Protokoll der Sitzung vom 09.11.2005

Beim Thema „Heterogenität als Chance“ sind die Grünen hier im Haus früher ausgebuht worden. Sie haben das jetzt noch einmal positiv bestärkt. Das ist doch ein erheblicher Fortschritt. An der Stelle kann ich dem Ganzen nur mit Freude zustimmen.

Lieber Herr Kollege Solf, wir Grünen haben eine klare Beschlusslage und müssen nichts von anderen abschreiben. Das, was wir hier als Antrag vorgelegt haben, ist eine Fortschreibung unserer politischen Initiativen in NRW – ganz konsequent – und unserer guten programmatischen Aufstellung, wie Sie sie gerade offensichtlich wahrgenommen haben.

Sie können auch bemerken, dass wir Grünen bundesweit einheitlich aufgestellt sind. Bei der CDU ist das nicht ganz klar. In Hamburg wird von der CDU gerade die Abschaffung der Hauptschule gefordert. In Sachsen und Brandenburg ist das alles schon passiert ebenso wie im Saarland. In Thüringen arbeiten die Bildungsgänge Hauptschule und Realschule längst zusammen. Sie halten hier im Augenblick noch die ideologische Wagenburg und wagen sich nicht daraus hervor. Aber nach dem Beitrag der Ministerin habe ich Hoffnung, dass an der Stelle noch einiges passiert.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Die kann ent- täuscht werden!)

Herr Solf, ich habe Verständnis dafür, dass Sie Ihre eigentliche Sympathie für den Antrag nicht so offenkundig zeigen können

(Beifall von den GRÜNEN)

und sich dem sprachakrobatisch unterhaltsam ein bisschen verschleiernd annähern müssen. Aber machen Sie bitte nicht den Fehler und zitieren aus Studien, die schon längst wegen methodischer Unzulänglichkeit beiseite gelegt worden sind.

Zum Schluss noch ein Hinweis: Bitte unterstellen Sie nicht, dass Klassenwiederholungen von den Schülern und Schülerinnen als positiv empfunden werden. Sie haben sicherlich nicht mit denen gesprochen, die das schon zum dritten und vierten Mal durchmachen und gerade in der Hauptschule angekommen sind. Da ist dieses Phänomen sehr häufig anzutreffen. Sie haben auch nicht mit den Schülerinnen und Schülern gesprochen, die dieses beschämende Moment der Abschulung genauso erlebt haben, auch nicht mit den Hauptschulkolleg/inn/en, die die Schüler und Schülerinnen nach dem, was sie erlebt haben, mühsam wieder aufbauen müssen. Sie werden aus ihrem Klassenverband herausgerissen, und ihnen wird klar gemacht: Du gehörst hier nicht hin. Du gehörst nicht zu uns. Du bringst es nicht.

Das sind die Signale, die wir für unsere Schüler und Schülerinnen nicht brauchen. Ermutigung und Zutrauen in Lernwillen, Lernerfolg und Lernfreude, die wir aufbauen müssen, müssen das gemeinsame Anliegen sein. Dann können wir an diesem Punkt vielleicht ein Stückchen zusammengehen.

Wenn wir dann noch etwas sensibler mit dem Thema Übergangsempfehlung umgehen und das Ganze wiederholt genau reflektieren, kommt dabei vielleicht auch etwas anderes heraus.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung, denn es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 14/576 an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung. Dort soll die abschließende Beratung in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt dieser Überweisungsempfehlung zu? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Damit ist das einstimmig so beschlossen.

