Protokoll der Sitzung vom 19.03.2009

Aber gerade weil wir auf einen qualitativen Ausbau setzen, nehmen die Gütesiegelschulen im Gesamtkonzept der individuellen Förderung einen herausragenden Stellenwert ein. Sie dienen anderen Schulen als Beispielgeber und als Motor im Wettbewerb aller Schulen um die Verbesserung schulischer Qualität.

Sie sollen mit ihren Konzepten in die Fläche ausstrahlen und möglichst vielen anderen Schulen als Vorbild dienen. Daher sind die kontinuierliche Dokumentation erfolgreicher Förderung und der stete Gedankenaustausch zwischen den Schulen und Lehrkräften wichtig. Dieser Gedankenaustausch wird gerade auch durch die regionalen Bildungsnetzwerke in die Fläche und in jede Region von Nordrhein-Westfalen getragen.

Es ist noch viel zu tun, aber mit dem qualitativen Ausbau dieser Vorbildschulen steht uns ein Erfolgsmodell zur Verfügung, das wir kontinuierlich ausweiten werden. Ich bin sicher, dass wir das hochgesteckte Ziel bis zum Ende der Legislaturperiode erreichen und auch darüber hinaus keine Ruhe geben werden, bevor alle oder fast alle Schulen in Nordrhein-Westfalen dieses Gütesiegel zu Recht tragen. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Pieper-von Heiden. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Link.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Pieper-von Heiden, Herr Recker, wenn man Ihren Reden lauscht, könnte man den Eindruck gewinnen, die Schulen in Nordrhein-Westfalen würden Ihnen die Bude einrennen, um das Gütesiegel zu bekommen.

(Zustimmung von der CDU)

Nur zur Erinnerung, damit wir wissen, worüber wir reden: Es gibt knapp 6.500 Schulen im Land. 240 Schulen tragen dieses Gütesiegel. Sie planen, diese Zahl auf 350 zu steigern. Das sind weniger als 5 %.

(Manfred Kuhmichel [CDU]: Vorher gab es das nicht!)

Herr Kuhmichel, auch an Sie richte ich folgende Bitte: Lassen Sie doch die Kirche im Dorf

(Manfred Kuhmichel [CDU] winkt ab.)

und tun Sie nicht so, als wenn demnächst jede Schule in Nordrhein-Westfalen Gütesiegelschule wäre. Wir sind davon weit entfernt.

Dem Wunsch nach mehr individueller Förderung können wir uns alle anschließen. Die eigentlich spannende Frage ist, wer diese Aufgabe wie meistern soll.

Ich habe dazu zwei kurze Zitate aus der „ZEIT“ vom 26. Februar 2009 herausgesucht. Das erste stammt von Frau Prof. Solzbacher. Ihr Fazit zum Thema der individuellen Förderung und der Lernkultur lautet: „Von einer veränderten Lernkultur sind wir noch weit entfernt“. Zum gleichen Thema sagte Prof. Reusser von der Universität Zürich: „Das ist ein Generationenprojekt.“ – Es bedarf unter anderem einer anderen Lehrerausbildung, einer anderen und einer vermehrten Fortbildung, eines anderen Selbstverständnisses von Schule und Lehrkräften sowie vor allem – darüber sind sich alle einig – mehr Ressourcen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin mir sicher: In NRW gibt es viele gute Schulen, viele engagierte Lehrkräfte und Schulleiter. Das ist übrigens nicht erst seit 2005 der Fall. Ganz bestimmt haben diese Schulen und diese Lehrkräfte unsere Anerkennung verdient. Besonders gute Schulen sollten öffentliches Lob bekommen – meinetwegen auch mit Gütesiegeln.

Doch bitte machen Sie diese Anerkennung und dieses Lob nicht unglaubwürdig durch leere Phrasen und Verfahren sowie durch die fast schon unverblümte Aufforderung an die Schulen, sich selber an den Haaren aus der Krise zu ziehen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte nur wenige Kritikpunkte zu Ihrem Gütesiegel anführen:

Erstens. Die Verleihung des Gütesiegels ist ein populistischer Schaulauf. Sie schicken zwei Personenkommissionen zu einem zweistündigen Gespräch in die Schule und behaupten danach, diese zwei Personen könnten valide feststellen und argumentativ begründen und belegen, dass die Schule ein funktionierendes Konzept habe. – Das können Sie doch nicht ernsthaft behaupten.

