Protokoll der Sitzung vom 23.10.2008

(Zuruf von Edgar Moron [SPD]: Nach so einer Rede hast du es schwer!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich natürlich, dass Herr Lienenkämper gleich versucht, den Ministerpräsidenten zu erklären. Darauf hat Nordrhein-Westfalen gewartet.

(Zuruf von Ralf Jäger [SPD]: Der Messias ist da!)

Herr Weisbrich, das war eine Märchenstunde für die Seniorenunion. Und Sie wissen, wie die Geschichte ausgeht.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Bündnis 90/Die Grünen haben die richtigen Fragen gestellt. Deswegen ist es gut, dass wir nicht über die Gefühle der Menschen, die Sie, Herr Weisbrich, vielleicht versuchen zu vermitteln, reden, sondern über das, was Herr Ministerpräsident Rüttgers im August erklärt hat. Und dass Sie die Chuzpe gehabt haben, dieses unglaublich krude Interview auf „WDR Morgenecho“ als Zeuge seiner unglaublichen Weitsicht zu benutzen,

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

ist in der Tat fahrlässig. Denn wenn man sich dieses Interview – das können wir uns alle durch die Möglichkeiten von Podcast in Erinnerung rufen – vergegenwärtigt, dann stellt man fest, dass es sozusagen der Widerspruch in sich ist. Wir haben keine Rezession, aber wir brauchen ein Antirezessionsprogramm. Die wirtschaftliche Lage ist einigermaßen stabil, aber wir müssen jetzt ganz großartige Initiativen machen, zum Beispiel endlich wieder die Anerkennung der Ausgaben für Steuerberater. Meine Damen und Herren, das ist die Antwort von Jürgen Rüttgers auf das, was gerade passiert.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Deswegen sage ich ausdrücklich: Mein Kollege Priggen hat Recht, dass wir über diese Vorschläge diskutieren.

Noch einmal: Man muss darüber streiten, ob das, was Jürgen Rüttgers im Sommer versucht hat, politisch naiv oder fahrlässig war, oder sogar Beides.

(Christian Weisbrich [CDU]: Weder noch!)

Ich sage Ihnen: Es war Beides.

(Christian Weisbrich [CDU]: Weder noch!)

Und deswegen war die Resonanz – daran haben Sie sich nicht abgearbeitet, weil es Ihnen wehtut – auf die Vorschläge von Ministerpräsident Rüttgers ernüchternd, um nicht „beschämend“ zu sagen, für den von Ihnen apostrophierten großen Politiker des größten Landes in Deutschland, Ministerpräsident Rüttgers.

Der Bonner „Generalanzeiger“ hat formuliert: „Aufträge an Steinbrück, Brüssel und die OECD“. Das war der große Weltpolitiker Rüttgers. Die „Neue Westfälische“ kommentierte knapp: „Im Westen nichts Neues“. Und wenn, Frau Thoben, wir über den Westen und Ihre Wirtschaftspolitik reden, dann muss man nach Ihrer gestrigen Einlassung – Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke, dann Finanzierung der Verschrottungsprämie für Altautos – sagen: Das ist nicht „im Westen nichts Neues“, sondern das ist der wilde Westen, den Sie hier in Ihrer Wirtschaftspolitik apostrophieren.

(Beifall von der SPD)

Aus aktuellem Anlass muss man natürlich auch sagen, was gestern in Dresden misslungen ist. Auch daran haben insbesondere christdemokratische Ministerpräsidenten einen erheblichen Anteil, allein das Ziel zu bestimmen, dass 10 % des Bruttoinlandprodukts für Bildung ausgegeben werden. Das ist richtig. Aber dieses Ziel reicht nicht aus.

Ich bin sehr dankbar, dass der „Kölner StadtAnzeiger“ heute ein, wie ich finde, herausragendes Interview mit dem Wirtschaftsnobelpreisträger Stiglitz herausgebracht hat. Stiglitz formuliert richtigerweise als Empfehlung, die Regierung – ich zitiere – sollte daher unverzüglich damit beginnen, in die Infrastruktur, die Bildung und andere Projekte zu investieren, die helfen, unsere Ökonomie und Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. – Bildung bleibt also ein wichtiges Thema.

