Protokoll der Sitzung vom 12.11.2008

Selbstbestimmung und Teilhabe gelten in jeder Lebensphase für Menschen mit Behinderungen, für ältere und pflegebedürftige Menschen. Wir wollen sie in die Mitte der Gesellschaft holen. Dazu gehört das Wohnen. Wohnen ist ein Kernbereich für die Mitte der Gesellschaft. Diesen Anspruch wollen wir realisieren.

Das Wohn- und Teilhabegesetz ist im Kern Ordnungsrecht, auch wenn es andere Qualitätsgesichtspunkte der Betroffenen sichert. Dem müssen – das ist unsere Überzeugung, und das machen wir auch in unserem Entschließungsantrag deutlich – weitere Schritte folgen.

Viele Initiativen und Netzwerke, Kommunen, die Wohlfahrtspflege, die Wohnungswirtschaft haben sich im Land aufgemacht, das gemeinsame Wohnen von Jung und Alt, von behinderten und von pflegebedürftigen Menschen im Quartier mit viel Kreativität und Ideen zu realisieren und solche Projekte zu verwirklichen. Unser politischer Wille und Anspruch –ich glaube, auch des Parlamentes als Ganzem – ist es, diese Initiativen zu stützen und zu unterstützen.

Ich stelle auch fest: Die Gesetzgebung in diesem Feld ist nicht widerspruchsfrei, weder im Land noch auf der Bundesebene. Die Frage der Pflegestützpunkte ist ein Beispiel dafür. Wir haben es im Land auch mit einer gewissen Zersplitterung zu tun; die Zuständigkeit für dieses Thema verteilt sich auf drei Ministerien. Ich will das nicht weiter ausdehnen. Da kann man sicherlich noch eine klarere Orientierung geben.

Wir als Sozialdemokraten sind davon überzeugt, dass die Lebensqualität der wachsenden Zahl von Menschen, die pflegebedürftig sind, und auch der Menschen mit Behinderungen vorrangig in ambulanten Strukturen und nicht in stationären Einrichtungen gesichert werden muss. Wir können bei allem Wollen, Wohnlichkeit und Individualität in den Einrichtungen zu sichern, eines nicht verhindern: Mit dem Eintritt von Menschen in eine stationäre Einrichtung wird ein Stück Souveränität über die Gestaltung des Lebensalltags abgegeben. Deswegen setzen wir vorrangig auf ambulante Struktur.

Also, ambulant vor stationär – diese Verpflichtung des Pflegeversicherungsgesetzes wollen wir nun endlich Realität werden lassen, und dazu braucht es vieler gemeinsamer Anstrengungen. Das will heute die ältere Generation, und das will insbesondere die nachwachsende Generation. Das sind Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die hier sitzen.

Deswegen ist es notwendig, weitere Schritte folgen zu lassen. Da wir diese Normalität wollen, muss der Bereich für den Personenkreis pflegebedürftiger älterer behinderter Menschen ein eigenständiger, umfangreicher und ausdifferenzierter Förderbereich der Wohnungsbauförderung werden, der auch die Förderung von Gemeinschaftseinrichtungen umfasst und sich der Frage widmet, wie die Frage der Einzelzimmer realisiert werden kann.

Bei der anstehenden Novellierung des Landespflegegesetzes – das steht an und ist in dem Entschließungsanträgen zum Ausdruck gebracht worden – müssen wir vorrangig auf ambulante Versorgungsformen setzen. Ich sage deutlich: Das Bett der auf Pflege Angewiesenen muss in der Regel daheim und nicht im Heim stehen. Das ist die Lebensnormalität von Menschen. Und vor dem Bett – egal, wo es steht – muss eine ausgebildete Pflegefachkraft stehen. Ich finde, da könnten Sie ruhig mal klatschen.

(Beifall von SPD und einzelnen Abgeordne- ten der GRÜNEN – Minister Karl-Josef Lau- mann: Wer soll das zahlen?)

