Protokoll der Sitzung vom 04.12.2008

Ich rufe auf:

2 Schutz des Rechtsstaates muss auch für SGB II-Leistungsbezieher erhalten bleiben!

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 14/7949

Ich eröffne die Beratung und erteile Herrn Garbrecht von der SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Guter Rat für Arme teuer“, „Schwache werden ihrer Rechte beraubt“, „Zurück zum Armenrecht“ – das sind nur einige wenige Überschriften, die sich in den Medien gefunden haben, nachdem Ihre Initiative im Bundesrat bekannt geworden ist. Das ist die öffentliche Reaktion.

In der Tat wollen Sie eine Einschränkung der Rechtswahrnehmung durch die sozial Schwächeren in unserer Gesellschaft. Der Zugang zum Rechtsweg soll erschwert werden. Sie machen die Betroffenen faktisch rechtlos. Das tun Sie auch noch in einem sogenannten Doppelschlag, meine Damen und Herren: erst Laumann, dann MüllerPiepenkötter. Das ist ein perfides Spiel.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Wo ist Laumann denn überhaupt?)

Der Minister wird sicherlich gleich kommen.

In der ersten Plenardebatte, die wir zur Einstellung der Förderung der Arbeitslosenzentren geführt haben, führte Herr Minister Laumann aus:

Ich lasse mir auch nicht gefallen, dass die Frage der Beratungsstellen in den Arbeitslosenzentren von Ihnen …

damit waren die Grünen und SPD gemeint –

… genutzt wird, um eine moralische Diskreditierung der Landesregierung zu betreiben.

(Frank Sichau [SPD]: Die ist doch schon dis- kreditiert!)

Wir betreiben gar nichts, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen und von der Landesregierung. Dieses Geschäft betreiben Sie ganz allein.

(Beifall von der SPD)

Sie haben sich moralisch diskreditiert. Ich will noch einen Verweis von Herrn Minister Laumann aus der damaligen Diskussion geben: Allen Bürgern, auch denjenigen mit geringen Einkommen, steht in diesem Land der Rechtsweg offen. Das zeichnet den sozialen Rechtsstaat aus.

(Beifall von der SPD – Frank Sichau [SPD]: Richtig!)

Herr Laumann hat diese Aussage auch mit dem Hinweis auf Kollegin Kieninger getroffen, die seinerzeit im Ausschuss gesagt hat: Gerade die Beratungsstellen führen im Ergebnis dazu, dass viele Klagen und Kosten, die Sie jetzt für Ihre Argumentation anführen, erspart bleiben. – Genau auf diesen Einwand hin hat Minister Laumann das wiederholt.

(Beifall von der SPD)

Aber wo stehen wir zwei Jahre später? – Wer die Beratung der Arbeitslosenzentren abschafft und nun den Rechtsschutz für sozial Benachteiligte erschwert oder sogar faktisch unmöglich macht, handelt aus meiner Sicht nicht nur moralisch verwerflich, sondern zeigt auch ein zweifelhaftes Rechtsverständnis.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Zuruf von den GRÜNEN: Richtig!)

Ein sozialer Rechtsstaat – das sehen Sie auch so – zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass alle den Rechtsschutz in Anspruch nehmen können. Ich will Sie mit ein paar Zahlen konfrontieren: Im vergangenen Jahr wurden bundesweit im Zusammenhang mit der Gewährung von Arbeitslosengeld II 775.000 Widersprüche gegen ALG-II-Bescheide bearbeitet. Das waren 175.000 mehr als im Jahr 2006. Die Zahl der abgelehnten Widersprüche stieg um rund 105.000 auf über 400.000 an.

Jeder vierte Betroffene hat Rechtsmittel gegen den Bescheid eingelegt. Dadurch erhöhte sich die Zahl der Klagen vor den Sozialgerichten auf knapp 99.000; das ist eine Steigerung um mehr als 42 %. Knapp der Hälfte der Widersprüche wurde stattgegeben.

Warum präsentiere ich diese Zahlen? – Wir hätten gerne eine Initiative der Landesregierung unterstützt, die dazu beigetragen hätte, dass die Menschen im Ergebnis verständliche und fehlerfreie Bescheide erhalten.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Aber dazu war bisher vonseiten der Landesregierung rein gar nichts zu hören. Sie hätten uns an Ihrer Seite gehabt.

