Protokoll der Sitzung vom 12.11.2008

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen, 105. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch den Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich sechs Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Wir treten in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1 Aktuelle Stunde

Nordrhein-Westfalen kann auf die Einnahmen aus der Erbschaftssteuer nicht verzichten – eine neue, reformierte Erbschaftssteuerregelung muss zum Jahresende in Kraft treten

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 14/7868

Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 10. November 2008 gemäß § 90 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu der obigen aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin Frau Walsken für die SPD das Wort. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die gute Nachricht lautet: Die Erbschaftsteuer bleibt den Bundesländern erhalten –

(Beifall von der SPD)

4 Milliarden € mindestens, die wir für gute Bildung und für die Kinder in unserem Land einsetzen können. Versuche aus dem rechten Lager, die Erbschaftsteuer abzuschaffen, haben wir Sozialdemokraten genauso erfolgreich abgewehrt wie die Ansätze der CSU, sie zu regionalisieren, um ihr auf diesem Wege mittelfristig den Sargnagel zu verpassen. Mit dem jetzt vorgelegten Kompromiss wird das Aufkommen bundesweit mindestens 4 Milliarden € erreichen. Es wird nach den Prognosen der Steuerschätzer unter Umständen sogar auf 4,8 Milliarden € wachsen.

Die Sozialdemokraten haben die Erbschaftsteuer immer unter dem Stichwort Gerechtigkeit betrachtet. 4 Milliarden € sollen reiche Erben nach unserem Willen mindestens zum Staatshaushalt beitragen. Für

uns war es nie eine Frage, dass die Kernfamilie – die Ehegatten, aber auch die eingetragenen Lebenspartner und deren Kinder – steuerlich weitgehend verschont werden sollen, wenn sie ihr Wohneigentum weiter selbst nutzen wollen. Denn hier geht es nach unserer Auffassung in allererster Linie nicht um Vermögensübertragungen, sondern um die Basis des familiären Zusammenlebens innerhalb des engsten Familienkreises. Dies sollte durch die Erbschaftsteuer nie gefährdet werden.

Mit dieser klaren, an der sozialen Gerechtigkeit orientierten Position haben Sozialdemokraten immer – von Anfang an – für eine Beibehaltung der reinen Ländererbschaftsteuer geworben. An uns hat es nicht gelegen, dass es erst jetzt, in allerletzter Minute, nach monatelangen Blockaden, insbesondere durch die kleine CSU, mit der Union einen Kompromiss gibt. Dieser Kompromiss wird das selbstgenutzte Wohneigentum auch für die Kinder erbschaftsteuerfrei stellen, wenn die Wohnfläche 200 m2 nicht überschreitet. Das gilt übrigens auch für Enkel, wenn deren Eltern bereits verstorben sind. So weit die sozialdemokratische Handschrift des Kompromisses.

Ein unappetitlicher Beigeschmack stellt sich aber ein, wenn man weiß, dass der von CDU und CSU durchgesetzte Freibetrag in Wahrheit nur eine Klientel begünstigt: Villenbesitzer am allerobersten Ende der Immobilienwerteskala,

(Beifall von der SPD)

Millionärsfamilien, denen ein Steuerrabatt eingeräumt wird, damit – so vermuten wir – die Villen am Starnberger See künftig steuerfrei weitervererbt werden können. CDU und CSU waren zum Schutz dieser Millionärsinteressen bereit, das gesamte Erbschaftsteueraufkommen – bundesweit 4 Milliarden € – aufs Spiel zu setzen. Das Geld wird aber in den Ländern, auch in unserem Land dringend gebraucht. Allein in Nordrhein-Westfalen wären damit im Haushalt Investitionen in Höhe von knapp 1,2 Milliarden € in Bildung und Betreuung möglich.

In Abwägung dieser Situation haben sich die Sozialdemokraten dem Kompromiss gebeugt. Erhalt der Erbschaftsteuer, damit in Nordrhein-Westfalen Einnahmen in Höhe von 1,2 Milliarden € gesichert werden!

(Beifall von der SPD – Ute Schäfer [SPD]: Hört! Hört!)

Meine Damen und Herren, eigentlich müsste sich diese Landesregierung bei Peer Steinbrück in Berlin bedanken.

(Lachen von CDU und FDP)

Aber ganz im Gegenteil:

(Ute Schäfer [SPD]: Sie von CDU und FDP finden das lächerlich!)

