Am Mittwoch habe ich bei der Sondersitzung sehr interessiert zugehört. Ich habe mir auch heute die Debatte interessiert angehört. Ich bin der Meinung, dass die Ursachen für die Krise, über die wir reden – Herr Weisbrich hat sie kurz angesprochen, Herr Stahl hat sie am vergangenen Mittwoch angesprochen –, in den meisten Debattenbeiträgen überhaupt nicht aufgetaucht sind.
Wir alle haben, glaube ich, in den letzten zwei Wochen jeden Tag alles, was es an Zeitungen, an Medienberichten gab, verfolgt und haben versucht zu verstehen, was tatsächlich in dieser – es ist mehrfach gesagt worden – größten Herausforderung, die die Finanzmarktkrise darstellt, tatsächlich abgelaufen ist. Es war und ist sehr schwer, das im Einzelnen zu verstehen.
Es hilft aber überhaupt nichts, wenn wir jetzt nur monokausal über die Rettungsaktion der Bundesregierung diskutieren. Ich will ganz klar sagen: Ich halte es für richtig, dass die Bundesregierung in der Kürze und in der Schnelligkeit reagiert hat. Das ist ja von den anderen Fraktionen auch unter Ausschluss der Minderheitsrechte, die sie hätten wahrnehmen können, toleriert und getragen worden.
Wenn man im Ergebnis trotzdem unter Umständen Differenzen hat, weil das Parlament von allen weiteren Prozessen weitgehend ausgeschlossen, dann kann man das austragen. Trotzdem kann man sagen: Es war richtig, schnell zu reagieren und das zu machen. Es gibt auch aus dieser Reaktion positive Effekte.
Danke, Herr Präsident. – Da Sie gewissermaßen um eine Zwischenfrage gebeten hatten, Herr Kollege Priggen, möchte ich sie Ihnen auch gerne liefern.
Sie haben in Ihren letzten Sätzen gerade deutlich gemacht, dass Sie die Sinnhaftigkeit dieses Rettungspakets nicht infrage stellen und die Zustimmung zum Rettungspaket begrüßen. Wie bewerten Sie dann, dass Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag als einzige Fraktion neben der Linkspartei diesem Rettungspaket trotz der deutlichen Verbesserung, die die FDP durchgesetzt hatte, nicht zugestimmt hat?
Halten Sie das Abstimmungsverhalten Ihrer Parteifreunde im Deutschen Bundestag, dem Rettungspaket nicht zuzustimmen, für richtig? Oder sagen Sie vor dem Hintergrund Ihrer Bewertung hier, dieses Abstimmungsverhalten war falsch, Herr Kollege Priggen?
Beifall für die Frage. Eine ganz eindeutige Antwort: Es war richtig, dass die Bundesregierung schnell reagiert hat.
Das ist gar keine Frage. Das ist nicht streitig. Ob die FDP Verbesserungsvorschläge durchgesetzt hat – daran muss man so viele Fragezeichen machen, wie ich alleine gar nicht machen kann. Was Sie durchgesetzt haben – um es einmal klar zu sagen – ist ein berichtender Ausschuss, der geheim tagt. Es hat noch nie einen Bundesfinanzminister gegeben, der eine solche Machtvollkommenheit hatte, um in den Verordnungen ein Gesetz umzusetzen mit einer Tragweite von 500 Milliarden €.
Sie haben mit dazu beigetragen – das war gerade die FDP –, dass sich das Parlament in Berlin seiner substanziellen Rechte selbst beraubt hat. Das ist der Vorwurf, den ich Ihnen machen muss.
Selbst wenn ich sage, es gab gute Gründe dafür, das schnell zu machen, und es richtig ist, in einer bestimmten Situation Schaden abzuwehren, muss man trotzdem kritisieren, dass der Bundestag als Parlament in allen weiteren Fragen praktisch überhaupt kein Mitspracherecht hat, sondern es abgegeben hat. Das kann man als Oppositionsfraktion ruhig sagen. Sie sind praktisch der Opposition in den Rücken gefallen.
Jetzt möchte ich gerne ein Stück weit auf das, was in der Debatte gefehlt hat, eingehen, denn in der gesamten Debatte ist nicht aufgetaucht: Wie sind wir überhaupt an diesen kritischen Punkt gekommen? Wie konnte es dazu kommen, dass eine derartige Finanzkrise entsteht? Was ist aus dem Ruder gelaufen?
Wenn Sie, wie in den letzten Tagen vielfach geschehen, mit Leuten reden, die aus dem Fach kommen und fragen, was die Ursache ist, dann bekommen sie als Erstes immer nur eine Antwort: Es war die Gier. Und dann sind es nicht nur die Banker. Ich halte diese Diskussion um die Gehälter von Bankern ein Stück weit für vorgeschoben. In den letzten zehn Jahren sind solche schlechten Sitten eingeritten: Man hat gemeint, die Leute müssten nicht mehr arbeiten, um Geld zu verdienen, sie müssten nicht mehr Schweiß vergießen, sondern man könnte durch Glücksspiel und Spekulationen Geld verdienen. Und das ist noch lange nicht zu Ende.