Ein weiterer Punkt im Zusammenhang mit dem Landespflegegesetz ist, dass die Kommunen ein Entscheidungsrecht darüber haben müssen, ob sie einen Zubau weiterer stationärer Plätze in ihrer Gebietskörperschaft haben wollen oder nicht. Deshalb ist dafür in diesem Fall eine Sozialverträglichkeitsprüfung unumgänglich. Was für großflächigen Einzelhandel in diesem Land gilt, das muss auch für diese Art von Einrichtungen möglich sein.

(Beifall von der SPD)

Altenhilfeplanung ist ein Punkt, den wir in den Kommunen unterstützen müssen. Wir müssen weg von der Versorgungsplanung hin zu einer sozialräumlichen Betrachtungsweise kommen. Nur so werden wir das Ziel Selbstbestimmung und Teilhabe sowie die Erhaltung der alten Häuslichkeit von Betroffenen verwirklichen. Sie SPD – und ich hoffe auch, die Mehrheit dieses Hauses – stellt sich dieser Herausforderung. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nun hat sich Herr Henke für die CDU-Fraktion zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege Henke, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Keine Bange, ich habe nur noch eine Minute Redezeit.

Frau Steffens, ich habe mich nur noch einmal gemeldet, weil ich in aller Klarheit sagen will: Das, was Sie über die Gültigkeit der Bestimmungen der Charta gesagt haben, passt einfach nicht zu dem Gesetz, das wir jetzt verabschieden. Die Regeln der Charta der Rechte pflegebedürftiger Menschen sind in diesem Gesetz enthalten.

Dann folgt ein Passus, der so lautet:

Die Betreiber haben die Rahmenbedingungen zu gewährleisten, die den Bewohnern ihrem Alter, ihrer Behinderung oder ihrer Pflegebedürftigkeit entsprechend eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen. Sie haben die personelle, sachliche und bauliche Ausstattung vorzuhalten, die nach den Bestimmungen dieses Gesetzes und dem jeweiligen Stand der fachlichen und wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Deckung des individuellen Bedarfs der Bewohner erforderlich ist.

So werden wir das jetzt verabschieden. Deswegen weise ich den Vorwurf, dass hier keine Verbindlichkeit wäre, ausdrücklich zurück, weil Sie damit die

Fraktionen, die zustimmen, in ein völlig falsches Licht rücken. – Schönen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Henke. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Damit sind wir am Schluss der Aussprache und kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf Drucksache 14/6972. Hier hat der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales in seiner Beschlussempfehlung Drucksache 14/7819 empfohlen, den Gesetzentwurf in der Fassung seiner Beschlüsse anzunehmen. Wer diese Beschlussempfehlung annehmen möchte, bitte ich um ein Handzeichen. – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Dann ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Fraktionen von CDU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und bei Stimmenthaltung des fraktionslosen Abgeordneten Sagel angenommen und der Gesetzentwurf in zweiter Lesung verabschiedet.

(Beifall von der CDU)

Ich lasse darüber hinaus über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 14/7896 abstimmen. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmen möchte, bitte ich um ein Handzeichen. – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Dann ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Fraktionen von CDU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und bei Stimmenthaltung des fraktionslosen Abgeordneten Sagel abgelehnt.

Ich lasse abstimmen über den Entschließungsantrag der SPD-Fraktion Drucksache 14/7898. Wer dem Inhalt dieses Entschließungsantrags zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Fraktionen von CDU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen sowie des Abgeordneten Sagel gegen die Stimmen der SPD-Fraktion abgelehnt.

Meine Damen und Herren, ich lasse abstimmen über den Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 14/7901. Wer dem Inhalt dieses Entschließungsantrags zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Fraktionen von CDU und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowie des Abgeordneten Sagel angenommen.

Ich rufe auf:

3 Sofortmaßnahmen für mehr Gerechtigkeit in NRW

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 14/7840

Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende SPD-Fraktion Herrn Abgeordneten Groschek das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben den Antrag auch als Einladung an die Landesregierung und an die Landtagsmehrheit verstanden, zu beweisen, dass sie für die Sache der Gerechtigkeit in unserem Land nicht nur Mundwerker von weltmeisterlichem Format, sondern auch politische Handwerker sind.