Die schwarz-gelben Kollegen sind gerade dabei, die Verabschiedung des Gesetzes zu blockieren. Die kleine NRW-FDP hat angekündigt, das Gesetz zu kippen. Der Finanzminister eiert herum, kritisiert den Gesetzentwurf als zu bürokratisch, hat aber wieder einmal – wie schon beim Finanzmarktstabilisierungsgesetz – in Berlin bei diesem Thema überhaupt keine Rolle gespielt.

Meine Damen und Herren, sehr interessant ist die Position des Ministerpräsidenten, den das Thema heute Morgen offensichtlich überhaupt nicht interessiert.

(Die Rednerin blickt in Richtung des leeren Platzes des Ministerpräsidenten. – Zuruf von Johannes Remmel [GRÜNE])

Offiziell hat er sich nur einmal ablehnend geäußert, jedoch in Hintergrundgesprächen ein perfides Doppelspiel aufgelegt. Er ist gegen das Erbschaftsteuergesetz, meine Damen und Herren, glaubt aber, im Bundesrat eine gesicherte Mehrheit zu sehen, die weiterhin für den Erhalt stimmt.

Dazu müssen wir wissen, dass er durch seinen Finanzminister 1,2 Milliarden € in den Haushalt hat einstellen lassen. Unter dem Druck der FDP stimmt er aber jetzt im Bundesrat diesem Gesetzentwurf nicht zu. Meine Damen und Herren, das ist ein perfides Doppelspiel!

(Beifall von der SPD – Heike Gebhard [SPD]: Verlogen! – Weiterer Zuruf von der SPD: Wie immer!)

Aber wir kennen ja diesen Regierungsstil, meine Damen und Herren. Bei der Mehrwertsteuer wurde genauso taktiert.

(Ralf Witzel [FDP]: Da haben Sie die Wähler belogen! Wer hat das denn im Wahlkampf versprochen?)

Gerade Sie müssen an dieser Stelle intervenieren.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Eigentlich sei man dagegen, aber die anderen würden schon beschließen. Und die Einnahmen im Landeshaushalt nimmt man dann gern billigend in Kauf. Ich sage Ihnen dazu noch einmal: ein perfides Doppelspiel!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, der Ministerpräsident ist an dieser Stelle sehr zurückhaltend. Aber er wird diesem Parlament schon bald erklären müssen, wie er die Lücke von 1,2 Milliarden € in seinem Haushalt zu schließen gedenkt,

(Beifall von Hannelore Kraft [SPD])

wenn er riskiert, dass dieses Gesetz Mitte Dezember scheitert.

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, ich würde es für fairer halten, wenn die Landesregierung mit offenem Visier kämpft und deutlich macht: Wir sind dagegen und damit wollen wir auf 1,2 Milliarden € für diesen Haushalt verzichten. Das heißt, dass viele sinnvolle Projekte für Kinder und Jugend in diesem Land nicht zur Verfügung gestellt werden.

Warum, Herr Ministerpräsident, Herr Finanzminister, sagen Sie eigentlich nicht deutlich: Ich will dieses Geld nicht und erkläre diesem Parlament und den Bürgerinnen und Bürgern in Nordrhein-Westfalen, woher dann die 1,2 Milliarden € zusätzlich kommen sollen? – Ich freue mich, gleich die Antwort von Ihnen zu hören!

Meine Damen und Herren, wegzutauchen ist an dieser Stelle die leichteste Alternative. Aber das schadet dem Landeshaushalt. Deshalb sage ich Ihnen deutlich: Wenn jemand auf der einen Seite das Geld schon eingeplant hat, auf der anderen Seite aber alles tut, um das Gesetz zum Scheitern zu bringen, dann ist das ein Doppelspiel. In meiner Heimatstadt heißen solche Menschen Trittbrettfahrer.

(Beifall von der SPD)

Diese Landesregierung ist nur vordergründig und am liebsten medienwirksam den sozialen Dingen zugetan. Aber wenn es darum geht, 1,2 Milliarden € für dieses Land zu sichern, fehlt echtes Engagement!

(Ralf Witzel [FDP]: Abkassieren!)

Es ist wie immer: links blinken – rechts abbiegen! – Herzlichen Dank!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Danke schön, Frau Walsken. – Für die CDU-Fraktion spricht nun der Abgeordnete Klein.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! So unerwartet war der gerade gehörte Beitrag nicht. Wenn jemand diesen Tagesordnungspunkt beantragt, um ein bisschen am traditionellen sozialistischen Weltbild zu zeichnen, ist das nachvollziehbar.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Es geht um Ge- rechtigkeit! – Ursula Meurer [SPD]: Soziale Gerechtigkeit ist für Sie ein Fremdwort!)