Wir kommen zu:

11 Lückenlose Informationen und nachvollziehbare Wege von Schlachtabfällen in NRW! Konsequenzen aus bayerischem Lebensmittelskandal ziehen

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 14/577

Ich eröffne die Beratung. – Als erster Redner hat für die antragstellende Fraktion der Abgeordnete Remmel das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Überschrift unseres Antrags lautet: „Lückenlose Informationen und nachvollziehbare Wege von Schlachtabfällen in NRW! Konsequenzen aus bayerischem Lebensmittelskandal ziehen“. Wenn man einen solchen Antrag gestellt hat und dann während der Zeit bis zur Beratung im Plenum politische Ereignisse stattfinden, die einen in der Antragstellung unterstützen, ist man normalerweise froh, das entsprechend präsentieren zu können. In diesem Fall allerdings wäre das zynisch. Es ist schlimm, dass wir in dem, was wir fordern, bestätigt worden sind; denn zu den bayerischen Schlachtabfällen kommen jetzt auch die Skandale um Geflügelfleisch aus Niedersachsen.

Die Fleischskandale belegen erneut massive Missstände in der Fleischbranche. Hohe Gewinnmargen im Handel mit Fleischmüll und ein offensichtlich sehr geringes Entdeckungsrisiko: Es lohnt sich offensichtlich zu betrügen. Die Kriminellen haben ein leichtes Spiel, weil die Gefahr, entdeckt zu werden, gering ist. Und falls man doch entdeckt wird, macht das nicht viel aus – ein Bußgeld, eine kleine Strafe auf Bewährung und weiter geht’s.

Schaut man sich Parteiprogramme und programmatische Äußerungen an, ist das, was CDU und CSU dazu in ihrem Agrarprogramm 2005 formulieren, blanker Hohn, meine Damen und Herren. Ich zitiere:

„Die Überwachung betrieblicher Qualitätsanforderung ist keine primäre staatliche Aufgabe. … Um Verantwortlichkeiten nicht zu verwischen und Eigenmotivation zu wahren, muss der Aufbau stufenübergreifender Qualitätssicherungs- und Kontrollsysteme im Kern eigenverantwortlich durch die Agrar- und Ernährungswirtschaft geleistet werden. Die staatlichen Kontrollen sind auf ein Mindestmaß zurückzuführen.“

Meine Damen und Herren, angesichts der Schlachtabfälle und des verdorbenen Geflügelflei

sches kann einem bei solchen programmatischen Äußerungen in der Tat nur übel werden.

(Minister Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Sie haben keine Ahnung!)

Dazu können Sie ja gleich Stellung nehmen.

Diese Substanzen hätten nicht einmal zu Hundefutter verarbeitet werden dürfen; bei uns landen sie auf dem Teller. Die Verbraucherinnen und Verbraucher werden dabei auch noch für dumm verkauft: Erst müssen sie die Abfälle schlucken, dann erfahren sie erst aus der Presse davon, und schließlich können sie sich noch nicht einmal darüber informieren, wohin das Zeug gelangt ist, woher es kommt und welche Möglichkeiten sie haben, sich davor zu schützen. Das ist nicht der mündige Verbraucher. Wiederum waren es CDU, CSU und FDP, die im Bundesrat ein umfassendes Verbraucherinformationsgesetz mit der programmatischen Begründung abgelehnt haben, die ich eben zitiert habe.

Die „Westdeutsche Allgemeine“ vom 7. November spricht in diesem Zusammenhang davon, dass es im System stinkt. In der Tat stinkt es im doppelten Sinne an dieser Stelle. Sie schreibt weiter:

„Nach drei Lebensmittelskandalen binnen weniger Wochen wühlen wir nun wieder im Abfall, um nachzuforschen, wie oder ob vergammeltes, verdorbenes, nicht für den Verzehr bestimmtes Fleisch auf den Teller des Verbrauchers gelangt ist.“

Das, meine Damen und Herren, darf in einem Land wie Deutschland nicht passieren. Man kann als Minister nicht so einfach sagen: Da war kriminelle Energie am Werk, die sich nun einmal nicht kontrollieren lässt. – Das ist ein Offenbarungseid und ein Armutszeugnis. Wir müssen das gesamte System betrachten, zu dem auch ihre programmatischen Äußerungen gehören.

