Ich glaube, dass im Plenum über unsere Ziele Klarheit und Übereinstimmung bestehen: Wir müssen die Leistungen in unserem Schulsystem in Nordrhein-Westfalen insgesamt verbessern. Wir müssen für mehr soziale Gerechtigkeit und Chancengerechtigkeit sorgen. Wir müssen bei der Förderung von Kindern aus Zuwandererfamilien besser werden. Wir müssen noch mehr Standards setzen und deren Einhaltung kontrollieren, um mehr Offenheit und Vergleichbarkeit zu erreichen. Die Wege dahin haben wir bereits angelegt.
Wenn es aber um die Wege geht, diese Ziele zu erreichen, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, machen Sie immer den gleichen Fehler: Sie benutzen die Pisa-Studie lediglich als Steinbruch dafür, sich den einen oder anderen Brocken herauszubrechen,
Dabei, Herr Recker, unterschlagen Sie bewusst, dass uns die Untersuchung der Pisa-Forscher nicht nur in Nordrhein-Westfalen Ergebnisse auf den Tisch gebracht hat, die allen Bildungspolitikern – auch Ihnen – Einsichten abverlangen, die
Ich kann Ihnen nur empfehlen: Lassen Sie die Dinge einmal näher an sich heran und gehen Sie offen damit um. Wenn eine große Lehrerorganisation wie der VBE, der Ihnen wohl unbestritten näher steht als uns, Konsequenzen aus der PisaStudie ziehen will, die das glatte Gegenteil von dem bedeuten, was Sie verkünden, sollten Sie ins Grübeln kommen.
Aber Sie sollten nicht glauben, dass Sie uns damit beeindrucken können. Warum, Frau Ministerin Sommer, markiert der Koalitionsvertrag für Sie die Grenzen des Denkens? Sind Sie nicht diejenige, die alles am Wohl des Kindes orientieren will?
das kann man im Koalitionsvertrag lesen. Daran orientieren Sie sich alle. Die Pisa-Studie kommt zu einem genau gegenteiligen Ergebnis.
Die CDU schreibt in ihrer Begründung für die Aktuelle Stunde sogar, sie wolle das Bildungssystem an das der vermeintlichen Musterschüler in Bayern angleichen. Dabei hat der aktuelle Ländervergleich zweierlei ergeben: Zum einen erbringen die Bayern fraglos sehr gute Leistungen. Zum anderen steht allerdings auch fest, dass das bayerische Schulsystem in viel stärkerem Maße sozial selektiert als das nordrhein-westfälische.
Wir sind – zugegebenermaßen – auch noch nicht gut genug. Aber wir sollten in diesem Fall nicht nach Bayern, sondern in andere Länder schauen, in denen es besser funktioniert als bei uns. Wie gesagt: Bei den Zielen sind wir uns alle immer schnell einig. Das, was wir in Nordrhein-Westfalen bereits auf den Weg gebracht haben, wird meine Kollegin Frau Hendricks gleich im zweiten Redebeitrag erläutern.
Ich möchte einen Blick auf die Neuorientierung werfen, die die Landesregierung durch die Frau Ministerin kürzlich auf einer Pressekonferenz vorgestellt hat. Dort wird ein Zehn-Punkte-Plan vorgelegt, der bis heute nirgendwo wieder aufgetaucht ist; ich konnte ihn im Bildungsportal nicht
finden. Sinngemäß ging es um die Reduzierung von Unterrichtsausfall, für die die Landesregierung – das hat Herr Recker auch noch einmal gesagt – 4.000 Lehrer einstellen will. Die ersten 1.000 Lehrer sind da, werden aber für eine gestiegene Zahl von Schülerinnen und Schülern gebraucht.
Als weitere Punkte nennt die Ministerin die frühzeitige Förderung der Leistungsschwachen, die Stärkung der kognitiven Fähigkeiten und die vorschulische Förderung, jedoch ohne jede weitere inhaltliche Konkretisierung und ohne jegliches Konzept. Bei der vorschulischen Sprachförderung fällt auf, dass Minister Laschet immer betont, mehr Geld als bisher zu investieren. Im Nachtragshaushalt findet sich aber kein einziger Euro zusätzlich. Wir sind gespannt auf den Haushalt 2006. Interessant wäre auch, einmal zu erfahren, wie diese beiden Ministerien die vorschulische Sprachförderung zukünftig koordinieren wollen. Auch davon hören wir nichts. Es herrscht nur Stillschweigen.
