Ein wesentlicher Erfolg der Kommission liegt aus meiner Sicht darin, dass trotz der eingangs geschilderten schwierigen Konstellation über weite Strecken eine vertrauensvolle Zusammenarbeit unter den Kommissionsmitgliedern begründet werden konnte. Nach meiner Einschätzung war die Arbeit für alle Beteiligten ein Lernprozess. Der Kommission ist es gelungen, in den Berichtsteilen A bis C bis auf wenige Ausnahmen und schließlich auch über den Bericht als Ganzes einen Konsens zu erzielen. Allen Beteiligten war demgegenüber bewusst, dass gerade der Berichtsteil D, die Handlungsempfehlungen, so etwas wie eine Sollbruchstelle markieren würde. Doch auch hier gab es trotz der 52 Sondervoten, die teils abweichend, teils ergänzend zu Mehrheitspositionen sind, viele Übereinstimmungen.
Auch wenn gleich die nachfolgenden Rednerinnen und Redner die Interpretation der Ergebnisse aus der Sicht der jeweiligen Fraktionen vortragen werden, möchte ich hier die Gelegenheit nutzen, einige wenige Bereiche herauszugreifen, wobei die Auswahl natürlich subjektiv ist, und Ihnen diese vorstellen.
Als Erstes möchte ich die frühkindliche Bildung nennen, das Handlungsfeld 4 „Erziehung, Bildung und Betreuung gut und flexibel gestalten: Kinder in frühen Jahren ganzheitlich fördern“, das sich durch weitgehenden Konsens auszeichnet. Dabei hat sich die Kommission mit Fragen der Quantität wie dem Betreuungsschlüssel und Fragen der Qualität, beispielsweise individuellen Bildungsplänen, befasst. Die Erkenntnis, dass man nicht früh genug mit anspruchsvollem Lernen beginnen kann, da das kindliche Gehirn sehr viel effizienter lernt als das Gehirn Erwachsener, ist für mich anhand der neurowissenschaftlichen, entwicklungspsychologischen und pädagogischen Untersuchungen von Ahnert, Stern, Braun und Holodynski in der Kommission noch einmal deutlich geworden.
Ich erinnere mich besonders an eine Grafik zur Entwicklung der synaptischen Verbindungen im menschlichen Gehirn aus dem Vortrag von Frau Prof. Braun. Die zeigte nämlich sehr deutlich, dass der Höhepunkt dieser so wichtigen Vernetzungen
im menschlichen Gehirn bereits im ersten Lebensjahr erfolgt und danach – das sagt man als Älterer – leider der Grundsatz gilt: Use it or loose ist. Zwar sind alle diese Erkenntnisse nicht neu, doch haben wir offensichtlich immer noch ein Defizit bei der Umsetzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Praxis frühkindlicher Bildung.
Das Handlungsfeld 5 befasst sich mit der Schule als Lern- und Lebensort. Hier ging es unter anderem um den Ausbau und die Ausgestaltung der Ganztagsschule. Allerdings kam es in der Frage der zukünftigen Strukturen von Schule zu getrennten Voten. Dass die Mehrheit der Sachverständigen hier einen eigenständigen Weg beschritt, unterstreicht meines Erachtens nicht nur ihre Unabhängigkeit, sondern wird sicherlich auch in der Fachöffentlichkeit Beachtung finden.
Trotz der unterschiedlichen Positionen besteht im Grunde darüber Einigkeit, dass die Faktoren, die das Schulsystem beeinflussen, vielfältig sind. Dazu gehören neben der Struktur die Qualität des Unterrichts und die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer. Dissens besteht jedoch nach wie vor in der Frage, ob innere und äußere Schulreformen miteinander verkoppelt sind oder ob einer Reform Vorrang einzuräumen ist.
Schließlich möchte ich noch auf den Themenkomplex der Steuerung hinweisen, der sich gleich in mehreren Handlungsfeldern, vor allem aber in den Feldern 10, 11 und 12 des Berichts, widerspiegelt.
Die Steuerungsmöglichkeiten von Erziehung, Betreuung und Bildung hören sich zwar nicht so spannend an, sind jedoch ein ganz wichtiges Element unserer Kommissionsarbeit gewesen. Wir haben Handlungsempfehlungen zur Finanzierung, zur Verbesserung der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern, zur Neuordnung der Kompetenzen zwischen Land, Kommunen und Schulen vorgelegt. Im Unterschied zu den klassischen Steuerungsinstrumenten des Rechts spielen dabei zunehmend die Vernetzung, beispielsweise in regionalen Bildungslandschaften, oder das Contracting in Erziehungspartnerschaften eine Rolle.