Darüber hinaus öffnen Sie im Bereich der Lebensmittelproduktion die Schleusen: Schweinehaltungserlass, Legehennenverordnung,

(Minister Eckhard Uhlenberg: Das sind doch Tiere, die hier erzeugt werden! Sie haben doch keine Ahnung! Das ist doch Quatsch!)

der Emissionsschutz, den Sie auf Bundesebene für Massentierhaltung lockern wollen – all das spricht für ein System der industriellen Lebensmittelerzeugung. Es öffnet die Schleusen für diejenigen, die sich durch solche Machenschaften bestätigt fühlen.

Sehr geehrter Herr Minister, deshalb brauchen wir mehr Kontrollen, höhere Strafen, schwarze Listen für schwarze Schafe, bundesweite Standards, transparente Verfahren im Fleischhandel einschließlich entsprechender Etikettierung, damit der Verbraucher und die Verbraucherin erkennen können, woher das Produkt tatsächlich kommt, und ein umfassendes Verbraucherinformationsgesetz. Dafür bitte ich Sie sich einzusetzen und unseren Antrag zu unterstützen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank. Das war eine punktgenaue Landung. – Als nächste Rednerin hat Frau Abgeordnete Fasse von der CDU-Fraktion das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stimmen mit dem Antrag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen darin überein, dass es uns allen darum geht, die Verbraucher in Zukunft so sicher wie möglich vor dem Verzehr von Lebensmitteln oder auch medizinischen Produkten zu bewahren, die gesetzeswidrig aus Schlachtabfällen hergestellt wurden.

Die Behandlung und Verwertung von Schlachtabfällen der Kategorie 3 der EU-Basisverordnung darf in Zukunft nur noch nach den strengen Regeln dieser Verordnung möglich sein. Auslöser für den aktuellen Lebensmittelskandal in Bayern war bekanntermaßen Material der Kategorie 3. Entsprechend der EU-Verordnung hätte dieses Material unverzüglich abtransportiert, gekennzeichnet und als Abfall beseitigt oder nach speziellen Methoden von zugelassenen Betreibern verarbeitet werden müssen.

Es bestehen nach dieser Verordnung für die Behandlung von Fleischabfällen der Kategorie 3 detaillierte gesetzliche Regeln. Auf diese Weise sind riesige Mengen Fleischmüll – so will ich es einmal drastisch bezeichnen – zu behandeln. Nach Schätzungen sollen allein in Deutschland jährlich 2,5 Millionen t Schlachtabfälle im Jahr anfallen, von denen knapp 1 Million t der sogenannten Kategorie 3 angehört.

Meine Damen und Herren, bei dieser Menge ungenießbarer Schlachtabfälle, die in der EU auf insgesamt 14 Millionen t jährlich geschätzt werden, bestehen unabsehbare und nicht völlig auszuschließende Möglichkeiten des Missbrauchs. Ein Verbraucherinformationsgesetz kann den Missbrauch nicht wirksam bekämpfen. Es geht vorrangig um eine Verhinderung missbräuchlicher Verwendung.

Die am Anfang geforderten Dokumentationspflichten und Kontrollen bringen auf jeden Fall einen erhöhten Bürokratieaufwand und übersteigen die personellen und finanziellen Möglichkeiten der Gemeinden. In Nordrhein-Westfalen sind die Kommunen für den größten Teil der Untersuchungen zuständig. Nach einer Stellungnahme der ehemaligen Umweltministerin Frau Höhn vom 9. März 2005 werden 190.000 Lebensmittelbetriebe überprüft, 167.000 Kontrollbesuche gemacht und 100.000 Lebensmitteluntersuchungen durchgeführt. Damit dürften die Grenzen des auf diesem Gebiet mit vertretbarem Aufwand Machbaren erreicht sein.