Sozialgerichte in diesem Land haben mehrfach festgestellt: Die Bescheide sind für die Menschen nicht lesbar. Wir können nicht – da stehen wir insgesamt in der Verantwortung – zunächst ein kompliziertes Regelwerk erlassen und dann den Rechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger faktisch beschneiden.

(Beifall von der SPD)

Viele haben an diesem Regelwerk mitgearbeitet – auch Herr Minister Laumann und viele von uns. Nur die FDP kann den Heiligenschein in Anspruch nehmen, daran nicht beteiligt zu sein.

(Zuruf von der FDP: Den haben wir!)

Nun erkennt man, dass die Anzahl der Widersprüche im SGB-II-System beplant, also reduziert werden soll. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.

(Zustimmung von Hannelore Kraft [SPD])

50 % dieser Widersprüche hat man stattgegeben, weil man erkannt hat, dass man Fehler gemacht hat.

(Hannelore Kraft [SPD]: Richtig!)

Sie sollen jetzt beplant und reduziert werden. Damit erhöht man natürlich sofort die Anzahl der Klagen vor Sozialgerichten. Dazu passt vortrefflich, die Möglichkeiten der Beratungshilfe und des Zugangs zu beschränken.

Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wir sind weiterhin für Fördern und Fordern in diesem System. Wir stehen aber nicht für einen Weg des Forderns und des Drangsalierens zur Verfügung! Diesen Weg gehen wir nicht mit!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Sie setzen sich über das Prinzip des sozialen Rechtsstaats hinweg, nach dem alle aufgrund des Gleichheitsgebots in entsprechender Weise Zugang zum Recht erhalten sollen. Das ist ein Grundsatz, gegen den Sie verstoßen. – Wir fordern ihn ein! Der Präsident des Landessozialgerichtes – das wissen Sie auch – hat sich dazu entsprechend verhalten.

Ich muss Ihnen deutlich sagen, weil Herr Minister Laumann, den ich immer noch nicht sehe,

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Der Sozialminister hat damit nichts zu tun!)

und der Ministerpräsident die soziale Herzenswärme über die Menschen ergießen:

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Aber nur vor den Kameras!)

Frau Müller-Piepenkötter und Herr Laumann, Sie sind dabei, das soziale Klima im Land NordrheinWestfalen und bundesweit einige Grade kälter zu machen. Auch das findet unseren Widerspruch!

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Zuruf von Ministerin Roswitha Müller-Piepenkötter)

Jetzt komme ich zu dem Missbrauch, den Sie immer wieder anführen. Dagegen bin ich als Sozialpolitiker gewappnet; das sage ich Ihnen deutlich. Es ist ein Kennzeichen gerade von Konservativen, diese Missbrauchsdebatte in bestimmten Situationen zu schüren.

Sie wird immer wieder aus der Mottenkiste geholt, wenn es darum geht, Rechte von Betroffenen und die Wahrnehmung der Rechte einzuschränken. Natürlich kommt Missbrauch vor, den man aber in den Sozialgesetzen und im geltenden Beratungshilfegesetz minimieren kann.

Ich halte es für besonders perfide, dass dies diejenigen, die diese Leistung in Anspruch nehmen, generell unter Missbrauchs- und Betrugsverdacht stellt. Auch hierbei leisten wir deutlichen Widerstand!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wo Sie gefordert werden, wie beispielsweise im Rahmen der Großen Anfrage zum SGB II, konkrete Missbrauchstatbestände und Falldichten zum Umfang des Missbrauchs zu nennen, ergehen Sie sich in allgemeinen Erklärungen. Also: Wir bekämpfen den Missbrauch mit Ihnen, aber Sie müssen ihn konkret benennen; diese Antwort bleiben Sie aber schuldig!

(Beifall von der SPD)

Ich möchte einige weitere Bemerkungen machen, weil das relativ zeitgleich war. Das Bundesverfassungsgericht – ich wünsche Ihnen im Übrigen gute Reise, denn Ihre Initiative wird wahrscheinlich nie realisiert werden – hat in seinem Urteil vom 14. Oktober noch einmal die Rechtshilfe von Menschen gestärkt. Ich möchte Ihnen einen Passus in Erinnerung rufen, der sich auf die Grundsätze bezieht, in dem es heißt: