Protokoll der Sitzung vom 13.11.2008

Sie erwähnen ja häufig Horstmar/Schöppingen. Das dortige Angebot wird zur hohen Zufriedenheit aller Verantwortlichen betrieben. Hierdurch wird eine

gymnasiale Bildung auch in Horstmar und Schöppingen erreicht.

Als weiteres Beispiel nenne ich Hallenberg, Medebach, Winterberg. Diese Kommunen wurden ja bereits in der gestrigen Fragestunde von Ministerin Sommer angesprochen. Auch hier wird zum ersten Mal ein Bildungsangebot für alle Kinder aus diesen drei Orten gemacht.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Zum ersten Mal, Frau Beer – das ist vor dem Hintergrund des demografischen Wandels sehr wichtig –, sind drei Kommunen nebeneinander über ihren Schatten gesprungen und haben gesagt: Wir machen es gemeinsam. – Dieses neue Denken ist nur durch unser Schulgesetz möglich geworden.

Ein weiteres Beispiel ist die Verbundschule in Ense. Hier geht man neue hoch innovative Wege mit großer Zustimmung der Bevölkerung und der Lehrerkollegien.

Darüber hinaus nenne ich die MöhneseeHauptschule. Sie haben eben von Frau Berendes gesprochen. In der gestrigen Fragestunde haben Sie gegenüber Frau Sommer gesagt, am liebsten wäre Frau Berendes eine Gemeinschaftsschule in Möhnesee. Ich dachte, das ist doch einmal ein Anlass, Frau Berendes anzurufen und zu fragen, wie die das sieht. Als ich ihr das gesagt habe, ist sie fast umgefallen. Sie sagte: Ich will alles, aber keine Gemeinschaftsschule in Möhnesee. – Was sie in Möhnesee wollen, ist eine Verbundschule. Warum ist Möhnesee dafür sehr gut geeignet? – In Möhnesee ist die beste Hauptschule, die heute noch dreizügig läuft. Vorausschauend wie die Schule ist und die Leitung der Schule denkt, wollen sie auf Dauer die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler so erweitern, dass sie einen Realschulzweig aufnehmen, also die Gründung einer Verbundschule.

(Beifall von der FDP)

Das halte ich für sehr richtig. Seitens unserer Fraktion wird das nachhaltig unterstützt und vom Koalitionspartner auch. Das ist der richtige Weg. Das macht nämlich pragmatische Lösungen vor Ort möglich.

Sie merken selber, dass Sie mit Ihrer Propaganda mit Absicht Unsicherheit ins Land bringen, anstatt pragmatische Wege zu gehen, wo Neues geschieht und vor allem ortsnahe, flexible und passende Lösungen geboten werden. Das bedeutet, Ihr Blick, nach Schleswig-Holstein die nächste Variante aufzulegen, zieht nicht.

Ich komme nun zu dem niedlichen Versuch, uns und unseren Koalitionspartner auseinanderzubringen. Das, was die FDP auf ihrem Parteitag beschlossen hat – ich komme zum Schluss, ich habe die Redezeit übersehen –, ist zu 98 % mit dem kompatibel, was vorhanden ist. Ich empfehle Ihnen,

Frau Beer, die Parteitagsbeschlüsse, die Sie seitens der Grünen gefasst haben, jedem Gymnasiallehrer, jedem Realschullehrer, jedem Hauptschullehrer einmal im Detail zu erläutern.

(Beifall von der FDP)

Dann werden Sie wahrnehmen, dass die bisherigen Reformen nichts gegen den Sturm der Entrüstung in diesem Land sein werden, den Sie auslösen, wenn Sie Ihre Pläne zur Strukturänderung und damit zum Abbau aller Hauptschulen, aller Realschulen, aller Gymnasien umsetzen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg dabei. Sagen Sie es nur allen Lehrern, die Ihnen in den Schulen nahestehen. Sie werden sich wundern, welche Resonanz Sie erhalten. – Schönen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Kaiser. – Für die SPD-Fraktion ist schon Herr Kollege Link am Rednerpult.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf der Besuchertribüne! Herr Kaiser, Sie können hier zig Beispiele über Verbundschulen, die Sie angeblich ermöglichen, über die Zufriedenheit vor Ort aufführen – mit diesem Flickenteppich werden Sie jedenfalls die Wahlen in den nächsten Jahren nicht bestehen,

