Meine Damen und Herren! Ich heiße Sie herzlich willkommen zur 14. Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich neun Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.
Thema: MP Rüttgers und BFM Steinbrück verkaufen den Nahverkehr in NRW – die im Berliner Koalitionsvertrag vereinbarte Kürzung der Regionalisierungsmittel gefährdet die erfolgreiche NRW-Bahnpolitik!
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mit Schreiben vom 24. November 2005 dazu eine Aussprache beantragt.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion Herrn Keymis das Wort. Bitte schön.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute um Aufrichtigkeit und Geradlinigkeit im politischen Handeln. Bei den derzeit handelnden Personen, die Regierungsverantwortung tragen, muss ich diesbezüglich erhebliche Zweifel anmelden. Ich möchte gleich mit einem Zitat beginnen, das diese Zweifel belegt:
Mobilität ist eine unverzichtbare Voraussetzung für Funktionsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft. Notwendig dafür ist ein integriertes Verkehrskonzept, das die Entwicklungschancen des umweltfreundlichen Verkehrs voll zur Geltung bringt und eine effiziente Arbeitsteilung zwischen den Verkehrsträgern ermöglicht. Bis zum Jahre 2015 sollen in Nordrhein-Westfalen rund 18 Milliarden DM für die Verbesserung der ÖPNV-Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden. Die vorgesehenen ÖPNV-Vorhaben gehö
ren zu den bedeutendsten Investitionen der nächsten Jahre und sichern in erheblichem Umfang Arbeitsplätze in der Bau- und Verkehrswirtschaft.
So schrieb im Jahre 1999 der Minister für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr des Landes NRW, Peer Steinbrück, im Vorwort zum ÖPNV-Bedarfsplan.
1999 waren für den Verkehrsminister die Regionalisierungsmittel bedeutende Infrastrukturinvestitionen, einerseits die Umwelt zu entlasten und andererseits Arbeitsplätze in der Bau- und Verkehrswirtschaft zu sichern. Für den Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Peer Steinbrück, waren die Regionalisierungsmittel keine vier Jahre später von Infrastrukturinvestitionen zu Subventionen degradiert. Am 30. September 2003 hat die erste große Koalition mit den Ministerpräsidenten Koch und Steinbrück den ersten Zugriff, den ersten Zentralangriff auf die Finanzierungsgrundlagen des öffentlichen Personennahverkehrs gestartet. Jetzt wurden plötzlich nicht mehr Arbeitsplätze in der Bau- und Verkehrswirtschaft gesichert, sondern der öffentliche Nahverkehr wurde Subventionsempfänger, gewissermaßen eine Art Schmarotzer, Notleidender, Verschwender öffentlicher Finanzmittel.
Dabei – das haben seinerzeit bereits viele dem sogenannten Koch/Steinbrück-Papier angelastet – weisen die Vorschläge ein eklatantes Ungleichgewicht zulasten der Eisenbahnen des öffentlichen Nahverkehrs auf. Während die Investitionen in den Schienenwegeausbau und in die ÖPNVInfrastruktur gekürzt werden, bleiben die Infrastrukturinvestitionen für den Straßenbau unangetastet.
Dieses Ungleichgewicht ist jetzt fortgeschrieben worden, schriftlich fixiert in dem neuen Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD in Berlin, und es führt zu einer Verschärfung der bereits bestehenden Benachteiligung von Bussen und Bahnen im Wettbewerb der Verkehrsträger.
Die in den vergangenen Jahren bestehende Kontinuität bei der Finanzierung des öffentlichen Verkehrs wird durch den Vertrag der großen Koalition aufgegeben – ich sagte es –: An die Stelle langfristiger Planungssicherheit tritt jetzt kurzatmige Flickschusterei. Dies gefährdet aus unserer Sicht für die Unternehmen des Verkehrsbereichs über die Infrastrukturunternehmen und auch die in
Für die grüne Fraktion möchte ich klar betonen: Wir wollen und fordern nicht mehr Geld für den öffentlichen Nahverkehr. Wir haben hier in NRW in den letzten zehn Jahren als rot-grüne Regierung gemeinsam eine erfolgreiche Bahnpolitik auf die Schiene gesetzt. Wir haben in den letzten zehn Jahren bei gleichbleibenden Mitteln – ich betone das – eine 30 %ige Ausweitung des Zugkilometerangebots erreicht, von 70 Millionen auf nahezu 100 Millionen Zugkilometer.