Wenn Frau Höhn nunmehr aufgrund der aktuellen Meldungen über den Verkauf verdorbenen Geflügelfleisches der Landesregierung eine zu lasche Handhabung der Kontrollen vorwirft, so muss sie sich mit Recht fragen lassen, weshalb sie beim damaligen Fleischskandal die jetzt von ihr als so dringend erforderlich angesehenen vermehrten Lebensmittelkontrollen nicht angeordnet hat?

(Beifall von der CDU)

Die von ihr beklagte konservative Kehrtwendung in der Verbraucherpolitik hat in der Realität nicht stattgefunden. Das Ministerium hat vielmehr sofort nach Bekanntwerden des Lebensmittelskandals in Bayern sämtliche Betriebe in Nordrhein-Westfalen untersucht, die mit solchen Fleischabfällen in Berührung kommen. Unregelmäßigkeiten wurden nicht festgestellt, Herr Remmel.

In der Vergangenheit ist seitens der CDU jede Anstrengung unternommen worden, die Lebensmittelüberwachung effektiv durchzuführen und einen möglichst hohen Verbraucherschutz zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang verweise ich auch auf unseren Antrag vom 7. Mai 2005 in der Drucksache 13/1170 mit dem Titel „Verbraucherschutz auch in NRW stärken – für eine praxisnahe Umsetzung der EU-Lebensmittelhygienevorschrift“. Der jetzigen Regierungskoalition Untätigkeit vorzuwerfen kann deshalb nur als unverständlich und völlig unbegründet bezeichnet werden.

Lebensmittelkontrollen hätten den aktuellen Skandal in Bayern nicht verhindern können. Es wurde nach bisherigem Kenntnisstand aus Fleischabfall der Kategorie 3 auf dem LKW-Transport durch Austausch der Begleitpapiere und Umdeklarierung Rohstoff für Lebensmittel. Kriminelle Machenschaften dieser Art lassen sich mit größtmöglicher Sicherheit nur ausschließen, wenn Abfälle der Kategorie 3 schon an ihrem Entstehungsort in den Schlachthöfen unveränderbar als solche ge

kennzeichnet und fälschungssicher dokumentiert werden.

Hier bietet sich der Maßnahmenkatalog an, den der bayerische Verbraucherschutzminister Schnappauf am 27. Oktober 2005 in seinem Bericht an das Bundesverbraucherschutzministerium aufgezeigt hat. Dieser Katalog schlägt Maßnahmen wie auffällige Kennzeichnung der K3-Behälter und Begleitpapiere, ein Rückmeldesystem der Begleitscheine, Einführung einer Zulassungspflicht für Transporteure der Fleischabfälle und Einfärben des Materials beziehungsweise Behandlung mit Fisch- oder Leberaromen vor.

Meine Damen und Herren, zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher ist bei Gesetzesverstößen die frühzeitige, gegenseitige und offene Unterrichtung aller Behörden zu gewährleisten. Es sind auch in Zukunft, wie hier schon geschehen, Produkte und Firmen der Öffentlichkeit bekannt zu geben. Auch die in diesem Zusammenhang oft geäußerte Befürchtung von Schadenersatzforderungen dürfte im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unbegründet sein. Das Gericht hat in einem Beschluss vom 26. Juni 2002 darauf hingewiesen, dass marktbezogene Informationen des Staates den grundrechtlichen Gewährleistungsbereich der betroffenen Wettbewerber nicht beeinträchtigen. Ergreifen staatliche Stellen ihre Informationskompetenz zum Schutz der Verbraucher, dann können sich die betroffenen Unternehmen danach weder auf die Berufsfreiheit noch auf den Eigentumsschutz berufen.

Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Abgeordnete.

Die Informationspflicht des Staates ist meines Erachtens schon aus der allgemeinen Fürsorgepflicht für die Bürger herzuleiten, ohne dass es einer gesetzlichen Regelung bedarf. Würde der Staat die Bürger in diesem Fall nicht informieren, so wäre das einer Duldung strafbarer Handlungen, nämlich eines Betrugs, durch den Staat gleichzusetzen.