Also lassen Sie doch bitte die Eltern entscheiden, wo ihr Kind beschult werden soll. Geben wir dann natürlich auch die entsprechenden Unterstützungsmittel in das System hinein. Es ist absolut nicht mehr akzeptabel, dass Eltern in NRW darauf zurückgeworfen werden sollen, ihre Rechtsansprüche in Bezug auf die Umsetzung der Konvention vor Gericht einzeln erstreiten zu müssen.
Den Weg konsequent zur Inklusion zur gehen, ist längst überfällig. Das haben wir spätestens nach dem Besuch des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen Vernor Muñoz Villalobos hier gemeinsam diskutiert, und Sie haben die Erörterung damals in der Ausschusssitzung mit sehr despektierlichen Worten vom Tisch geputzt. Das war Ihnen nicht wert, weiter darüber zu reden. Wir sind aber nun durch die UN-Konvention glücklicherweise gezwungen, konkrete Schritte zu gehen.
Im Augenblick haben wir es mit der Situation zu tun, dass die Kompetenzzentren, die ins Leben gerufen werden, nicht mit der klaren Zielperspektive ausgestattet sind, den Weg zur Inklusion zu gehen, sondern sie dienen in der Tat zum Teil dazu, das Sys
tem der Förderschulen weiter abzusichern. Gleichzeitig müssen die Schulen, die im gemeinsamen Unterricht unterrichten, um ihre Ressourcen bangen. Ich erinnere besonders an die Briefe aus Köln und auch die Briefe aus NRW insgesamt, in denen es darum geht, dass das begrenzte Ressourcenpaket auf noch mehr Lerngruppen im gemeinsamen Unterricht verteilt wird.
Frau Kastner, ich bin einig mit Ihnen, dass wir mehr Ressourcen hineingeben müssen. Wir haben den größten Einstieg in den gemeinsamen Unterricht begonnen. Wir müssen da viel konsequenter weiterentwickeln.
Wenig vertrauenerweckend ist die aktuelle Diskussion um die angebliche Aufwertung des Förderschulabschlusses in der KMK. Ich hoffe, dass die Landesregierung dort konsequent der Versuchung widersteht, auf diesem Wege plötzlich Abschlüsse zu vergeben, die für die Kinder und Jugendlichen wirklich nichts wert sind.
In dem vorliegenden Antrag der SPD fehlt eine ganz wesentliche Forderung; ich meine das Recht auf gemeinsamen Unterricht. Dazu haben wir einen Antrag vorgelegt, und dazu werden wir eine Anhörung durchführen. Das wird sich gut ergänzen.
Daher bin ich der Meinung, dass wir diese spannende Diskussion in und auch nach der Anhörung fortsetzen müssen. Dort können Sie vorher alle Ihre Fragen loswerden. Bei unserer Veranstaltung „All Inclusive“ war eine Expertin aus Südtirol anwesend. Sie hat gesagt, wie es funktioniert und dass es funktioniert. Wenn wir die Ressourcen im gesonderten System konsequent zusammenführen, sind wir auf dem richtigen Weg.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Beer. – Als nächste Rednerin hat Frau Ministerin Sommer für die Landesregierung das Wort. Bitte sehr, Frau Ministerin.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um es gleich vorweg zu sagen: Auch wir sind davon überzeugt, dass mehr gemeinsamer Unterricht in allgemeinen Schulen möglich und sinnvoll ist. Und dass dies nicht nur leere Worte sind, kann man auch beweisen.
Seit wir die Regierungsverantwortung übernommen haben, ist die Integrationsquote von 11 auf fast 14 % gestiegen. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, behaupten in Ihrem Antrag, die Landesregierung habe die Integrationsbemühungen zurückgefahren, und für den gemeinsamen Unterricht stünden weniger Lehrerstellen zur Verfügung.
Beide Behauptungen sind falsch. Ich belege es Ihnen gerne: Die Haushaltszahlen weisen für das Schuljahr 2005/2006 insgesamt
6.600 Schülerinnen und Schüler im gemeinsamen Unterricht der Primarstufe aus. Zum kommenden Schuljahr werden es 9.684 sein; das sind 45 % mehr. Legt man nun die Zahl der Lehrerstellen für die sonderpädagogische Förderung in der Primarstufe und der Sekundarstufe I zugrunde, so steigt sie sogar von 994 Stellen in 2005/2006 auf 1.541 Stellen im kommenden Schuljahr. Meine Damen und Herren, da werden Sie nicht behaupten können, das sei weniger.
Ich will noch ein Wort zu den integrativen Lerngruppen in der Sekundarstufe I sagen. Diesbezüglich behauptet die Opposition, die Landesregierung habe die Lehrerstellen gedeckelt. Auch das ist falsch. Die Faktenlage ist eindeutig: Den Grundbedarf an sonderpädagogischer Förderung erhält jedes Kind in gleicher Höhe. Dieser Grundbedarf ist völlig unabhängig davon, ob das Kind in einer Förderschule ist oder eine Hauptschule oder Gesamtschule besucht.