Zweitens. Das Konzept des Gütesiegels ist aus meiner Sicht völlig falsch aufgezäumt. Nicht die Qualität von Schule ist der Maßstab, sondern die Zielvorgabe des Ministerpräsidenten von 350 Schulen. Sie ist übrigens nicht ambitioniert, Frau Piepervon Heiden, sondern eher mutlos, wie vieles, was dieser Ministerpräsident macht. Seine Ankündigung von Anfang 2008, in jeder kreisfreien Stadt und in jedem Kreis mindestens zwei Gütesiegelschulen zu haben, ist der Auftrag, auf den dieses Programm ausgerichtet ist. Die Schulen lediglich auszuzeichnen, um eine Zielgröße des Ministerpräsidenten zu erreichen, halte ich für einen mehr als fragwürdigen Ansatz.

(Beifall von der SPD)

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hollstein?

Herr Hollstein, bitte.

Herr Kollege, Sie haben gerade die Auszeichnung mit dem Gütesiegel als „Schaulauf“ bezeichnet. Ich möchte Ihnen kurz schildern, wie das in meinem Wahlkreis gelaufen ist,

(Gerd Stüttgen [SPD]: Sie müssen eine Fra- ge stellen!)

und Sie fragen, ob Sie dieser Auffassung immer noch anhängen. Eine katholische Grundschule ist gerade in jüngster Zeit ausgezeichnet worden. Mir haben Eltern und Lehrer übereinstimmend berichtet, dass davor ein Prozess lag, der über zwölf Monate dauerte.

(Carina Gödecke [SPD]: Das ist keine Frage! – Gerd Stüttgen [SPD]: Frage, Herr Kollege, Frage! – Weitere Zurufe)

Die Lehrer bescheinigten mir, dass das Verfahren durchaus einem dritten Staatsexamen gleichkam. – Wie bringen Sie diese sehr intensive Vorbereitung mit dem Begriff des „populistischen Schaulaufs“ überein?

Herr Hollstein, ich habe Ihre Frage akustisch nicht gut verstanden, aber das, was ich verstanden habe, versuche ich gerne zu beantworten. Ich bleibe bei meiner Aussage: Es ist populistisches Schaulaufen.

Ich bestreite nicht, dass sich die Schulen gut darauf vorbereiten. Ich bestreite nicht, dass sich die Lehrkräfte ernsthaft darauf vorbereiten. Ich bestreite auch nicht, dass das Gütesiegel ein durchaus guter Ansatz ist. Ich sage nur: Das Verfahren, das Sie durchführen, nämlich Zwei-Personen-Kommissionen in die Schulen zu schicken, denen zwei Stunden zur Verfügung stehen, um sich davon ein Bild zu machen, ist doch nicht valide, nicht ernsthaft und vor allen Dingen auch nicht belegbar. Dabei bleibe ich.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Drittens. Es gibt überhaupt kein valides Konzept, mit dem Sie die Wirksamkeit der Fördermaßnahmen überprüfen können. Mir ist jedenfalls keins bekannt. Sie haben dem Landtag keins vorgelegt, und im Internet – da schicken Sie ja sonst immer alles hin – kann man auch nichts Entsprechendes finden. Dies ist übrigens mit der Qualitätsanalyse vergleichbar. Es ist das gleiche Problem: keine Informationen.

Viertens. Ihr Konzept lässt viele Schulen außen vor. Es gibt Unmengen mehr an Schulen, die bereits Förderkonzepte entwickelt haben und danach arbeiten. Es sind viel mehr als die 240, die Sie mit einem Gütesiegel ausgezeichnet haben.

Wie werden diese Konzepte in die Fläche kommuniziert? – Das ist doch eine spannende Aufgabe für die Landesregierung. Die müsste dort eigentlich aktivieren und koordinieren; das macht sie aber nicht. Sie macht sich nämlich einen schlanken Fuß und sagt im Grunde: Die Schulen, und zwar die schwächeren, die noch kein Gütesiegel und keine Förderkonzepte haben, müssen sich bemühen und zu den Schulen hingehen, die schon solche Konzepte und ein Gütesiegel besitzen. Man muss kein Intellektueller und auch kein Schulprofi sein, um festzustellen, dass dieses Konzept die schwächsten Schulen faktisch außen vor lässt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir sind uns einig: Die wachsenden Unterschiede bei den Voraussetzungen und bei den Leistungsständen der Schüler sind die beiden großen gesellschaftlichen Probleme, die wir gemeinsam angehen müssen. Wie gesagt: Es gibt in NRW sicher viele Schüler, die ihr Schulleben ohne größere Probleme meistern. Ich kann Frau Pieper-von Heiden in einem Punkt zustimmen: Wir brauchen individuelle Förderung an allen Schulen und für alle Schüler, von den guten über die mittleren, die oft vergessen werden, aber eben auch für die schwächeren.