(Ralf Witzel [FDP]: Aber Sie!)

weil die Leute mittlerweile weiter sind als Sie.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Worum geht es in dem heutigen Antrag überhaupt, Kolleginnen und Kollegen? – Es geht um drei Ziele: mehr Chancengleichheit für Kinder und Jugendliche, die Probleme des demografischen Wandels anzugehen und zugleich mehr Gestaltungsmöglichkeiten für die Kommunen vor Ort. Das sind die Ziele für uns als Befürworter der Gemeinschaftsschule. Das sind unsere Forderungen als SPD-Fraktion, kurz: die beste Bildung für alle.

(Ralf Witzel [FDP]: Hilfe!)

Ich darf feststellen, auch wenn Herr Witzel das nicht ganz so sieht: Die Zahl der Befürworter dieser Forderungen und Ziele wächst von Woche zu Woche, und zwar aufseiten der Eltern, der Fachleute und Sachverständigen in Vereinen, Verbänden und in der Wissenschaft sowie in den Kommunen, weil die Ihre ideologische Politik täglich vor Ort ausbaden müssen. Und, man höre und staune: Sie wächst auch bei den hier im Haus vertretenen Fraktionen. Anscheinend hat auch die FDP mittlerweile erkannt, dass nach der Devise „Augen zu und durch“ keine zukunftsfähige Schulpolitik mehr zu machen ist.

Bleibt die CDU: Die CDU singt als nunmehr einzige Partei unermüdlich das Hohelied der innovativen Hauptschule, von Schülerinnen und Schülern, denen man dort eine Lebensperspektive vermitteln soll. In der Realität passiert allerdings seit Jahren das genaue Gegenteil. Die Wahrheit ist, Frau Sommer: Ihnen laufen die Schülerinnen und Schüler seit Jahren in Scharen davon.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Angela Freimuth)

Liebe Kolleginnen und Kollegen insbesondere von der CDU: Haben Sie sich einmal die Frage gestellt, warum das so ist, wie es zu dieser Entwicklung kommt? Die Antwort ist ganz einfach, darüber haben wir schon mehrfach in diesem Haus diskutiert: Fahren Sie einmal ins Ruhrgebiet und fragen die dortigen Schülerinnen und Schüler der Hauptschulen nach deren Perspektiven! Sie werden feststellen, die erschreckende Antwort ist fast überall: Wir haben keine.

Das ist ein Skandal, ein Armutszeugnis für dieses Land. Insbesondere Sie von der CDU nehmen allerdings genau das billigend in Kauf. Tausende Jugendliche werden Jahr für Jahr entlassen und haben keine Perspektive auf einen Ausbildungsplatz, einen Arbeitsplatz, einen Platz in unserer Gesellschaft, …

Herr Kollege Link, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kaiser?

Selbstverständlich. Lassen Sie mich vorher noch einen Satz sagen.

… obwohl – das hat Herr Kaiser gerade angesprochen – die Lehrerinnen und Lehrer dort gute Arbeit leisten. Das stellt niemand hier in Abrede, weder wir von der SPD noch – so habe ich sie zumindest gerade verstanden – Frau Beer. – Herr Kaiser, bitte.

Herr Link, können Sie mir erklären, wo der Unterschied zwischen einem 10AAbschluss an einer Hauptschule und an einer Gesamtschule im Ruhrgebiet liegt, was die Lebensperspektive für die Absolventen angeht?

Herr Kaiser, das ist relativ einfach zu erklären. Die jetzigen Hauptschulen im Ruhrgebiet werden a) immer weniger, und b) haben die Schülerinnen und Schüler, da sie von den Fördermöglichkeiten, die im Rahmen eines längeren gemeinsamen Lernens verfügbar wären, abgeschnitten sind, einfach eine deutlich schlechtere Perspektive.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das sehen Sie de facto an den Hauptschulen im Ruhrgebiet; da können Sie noch so viele Zwischenfragen stellen und noch so lange die Augen zumachen.