Es finden sich aber auch durchaus Handlungsempfehlungen zum Bereich des Rechts. So empfiehlt die Kommission eine grundsätzliche objektive und gutachterliche Prüfung, ob und in welcher Weise Artikel 12 Landesverfassung, der sich mit Schularten, insbesondere mit der Hauptschule, beschäftigt, die Zukunft der schulischen Angebote für Kinder und Jugendliche sichert.
Ich könnte noch weitere Handlungsfelder aufführen, die sich auf familienunterstützende Maßnahmen, die Betreuung, die nonformale Bildung, die Bekämpfung von Armut und die Verbesserung der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen beziehen. Ich will jedoch zum Schluss noch Dank sagen
Nach einem Ihnen sicherlich bekannten afrikanischen Sprichwort braucht man ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen. Offensichtlich braucht es auch viele Menschen, um einen Enquetebericht zu schreiben. Ich möchte mich bei allen Abgeordneten, insbesondere bei den Obleuten der Fraktionen, den Kolleginnen und Kollegen Kern, Hendricks, Witzel und Asch, bedanken, die für mich stets wichtige Ansprechpartner waren. Besonderen Dank überbringe ich den Sachverständigen der Kommission: Prof. Bellenberg, Prof. Dollase, der heute hier anwesend ist, Prof. Gerlach, Prof. Klemm, Prof. Richter und Herrn Schnapka. Die Diskussion mit Wissenschaftlern und Praktikern aus unterschiedlichen Disziplinen war einmal mehr eine Bereicherung.
Ich bedanke mich bei den Referentinnen und Referenten der Fraktionen, die stets im Hintergrund wichtige unterstützende Arbeit geleistet haben. Und als Vorsitzender bedanke ich mich ganz persönlich bei meinem Kommissionsbüro, bei Frau Kuschmiersz und Herrn Reißberg, für das stets vertrauensvolle Teamwork.
Meine Damen und Herren, der Bericht, der Ihnen vorliegt und den Sie intensiv lesen sollten, wird hoffentlich die Diskussion im Land voranbringen, zu einer Versachlichung beitragen und eine Grundlage zum Austausch von Argumenten liefern. Ich hoffe sehr, dass Sie am Ende zu einem positiven Urteil gelangen, dass dieser Bericht zumindest ein kleiner Beitrag ist, um die Chancen für Kinder und Jugendliche in Nordrhein-Westfalen zu verbessern. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Prof. Dr. Bovermann. – Wir kommen zur Aussprache. Zunächst liegt mir die Wortmeldung des Kollegen Kern vor, der für die CDU-Fraktion sprechen wird.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter der Kommission! Es gibt politisch wohl wenig schönere und verantwortungsvollere Aufträge, als in einer Kommission mitarbeiten zu dürfen – durften wir doch abseits vom Tagesgeschäft zugegebenermaßen mit erheblichem zusätzlichem Arbeitsaufwand das Thema Chancen für Kinder im Auftrag des Parlaments gründlich durchleuchten.
Die Mitarbeit in der Kommission war auch deshalb etwas Besonderes, weil sehr oft die Tagesaktualität
aus Berlin und Düsseldorf in die Aufgabenstellung hineinspielte. Daher war es nicht immer einfach, den langfristigen Auftrag der Kommission losgelöst von der Tagespolitik zu behandeln. Das hat natürlich auch etwas mit der guten Arbeit vor Ort zu tun.
Das Ergebnis, das wir heute präsentieren, ist eine ausgezeichnete Sammlung von Fakten und Erfahrungen und ein gutes Fundament für weitere Entscheidungen, die uns im Parlament niemand abnimmt.
Die Kommission hat in den vergangenen zweieinhalb Jahren eine sehr engagierte und konstruktive Arbeit geleistet. Allen Beteiligten, den Mitgliedern und den Sachverständigen – dir, lieber Rainer –, den eingeladenen Experten, den besuchten Institutionen vor Ort sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktionen und des Kommissionssekretariats gebührt für diesen hohen Arbeitseinsatz Dank und große Anerkennung.
Bei objektiver Analyse des umfangreichen Berichtes können wir heute feststellen: Wir sind in NordrheinWestfalen seit der Regierungsübernahme auf dem richtigen Weg. Das gilt für die Familienpolitik, für die Kinder- und Jugendpolitik, genauso für die Sozialpolitik und die Schulpolitik. Seit 2005 werden die Weichen in diesen Felder wieder gut gestellt: runter vom Abstellgleis, der Zug gewinnt an Fahrt, aber er hat auch noch eine herausfordernde Strecke vor sich.
Zum Auftragsthema Erziehung, Bildung und Betreuung ist festzuhalten: Es gibt drei Kernfragen, um Chancen für Kinder zu beeinflussen.
Erstens. Wie fördern wir alle Kinder und insbesondere in der sehr wichtigen, frühkindlichen Entwicklung?
