Meine Damen und Herren, ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen, 80. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Ich darf den Hinweis geben, dass ein Großteil der heutigen Plenardebatte im Fernsehen übertragen wird.
Meine Damen und Herren, für die heutige Sitzung haben sich 16 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.
Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 17. Dezember 2007 gemäß § 90 Abs. 2 der Geschäftsordnung zum oben genannten aktuellen Thema der Landespolitik eine Aussprache beantragt. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat ebenfalls mit Schreiben vom 17. Dezember 2007 zum gleichen Thema eine Aussprache beantragt.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin Frau Schäfer von der SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach zweieinhalb Jahren schwarz-gelber Bildungspolitik wird eines immer deutlicher: Sie, meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb, haben sich endgültig von der schulischen Realität verabschiedet und sich ihr entfremdet.
Die Folgen Ihres Schulgesetzes holen Sie jetzt Zug um Zug ein. Ich rede heute nicht über den hilflosen Versuch, den Samstag wieder zu einem regulären Unterrichtstag zu machen,
weil Sie das Abitur nach zwölf Jahren so verändert haben, dass daraus eine Turbosekundarstufe I geworden ist, verbunden mit all den negativen Folgen für unsere Schülerinnen und Schüler. Die Durchlässigkeit ist übrigens gleich null. Ich rede heute auch nicht über Ihren lächerlichen Eiertanz in Horstmar und Schöppingen, bei dem Sie das kluge Modell Ihrer CDU-Bürgermeister ignorieren
und eine verschraubte Zweckverbandslösung als Möglichkeit des Schulgesetzes darstellen und dabei mal eben die Ausnahme im Schulgesetz zur Regel machen.
Ich spreche auch nicht über den misslungenen Feldversuch mit 180.000 Vierjährigen zur Sprachstandsfeststellung mit ungeheurem Unterrichtsausfall.
Heute geht es um die Einführung der Kopfnoten. Insgesamt sechs Kopfnoten werden unsere Schülerinnen und Schüler im Januar 2008 das erste Mal auf ihrem Zeugnis finden: Verantwortungsbereitschaft, Zuverlässigkeit, Konfliktverhalten und Kooperationsbereitschaft sind die drei Kompetenzbereiche, die Lehrer und Lehrerinnen mit Noten für das Sozialverhalten versehen sollen. Leistungsbereitschaft, Zuverlässigkeit und Sorgfalt sowie Selbstständigkeit sind die drei Kompetenzbereiche im Arbeitsverhalten.
Angesichts der Vorgeschichte zum schwarzgelben Schulgesetz, der Anhörung zum Thema Kopfnoten und der gegenwärtigen Diskussion in der Gesellschaft, müssen Sie, meine Damen und Herren, sich ernsthaft fragen, wie es denn um Ihr Arbeits- und Sozialverhalten steht.
Im März 2006 hatten wir eine Anhörung zum Thema Kopfnoten. Expertinnen und Experten haben Ihnen mit großer Mehrheit dringend davon abgeraten, diese Noten einzuführen, weil damit ein hohes Maß an Ungerechtigkeit gegenüber unseren Schülerinnen und Schülern verbunden ist, da es dafür keine objektiven Maßstäbe gibt. Prof. Böttcher von der Universität in Münster hat in der Anhörung Folgendes gesagt:
„Man muss nur ein klassisches Handbuch zur Kompetenzmessung in die Hand nehmen und erkennt, dass mehrere hundert, fast tausend Skalen benutzt werden, um soziale Kompetenzen zu messen. Und die breite Forschung zur Kompetenzmessung zeigt, dass selbst diese komplexen Messverfahren äußerst problematisch sind. Wenn Ergebnisse beschrieben werden, dann durch ausführliche verbale, bewusst nicht verletzende, individuelle, sehr vorsichtige Kompetenzbeschreibungen, keinesfalls durch Noten.“
Mit anderen Worten: Kopfnoten taugen nichts. – Prof. Tillmann hat Ihnen in dieser Anhörung vorgerechnet, dass ein Grundschullehrer in einer Klasse mit 30 Schülerinnen und Schülern jedes Jahr 360 Kopfnoten geben muss.
Die GEW hat weiter gerechnet. Wenn jeder Lehrer, jede Lehrerin, über jede Note nur vier Minuten im Jahr nachdenkt, ergibt das 2 Millionen Arbeitsstunden – gemeinsame Besprechungen und Konferenzen nicht mitgerechnet.
Sie haben, wie bei jeder der sieben Anhörungen zum Schulgesetz, jeden guten Rat in den Wind geschlagen. Schwarz-Gelb – das können wir hier und heute feststellen – ist eine Koalition der Ignoranz:
beratungsresistent bis zum heutigen Tage. Jetzt, eineinhalb Jahre nach der Beschlussfassung, kommt Ihr Schulgesetz im Praxistest an.
Der mit den Kopfnoten verbundene Arbeitsaufwand ist so immens, dass Sie über Nacht eine weihnachtliche Mail an die Schulen geschickt haben und es jetzt per Erlass wieder möglich machen, ganztägige Konferenzen durchzuführen, um eben diese pädagogisch fragwürdigen Kopfnoten zu vergeben.
Die Empörung über die damit verbundene Ungerechtigkeit schlägt in Nordrhein-Westfalen hohe Wellen. Die Kirchen fordern ihre Schulen auf, keine Beurteilung in Notenform vorzunehmen, sondern in textlicher Form. Ich zitiere aus einer Pressemitteilung des Landeskirchenrats Dr. Wolfram von Moritz vom 14. Dezember 2007:
Entwicklung ermutigen und unterstützen wollen. Dazu gehören selbstverständlich auch das Arbeitsverhalten und gerade das Sozialverhalten. Fraglich und strittig ist, ob die Verdichtung und Reduzierung solcher Aussagen auf Beurteilung in Notenform dem christlichen Menschenbild gerecht wird.“
An Ihrer Stelle würde ich nicht mit einem Federstrich und einer ironischen Bemerkung darüber hinweggehen. Ich würde diese Anmerkungen und diese Einwände sehr, sehr ernst nehmen.
Wenn man nämlich all das bedenkt, was in der Zwischenzeit aus der Fläche des Landes von Experten, von Wissenschaftlern und auch von Betroffenen kommt und was Sie nicht akzeptiert haben, könnte man Ihr Sozialverhalten in den Bereichen Kooperationsbereitschaft, Verantwortungsbereitschaft und Konfliktfähigkeit nur als unbefriedigend bezeichnen, wenn man denn Kopfnoten vergeben würde.
Wir als SPD-Fraktion setzen auf eine Politik der Ermutigung und der Unterstützung, und wir appellieren heute sehr eindringlich an Sie:
Christoph Meinertz von der „WAZ“ hat es auf den Punkt gebracht, indem er in einer Titelzeile formuliert hat: „Persönlichkeit passt in keine Note“. – Danke schön.