Bitte verschließen Sie nicht die Augen vor der Tatsache, dass wir inzwischen Hunderte Schulen haben, die fast nur noch Kinder aus Migrationsfamilien, bildungsfernen Schichten oder schwierigen sozialen Milieus beschulen. Diese Kinder zu fördern, einzubinden und ihnen eine Chance und Perspektive zu vermitteln, ist die vordringlichste Aufgabe – zumindest wie ich sie verstehe – von Schulpolitik.

Sie haben Lernstandserhebungen, Qualitätsanalysen, zentrale Prüfungen noch und nöcher. Sie wissen genau, wo es brennt. Sie wissen, dass schüleraktivierender Unterricht und Konzepte zur differenzierten Förderung die Schwachpunkte sind, die wir in Nordrhein-Westfalen haben. Dies besagen alle Erkenntnisse der Qualitätsanalysen aus anderen Bundesländern und auch die Einzelberichte aus Nordrhein-Westfalen, die veröffentlicht worden sind.

Trotzdem erhalten die Kolleginnen und Kollegen vor Ort zu wenig Hilfestellung, weil zu wenig Geld zur Verfügung steht, weil viele Stellen nicht besetzt werden können – gerade auch Schulleitungsstellen –, weil Kompetenzteams nicht funktionieren und weil es zu wenig kompetente Fortbilder gibt.

Auch für die Schulen mit Gütesiegel gilt: Es gibt keine zusätzlichen Finanzmittel und keine strukturierten Rückmeldungen zu Schwächen und Stärken. Auch das erinnert mich an die Qualitätsanalyse. Seit mehr als zwei Jahren warten die untersuchten Schulen auf Unterstützung, wie sie ihre Qualität verbessern sollen. Und der Schulausschuss des Landtags wartet seit mehr als zwei Jahren auf eine Bildungsberichterstattung, die uns immer wieder verweigert wird.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Sie haben seit mehr als zwei Jahren ein anerkanntes und valides Instrument zur Bestimmung von Schulpolitik. Ihnen liegen Hunderte Berichte der Qualitätsanalyse vor. Sie wissen, wo es brennt. Wann handeln Sie denn endlich? – Die Schulen brauchen keine guten Prospekte, sie brauchen konkrete Unterstützung und Hilfe durch die Landesregierung. Genau das verweigern Sie ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Deswegen meine Bitten: Hören Sie auf, von den wahren Problemen der Schule abzulenken. Hören Sie auf, zu verschleiern, was längst nachgewiesen ist: Kinder aus bildungsnahen Schichten sind bereits am Ende der Grundschule den Kindern aus benachteiligten Familien um ein ganzes Schuljahr voraus – ein Nachteil, den diese Kinder im ganzen Schulleben nicht mehr aufholen werden.

(Bernhard Recker [CDU]: Bis 2005!)

Das ist auch heute noch so, Herr Recker. – Wir wollen ausdrücklich kein Bildungssystem, das nur die fördert, die haben, und die abhängt, die Förderung bräuchten.

(Minister Karl-Josef Laumann: Aber das war doch bei Ihnen nicht anders!)

Genau das, Herr Laumann, ist doch Ihre Politik, die Sie seit 2005 hier forcieren.

Hören Sie zum Beispiel auf, von den massiven Problemen bei der Lehrerversorgung abzulenken! Wir haben immer noch 6.300 Klassen mit mehr als 30 Schülern. Sie schaffen zwar mehr Lehrerstellen und feiern die Absenkung der Schüler-LehrerRelation, aber Sie schaffen auch mehr Aufgaben und eben deshalb nicht kleinere Klassen oder bessere individuelle Fördermöglichkeiten. Sie schaffen mehr Lehrerstellen, aber nicht mehr Personal.

(Minister Karl-Josef Laumann: Wie geht das denn?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht umsonst, sondern gerade deswegen fallen immer noch Tausende Unterrichtsstunden aus, und zwar nicht nur, weil die Lehrer fehlen, sondern auch, weil die Landesregierung diesen Prozess des Unterrichtsausfalls noch verstärkt.

Ich will ein ganz aktuelles, kleines Beispiel bringen. Es geht nur um 1.000 Stunden Unterrichtsausfall, den Sie produzieren und zu verantworten haben. Sie geben Unmengen Geld für Wissenschaftler aus, die die Aufgaben der zentralen Prüfung prüfen sollen. Eigentlich müsste das vom Ministerium und von der Schulaufsicht gemacht werden – aber Schwamm drüber. Als wäre das noch nicht genug, ziehen Sie aus zehn Schulen im Land – Herr Recker, hören Sie gut zu, es ist ein paar Tage her – jeweils 20 Lehrer ab, und zwar für einen ganzen Tag, von heute auf morgen. Diese Lehrkräfte sollen