Protokoll der Sitzung vom 22.10.2008

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Sie etikettieren Niederlagen, die man in Berlin hinnehmen muss, um. 250 Millionen € sind kein Pappenstil, aber darum allein geht es gar nicht. Es geht auch darum, dass Sie sich mit nichts eingebracht haben und dass von Ihnen auch jetzt keine Vorschläge kommen für den weiteren Prozess.

Herr Kollege Priggen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lindner?

Ja natürlich, bitte schön.

Bitte schön, Herr Kollege Lindner.

Vielen Dank, Herr Präsident! Vielen Dank, Herr Priggen! Herr Priggen, da Sie die bemerkenswerte Verbindung zwischen der Öffnungszeit der Videotheken am Sonntag und der Finanzmarktkrise hergestellt haben, möchte ich Sie fragen, ob nicht viel eher ein Zusammenhang zu der von der rot-grünen Bundesregierung erlaubten Tätigkeit von Hedgefonds in Deutschland – das war zu schwarz-gelber Verantwortungszeit nicht möglich – und der von Ihnen als rot-grüner Bundesregierung geschaffenen Möglichkeit der Kreditverbriefung, also der Auslagerung von Risiken aus der Bilanz heraus, besteht. Sehen Sie nicht da viel eher einen Zusammenhang mit der Finanzkrise? Und glauben Sie nicht, dass die Videotheken eher weniger damit zu tun haben?

Herr Lindner, ich stelle nicht den Zusammenhang zwischen der Finanzmarktkrise und Ihren Videotheken her. Das ist völlig klar. Nur Sie sind in allen Parlamenten diejenigen gewesen, die dafür waren und massiv vorangetrieben haben, dass praktisch alle Regulierungen, alle staatlichen Barrieren fallen sollten,

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

dass der Deregulierung Tür und Tor geöffnet wird. Das waren Beispiele. Sie waren über Jahre – ich bekomme das seit acht Jahren mit – immer diejenigen, die einem schwachen Staat, einem Staat der Nachtwächter, der den Wirtschaftskräften, die ihn treiben, ausgeliefert ist, das Wort geredet haben.

Es ist eine Dreistigkeit, dass Sie sich am Mittwoch und auch eben wieder hier hingestellt und gesagt haben: Für Liberale ist klar, es braucht einen starken Staat, der Ordnungsrecht beansprucht. Das haben wir hier acht Jahre – so lange sitze ich hier – nicht gehört.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Im Gegenteil: Sie waren die „Trallalapartei“ und die Partei der schrankenlosen Liberalität, nichts anderes.

Jetzt will ich etwas zu den Hedgefonds sagen. Ich lese Ihnen – die CDU-Kollegen haben es angesprochen – aus dem aktuell gültigen Koalitionsvertrag von CDU und SPD aus Berlin vor, betreffend Finanzmarktpolitik:

Produktinnovationen und neue Vertriebswege müssen nachdrücklich unterstützt werden. Dazu wollen wir die Rahmenbedingungen für neue Anlageklassen in Deutschland schaffen.

Das heißt, diese Bundesregierung hat das in ihrem Koalitionsvertrag stehen. Sie haben ähnliche Sachen vereinbart. Es war immer Ihre Linie. Reden Sie sich da nicht heraus! Ihr Leitwort war: Privat vor Staat. Und, Herr Lindner, Ihr letzter Wahlkampf: Tempo, Tempo, Tempo! Das sind alles Tatsachen. Heute kommen Sie damit nicht. Heute setzen Sie auf einmal auf den liberalen Ordnungsfaktor.

Wenn Sie eine ehrliche Debatte führen würden, dann würden Sie – gerade als Liberale – zugeben: Wir haben in den vergangenen zehn Jahren, als wir immer diese schrankenlose Marktmentalität vorangetrieben haben, auch Fehler gemacht. Wir müssen Ordnungsfaktoren neu setzen. – Doch da kommt nichts. Es kommt nicht ein konkreter Vorschlag von Ihnen, was denn reguliert werden müsste.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Chris- tian Lindner [FDP])

Ich würde Ihnen an einer Stelle – das ist letzte Woche gesagt worden – sogar recht geben: Das Desaster bei den Landesbanken macht uns vor allem deutlich – in der Sache wäre ich da sogar durchaus nah bei Ihnen –, dass sich Landesbanken wirklich nur noch auf ein absolutes Kerngeschäft beschränken sollten. Alles, was mit Auslagerungen, Glücksspiel, Zocken und Investments tun hat, gehört nicht zu deren Geschäft, und das sollten wir ihnen wegnehmen. Das sollten andere machen, die wir auch kontrollieren müssen. Da sind wir nicht auseinander.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zu einer ehrlichen Debatte gehört aber auch, dass man selber sagt: Wir haben in den letzten Jahren auch überzogen und an bestimmten Stellen nicht aufgepasst. Da müssten gerade auch die Liberalen ein Stück weit ehrlich mit sich umgehen.

