Protokoll der Sitzung vom 12.11.2008

Ich habe den Ministerpräsidenten an keiner Stelle in dieser Debatte gehört.

(Beifall von den GRÜNEN)

Er war an der Copacabana. An der Spree, Ecke Reichstag, hat man den Ministerpräsidenten aber

nicht gesehen – wie so oft, immer dann, wenn es um wichtige Interessen des Landes geht.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

In diesem Zusammenhang muss man natürlich auch noch auf die FDP zu sprechen kommen. Hatten Sie nicht in den Jahren 2003 und 2004 1 Milliarde € zusätzlich für Bildungsausgaben in diesem Land versprochen? Exakt diese 1 Milliarde € gefährden Sie jetzt mit Ihrer Blockadehaltung. Auf genau diesen Punkt müssen Sie eine Antwort geben.

(Beifall von den GRÜNEN)

An dieser Stelle geht es bei Ihnen nicht nur um Staatsversagen. Sie verraten letztlich die Zukunftschancen, die mit diesem Geld für die Länder verbunden sind.

(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Herr Remmel, bit- te!)

Sie sind auf dem Weg, im Bundesrat und hier gegen die Erbschaftsteuerreform zu stimmen. Der stellvertretende Ministerpräsident Pinkwart hat erklärt, dass die FDP – man höre! – diesen Gesetzentwurf im Bundesrat zu Fall bringen will. Genauso operieren die anderen Landesregierungen, an denen die FDP beteiligt ist.

Damit macht die FDP konsequent da weiter, wo sie vor der Finanzkrise aufgehört hat. Sie von der FDP wollen die Erbschaftsteuer perspektivisch ganz abschaffen. Sie wollen den Staat ausbluten lassen. Das steht bei Ihnen auf der Tagesordnung.

(Beifall von den GRÜNEN – Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Den Staat unterminieren!)

Statt 1 Milliarde € mehr für Bildung wird NRW nach dem Willen der FDP offensichtlich 1 Milliarde € weniger haben. Sie müssen heute dem Publikum erklären, wie Sie diese Lücke im Landeshaushalt, die aufgrund des von Ihnen beabsichtigten Abstimmungsverhaltens im Bundesrat entstehen wird, schließen wollen.

Insofern ist die heutige Debatte für die Opposition interessant. Die Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, sind von der Regierung und auch von der SPD bisher aber noch nicht beantwortet worden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Remmel. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Frau Kollegin Freimuth.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Remmel, in der Tat wird die FDP der von der Großen Koalition beab

sichtigten Erbschaftsteuerreform in der jetzt vorliegenden Form nicht zustimmen können. Sie ist unakzeptabel.

In fast schon bemerkenswerter Weise haben Sie uns deswegen gerade vorgeworfen, wir würden blockieren. Nein, Herr Kollege Remmel, wir gestalten.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Sie lassen den Staat ausbluten!)

Herr Remmel, daran, dass Sie sogar von einer „angeblichen“ Gefährdung des Mittelstandes gesprochen haben, erkennt man doch, dass Sie noch nicht erfasst haben, was diese Erbschaftsteuerreform in der Realität für mittelständische Unternehmen tatsächlich bedeutet.

Meine Damen und Herren, uns geht es darum, dass der Standort Nordrhein-Westfalen ein attraktiver Standort für Investitionen ist, damit Unternehmen hier auch investieren und Arbeitsplätze schaffen, sodass wir Menschen in Lohn und Brot bekommen, um daraus auch Lohn- und Einkommensteuer für das Land Nordrhein-Westfalen zu generieren. Das ist eine wesentlich bessere Vertretung der Interessen des Landes Nordrhein-Westfalen, seiner Bürger und seines Mittelstandes als das nun vorgelegte Konzept zur Erbschaftsteuer.

Meine Damen und Herren, es hat sicherlich in Deutschland selten eine so intensive Diskussion um eine Steuer gegeben, wie sie seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom November 2006 zur Erbschaftsteuer geführt wird. Dabei ist die Lage sicherlich unübersichtlich, weil die Kluft zwischen den Ländern, die deutliche Einnahmen aus der Erbschaftsteuer haben, und denen, die so geringe Einnahmen haben, dass sie eine völlig untergeordnete Rolle spielen, gewaltig ist.

Beim Thema Schenken und Erben – und das ist gerade in dem Wortbeitrag der Kollegin Walsken zum Ausdruck gekommen – muss man manchmal den Eindruck haben, dass es nicht in erster Linie um die Frage der Gerechtigkeit geht, sondern dass auch eine gehörige Portion Neid in diesem Themenkomplex immer wieder eine Rolle spielt.