Allein im Bereich des Verkehrsverbundes RheinSieg konnten die Fahrgastzahlen um 21 % von 374 Millionen auf 453 Millionen Fahrgäste gesteigert werden. Es sei noch einmal betont: Dies alles haben wir bei gleichbleibendem Mitteleinsatz erreicht.
Wer sich also hinstellt wie die große Koalition, die Herren Steinbrück, Koch und der Ministerpräsident – ich begrüße Sie herzlich, Herr Rüttgers; Sie haben diesen Koalitionsvertrag ja entscheidend mit ausgehandelt –, und der Bahn und den Zweckverbänden jetzt also unterstellt und vorwirft, es habe in den letzten Jahren keine Effizienzgewinne gegeben, dem kann man letztlich leider nur Inkompetenz und Unkenntnis der tatsächlichen Lage vorwerfen.
Und nun wollen wir „mehr Freiheit wagen“? Das klingt gut. Aber der Freiheitsbegriff wird doch arg strapaziert, Kolleginnen und Kollegen, wenn man ihn mit den vielen realen Vorhaben konfrontiert, von denen wir aus Berlin hören. Nach den durch den haushaltspolitischen Sprecher der Unionsfraktion, Herrn Kampeter, bestätigten Plänen will die neue Bundesregierung bei den Regionalisierungsmitteln rund 3,15 Milliarden € bis zum Jahre 2009 einsparen. Rechnen wir das auf NRW um – 16 %iger Anteil –, dann ergibt sich eine Kürzung der Regionalisierungsmittel von rund 490 Millionen € für NRW. Damit – so kann ich nur sagen – „lasst uns mehr Freiheit wagen“.
Es ist auch in diesem Zusammenhang interessant, die Presse nachzulesen. Ich habe hier die „Financial Times“ vom 24. November. Darin steht: „Den Streichungen der Regionalisierungsmittel müssen die Ministerpräsidenten zustimmen. Im Kreise der Unionsfraktion wird aber nicht mit Schwierigkeiten gerechnet“, Herr Rüttgers. Und weiter heißt es, die Kürzungspläne seien schon
Jetzt weiß ich nicht, wer alles an den Sitzungen beteiligt war; ich weiß aber, Herr Rüttgers: Sie waren beteiligt und haben dort unsere Interessen direkt vertreten wollen.
Worum es heute geht, ist also die Tatsache, dass die Interessen von NRW durch Herrn Steinbrück auf der einen Seite als neuer Finanzminister, aber auch durch Sie, Herr Ministerpräsident, aus der Sicht derer, die das hier zu betrachten haben, eindeutig verkauft worden sind. So soll künftig „mehr Freiheit gewagt“ werden?
Und Minister Wittke bleibt konzeptions- und sprachlos. Er kündigt presseöffentlich an, dass er ab dem Jahr 2007 für Kürzungen bereitsteht, dass er verhandlungs- und gesprächsbereit ist. Wir wissen nicht, mit welcher Position, wir wissen nicht, vor welchem Hintergrund er dies tun will. Er sagt auch nicht, welche Maßnahmen er dann für geeignet hält. Wir wissen nur: Es droht uns die Kürzung, und wir haben niemanden, der ein Konzept hat, wie NRW damit überhaupt umgehen soll. Ich glaube auch nicht, dass man mit diesen Summen – das ist meine Überzeugung – umgehen kann.
Wer also Derartiges in die Welt setzt, Herr Minister, der will wissentlich von Problemen ablenken. Die Menschen in NRW sind, wenn es zu diesen Kürzungen kommt, mit erheblichen Preissteigerungen, mit Strecken- und Angebotskürzungen weiter belastet. Ich frage noch einmal: Soll so künftig „mehr Freiheit gewagt“ werden?