(Dietmar Brockes [FDP]: Dann sagen Sie das doch auch einmal zur rot-grünen Zeit!)

Jetzt möchte ich Ihnen ein paar Punkte aufzählen, von denen wir meinen, dass sie als konkrete Maßnahmen notwendig wären, und zu denen wir von Ihnen, von der Landesregierung, nichts hören. Diese Maßnahmen sind jetzt von Bedeutung, wenn man den Finanzmarkt neu ordnet; das ist ja der zweite Teil. Im ersten Teil ist eine Rettungsoperation gemacht worden, damit die Realwirtschaft Kreditmöglichkeiten hat.Im zweiten Teil muss man doch den Ordnungsrahmen neu ordnen.

Dazu gehört so etwas wie der Aufbau eines staatlichen TÜVs für Finanzmarktprodukte. Es kann doch nicht sein, dass es Finanzmarktprodukte gibt, die selbst Banker nicht mehr verstehen, die verkauft werden, mit denen Leute praktisch wie beim Glücksspiel abgezockt werden und die dann hinter

her platzen. An der Stelle ist zu sagen, dass es genau so, wie es einen TÜV für Fahrzeuge gibt, auch hier einen TÜV geben muss, der dafür sorgt, dass nur Produkte auf den Markt kommen, die zulässig und im Rahmen des üblichen Rechts vertretbar sind. Dazu höre ich von Ihnen nichts.

Zur konsequenten Bekämpfung und Austrocknung der Steueroasen hat sich der Bundesfinanzminister jetzt sehr plastisch geäußert. Ich will Ihnen nur sagen: Für mich ist es völlig unverständlich, dass wir als deutscher Staat nicht in der Lage sind, sicherzustellen, dass niemand in Lichtenstein Geld anlegt, wenn es nicht eine saubere Transaktion ist, und dass wir so ein kleines Land hinsichtlich der Möglichkeit der Steuerhinterziehung nicht austrocknen können. Warum wir das nicht können, wenn es die Amerikaner machen, und warum es hier keine klare Position gibt, dass das geschieht, ist mir nicht einleuchtend.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zur Gründung einer öffentlich-rechtlich organisierten europäischen Ratingagentur muss man einmal ganz klar feststellen: Wir alle sind in sämtlichen Debatten immer von den Agenturen mit Ihrem „Triple A“ usw. getrieben worden. Wir alle müssen erkennen, dass das, was die Ratingagenturen immer empfohlen haben, Schall und Rauch war und es sich bei vielen Sachen jetzt als Desaster entpuppt. Die Konsequenz daraus ist doch, dass man eine ordnungsrechtliche Trennung vornehmen muss. Auch dazu hören wir nichts.

Das Verbot von Leerverkäufen taucht nicht auf. Ich würde erwarten, dass die Regierung des größten Bundeslandes in der Bundesrepublik an der Stelle auch klarmacht, wie sie den Ordnungsrahmen ändern will.

Auch die Vorgabe, dass Risikoaktiva nicht auf außerbilanzielle Zweckgesellschaften ausgelagert werden dürfen, fehlt.

(Zuruf von Ministerin Christa Thoben)

Dazu könnten Sie sich im Länderkonzert einmal vorher melden, und dann könnten wir das verfolgen. Sie aber werden uns in drei Wochen wieder vortragen, was die anderen alles nicht gemacht haben, nachdem das Paket fertig ist. Vorgreifend kommt es von Ihnen hier nicht. Deswegen ist aus meiner Sicht das, was Sie bisher machen, unzureichend.

Noch eine Sache, über die wir auch morgen in der aktuellen Stunde reden werden: Der Ministerpräsident hat hier vor der Sommerpause das erste Mal davon gesprochen, dass er eine drohende Rezession befürchtet. Dann hat er den skurrilen Vorschlag gemacht, dass man in Zukunft seinen Steuerberater absetzen können soll – als Konjunkturprogramm. Ich habe einmal ausgerechnet, was das für mich heißt: Es sind 140 € im Jahr. – Das ist albern, um es

auf Deutsch zu sagen. Er hat dies letzten Mittwoch hier wieder angesprochen.