Herr Weisbrich, ich möchte noch einmal weg von Ihrer Märchenstunde hin zu den Fakten kommen. Der Blick beispielsweise in den Monatsbericht des Bundesministeriums der Finanzen hilft. Der aktuelle Bericht von September 2008 gibt ja unter anderem die Konjunkturentwicklung aus finanzpolitischer Sicht wieder. Dort heißt es – ich zitiere –: Das Bruttoinlandsprodukt ist im 2. Quartal merklich zurückgegangen. Und weiter: Die Indikatoren für die Wirt

schaftstätigkeit im produzierenden Gewerbe zeigen eine deutlich abwärts gerichtete Entwicklungstendenz. – Das gilt unter anderem für die Industrieproduktion. Das gilt insbesondere auch für den privaten Konsum.

Angesichts dessen bleibt alles das, was Sie formuliert haben und was sicherlich gleich Herr Lienenkämper formulieren wird bei seinem Versuch, den Ministerpräsidenten zu erklären, sowie das, was Ministerpräsident Rüttgers und seine Wirtschaftsministerin formuliert haben, offen.

Noch einmal: Automobilindustrie in NordrheinWestfalen! Wir haben Sie aufgefordert, dort endlich etwas zu tun. Heute ist zu lesen, dass 10.000 Arbeitsplätze gefährdet sind. Frau Thoben, Sie sind beim Thema „Cluster“ immer noch nicht weiter. Auch die Bauindustrie ist ein wichtiges Thema.

Meine Damen und Herren, liebe Kollegen, mein Kollege Stiegler …

(Minister Andreas Krautscheid: Ein großer Politiker!)

Ja, ein großer Politiker, genau, Herr Krautscheid. An der Stelle wäre ich etwas vorsichtiger. Dieser Kollege ist in den Deutschen Bundestag gewählt, Herr Krautscheid. –

(Beifall von der SPD)

… sagt: Wir brauchen jetzt Initiativen mit einem hohen Multiplikator- und Beschäftigungseffekt. Meine Damen und Herren, wir sind auf Ihre Vorschläge gespannt. Sie bleiben dahinter zurück.

Ich sage es Ihnen ganz deutlich: Sie haben die Zeichen der Zeit für Nordrhein-Westfalen und Ihre Verantwortung in Nordrhein-Westfalen nicht erkannt. Die beiden Kabinettsmitglieder Ü 60 – das sind Herr Linssen und Frau Thoben – verharren in einer Art – ich darf es sagen – „Ministersklerose“, während andere Fachminister – nämlich die aus der Gruppe der U 60 – schon mit den Hufen scharren, aber eben nicht von der Stelle kommen.

Herr Laumann denkt über ein Straßenbauinvestitionsprogramm nach. Herr Linssen sagt dazu gar nichts.

Herr Wittke lobt sehr das Investitionsprogramm für Energie, aber macht nicht weiter. Er bleibt stehen. Er redet weder mit dem Finanzminister noch mit Frau Thoben.

Ganz anders Herr Tiefensee: Herr Tiefensee ist sehr konkret. Herr Steinbrück ist sehr konkret. Die Bundesregierung nimmt ihre Verantwortung wahr, aber Sie bleiben in Ihrer Verantwortung zurück.

Herr Weisbrich, Sie haben ein wichtiges Element, das Handwerk, genannt, an das ich erinnern möchte: Wir haben das Thema „Handwerk“ und dort die Steuerabzugsmöglichkeiten wieder auf die Tages

ordnung gebracht. Das ist genau das richtige Instrument, um voranzugehen. Im Unterschied zu Ihrer Märchenstunde ist das die konkrete Politik von Tiefensee und Steinbrück; eine solche Politik nehmen auch wir hier in der Verantwortung für die Menschen in Nordrhein-Westfalen wahr. – Herzlichen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Danke schön, Herr Eumann. – Für die FDP spricht nun Herr Brockes.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als der Ministerpräsident am 12. August, also direkt nach der parlamentarischen Sommerpause, seine Pressekonferenz abgehalten hat, hat er, glaube ich, nicht daran gedacht, dass das ganze zehn Wochen später einmal Thema einer Aktuellen Stunde im Landtag würde. Insofern, Herr Kollege Priggen, muss ich Ihnen meinen Respekt dafür zollen, dass Sie es geschafft haben, diese angebliche Aktualität heute herzustellen, und zwar erst recht vor dem Hintergrund, dass wir erst gestern eine Unterrichtung seitens der Landesregierung hatten, die sich eigentlich mit genau demselben Themenkomplex befasst hat.