Mehr Geld für offene Ganztagsschulen und Hauptschulen ist ohne jede Frage sehr löblich. Das haben wir immer gesagt.
Aber warum machen Sie im gleichen Atemzug die gesamte Landschaft der Kooperationspartner von Schulen nervös, die bisher so positiv mit den Grundschulen auf gleicher Augenhöhe zusammengearbeitet haben? Eine einzige Sitzung mit dem Staatssekretär hat ausgereicht, um die Wohlfahrtsverbände komplett zu verunsichern.
Das Vorziehen des Einschulungsalters haben Sie als eine weitere Maßnahme genannt, die bildungspolitisch übrigens umstritten ist. Denn für den Schuleingang ist grundsätzlich eine andere Pädagogik notwendig. Die zusätzlichen Ressourcen sprechen Sie gar nicht erst an.
Wir sind gespannt auf Ihre Vorstellungen, wie Sie die Lehrerstellen gerechter verteilen und die Nichtversetzungen und Abschulungen reduzieren wollen, wie Sie in der Pressekonferenz angekündigt haben. Zum zweiten Punkt wird es heute ja noch eine Aussprache geben, in der das Ministerium vermutlich schon präziser antworten kann.
Wir warten also erst einmal ab, was sich tatsächlich hinter dem Zehn-Punkte-Plan der Landesregierung verbirgt, den Christa Kloppenburg kürzlich so kommentierte: „eine lustlos vorgetragene Aufzählung aus bereits Bekanntem und nicht weiter Erläutertem“. – Danke schön.
Danke schön, Frau Schäfer. – Als nächster Redner hat der Abgeordnete Witzel von der FDP-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nordrhein-Westfalen steht vor den Trümmern des in sich zusammengefallenen Turms von Pisa. Von der Ruine ist nur noch der Keller übrig geblieben, in dem sich Nordrhein-Westfalen wieder einmal mit den letzten Leistungsergebnissen befindet.
Meine Damen und Herren von Rot-Grün, das ist Ihre Verantwortung. Sie machen es sich ja in den letzten Wochen sehr leicht, indem Sie sagen, dass nach dem Politikwechsel nach 39 Jahren über Nacht alle Arbeitslosen jetzt unsere Arbeitslosen und alle Schlaglöcher aufgrund von nicht vorgenommenen Straßenausbaumaßnahmen unsere Schlaglöcher sind. Für die Ergebnisse, die wir hier vorgelegt bekommen haben, tragen jedoch Sie die Verantwortung. Diese Zahlen sind zu einem Stichtag vor dem Politikwechsel erhoben worden. Für diese müssen Sie sich mit Ihrer Bildungspolitik rechtfertigen.
Diese rot-grüne Hinterlassenschaft in der Schulpolitik ist voll beladen mit Hypotheken. Der Wiederaufbau von Bildungsqualität ist und bleibt deshalb die Herkulesaufgabe der neuen Landesregierung, der neuen politischen Mehrheit in NordrheinWestfalen. Wir werden alle notwendigen Reformen, die unser Bildungswesen wieder nach vorne bringen, beherzt in Angriff nehmen.
Wie sieht die Lage nüchtern aus? – In den gemessenen Kompetenzfeldern Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften liegt Nordrhein-Westfalen einmal mehr sowohl unter dem nationalen als auch unter dem internationalen Durchschnitt. Während sich andere Bundesländer im Vergleich zu der ersten Pisa-Erhebung teilweise erheblich verbessert haben und mittlerweile auch international zur Spitzengruppe gehören, stagniert die Qualitätsentwicklung in Nordrhein-Westfalen.
Besonders beschämend für Sie von Rot-Grün müsste ja sein: Unverändert bildet ein Viertel der Schüler von Nordrhein-Westfalen die potenzielle Risikogruppe. An der Anzahl der Personen, die mit Defiziten belastet sind, die Gefahr laufen, zu
künftig bei ihrer persönlichen Lebensführung und ihrem Berufseinstieg mit großen Problemen zu kämpfen zu haben und dabei gegebenenfalls auch zu scheitern, hat sich nichts verbessert.