Nun würde ich erwarten, dass diese Regierung, wenn es wirklich ihre Konsequenz ist und sie das denkt, dann auch Vorschläge macht, wie es gehen soll. Denn Operationen des Bundes, mit denen nachher praktisch Abwrackprämien für Autos bezahlt werden, oder Strohfeuer der Art, dass 200 € pro Person ins Weihnachtsgeschäft gehen sollen, sind alle nicht nachhaltig. Das ist nichts, was vernünftig ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir haben gestern Vorschläge gemacht. Darüber kann man in der Sache, im Detail reden – auch darüber, wie das zu gestalten ist. Investitionen in die Bauwirtschaft, die unter den Abschwungproblemen leiden wird, da die Neubautätigkeit zurückgeht, oder Investitionen in das Energiesparen, um weniger Geld für Öl- und Gasimporte auszugeben, wären eine vernünftige Strategie.

Alles, was ich jetzt gehört habe, zum Beispiel die große Sorge um die Atomkraftwerke in BadenWürttemberg und Bayern, die wir immer wieder hören, bei der ich aber die Arbeitsplatzrelevanz für Nordrhein-Westfalen nicht sehe – ich kann sie überhaupt nicht sehen und sehe auch nicht, dass das ein Konjunkturprogramm ist –, sind alte, aufgewärmte Kamellen, die nichts mit dem zu tun haben, was man in einer Rezessionsphase machen müsste. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Priggen. – Als Nächster spricht der fraktionslose Kollege Sagel.

Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Präsident! Was ist an dem Verhandlungsergebnis gut? Alle Bedingungen für eine Inanspruchnahme der Staatshilfe sind KannAussagen. Über staatliche Anteile und Vorschriften für Geschäftspolitik und Managergehälter will die Regierung je nach Gusto entscheiden. Die Kosten sollen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler bezahlen. Es ist keine Rede davon, dass die Bankmanager zur Verantwortung gezogen werden, und diejenigen, die Milliarden verzockt haben bzw. auch Milliardengewinne eingestrichen haben, bleiben außen vor. Das ist die Realität dessen, was in Berlin herausgekommen ist.

Unser Finanzminister in Nordrhein-Westfalen hat heute in einem Interview den „Westfälischen Nachrichten“, der konservativ-christlichen Zeitung aus Münster, gesagt:

Lasst die Tassen im Schrank! Keinen Cent für Wünsche!

Dies steht auf der rechten Seite, und interessanterweise sieht man auf der linken Seite Herrn Glos. Herr Glos wirbt für ein Konjunkturprogramm. Mit anderen Worten hat Herr Glos nach Aussage von Herrn Linssen nicht alle Tassen im Schrank. Dies ist offensichtlich die Meinung. Es ist sehr interessant, zu hören, wie man sich innerhalb der CDU/CSU offensichtlich in keinster Weise einig ist.

Herr Linssen, Sie haben von den Lemmingen geredet. Ich kann Ihnen nur sagen, dass Sie selber zu den Lemmingen gehören, denn Sie sitzen seit Jahren bei der WestLB. Wenn man sich das hier anhört, was auch die Wirtschaftsministerin erzählt: Da wird nur Geld verbrannt, ein konjunkturelles Strohfeuer. Das, was Sie jetzt hier in Nordrhein-Westfalen vorhaben, bedeutet doch, mit einem Riesenschritt von der Finanzkatastrophe direkt in die Klimakatastrophe zu gehen, wenn Sie längere Laufzeiten für Atomkraftwerke fordern. Mich hat gewundert, dass Sie nicht gleich auch den Neubau und neue Kohlekraftwerke gefordert haben. Das ist die Politik. Das sind Ihre konjunkturellen Maßnahmen für Nordrhein-Westfalen. Ich sage nur: Das ist eine ganz klasse Politik. Es geht mit einem großen Schritt gleich nach der Finanzkatastrophe in die Klimakatastrophe.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Die größte Nummer hat heute allerdings die FDP gebracht. Sie lebt wirklich in einer Parallelgesellschaft.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Diese Bankrotteure bemängeln jetzt auf einmal, dass man die Finanzmärkte nicht reguliert hat. Es wurde schon richtigerweise gesagt, Sie sind der parlamentarische Arm der Heuschrecke. Sie waren doch diejenigen, die alles getan haben, um eine Regulierung der Finanzmärkte zu verhindern.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Herr Papke ist doch der Oberneoliberale. Er stellt sich jedes Mal hierher und hält noch Brandreden für den Neoliberalismus; er bezeichnet sich auch selbst als solchen. Sie sind die Allerletzten, die in dieser Frage jetzt irgendetwas Sinnvolles beizutragen haben.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP] – Weitere Zurufe von der FDP)