Steuersystematisch kann man verschiedene Argumente mit guten Gründen anführen. Die einen sagen – was wir heute Morgen auch gehört haben –: Erbschaften sollen besteuert werden, weil es sich um eine Form des leistungslosen Einkommens handelt. Andere sagen: Alles, was vererbt wird, wurde bereits versteuert, meist mehrfach, und darf deswegen nicht noch einmal besteuert werden.

(Hans-Theodor Peschkes [SPD]: Fragen Sie mal Herrn Zumwinkel!)

Das Thema ist emotional; das merkt man auch hier.

Die Folgen für die Familien und die Familienunternehmen werden sehr unterschiedlich bewertet. Das kann man hier auch deutlich sehen. Die Ansichten stehen sich manchmal sehr unversöhnlich gegenüber.

Meine Damen und Herren, eine Steuer muss – das ist der Anspruch, den wir Liberale haben – auf jeden Fall gewährleisten, dass sie keine verzerrenden Wirkungen auf den Wirtschaftsprozess hat. Die Besteuerung muss vom Niveau her maßvoll erfolgen. Eigentum und Einkommen müssen grundsätzlich Privatsache sein, an dem sich der Staat nur eng beschränkt bedienen kann. Außerdem sollte eine Steuer mit möglichst niedrigen Erhebungskosten und möglichst wenig Bürokratie verbunden werden, damit die Erhebung von Steuern nicht zum Selbstzweck wird.

Die Pläne von Finanzminister Steinbrück waren zu keiner Zeit – und sind es auch nicht in dem jetzt angelegten Kompromiss; vielleicht ist es auch kein Kompromiss mehr – mit diesen Grundsätzen im Einklang. Der eingebrachte Entwurf sah in der Kombination mit neuen Bewertungsregeln und Freibeträgen bzw. Steuersätzen eine teilweise exorbitante Steuerlast mit fast konfiskatorischen Wirkungen auf das vererbte Vermögen vor. Die Regelungen insbesondere zur Unternehmensübernahme führen zu einem enormen bürokratischen Aufwand und sind nach wie vor dazu geeignet, einen massiven Fortgang von Unternehmen und Arbeitsplätzen aus Deutschland auszulösen.

Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die Stellungnahme des nationalen Normenkontrollrats zu dem Regierungsentwurf, die die offizielle Regierungsangabe von rund 4,8 Millionen € Bürokratiekosten für die Unternehmen infrage stellt und vielmehr von einer Bürokratielast von 22 Millionen € ausgeht.

Jetzt mag man einzelne Bestandteile durchaus als einen Schritt in die richtige Richtung begrüßen. Das gilt zum Beispiel für die Freistellung von selbst genutztem Wohneigentum für Ehegatten und Kinder. Aber, meine Damen und Herren, wenn man sich dann die Details anschaut, dann wird es schon wieder kritisch. Deswegen möchte ich in aller Kürze auf die wesentlichen Kritikpunkte zu sprechen kommen.

Ein Widerspruch ist nicht plausibel aufgelöst: Mit dem ursprünglichen Entwurf, also vor dem jetzigen Kompromiss, sollte ein Steueraufkommen von 4 Milliarden € erzielt werden. Dieselbe Zahl taucht jetzt wieder auf, obwohl ja doch nach eigenen Angaben eine ganze Reihe von Befreiungen vorgenommen wurde.

Die Steuersätze von 30 bzw. 50 % in den Steuerklassen II und III haben konfiskatorische Wirkung auf vererbtes Vermögen. Das trifft in besonderer Weise Geschwister, aber auch nichteheliche Lebensgemeinschaften. Es ist nicht ersichtlich, warum

an dieser Stelle eine Differenzierung in zwei Steuerklassen erfolgt, da beide gleiche Freibeträge und Steuerstufen aufweisen.

Die Besteuerung von Familienunternehmen ist – ich habe es schon gesagt – so nicht akzeptabel. Die Haltefristen für Betriebsnachfolgen von sieben bzw. zehn Jahren werden äußerst lange Eigentumsbeschränkungen zur Folge haben. Zum Vergleich: Ein mit Subventionen bedachtes Unternehmen, wie wir das zum Beispiel im Fall Nokia zur Kenntnis nehmen mussten, muss lediglich eine Zweckbindungsfrist von fünf Jahren beachten und kann danach mit diesen Subventionen machen, was es will. Bei Betriebsnachfolgen aber gilt eine Zweckbindungsfrist mit erheblichen Auflagen und Einschränkungen von sieben bzw. zehn Jahren.

Die Begrenzung auf 200 m² für die Steuerfreiheit bei von Kindern selbst genutztem Wohneigentum ist willkürlich und verfassungsrechtlich aus meiner Sicht kaum haltbar.

