle Bildung unserer Kinder und Jugendlichen. Hier wird sich entscheiden, ob auch künftig Wandel durch Kultur stattfinden wird oder auch nicht. Vor allem aber wird sich hier auch entscheiden, ob uns kulturelle Integration gelingt. Wer wie im Ruhrgebiet eine Region hat, in der Kinder aus 140 Nationen leben, und in diese Möglichkeit, in diese Realität investiert, der investiert zugleich auch in kulturelle Integration. Was kognitives Wissen nur schwer zu erreichen vermag, kann ästhetische Erziehung sehr viel besser und schneller erzielen, die Überwindung kultureller Grenzen, ohne diese zu verwischen.
Daher schlage ich vor, mithilfe von Partnern in Wirtschaft und Gesellschaft – hier meine ich insbesondere auch Stiftungen – das ehrgeizige Ziel zu entwickeln, bis zum Jahre 2010 das Ruhrgebiet zu einer Modellregion zu machen, in der möglichst jeder Schüler und jede Schülerin im Laufe der Schulzeit die Chance erhält, auf einem Instrument zu spielen oder in einer anderen Kunstsparte nicht nur konsumtiv, sondern auch aktiv tätig zu werden,
um anschließend ganz im Sinne von Nachhaltigkeit die Erfahrungen mit diesem Modell auf das ganze Land zu übertragen.
Zwar lässt sich das uns allen bekannte vergleichbare Projekt aus Venezuela nicht 1:1 auf das Ruhrgebiet und NRW übertragen, doch sollten wir nicht glauben, dass wir ein solches Projekt kultur- und sozialpolitisch nicht genauso nötig hätten wie etwa Venezuela. Was sich mit einem solchen Vorhaben an kultureller und integrativer Dynamik auch bei uns entwickeln lässt, hat zuletzt Simon Rattle mit seinem Projekt „Rhythm is it!“ vor Augen geführt. Ich denke, meine Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen, es ist der Anstrengung von uns allen wert, ein solches Ziel am Beispiel des Ruhrgebiets ins Auge zu fassen.
Meine Damen und Herren, das wichtigste Ziel unserer Aktivitäten muss sein, dass wir einen Wandel einleiten oder fortführen, indem wir im Ruhrgebiet die allgemeine Stimmung positiv verändern. Ich bin sicher: Der Stolz und das Selbstwertgefühl in der Region werden zunehmen. Das spornt alle zu Innovationen an. Das wird die gemeinsame regionale Identität festigen, die das Ruhrgebiet mehr denn je nötig hat.
Die Landesregierung wird wie schon in den letzten anderthalb Jahren die Kulturhauptstadt nach Kräften unterstützen. Das Land hat bereits die Bewerbung mit einer halben Million Euro unterstützt.
Meine Damen und Herren, ich will deshalb noch einige Worte zur Finanzierung sagen. Gegenüber der EU-Jury hat Essen für das Ruhrgebiet ein Basisbudget von 48 Millionen € angegeben. Bisher sieht die Planung vor, dass vom Bund 9 Millionen €, von der Wirtschaft des Ruhrgebiets 8,5 Millionen €, von der Stadt Essen 6 Millionen € und vom RVR 12 Millionen € aufgewandt werden. Das Land wird sich ebenfalls mit 12 Millionen € beteiligen. Wir werden mit der Bundesregierung darüber sprechen, in welchem Umfang sie sich
Inwieweit sich dieses Budget im Sinne eines Matching Fund vergrößern lässt, wird die gemeinsame Anstrengung aller Beteiligten zu beweisen haben. Für entsprechende Gespräche stehen wir zur Verfügung.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, warum ist die Kulturförderung durch den Staat so wichtig? – Der Staat ist kein direkter Akteur des kulturellen Lebens. Aber er hat die Verpflichtung, die kulturellen Wurzeln und die kulturellen Strukturen zu erhalten, die unsere Identität ausmachen. Deshalb ist es ein markantes und wichtiges Signal, dass wir trotz aller Sparzwänge die Kulturfördermittel im Laufe diese Legislaturperiode verdoppeln werden, wie es der Haushalt auch zeigt.
Der Staat muss den angemessenen Rahmen setzen für eine erweiterte und vertiefende künstlerische und kulturelle Bildung an den Schulen, Hochschulen und Akademien. Deshalb stärkt die Landesregierung die künstlerisch-kulturelle Bildung der Kinder und Jugendlichen. So hat die Landesregierung im März 2006 das neue, mit 1 Million € ausgestattete Landesprogramm „Kultur und Schule“ gestartet. In allen Schulformen werden damit künstlerische Projekte ermöglicht, die den Kindern und Jugendlichen schon früh vermitteln, wie wichtig Kunst und Kultur für eine umfassende Bildung des Menschen sind.