Wir Grünen stehen zur Förderung von Bussen und Bahnen. Wir wollen die leistungsfähige Infrastruktur, und wir glauben, dass bei gleichbleibendem Mitteleinsatz hier auch eine Menge zu erreichen ist, auch im Bereich der Effizienz. Aber ich glaube nicht, dass es möglich ist, durch Verbindungen der Verbünde oder ähnliche Maßnahmen die Millionen, die hier gestrichen werden sollen, aufzufangen. Vor diesem Hintergrund wäre es besser, denke ich, wir würden uns alle gemeinsam für die Interessen Nordrhein-Westfalens, für die Menschen in diesem Land einsetzen, die auf diese Mobilität zwingend angewiesen sind. Wir wissen: Wenn die Leute aufs Auto umsteigen, kollabiert unser Verkehrssystem, und wir wissen, dass so künftig nicht mehr Freiheit gewagt werden
Ich danke für diese Aktuelle Stunde und hoffe auf interessante Beiträge meiner Nachredner. – Danke schön.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer so tut, als wäre die Finanzierung des Nahverkehrs in NordrheinWestfalen erst durch die Koalitionsvereinbarung in Berlin auf die Tagesordnung gekommen, der verschließt die Augen völlig vor der Wirklichkeit und ignoriert diese, denn wir wissen seit langem, dass das Bundesregionalisierungsgesetz am 31. Dezember 2007 ausläuft, dass eine Novellierung erforderlich ist und dass sich Nordrhein-Westfalen für diese Novellierung im Jahre 2006 eindeutig und klar positionieren muss, um die Interessen des Landes bei der Neuverteilung des Kuchens zu wahren und die entsprechenden Argumente einzubringen.
Ich warne den Antragsteller dieser Aktuellen Stunde davor, hier in Chuzpe zu versinken, denn ich möchte Sie daran erinnern: NordrheinWestfalen ist bei der bisherigen Verteilung der Mittel stark benachteiligt. Das liegt daran, dass Sie eingeknickt sind,
weil die Sozialdemokraten damals Wohlgefallen gegenüber dem Bund und anderen Bundesländern eingeräumt haben, um die Finanzierung des Metrorapid zu sichern.
Der Metrorapid ist weg, und wir haben das Nachsehen, weil wir sowohl gegenüber den Flächenländern Niedersachsen, Baden-Württemberg und Bayern benachteiligt sind und sogar das Land Mecklenburg-Vorpommern pro Kopf der Bevölkerung das Doppelte an Regionalisierungsmitteln bekommt wie wir in Nordrhein-Westfalen. Das ist das Verdienst Ihrer glorreichen Politik in der vergangenen Koalition. Deswegen sollten Sie bei dieser Antragstellung und bei diesem Thema
Wir müssen uns in diesem Jahr auf die Neupositionierung des Regionalisierungsgesetzes einrichten. Wir bekommen 784 Millionen € per anno. Das ist zu wenig. Das wird der Bedeutung NordrheinWestfalens nicht gerecht. Deswegen müssen wir uns entsprechende Bündnispartner suchen. Ich mache eindeutig darauf aufmerksam, die große Koalition in Berlin ist in dieser Frage in einem sehr starken Maße vom Votum der Bundesländer abhängig. Ich bin überzeugt davon, dass die Entscheidung über die Neuverteilung dieses Kuchens nicht im Bundeskabinett, sondern im Bundesrat fällt. Diese Beratungen und Entscheidungen müssen wir nachhaltig beeinflussen.
Es wird keine Schnellschüsse geben. Denn Schnellschüsse würden erstens dazu führen, dass Kürzungen durch eine verstärkte Kofinanzierung des Landes aufgefangen werden müssten. Das ist angesichts der Haushaltslage nicht möglich. Ein zweiter Weg wäre die Reduzierungen des Angebots. Aber Sie alle wissen, dass die neun Zweckverbände in vertraglichen Verpflichtungen stecken, die nicht kurzfristig kündbar sind, und eine Übergangsfrist brauchen. Eine dritte Möglichkeit wäre die Erhöhung der Fahrgastentgelte, die derzeit nicht diskutabel und nicht realisierbar ist.