Ich hätte erwartet, dass die Landesregierung das einmal anspricht. Es waren ja nicht nur die Banken. Was ist denn mit unseren Stadtverwaltungen und
Städten, die ins Cross-Border-Leasing gegangen sind? Was blüht uns da noch an Risiken, die zurückkommen? Was ist mit den ganzen Swapgeschäften? Das ist in den Jahren eingerissen, in denen Stadtverwaltungen, Kämmerer auf steigende oder fallende Kurse spekuliert haben und damit versucht haben, Kommunen zu sanieren.
Und was ist mit den Renditediskussionen? Nachdem Herr Ackermann 16 % Rendite hatte und er gesagt hat, er wirft 10.000 Mitarbeiter raus, um 25 % Rendite zu bekommen, hatte doch jeder das Gefühl, dass das so nicht laufen kann.
Herr Kollege Stahl, Sie haben es in der letzten Diskussion richtigerweise angesprochen: Sie haben gesagt, Sie erwarteten Selbstkritik aus Reihen der Finanzwirtschaft. Das muss man ganz offen sagen: Da sind Leute, die tauchen weg und äußern sich nicht mehr, die uns vorher Woche für Woche gepredigt haben, was man alles tun müsste.
Jetzt gehe ich einen Schritt weiter. Wenn wir ehrlich sind, müsste es auch eine selbstkritische Debatte in den Parlamenten geben, und zwar auch quer durch die einzelnen Fraktionen. Es müsste auch auf Ihrer Seite, in der CDU-Fraktion, eine selbstkritische Debatte geben über die Maxime „Privat vor Staat“. Die Maxime „Privat vor Staat“, die Sie hier seit drei Jahren immer wieder predigen, kann man so nicht durchexekutieren,
wenn man sich die Schäden anguckt, die da sind. Sie sind natürlich noch nicht so wendefähig wie die Liberalen,
die uns jahrelang predigen und treiben. Herr Dr. Papke, Sie sind der parlamentarische Arm der Heuschrecken hier. Das ist Ihre Funktion.
Das machen Sie die ganze Zeit. Ich möchte noch einmal daran erinnern, wer uns hier im Nacken gesessen hat, am Sonntag müssten die Autowaschanlagen aufhaben, müssten die Videotheken aufhaben, müsste alles geöffnet sein,
Runde um Runde. Wer hat das zum Ziel seiner Politik gemacht? Das Bizarre ist: Wie hat man die Krise jetzt in den Griff bekommen? Der Sonntag existierte noch, Sie haben ihn noch nicht abgeschafft. Offensichtlich brauchte man den Sonntag. Das Faszinierende war, dass die parlamentarischen Runden, die Regierungen sich immer sonntags hinsetzen mussten, um bis montags morgens, bis die Börse aufmachte, die Krise wieder in den Griff zu bekommen. Vor Ihnen ist der Sonntag nicht sicher, das wissen wir.
Wir müssen darüber reden. Das, was jetzt im Finanzmarktbereich passiert ist, was Sie in vielen Bereichen anwenden wollten, ist nicht nur in dem Bereich zu diskutieren. Es geht zum Beispiel auch in Richtung Frau Kollegin Sommer. Wir müssen darüber reden, wir müssen lernen, dass es nicht unsere Aufgabe ist, unsere Kinder von klein auf für den Weltmarkt zu dressieren und zu selektieren. Das ist auch eine der Erkenntnisse.
Da sind auch in anderen Bereichen Sachen aus dem Ruder gelaufen. Wenn hier vorhin gesagt worden ist, wir brauchen den Staat als Ordnungsfaktor, dann ist die Diskussion um Mindestlöhne natürlich auch ein wichtiger Teil der Diskussion. Dass jemand, der Vollzeit arbeitet, von seinem Geld leben und nicht auf staatliche Transferleistungen angewiesen sein soll, ist auch eine Frage eines Ordnungsrechtes, mit der sich der Staat befassen müsste.
Das heißt: Die Ursachen für das, was uns im Finanzmarktsektor jetzt ereilt hat, sind das eine. Es geht viel weiter. Was die Landesregierung macht und was wir im Weiteren tun müssen, sind Fragen, die wir zu diskutieren haben.
Dies ist hier ist eine Unterrichtung der Landesregierung. Ich hatte erwartet, dass die Landesregierung über Risiken und Krisen auch in der Breite hier vorträgt. Sie kommen mir so vor wie Kevin Kuranyi in Dortmund auf der Tribüne. Sie haben 16 Bundesländer, elf dürfen spielen, aber die Landesregierung des größten Landes spielt nicht richtig mit. Sie memorisieren hier. Sie erzählen uns die Ergebnisse.
Wir hatten Landesregierungen mit Ministern, die unter ihren Kollegen auf Bundesebene wirklich einen Ruf hatten, die durchsetzungsfähig waren. Ich möchte an Herrn Schnoor erinnern, ich möchte an Herrn Schleußer erinnern, ich will auch an Herrn Hirsch erinnern. Es geht nicht nur um Sozialdemokraten, es geht gar nicht um Grüne. Es gab Minister aus Nordrhein-Westfalen, auf die haben die Politiker in den Bundesländern gehört, und sie hatten auch ein Gewicht bei der Bundesregierung.
Nordrhein-Westfalen spielt aber bei diesen Prozessen eine memorisierende, eine begleitende, aber in keinem Fall eine gestaltende Rolle.