Aber der Staat muss auch dafür Sorge tragen, dass Kulturdenkmäler, Archive, Bibliotheken, Museen und alle Orte des geschichtlichen und kulturgeschichtlichen Erinnerns gepflegt werden. Deshalb müssen wir die Substanz unserer kulturellen Schätze erhalten. Das ist der Grund, weshalb das Land die Kommunen mit 70 % der Kosten unterstützt, um wertvolle Bestände in den Archiven vor dem Papierzerfall zu bewahren.
Mit der Erweiterung der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen setzen wir ein weiteres bedeutsames Zeichen. Der Eröffnungstermin für den Erweiterungsbau von K20 wird voraussichtlich der 1. September 2008 sein, sodass sich die internationale Sammlung dann in neuer Form im Jahre 2010 präsentieren kann.
Meine Damen und Herren, neben dem Staat müssen sich aber auch die Bürgerinnen und Bürger mehr für Kultur engagieren. Wie erfolgreich ein solches Konzept ist, hat die Kulturhauptstadtbewerbung beispielhaft gezeigt; denn ihr Erfolg ist vor allem ein Erfolg der bürgerschaftlichen Eigen
initiative und der Unterstützung durch führende Unternehmen, denen an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich gedankt sei.
Der Geist der Kooperation, wie ihn Kultur zu bewirken vermag, ist zugleich, so meine ich, der Schlüssel für einen allgemeinen Modernisierungs- und Innovationsschub im Ruhrgebiet. Kultur war immer in der Geschichte die Vorreiterin neuer politischer und wirtschaftlicher Prozesse. Bereits Anfang Februar habe ich anlässlich des Politischen Forums Ruhr die neue „Initiative Zukunft Ruhr“ vorgestellt, mit der die Landesregierung gemeinsam mit allen Akteuren im Ruhrgebiet endlich den längst überfälligen Durchbruch bei der Modernisierung der Strukturen der Region schaffen will.
Die Leitidee dieser Initiative ist ganz einfach: Das Ruhrgebiet braucht effiziente Strukturen für die interkommunale Zusammenarbeit. Deshalb werden wir das RVR-Gesetz novellieren. Deshalb unterstützen wir die Absicht des RVR, eine gemeinsame Wirtschaftsförderungseinrichtung der Kommunen zu schaffen. Damit stellen wir die Wirtschafts- und Innovationsförderung für das Ruhrgebiet auf neue Grundlagen. Und deshalb entwickeln wir gemeinsam mit der NRW-Bank für Existenzgründer neue Finanzierungshilfen. Wir konzentrieren uns. In der Vergangenheit wurde sehr häufig nach dem Gießkannenprinzip alles und jedes gefördert.
Deshalb liegt ein Schwerpunkt auf Forschung und Entwicklung. Aus diesem Grund haben wir im Haushalt 2006 37 Millionen € für den Aufbau eines neuen Max-Planck-Zentrums in Dortmund reserviert. Deswegen unterstützten wir auch die Degussa AG in Marl bei der Einrichtung eines neuen Science-to-Business-Center. Deshalb begrüßen wir auch ausdrücklich, dass die ThyssenKrupp AG gemeinsam mit dem Max-PlanckInstitut für Eisenforschung in Düsseldorf die Forschungskompetenzen in der Werkstoffforschung bündeln will.
Meine Damen und Herren, vor wenigen Tagen haben wir den Innovationspreis Ruhr 2006 verliehen. Der Hauptpreis ging an einen bundesweit einmaligen Herzinfarktverbund in Essen. Auch dieses Beispiel zeigt: Das Ruhrgebiet kann etwas! Es kann noch mehr, wenn es kooperiert. Das Projekt Kulturhauptstadt 2010 wird dabei im Mittelpunkt stehen.
Danke schön, Herr Ministerpräsident. – Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Frau Nell-Paul.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Der Himmel über der Ruhr muss wieder blau werden.“ Diese Vision hatte Willy Brandt – und zwar schon in den 60er-Jahren. Heute sind wir dieser Vision ein sehr großes Stück näher gekommen.
Dafür haben die Menschen gesorgt, deren Heimat das Ruhrgebiet ist. Gemeinsam mit den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen haben sie dafür gekämpft. Und sie haben gewonnen. „Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel“ – unter diesem Motto sind Essen und das Ruhrgebiet mit der Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2010 angetreten.
Das Motto „Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel“ eint 5,3 Millionen Bewohner und Bewohnerinnen aus 140 Nationen in 53 Städten. Alleine diese Zahlen zeigen schon, dass das Ruhrgebiet ein Schmelztiegel der Nationalitäten ist. Was liegt da näher, als auch deren Kulturen mit all ihren Facetten in ein neues Bewusstsein zu rücken?