Lange Zeit haben sich sozialdemokratische Regierungen in Nordrhein-Westfalen in Sonntagsreden selbst gehuldigt, das soziale Gewissen dieser Republik zu sein. Heute wissen wir, wozu Ihr Kaputtsparen des öffentlichen Bildungssektors bei Pisa geführt hat.
Es ist für uns als neue Mehrheit in NordrheinWestfalen beschämend, in welchem Umfang die Zukunftschancen junger Menschen von der sozialen Herkunft abhängen, eben nicht von ihrer Leistungsfähigkeit, nicht von ihrer Anstrengungsbereitschaft, sondern von der sozialen Herkunft, die sich niemand in unserem Land selber ausgesucht hat. Deshalb ist unser Ansatz: Leistung statt Herkunft muss zukünftig den Bildungserfolg bestimmen.
Deshalb werden wir eine konsequente Reform des Bildungsbereichs in Nordrhein-Westfalen durchführen. Wir werden auf Wettbewerb setzen. Sie haben mit Ihrem Festhalten an den alten Strukturen von vorgestern und Ihrem eingemauerten Denken und Glauben an Schulbezirksgrenzen dafür gesorgt, dass diejenigen, die in sozial problematischen Stadtteilen wohnen, nicht die Option haben, auch andere Wahlentscheidungen für sich treffen zu können. Sie haben den Schutzwall um die Villenviertel herum gebaut, in die Sie niemanden hereingelassen haben. Das wird sich ändern. Wir sorgen zukünftig für eine Wettbewerbslandschaft von Bildung. Dann muss sich jede Schule im Leistungswettbewerb messen lassen, für ihre Arbeit Rechenschaft ablegen und damit Verantwortung übernehmen für ihre eigene Generierung zukünftiger Schülerzahlen im Wettbewerb.
Wir brauchen einen Neustart in der Bildungspolitik und werden ihn als FDP-Fraktion beherzt wagen. Der Verlust an Zukunftsperspektiven für die junge Generation wird von der neuen politischen Mehrheit in Nordrhein-Westfalen beendet. Derzeit ist ein nordrhein-westfälischer Schüler im Vergleich zu einem bayerischen Schüler in einem Lernrückstand von etwa einem Jahr. Weil aber die Intelligenz in Deutschland insgesamt gleich verteilt ist, muss es Ursachen geben, die in NordrheinWestfalen, die im nordrhein-westfälischen Bildungssystem begründet liegen, und deren Behebung werden wir uns beherzt annehmen.
baus. Es ist nämlich nicht sozial ungerecht, Leistung einzufordern, wenn man Ressourcen zur Verfügung stellt, die zur Leistung befähigen.
Sozial ungerecht ist es, wenn nicht die persönliche Anstrengungsbereitschaft und das Potenzial eines Schülers über seine Zukunftschancen entscheiden, sondern die soziale Herkunft. Deshalb müssen wir endlich die Zukunftsfragen im Bildungsbereich neu beantworten. Eine Lösung sind dabei ausdrücklich nicht ideologische Grabenkämpfe von vorgestern.
Wir brauchen keine Einheitsschule und keine Zerschlagung vorhandener Strukturen, sondern wir brauchen die qualitätsorientierte Weiterentwicklung der Angebote, die wir in Nordrhein-Westfalen haben. Genau diesen Weg werden wir gehen. Wir werden nicht die Menschen in unserem Land verunsichern, sondern mehr investieren, mehr Ressourcen zur Verfügung stellen, mehr Leistung einfordern und zukünftig den Jugendlichen mehr Unterstützung, mehr individuelle Förderung geben, um die gesetzten Leistungsziele zu erreichen. Deshalb sagen wir: Anstelle eines unfruchtbaren Schulstreits müssen wir die Unterrichtsqualität und die Unterrichtsbedingungen zeitnah und nachhaltig verbessern.
Wir brauchen eine neue Lehrerausbildung – das ist ein Teil der Antwort auf die Frage nach dem Wie –, eine neue Methodik und Didaktik des Unterrichts, ein besseres Schulklima, das Lernmotivation fördert, und wir müssen die notwendigen Ressourcen bereitstellen, damit individuelle Förderung besser möglich wird. Wir sind jetzt, wenige Wochen nach dem Politikwechsel, noch nicht am Ende all unserer Träume, aber der Weg, die Richtung und der Kurs, den wir eingeschlagen haben, stimmen. Wir haben angefangen mit den ersten 1.000 Lehrer-Neueinstellungen.