Protokoll der Sitzung vom 22.10.2008

Wenn die akute Krise – hoffentlich bald – überstanden ist, brauchen wir nach meiner Überzeugung und aus Sicht der FDP-Fraktion dringend neue Spielregeln für die internationalen Finanzmärkte. Allein mit deutschen Regeln – das muss jedem von uns klar sein – werden wir nicht weiterkommen, da sich die Akteure stets ihrer Kreativität bedienen und die Lücken zwischen den nationalstaatlichen Regelungen nutzen.

Wir brauchen mehr Transparenz. Die derzeitige Krise wurde aus unserer Sicht maßgeblich dadurch verstärkt, dass die Produkte und Prozesse, die an den Märkten gebildet wurden, so intransparent waren und sind, dass auch Marktakteure wie die Ratingagenturen, denen an vielen Stellen auch sehr viel Kompetenz und Vertrauensvorschuss entgegengebracht wurde, offensichtlich zu eklatanten Fehleinschätzungen der Risikostrukturen gelangt sind.

Bereits in der Debatte am vergangenen Mittwoch hat sich meine Fraktion kritisch mit der Rolle der deutschen Finanzmarktaufsichtsbehörden beschäftigt. Wir haben schon am vergangenen Mittwoch klargemacht, dass wir auch den Staat in der Mitverantwortung für diese Krise sehen. Deswegen brauchen wir auch eine klare Kompetenzzuordnung zwischen der BaFin und der Deutschen Bundesbank. Im Moment haben wir eine Doppelstruktur. Beide Behörden behindern sich teilweise gegenseitig. Eine effektive Finanzmarktaufsicht muss kraftvoll intervenieren können und kurze Entscheidungswege haben, damit mögliche Krisenzeichen nicht unterwegs verlorengehen oder zu langsam erkannt werden.

Die FDP spricht sich deshalb schon seit Jahren dafür aus, die Kompetenzen der Finanzmarktaufsicht bei der Bundesbank zu bündeln und die BaFin abzuschaffen.

Meine Damen und Herren, ich freue mich auf die weiteren Beratungen und hoffe, dass wir im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, der mittelständischen Unternehmen, ja überhaupt der Unternehmen und damit der Arbeitsplätze in unserem Land eine gute Lösung erarbeiten werden. – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Groth um das Wort gebeten.

Vielen Dank, Herr Präsident. Herr Groth hat um das Wort gebeten für Bündnis 90/Die Grünen. Frau Freimuth, Sie haben das Ergebnis der Verhandlungen gerade so beschrieben: Zufriedenstellend unter den gegebenen Umständen. – Dazu kann ich nur sagen: Schon in der Bibel steht, du sollst nicht lügen. Da müsste ergänzend stehen: Du sollst zumindest nicht schönfärben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Denn das ist doch kein Ergebnis, das sich sehen lassen kann. Meine Damen und Herren, wo sind wir denn nur in Nordrhein-Westfalen gelandet? Mir tut das gesamte Kabinett leid, das hier rechts und links von mir sitzt. Wo ist er denn, der Ministerpräsident? Wo ist er denn heute wieder? Er ist heute nicht hier. Wo ist er denn?

(Zurufe von CDU und FDP)

Ja, er ist beim Bildungsgipfel. Das wissen wir doch alle. Abgetaucht ist er wieder, auch beim Bildungsgipfel.

(Weitere Zurufe von CDU und FDP)

Erst erklärt er das zur Chefsache. Dann fordert er da nichts. Dann kämpft er da nicht. Deshalb kriegt er da auch wieder nichts, genau wie in der Finanzkrise, meine Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Frau Freimuth, Sie sagen, dass Schaden vom Land abgewendet werden konnte. Dass ich nicht lache! Der Schaden ist vergrößert worden.

(Helmut Stahl [CDU]: Unerträglich!)

Meine Damen und Herren, „M“ wie Ministerpräsident: Am vorletzten Wochenende ging über alle Ticker die Meldung, dass Ministerpräsident Rüttgers dem Rettungspaket zustimmt – eine staatsmännische Geste. Rüttgers rettet mal eben so die Welt – quasi aus dem Handgelenk. Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP, sowie der MP haben

vergessen, dass man in einer Krise nicht nur mutig und entschlossen zupacken und handeln muss, sondern dass es in einer Krise auch darum geht, Besonnenheit zu bewahren und zu schauen, wie das Land davon betroffen ist und wie der Schaden von NRW tatsächlich abgewendet werden kann. Es geht nicht nur um eine kurze staatsmännische Geste. Die anderen haben uns vorgemacht, wie es geht. Wir, die Grünen, haben die Landesregierung deshalb am letzten Mittwoch in einer von uns beantragten Sondersitzung noch einmal vor das Parlament zitiert und versucht, Sie in zwei Punkten noch einmal zu coachen.