Meine Damen und Herren, aber das gibt uns Gelegenheit, den Antragstellern zu erklären, worin der Unterschied zwischen einem Antirezessionsprogramm, wie es der Ministerpräsident vorgeschlagen hat, und einem staatlichen Konjunkturprogramm herkömmlicher Machart besteht.

Meine Damen und Herren, ein Antirezessionsprogramm, wie wir es in der Regierungskoalition verstehen, wirkt – erstens – präventiv, setzt also nicht erst dann an, wenn der wirtschaftliche Abschwung schon da ist, zielt – zweitens – auf die Angebotsseite des Marktes – das heißt, ein solches Programm verbessert die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Investitionen, Wachstum und Beschäftigung – und führt drittens nicht zu einer Ausweitung der Staatsverschuldung.

Meine Damen und Herren, Konjunkturprogramme hingegen, wie sie zurzeit in Deutschland und auch hier zunehmend gefordert werden, werden aus politischem Aktionismus heraus in aller Regel erst dann aufgelegt, wenn es schon zu spät ist. Solche Programme setzen auf die Nachfrageseite, entfachen allenfalls ein kurzes Strohfeuer, ohne einen nachhaltigen Wachstumsimpuls auszulösen. Das Schlimmste ist meines Erachtens, dass sie zu einer verhängnisvollen Ausweitung der Staatsverschuldung führen, meine Damen und Herren.

Unzweifelhaft gehört in die zweite Kategorie das, was dieser Tage als sogenanntes sozialökologisches Zukunftsinvestitionsprogramm für NordrheinWestfalen vorgestellt wurde. Meine Damen und

Herren, ganz so, als ob es um die Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalens bestens bestellt sei, soll man mal so eben 1,6 Milliarden € aus dem Landeshaushalt heraushauen, natürlich auf Pump finanziert, zulasten, meine Damen und Herren, unserer Kinder und Enkelkinder.

(Beifall von der FDP)

An der Stelle fühle ich mich an die Diskussion von gestern erinnert, Frau Asch.

(Hannelore Kraft [SPD]: Von heute Morgen!)

Gestern war von der Betreuung für die unter Dreijährigen die Rede. Seitens der Regierung wurde betont, dass wir 30.000 zusätzliche Plätze für die Betreuung von unter Dreijährigen aufgebaut haben. Gerade aus wirtschaftspolitischer Sicht finde ich das zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sehr, sehr wichtig. Das ging Ihnen nicht weit genug.

Frau Asch, wenn wir diesen Kurs, den uns Ihre Kollegen – insbesondere Ihre Chefökonomin, Frau Löhrmann – dieser Tage hier vorgestellt haben, fortsetzen würden, dann wäre genau für diese Betreuung der Kinder kein Geld mehr da. Wir könnten dann dieses Programm nicht fortführen, sondern würden weiter Schulden machen, meine Damen und Herren.

(Beifall von FDP und CDU – Zuruf von And- rea Asch [GRÜNE])

Das ärgert mich sehr, denn diese Kinder hätten dann keine qualifizierte Betreuung zur Verfügung, sondern wir würden Ihnen dann sogar noch die Schulden mit vor die Tür werfen – frei nach dem Motto „Ist doch egal, was nach uns kommt!“.

Meine Damen und Herren, damit machen Sie, die grünen Bankrotteure, genau die Politik weiter, mit der Sie dieses Land in zehn Jahren der Regierungsverantwortung ruiniert haben.

(Beifall von der FDP – Zuruf von Marc Jan Eumann [SPD])