Wandel durch Kultur, Kultur durch Wandel ist die Realität, die sich aus der Geschichte von Kohle und Montan ergibt. Die Industrialisierung der Region ist nicht nur eine wirtschaftliche Leistung, sondern auch eine kulturelle und soziale Leistung der hier lebenden Menschen. Die Wandlung ihrer Region in eine lebendige Metropole ist und war das Ziel dieser Region. Wir wollen das durch diese Bewerbung zur Kulturhauptstadt Europas weiterführen.
Das Ruhrgebiet ist zwar eine Region, aber noch keine Metropole. Die Bewerbung zur Kulturhauptstadt soll diesen Wandlungsprozess jedoch unterstützen, obwohl noch die eine oder andere Kommune all zu eng in ihrem geographischen Terrain denkt. Dieses Kirchtumsdenken – wie wir es so oft beschreiben – soll durchbrochen werden. Ja, durch den Weg der Bewerbung ist es schon durchbrochen worden. Denn die Kommunen haben in einer unglaublich aktiven Art und Weise gemeinsam diese Bewerbung vorangebracht.
Dabei spielen natürlich die Kathedralen des Ruhrgebiets, die Zeugnisse der Industriekultur wie zum Beispiel die Zeche Zollverein in Essen, der Landschaftspark in Duisburg, die Jahrhunderthalle in Bochum und viele Stätten mehr eine wichtige Rolle. Die Umwidmung dieser Industriehallen zu Spielstätten für Theater, Oper oder Tanz haben
Ich bin dem Ministerpräsidenten sehr dankbar dafür, dass er auf die Vielfalt und den Reichtum dieser Kulturlandschaft hingewiesen hat und dass wir, so finde ich, mit großem Stolz auf das Ruhrgebiet schauen können.
Erlauben Sie mir einen kurzen Nebensatz: Wer so manche Debatten hier im Plenum während der letzten Wochen und Monate verfolgt hat, wenn es ums Ruhrgebiet geht, der sollte sich jetzt daran erinnern. Das Ruhrgebiet ist stark, und das Ruhrgebiet wird weiter stark werden.
Die Grundlagen hierfür sind sehr früh gelegt worden, und zwar nicht nur im wirtschaftlichen Strukturwandel, sondern auch im kulturellen Wandel. Ich erinnere an die IBA, die heute noch einzigartig in der Bundesrepublik und darüber hinaus dasteht. Ich erinnere darüber hinaus an das von den alten Landesregierungen verfolgte Konzept der regionalen Kulturpolitik, die vieles auf den Weg gebracht hat, was wir hier heute bestaunen können.
Die Industriehallen sind eben auch der Ort, der daran erinnert, dass hier einst Tausende Menschen Arbeit fanden. Das Ruhrgebiet hat verstanden, dass es sich neue Wege erschließen muss, und zwar durch und mit der Kultur. Motor für die Umgestaltung und Umstrukturierung des Reviers ist die Kulturwirtschaft. Sie schafft neue Arbeitsplätze, sie löst alte Infrastrukturprobleme. Wie gesagt: Die Grundlagen haben wir schon früh gelegt.
Die Jury hat mit ihrer Wahl das Engagement der Menschen im Ruhrgebiet belohnt, die diese Bewerbung mit viel Herzblut vorangetrieben haben. Wir möchten ihnen an dieser Stelle einen ganz besonderen Dank übermitteln.
Aber auch denjenigen, die die Bewerbung Essens zur Kulturhauptstadt Europas zu ihrer ganz persönlichen Herausforderung gemacht haben, möchte ich im Namen der SPD-Fraktion herzlich danken. An erster Stelle möchte ich auch namentlich einmal Dr. Oliver Scheytt, den Kulturdezernenten der Stadt Essen, und den Oberbürgermeister der Stadt Essen, Herrn Dr. Reiniger, nennen.
Beide haben die Bewerbung zu ihrer ganz persönlichen Sache gemacht. Ich möchte auch erwähnen, dass die Kolleginnen und Kollegen Kulturdezernenten, sieben an der Zahl, bereits 2001 die Bewerbung initiiert, nicht lockergelassen und auch in ihren eigenen Kommunen manchmal gegen Widerstände die Bewerbung auf den Weg gebracht haben. Unser Dank gilt aber auch den vielen Sponsoren für ihre großzügige und vorbildliche Unterstützung sowie ihr Engagement für dieses wunderbare Vorhaben. Ich glaube, in positivem Sinne darf man heute die RAG ruhig einmal nennen.