Protokoll der Sitzung vom 18.03.2009

Ich zitiere aus Ihren Landtagsdrucksachen, die Ihre abgewählte Bildungsministerin Ute Schäfer diesem Parlament zum Ende der Legislaturperiode, zum Ende der zehn Jahre Rot-Grün vorgelegt hat. In diesen Landtagsdrucksachen stand Ihr Eingeständnis – schwarz auf weiß nachlesbar –, dass bezogen auf Schlüsselkompetenzen, festgemacht am Beispiel der Lesekompetenz, in keinem anderen Bundesland in Deutschland Bildungschancen junger Menschen so sehr von der sozialen Herkunft abhängen wie hier in Nordrhein-Westfalen. Das ist das, was Sie hinterlassen haben!

(Beifall von FDP und CDU)

Unsere Philosophie, Frau Steffens – das mag vielleicht in grüne Köpfe nicht hineingehen –, ist in der Tat eine andere. Wir sagen: Menschen sind individuell verschieden.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Ach! Deswegen stecken Sie sie in Schubladen!)

Sie sind unterschiedlich fleißig, sie sind unterschiedlich intelligent, sie setzen unterschiedliche Schwerpunkte bei individuellen Präferenzen, Bildungsentwicklung und Lebensführung.

(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Gerade deshalb, Frau Löhrmann, halten wir es für selbstverständlich, dass es am Ende der Bildungslaufbahnen Unterschiede gibt bei dem, was erreicht wurde.

Es gibt eine Kardinalfrage, nämlich die zentrale Frage: Wo liegt bei Ihnen in der Opposition und bei uns in der Koalition die Variable, die über Bildungserfolg entscheidet? Wir sagen: Menschen entwickeln sich unterschiedlich. Sie sind am Ende ihrer Laufbahn verschieden. Aber was über diesen Unterschied entscheidet, ist das Bemühen, ist die Leistung der Menschen, sich einzubringen und etwas aus ihren Chancen zu machen.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Bei Ihnen ist es das Portemonnaie, das unterscheidet!)

Die Ungleichheiten, die Sie im Bildungswesen hinterlassen haben, sind sozial verursacht durch soziale Disparität. Für uns ist es nicht unanständig, wenn derjenige, der besonders fleißig ist, weiter kommt als derjenige, der es nicht ist.

(Britta Altenkamp [SPD]: Sie stellen sich be- stimmten Dingen einfach nicht!)

Ein Bildungssystem, das auf Leistung setzt, das auf Leistungstransparenz setzt, das deshalb auch für zentrale gerechte Vergleichbarkeit bei Prüfungen sorgt, das macht Leistung zur entscheidenden Frage des schulischen Erfolgs – und nicht die soziale Herkunft, wie es bei Ihnen der Fall war.

Eine leistungsabgewandte Pädagogik, wie sie das Ziel insbesondere der Grünen ist – wir werden hier ja gleich noch schulpolitische Debatten über Ge

samtschule und Co. führen –, hilft insbesondere den schwachen Schülern nicht, weil die Elternhäuser, die selber bildungsfern sind, ihre Kinder nicht das aufholen lassen können, was andere Familien, die bildungsnäher und bessergestellt sind, ihren Kindern zugute kommen lassen.

(Wolfgang Jörg [SPD]: Echtes Mittelalter!)

Sie haben in Nordrhein-Westfalen ein öffentliches Bildungssystem zunehmend verfallen lassen. Wie wir aus der Kinderkommission wissen, ist dies eine ganz wichtige Säule, die die informelle Bildung in diesem Land ausmacht. Elternhäuser, die selber bildungsnah sind und für zusätzliche Lernangebote ihrer Kinder und für Nachhilfeangebote zugunsten ihrer Kinder Geld aufbringen, können es kompensieren, wenn im öffentlichen Bildungswesen ein Abbau stattfindet. Aber das können und tun von ihrer Mentalität her gerade Familien in sozial schwierigen Situationen nicht. Deshalb war es richtig, dass wir 7.000 Lehrer neu eingestellt haben, dass wir für Familienzentren sorgen, dass wir zusätzliche Ganztagsressourcen in einem Aufwuchsvolumen zur Verfügung gestellt haben, wie es das in keinem anderen Bundesland in Deutschland gibt,

(Beifall von Walter Kern [CDU] – Widerspruch von der SPD)

und das eben nicht ideologisch privilegierend nur für bestimmte Schulformen, sondern für alle Schüler: für die Hauptschüler, für die Realschüler, für die Gymnasiasten. Uns liegen alle Kinder in allen Schulformen am Herzen. Jedes muss sich entsprechend seinen Möglichkeiten weiterentwickeln können.