Erschreckenderweise wissen die Kinder und Jugendlichen und deren Eltern das sehr genau. Wer will ihnen verübeln, dass sie ihre Kinder seit Jahren nicht mehr auf diese Schulform schicken? Wer will ihnen verübeln, dass sie die Möglichkeiten in Anspruch nehmen wollen, ihre Kinder bestmöglich fördern zu lassen?

Es gibt durchaus Leute, die behaupten, die größten Befürworter und Kämpfer für die Hauptschule seien die Vertreter der Gymnasiallobby. Vielleicht sollten wir darüber einmal in Ruhe nachdenken.

Eltern und Schüler stimmen jedenfalls mit den Füßen über die Zukunft der Schulform Hauptschule ab.

(Ralf Witzel [FDP]: Warum meldet Hannelore Kraft ihren Sohn nicht an der Gesamtschule an?)

Und für wie viele Eltern ist die Gesamtschule die Schule der Wahl, die ihren Kindern Förderung und Perspektive bietet? Die Erstanmeldungen jedenfalls übersteigen seit Jahren deutlich das Angebot an freien Plätzen.

Die FDP nimmt das nicht zur Kenntnis. Sie hat auf ihrem Landesparteitag letzte Woche beschlossen: Wir lassen keinerlei Neugründung von Gesamtschulen in den nächsten Jahren mehr zu.

(Beifall von der FDP)

Damit bestätigt sie die Politik der Landesregierung, entgegen dem deutlichen Elternwillen, den wir seit Jahren feststellen können. Wenn das nicht Ideologie ist – Herr Witzel applaudiert passenderweise –, dann weiß ich es nicht, dann tut es mir leid.

Angeblich, meine sehr geehrten Damen und Herren von der CDU, reden Sie mit den Menschen vor Ort über das jetzige Schulsystem. Fragen Sie doch beispielsweise einmal die Kommunen, welche Probleme sie mit dem jetzigen Schulsystem, mit Ihrer Politik haben. Fragen Sie die einmal, wie sie sich ein innovatives Schulsystem vorstellen; denn die Kommunen stehen heute schon vor dem Scherbenhaufen Ihrer engstirnigen Politik. Sie stellen sich die Frage, wie sie überhaupt noch nachhaltige Schulentwicklung planen sollen.

Drei kurze Stichworte: freie Grundschulwahl, die Wahl der Schulleiter ohne kommunale Beteiligung und die Frage, was mit Hauptschulen ohne Anmeldungen geschehen soll.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bereits vor Monaten gab es Vorschläge von Städten und Gemeinden, von den kommunalen Spitzenverbänden. Es gab den Wunsch nach flexiblen und pragmatischen Lösungen und nach der Gemeinschaftsschule. Diesen Wunsch

haben Sie unter massiver Beugung Ihres Schulgesetzes umgangen, Sie haben ihn ignoriert. Als Stichwort – Herr Kaiser hat es gerade angesprochen, allerdings mit einer anderen Diktion – nenne ich nur Horstmar und Schöppingen. Das, meine Damen und Herren, wird Ihnen nicht helfen. Das ist ein Wegducken vor der Lebenswirklichkeit frei nach dem Motto: Hände vor die Augen, und was ich dann nicht sehen kann, gibt es auch nicht.

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Ich bin sofort fertig.

Meine Damen und Herren, schauen Sie nach Schleswig-Holstein. Dort sehen wir, dass die Gemeinschaftsschule einen wahrhaften Run erfährt, seitdem sie von SPD und CDU gemeinsam eingeführt worden ist. Ich frage Sie: Was ist so schlimm an einer Schule, die alle Kinder fördert, die kein Kind aufgibt, die Chancen eröffnet, statt Perspektiven zu verbauen? Was daran so schlimm ist, müssen Sie mir und auch den Wählerinnen und Wählern einmal erklären.

(Das Ende der Redezeit wird erneut ange- zeigt.)

Ich bitte Sie: Verteidigen Sie nicht krampfhaft Schulformen, sondern kümmern sich endlich um die Kinder in diesem Land und stimmen dem Antrag heute zu! – Herzlichen Dank.