(Beifall von den GRÜNEN – Ralf Witzel [FDP]: Ist das peinlich!)

Das hören Sie nicht gerne. Hören Sie nur gut zu; die Öffentlichkeit hört auch zu.

Erster Punkt: Blankoscheck. Unsere Bedenken dagegen wurden nicht ausgeräumt, der Blankoscheck bleibt. Blankoscheck beinhaltet, dass der Bundesfinanzminister ohne weitere demokratische Kontrolle Rechtsverordnungen erlassen wird. Die Länder und der Bundesrat sind nicht beteiligt – abgesehen von einem Ländervertreter im neuen Lenkungsgremium –, die Ausschüsse des Bundesrates und die Landesparlamente sind es ebenso wenig. Selbst der Bundestag ist nicht beteiligt; er wird am Ende nur zeitnah informiert. Es handelt sich um einen Blankoscheck, wobei wir keinerlei Einfluss mehr haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zweiter Punkt: Darauf, dass NRW doppelt zahlt, haben wir Sie am letzten Mittwoch schon aufmerksam gemacht. Wir zahlen nicht nur für unsere WestLB, sondern auch für Bayern, Baden-Württemberg, die HSH Nordbank und für jeden, der sonst noch unter den Schirm kriechen mag. Das ist unser Problem, auf das wir am Mittwoch aufmerksam gemacht haben. Wir haben davor gewarnt, eine vorschnelle Zusage zu geben. Natürlich brauchen wir das Rettungspaket, und natürlich geht es in einer Krise nicht ohne entschlossenes Handeln. Aber Besonnenheit heißt auch, dass man die Interessen des Landes durchdekliniert und dann schaut, was für NRW dabei herauskommt. In dieser Frage sind Sie völlig gescheitert.

(Beifall von den GRÜNEN)

Am Mittwoch stand im Entwurf des Gesetzes noch, dass jedes Land für seine Landesbank alleine zu 100 % zahlt. Das war in Ordnung. Wir hätten für unsere Landesbank, die WestLB, 5 Milliarden € gezahlt. Die Bayern hätten für ihre Landesbank bezahlt, und Gleiches hätte für die HSH Nordbank und alle anderen gegolten. Das war der Stand am Mittwoch, als wir Sie auf das Problem aufmerksam gemacht haben. Dann haben Herr Rüttgers und Herr Linssen auf der Bundesebene für NordrheinWestfalen verhandelt. Und was kommt dabei her

aus? – Jetzt zahlen wir für unsere WestLB und zusätzlich für die krisengeschüttelten Landesbanken aller anderen Länder. Das ist außer NRW keinem anderen Land passiert.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist das schlechteste Ergebnis, das man herausholen konnte. Das heißt: Sie haben das Ergebnis für NRW nicht verbessert, sondern verschlimmbessert. Wir haben jetzt das schlechtest denkbare Ergebnis.

Wenn man nett ist, kann man das als suboptimal bezeichnen. Frau Freimuth hat es ja noch ganz anders, nämlich als unter den gegebenen Umständen zufriedenstellend bezeichnet.

(Widerspruch von Angela Freimuth [FDP] Das ist ein Desaster, das ist blamabel. Suboptimal ist noch sehr, sehr nett ausgedrückt. Ich meine, Sie sind in dieser Frage gescheitert. Als wir Grüne in der letzten Woche die Sondersit- zung beantragt haben, hieß es noch, wir seien von beeindruckender Unkenntnis geprägt. (Dr. Gerhard Papke [FDP]: Das bestätigen Sie gerade!)