(Britta Altenkamp [SPD]: Es sei denn, die Kinder sind auf der Gesamtschule, Herr Wit- zel!)

Es darf gerade keine Frage der Ideologie sein, wenn es um die Ressourcen geht. Wir werden deshalb diesen Kurs der Koalition der Erneuerung, in Bildung, Erziehung und Betreuung zu investieren – in frühkindliche Bildung, in den weiteren Bildungsbereich, in all die ausbildungsunterstützenden Maßnahmen, die mein Kollege Stefan Romberg vorgestellt hat –, fortsetzen, weil wir die Lebenschancen junger Menschen in unserem Land verbessern wollen. Das ist in der Tat die entscheidende soziale Frage.

Deshalb investieren wir auch in die Sprachförderung ganz systematisch: damit niemand durch den Rost fällt. Auch das ist bundesweit einmalig. Andere Bundesländer kommen hierher und gucken sich an, was da in Nordrhein-Westfalen läuft. Es ist nämlich nicht nur eine bildungspolitische Maßnahme, Sprachförderung flächendeckend mit Sprachstandsfeststellungsmaßnahmen landesweit zu betreiben

(Britta Altenkamp [SPD]: Sie machen noch nicht einmal mehr einen Unterschied zwischen Sprachstandsfeststellung und -förderung!)

und verbindliche Förderung anzuordnen. Es ist, Frau Altenkamp, insbesondere eine sozialpolitische Maßnahme, dafür zu sorgen, dass jeder Schüler vom dem Tag an, an dem er in die Schule kommt, auf einem Mindestniveau dem Unterricht folgen kann, damit es eben nicht – wie bei Ihnen – geschieht, dass Kinder bereits von der ersten Klasse an abgehängt und abgekoppelt werden.

(Britta Altenkamp [SPD]: Die Abrechnung kommt! Vorsicht an der Bahnsteigkante!)

Dann nämlich geht die Schere der Bildungsentwicklung in der Tat weiter auseinander. Wir wollen das nicht. Wir wollen mehr Chancen für alle Menschen, insbesondere für junge Menschen, für die Kinder in unserem Land. Für diese Politik stehen wir in Nordrhein-Westfalen auch weiterhin ein. – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU – Britta Altenkamp [SPD]: Deshalb werden Sie auch abgewählt!)

Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Asch.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muss es noch einmal sehr deutlich sagen: Ein Viertel der Kinder, jedes vierte Kind in Nordrhein-Westfalen, ist arm. An eine solche Situation dürfen wir uns nicht gewöhnen. Wir als Grüne wollen uns an eine solche Situation nicht gewöhnen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es ist ein Skandal, dass wir es in dieser reichen Gesellschaft, die in vielen Bereichen im Überfluss lebt, nicht schaffen, den Kindern ausreichend gute Lebensbedingungen zu geben, damit sie nicht in Armutssituationen leben müssen.

Eines muss ich dieser Landesregierung ganz konkret vorwerfen: dass sie es in einer Hochkonjunkturphase, in der wir uns in den letzten Jahren befunden haben, in einer Phase, in der die Steuereinnahmen gesprudelt sind, in einer Phase, in der die Arbeitslosigkeit zurückgegangen ist, nicht geschafft hat, dass die Kinder am wirtschaftlichen Aufschwung partizipieren. Die Kinderarmut ist vielmehr auf dem gleichen Niveau wie in den Jahren vor dem konjunkturellen Anstieg geblieben. Das ist der Vorwurf, den Sie sich zu machen haben.

(Minister Karl-Josef Laumann: Quatsch!)

Da helfen alle Schönredereien, Herr Laumann, nicht. Da helfen Eigenlobe, wie wir sie hier heute wieder gehört haben, nicht. Das ist die Tatsache: Sie haben es nicht geschafft, den wirtschaftlichen

Aufschwung der letzten Jahre den Kindern zugute kommen zu lassen.

Ich bin Ihnen, Herr Ministerpräsident Rüttgers, dankbar, dass Sie sich verbal absetzen und Position gegen die Linie Ihres kleinen Koalitionspartners beziehen, indem Sie die marktradikale Linie ablehnen und diesen Neoliberalismus nicht mitmachen.

(Lachen bei der FDP – Minister Karl-Josef Laumann: Auch Quatsch!)