Ich kritisiere ferner, dass in diesem Entwurf keinerlei Indexierung für die persönlichen Freibeträge enthalten ist, zum Beispiel nach der Maßgabe des Verbraucherindex. Wenn hier so getan wird, als sei die Grenze von 500.000 € so hervorragend: Freibeträge bleiben über Jahre und Jahrzehnte unverändert. Wenn wir uns die augenblicklichen Preissteigerungen anschauen, meine Damen und Herren, werden wir merken, dass die neuen Freibeträge innerhalb kürzester Zeit nicht mehr das abbilden, was mit ihnen eigentlich beabsichtigt werden soll.

Wenn wir uns dann noch – dies als letzte Bemerkung – damit auseinandersetzen, wie sich die europäischen Nachbarn aufstellen, wie sie zum Teil komplett auf die Besteuerung von Erbschaften verzichten, dann stelle ich fest: Die Bundesregierung hat alle Chancen gehabt, auch gute, konstruktive Wege zu gehen, wenn man denn die Erbschaftsteuer erhalten will. Sie hat keinen dieser Wege beschritten, keinen dieser Wege genutzt. Ich sehe diesen Gesetzentwurf nicht als zustimmungsfähig an. – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Danke schön, Frau Freimuth. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Finanzminister Dr. Linssen.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Landesregierung befürwortet die Erbschaftsteuer. Sie befürwortet selbstverständlich auch eine Reform der Erbschaftsteuer. Eine Abschaffung kommt für uns nicht infrage, damit gleich die Fragen, die Sie, Herr Remmel, gestellt haben, beantwortet sind.

(Hans-Theodor Peschkes [SPD]: Deshalb stimmen Sie im Bundesrat ja auch zu!)

Das Modell ist gemeinsam in Berlin erarbeitet worden. Dass jede Seite jetzt versucht, dass für sie Nützliche noch herausz arbeiten – Frau Walsken, das merkte man bei Ihnen ja sehr deutlich –, gehört wohl zum normalen Spiel.

Der Weg für die Erbschaftsteuer ist sicherlich frei. Eine Kompensation ist nicht erforderlich. Die Frage hatten Sie ja gestellt. Ich würde mich freuen, wenn Sie die Frage nach der Kompensation bei allen Ihren Modellen immer so deutlich stellen würden. Wenn Sie zum Beispiel hier einen Pakt für Städte produzieren, würde uns natürlich schon interessieren, woher Sie die 420 Millionen € holen, die bei Ihnen dann zulasten des Landeshaushalts oder der NRW.BANK verbucht werden. Sie können es sich nicht so einfach machen, immer nur da zu fragen, wo es angebracht ist, um in anderen Bereichen dem Landesgesetzgeber möglichst tief in die Tasche zu greifen.

Das Modell, das im Gesetzestext noch nicht vorliegt, findet sicherlich nicht unsere uneingeschränkte Zustimmung. Das wissen Sie aber auch, Herr Remmel. Ich denke, hin und wieder lesen Sie. Dann wissen Sie auch, dass wir ein eigenes Modell vorgelegt haben. Sie hatten vorhin beklagt, wo wir denn mit unseren Vorstellungen blieben. Natürlich sind die letzten Verhandlungen in Berlin zwischen den Koalitionären in Berlin besprochen worden.

(Zuruf von Johannes Remmel [GRÜNE])

Wenn Sie eine ähnliche Haltung wie die von der CSU gewünscht hätten, dann hätten Sie vorher sicherlich schon deutlicher angemerkt, dass wir diese Rolle hätten spielen sollen.

Ist das nun wirklich ein modernes Steuergesetz? Die Frage kann man ja wohl stellen. Sie wissen, dass wir in Nordrhein-Westfalen seit langem fragen: Überlegt doch einmal, ob die Rücksichtnahme auf jede Einzelfallgerechtigkeit so wichtig ist, dass man ein Steuerrecht nachher nicht mehr administrieren kann? Die Fragen stellen wir uns natürlich im Zusammenhang mit dem, was uns jetzt bekannt ist. Aber die Gesetzestexte liegen immer noch nicht vor, jedenfalls sind sie im Finanzausschuss des Bundestages noch nicht durch. Natürlich behalten wir uns vor, das sehr genau zu prüfen, gerade was die Administrierbarkeit angeht.

Auch Frau Kollegin Freimuth hatte davon gesprochen, dass wir uns das, was an Bürokratie damit verbunden ist, sehr genau ansehen müssen. Denn die Konsequenzen, die wir alle auch aus den Forderungen der Deutschen Steuergewerkschaft kennen, sehe ich alle schon bildhaft vor meinen Augen.

Meine Damen und Herren, natürlich ist es so, dass das Finanzvolumen von 4 Milliarden € gewahrt werden musste und es deshalb auch bei der Steuer