Zweitens. Wie stärken wir die Familien und Menschen, die in Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsfragen unsere Kinder hauptamtlich oder ehrenamtlich begleiten?
Drittens. Wie schaffen wir gute Rahmenbedingungen in den Kommunen und sozialen Räumen in Stadt und Land?
Meine Damen und Herren, was haben wir grundsätzlich gelernt? – Die Trias Erziehung, Betreuung und Bildung muss als ein Ganzes gesehen und darf nicht isoliert betrachtet werden. Erziehung findet nicht nur zu Hause statt.
Wir müssen sehr aufpassen, dass wir neben der formalen Bildung in der Schule – hier wird nur ein Drittel der Bildung transportiert – die informelle Bildung, zum Beispiel im Elternhaus oder Freundeskreis, und vor allem die nonformale Bildung nicht unterschätzen. Ein wesentlicher Teil der Bildung findet außerhalb der Schule im nonformalen Bildungsbereich statt. Hier sind die Volkshochschulen, die Musikschulen, die Vereine, die Kirchen, die „Offenen Türen“ oder die Jugendverbandsarbeit zu nennen.
Der Wert dieser Bildung für die Lebensfestigkeit der Kinder und Jugendlichen ist prägend. Hier tragen junge Leute als Gruppen- oder Übungsleiter oft schon sehr früh Führungsverantwortung. Diese Qualität, bei aller Notwendigkeit der Entwicklung von Ganztagsschulen, zu sichern und weiterzuentwickeln, ist eines der Schlüsselthemen unserer zukünftigen Gesellschaft. Sicherlich zieht auch hier unsere Volkswirtschaft und die Gesellschaft das Potenzial an Ehrenamtlern, Führungskräften und Leistungsträgern von morgen.
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, jedes Kind hat Stärken. Deswegen benötigen wir eine stärkenorientierte pädagogische Ausrichtung. Um das Ziel der Chancengerechtigkeit für unsere Kinder zu sichern, müssen wir festhalten, dass hier noch erheblicher Handlungsbedarf besteht. Das liegt auf der Hand.
Die umfangreiche Analyse des Berichts hat uns gezeigt, dass das etwas mit der sozialen Herkunft, der kulturellen Herkunft, der lokalen Herkunft und Behinderung oder Gesundheit der Kinder zu tun hat. Die multiplen Risiken in diesen Zielgruppen müssen durch nachhaltige Angebote reduziert werden können. Die Kinder brauchen unsere ganze Unterstützung.
Es gehört aber auch zur Wahrheit, dass Kinder mit guten Startvoraussetzungen ebenfalls mit größter Konsequenz zu fördern sind. Auch sie haben ein Anrecht auf Förderung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, welches sind nun nach Ansicht der CDU die wesentlichen Erkenntnisse und Empfehlungen aus der Kommission?
Die frühe und früheste Förderung der Kinder, von Anfang an, wurde jahrzehntelang vernachlässigt, weil ihre Bedeutung für die Entwicklung des Kindes unterschätzt wird. Die wesentliche Plattform für die Entwicklung eines Kindes ist bereits mit sechs bis sieben Jahren gelegt.
Evaluierte wissenschaftliche Erkenntnisse müssen schneller in die Praxis transportiert werden. Praxiserkenntnisse müssen schneller von der Wissenschaft aufgenommen werden. Danke, Herr Dollase, für die Unterstützung.
Die Förderung für den frühkindlichen Bereich muss ausgebaut werden. Qualität ist hier gefragt und muss weiter ausgebaut werden. Das ist eine ständige Aufgabe.
Besonders wichtig, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Ausbildung und vor allem die Fortbildung der Haupt- und Ehrenamtler, die in Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsfragen Verantwortung tragen. Das muss ausgebaut werden. Wenn wir die Kinder, die im Moment im Verfahren sind, nicht vergessen wollen, müssen wir sie jetzt stärken.
Der Schlüssel für eine erfolgreiche Entwicklung aller Jugendlichen liegt insbesondere im Elternhaus. Die Familie gibt dem Kind Rückhalt und Sicherheit. Sie ist und bleibt der wesentliche Werte- und Bildungsvermittler für das Kind.
Kinder benötigen feste Bezugspersonen und eine anregungsreiche, interessante Umwelt. Dort, wo Familien dies nicht ausreichend sicherstellen können – leider Gottes ist das auch der Fall –, muss der Staat unterstützend tätig sein. Deshalb sind gute und beste Kindergärten, Familienzentren und Schulen ganz besonders wichtig für Kinder aus benachteiligten Familien.
Deshalb ist es bei den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Anforderungen des Arbeitsmarktes auch richtig, dass das Ministerium die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu einem Schwerpunktthema entwickelt hat. Wir brauchen eine familienunterstützende Gestaltung des Erwerbslebens.