Nur: Dann erwarte ich auch, dass es nicht bloß bei verbalen Absichtserklärungen bleibt, sondern dass Sie das in die konkrete Tat umsetzen, die dann wiederum den Familien und den Kindern zugute kommt.

(Ralf Witzel [FDP]: Alles nur grüne Umvertei- lungsideologie!)

Meine Damen und Herren, in Zeiten, die uns jetzt bevorstehen – das muss man noch einmal sehr deutlich sagen –, in Zeiten der Wirtschaftskrise, in einer Rezession, wie wir sie seit dem Krieg nicht erlebt haben, werden ein „Weiter so!“ und ein „Wir machen doch alles schon ganz toll!“, wie wir es eben hier gehört und vorgelegt bekommen haben, nicht helfen. Denn diese Wirtschaftskrise wird Arbeitslosigkeit produzieren; das wissen wir alle. Ein „Weiter so!“ würde bedeuten – wenn Sie das nicht konkret abfedern –, dass es wiederum auf dem Rücken der Kinder und der Familien ausgetragen wird. Das können wir nicht hinnehmen, und das wollen wir nicht hinnehmen.

Auf der Beschreibungsebene ist das, was Sie hier an Programm vorgelegt haben – wie so oft –, durchaus richtig. Sie sagen – ich nehme einen Bereich heraus, von dem wir eben auch noch deutlich gehört haben –: Wir müssen die Familien unterstützen. Wir müssen bei den Familien anfangen. Wir müssen die Elternkompetenz, die Erziehungskompetenz stärken. – Das ist ja richtig. Da haben Sie alle hinter sich – auch die Opposition hier im Raum. Dann erwarte ich von Ihnen aber auch, dass Sie das tun und dass Sie nicht, wie Sie es in allen Haushalten seit 2006, für die Sie Verantwortung tragen, getan haben, die finanziellen Mittel gerade im Bereich der Familienbildung, der Erziehungsberatung und bei allen Familienhilfen drastisch kürzen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Minister Karl-Josef Laumann: Das stimmt doch gar nicht! – Minister Armin Laschet: Wo?)

Sie haben bei den Familienhilfen 5 Millionen € herausgenommen, Herr Laschet. Da helfen Ihre Dementis jetzt nicht. Schauen Sie in den Haushalt. Ich kann Ihnen die Stelle zeigen, wenn Sie das nicht wahrhaben wollen.

Es reicht nicht, die Familien irgendwie virtuell stärken zu wollen. Dann muss man auch die Mittel dafür bereitstellen. Sprechen Sie doch mit den Familienberatungsstellen in den Kommunen. Die haben in

den letzten Jahren sukzessive Stellen abbauen müssen. Das passt nicht mit Ihrem Appell zusammen, dass mehr Erziehungskompetenz in die Familien hinein muss.

Genauso ist es mit der Familienbildung. Familienbildungsstätten wurden in den letzten Jahren sukzessive gekürzt. Diese Kritik hören wir auch immer wieder bei der Bildung der Familienzentren. Die Familienbildungsstätten fragen: Wie sollen wir uns denn mit den Kindertagesstellen in die Familienbildungszentren einbringen, wenn uns permanent die Ressourcen fehlen, sodass wir nicht einmal unsere Basisarbeit leisten können? – Auch an dieser Stelle: Sie bleiben bei schönen Worten. In der Praxis wirkt sich das, was Sie hier als richtige Maßnahmen beschreiben, überhaupt nicht aus. Im Gegenteil: In der Praxis kürzen Sie diese Maßnahmen, die Sie hier als notwendig beschreiben.

Kommen wir zum Bereich Bildung. Auch hier ist die Aussage richtig, dass die Armutsspirale nur verlassen werden kann und Kinder nur aus der Armutsspirale herauskommen, wenn sie gute Bildungschancen erhalten und wenn ihre Bildungschancen denen der Kinder aus bildungsnahen und vermögenden Elternhäusern entsprechen und angeglichen werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dann fangen wir aber doch einmal an: Was tun Sie denn dafür? – Bildung – das wissen wir – beginnt schon im Kindergarten.

(Walter Kern [CDU]: Früher!)

Wir reden hier über die Institutionen. Es fängt auch früher an, ich habe die Familienunterstützung vorhin schon genannt.

Auf den Anfang kommt es an. Nun, auch hier erleben wir unglaublich viel Selbstlob, was Sie alles tun, um die Kindertagesstätten mit Ihrem Kinderbildungsgesetz besser zu stellen.