Diesen Vorwurf möchten Sie offenbar gerne aufrechterhalten. – Diese Sitzung sei nicht nötig, hieß es am Mittwoch noch. Auch in der Sitzung selbst hieß es, sie sei überhaupt nicht nötig. Aber diese Sitzung war sehr wohl nötig. Sie war nur leider vergebens, weil Sie nicht auf das gehört haben, was wir Ihnen aufgetragen haben.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ich würde gerne einmal aus verschiedenen Zeitungen vom 16. Oktober 2008 mit Erlaubnis des Präsidenten zitieren. Im „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 16. Oktober 2008 war zu lesen:

Die NRW-Regierung pocht darauf, ihre Leistungen für die angeschlagene WestLB müssten beim Rettungspaket der Bundesregierung für den Finanzmarkt berücksichtigt werden. Dies unterstrich Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) in einer Sondersitzung des Parlaments.

Diese Zitate finden sich übrigens im Pressespiegel der CDU. In den „Aachener Nachrichten“ hieß es:

Gewinn oder Totalausfall: Alles ist möglich – Doppelbelastung durch WestLB verhindern

Das Land NRW will sich nur dann an dem Rettungspaket beteiligen, wenn von dem Notprogramm auch die Landesbanken erfasst werden. Eine Beteiligung des Landes und gleichzeitig ein alleiniges Einstehen für die Risiken der Westdeutschen Landesbank komme nicht in Betracht, erklärte Finanzminister Helmut Linssen (CDU).

Was ist heute, Herr Linssen? – Heute zahlen wir für alle anderen Landesbanken mit und tragen die Risi

ken für die WestLB ganz alleine. Seit Mittwoch hat sich unsere Situation verschlechtert.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich habe noch ein letztes Zitat aus dem „GeneralAnzeiger“, das ich Ihnen aber ersparen will. Sie wollen das ohnehin alles nicht hören und werden auch nach dem heutigen Tag so tun, als hätten Sie ein gutes Ergebnis erzielt.

Festzustellen bleibt: Am letzten Mittwoch noch hieß es, das Risiko für das Land NRW betrage 1,4 Milliarden €. Heute sind es schon 1,6 Milliarden € bis 1,7 Milliarden €. Die Situation hat sich also tatsächlich etwas verschlechtert. Wir sagen nach wie vor, dass für uns auch Risiken im Hinblick auf die 80 Milliarden € bestehen, mit denen Finanzspritzen für verschiedene Banken finanziert werden sollen und mit denen wir Forderungen aufkaufen werden. Wenn man Anteile an einer Bank, die ins Schlingern geraten ist, kauft, können die über Nacht gar nichts mehr wert sein – Totalverlust. Dieses Risiko beträgt für Nordrhein-Westfalen inklusive des Zukaufs von Forderungen 7,5 Milliarden €. Dazu kommen die 5 Milliarden € von der WestLB. Das macht zusammen 12,5 Milliarden €. Das ist aber noch nicht alles. Bei diesen 12,5 Milliarden € wird es nur bleiben, wenn es stimmt, dass das Ausfallrisiko bei dem Bundesschirm nur 5 % beträgt. Das könnte aber vielleicht viel höher sein. Was machen wir dann? Das Ausfallrisiko bei unserem Landesschirm für die WestLB beträgt 20 %. Die 12,5 Milliarden € sind das Mindestrisiko für Nordrhein-Westfalen. Diesen Umstand versuchen Sie schönzufärben. Am Ende werden die Bürgerinnen und Bürger die Zeche zahlen müssen.

Sie hätten sich einmal anschauen sollen, wie das am Freitag der letzten Woche im Bundesrat gewesen ist: Beck spricht. Koch spricht. Oettinger spricht. Wer spricht nicht?

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Rüttgers! – Gi- sela Walsken [SPD]: Rüttgers!)

Richtig, Rüttgers. Wer spricht stattdessen? – Der stellvertretende Ministerpräsident Pinkwart. Larmoyant parliert er über „Privat statt Staat“. Aber er sagt nichts zur Finanzkrise, nichts dazu, wie NRW betroffen ist, und nichts zu unseren Interessen. Das ist schäbig.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das ist Chefsache. Der Ministerpräsident ist mal wieder abgetaucht und war nicht an der Stelle, an der er gebraucht wurde.

(Helmut Stahl [CDU]: Das ist ein unqualifizier- ter Beitrag! Das disqualifiziert Sie! – Wider- spruch von Sylvia Löhrmann [GRÜNE] und Gisela Walsken [SPD])

Das gefällt Ihnen nicht. Mit der Wahrheit können Sie nichts anfangen.

Ich komme relativ schnell zum Schluss, meine Damen und Herren, damit das Leiden nicht noch größer wird.