Wir sollten das, was der Ministerpräsident sozial löblich auf seiner Brasilienreise vollbracht hat – beispielsweise die praktische Solidarität mit den dortigen Obdachlosen –, der Streichung der Mittel für die Obdachlosenberatung in NordrheinWestfalen gegenüberstellen.

(Beifall von der SPD)

Wir sollten sein Interesse für das Projekt „Kinderdorf Rio“, eine katholische Einrichtung, die aus Oberhausen gesponsert wird, dem entgegensetzen, was die Arbeitslosenberatung der katholischen Kirche in Oberhausen zum selben Ministerpräsidenten und seiner Landesregierung sagt: Statt Geld kamen Sonntagsreden. Das hat nichts mit katholischer Soziallehre zu tun. – Das ist die Wirklichkeit in unserem Land.

(Beifall von der SPD)

Wenn wir schon dabei sind, so etwas wie einen Dr.Rüttgers-TÜV zu reklamieren, lassen Sie mich klipp und klar sagen: Wir als Sozialdemokraten wissen, Johannes Rau war und bleibt moralische Instanz in unserem Land und darüber hinaus. Dr. Rüttgers ist bislang bloße Inszenierung in unserem Land und darüber hinaus.

(Beifall von der SPD)

Diese Inszenierung zielt allerdings auch nach Berlin, getreu dem Motto: Koch ist der harte Hund, Wulff bleibt der ewige Schwiegermutterliebling – inszeniere ich mich als der Johannes Rau des 21. Jahrhunderts. – Anders ausgedrückt: Das ist in Wirklichkeit die Dr.-Rüttgers-Variante, an den Gitterstäben des Kanzleramts zu rütteln, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Die Einladung „Wenn für Lau, dann jau“ geht ganz konkret an Sie. Diese Maßnahmen kosten kein Geld, sondern nur guten politischen Willen und bedürfen sozialer Verantwortung in unserem Land. Man kann sich nicht nach dem ansonsten bei Ihnen üblichen Motto drücken: Wir reklamieren soziale

Gerechtigkeit auf Bundesebene, tauchen aber weg, wenn es um landespolitische Verantwortung geht.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Erstens. Sorgen Sie mit uns gemeinsam dadurch für ein Stück Bildungsgerechtigkeit, dass die Gemeinschaftsschule dort sofort genehmigt wird, wo es vor Ort eine Mehrheit gibt. Das kostet kein Geld, sondern nur guten Willen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Zweitens. Sorgen Sie für einen Privatisierungsschutz. Bekennen Sie, dass „Privat vor Staat“ falsch war. Privatisierungsschutz heißt, gleich beim Sparkassengesetz zuzustimmen, dass ein Satz ergänzt wird: Die Privatisierung von Sparkassen ist in Nordrhein-Westfalen verboten. Das ist ganz einfach und eine Perspektive, die Sie sofort mittragen können, Herr Ministerpräsident.

(Beifall von der SPD)

Drittens. Beim Landespersonalvertretungsgesetz werden wir nie die Blamage, die Kollege Laumann und die Seinen vom CDA erleiden mussten, und ihre Körperhaltung vergessen, als die CDAMitglieder noch als Blümianer verschrien waren, nämlich: Köpfe runter, Hände hoch, Augen zu und durch. – Das ist keine St.-Martins-Haltung, Kollege Laumann. Sie geben Ihren St.-Martins-Mantel an der Garderobe ab und kneifen hier. Diese Politik dokumentiert keine Gradlinigkeit.

(Beifall von der SPD)

Viertens. Bei der Gerechtigkeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer flötet Herr Stahl mit den Seinen: Wir brauchen einen Tarifbonus für Gewerkschaftsmitglieder. – Da bleibt selbst Lindner als Koalitionspartner die Spucke weg. In Wirklichkeit aber haben Sie das Tariftreuegesetz geopfert, positionieren Sie sich gegen Mindestlöhne und haben Sie die Arbeitslosenberatung kurz und klein gestrichen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)