Mit dem noch aus der Regierungszeit der Opposition stammenden Erlass zu den integrativen Lerngruppen wurde ein Mehrbedarf eingeführt, der vermeintlich zusätzliche Stellen für den integrativen Unterricht mit sich brachte. Sie haben damals mit diesem Erlass einen Anreiz geschaffen, die Integrationsbereitschaft von Schulen in der Sekundarstufe I zu erhöhen. Im Grunde ist dies nicht schlecht, meine Damen und Herren. Allerdings haben Sie diese Stellen nicht dauerhaft geschaffen. Zweimal 50 Stellen waren nur auf Pump! Diese 100 Stellen waren befristete Stellen als Teil der 2.000-kwStellen-Gewinne im sogenannten Zeitbudget; all das kann man übrigens nachlesen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Probleme kann man aber nicht auf Pump lösen. Die jetzige Landesregierung war es, die diese 100 Stellen planungssicher zur Verfügung gestellt hat.
Und das Ministerium unterstützt die Einrichtung integrativer Lerngruppen zum kommenden Schuljahr noch einmal um weitere 40 Stellen.
Nun gehen wir bei der sonderpädagogischen Förderung – Frau Kastner hat es schon angedeutet – noch einen neuen Weg. Ich denke, die ersten Erfahrungen zeigen uns, dass der Weg sehr gut angenommen wird: die Kompetenzzentren. 20 Pilotregi
onen haben wir. In 18 dieser Regionen geht es dabei um die große Gruppe der Kinder und Jugendlichen mit Lern- und Entwicklungsstörungen. Es sind drei Förderschwerpunkte: Lernen, emotionale und soziale Entwicklung sowie Sprache.
Zusammen machen diese drei Förderschwerpunkte rund 70 % aller Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf aus, und es ist die Gruppe, bei der besonders heftig um die Frage gestritten wird: Ist das besonderer Förderbedarf? Ist das sonderpädagogischer Förderbedarf? Oder handelt es sich möglicherweise um sozialpädagogischen Förderbedarf?
In den Kompetenzzentren geht es nun darum – das finde ich wichtig, und das sage ich gerade an Ihre Adresse gerichtet, Frau Beer –, eine Kultur des Behaltens für diese Kinder zu etablieren. Eine Kultur des Behaltens zeigt: Unser Ziel ist eine Förderung in den allgemeinen Schulen, also in den Grundschulen sowie in den weiterführenden Schulen. Gleichzeitig soll so oft wie möglich überhaupt auf die offizielle Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs verzichtet werden. Auch das finde ich wichtig.
Wir haben beschlossen, in den Pilotregionen die derzeitige Ausstattung mit sonderpädagogischen Lehrkräften für die Förderschwerpunkte an den beteiligten Förderschulen ebenso wie allgemeinen Schulen dauerhaft zur Verfügung zu stellen, also unabhängig davon, wie sich die Zahlen von Kindern mit festgestelltem sonderpädagogischen Förderbedarf in diesen Förderschwerpunkten in den kommenden Jahren tatsächlich entwickeln.
Die Entkoppelung von Lehrerstellen und tatsächlich attestiertem Förderbedarf erlaubt es nun, vor Ort ganz neue Wege der Kooperation und Zusammenarbeit zu gehen. Darüber hinaus schafft dies Planungssicherheit. Dieser Weg ermöglicht es zudem, ein regionales Gesamtkonzept der sonderpädagogischen Förderung zu erstellen.
Meine Damen und Herren, von einem bin ich aber sehr überzeugt. Ich bin davon überzeugt, dass es gut und richtig ist, auch Förderschulen in unserer Schullandschaft zu haben. Das sage ich völlig uneingeschränkt. Dazu will ich ein aktuelles Beispiel geben. Es stand mit Namensnennung – den Namen nenne ich aber nicht – in der „Westdeutschen Zeitung“ vom 26. März. Dort wird von einer Kollegin, einer Mutter, die Gymnasiallehrerin ist und ein Kind mit besonderem Förderbedarf hat, berichtet. Sie schreibt:
Ich weiß, was Eltern lernbehinderter Kinder durchmachen. Als mein Mann und ich vor acht Jahren erfahren haben, dass unser Sohn Förderbedarf hat, haben wir Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, damit der Junge nicht auf eine Sonderschule muss.
Sie erreicht das Ziel auch; das Kind kommt in den gemeinsamen Unterricht. Die Mutter schreibt weiter:
Obwohl unser Junge dort in vier Jahren weder schreiben noch rechnen oder lesen gelernt hat, haben wir uns doch für eine weiterführende Schule im integrativen Bereich entschieden.
Erst als unser Sohn dort war, haben mein Mann und ich eingesehen, dass er auf der Stelle tritt. Erst dann haben wir Kontakt zu einer Förderschule aufgenommen.
Meine Damen und Herren, Sie können sagen, dies ist vielleicht nur ein Einzelfall. Aber kommt es nicht gerade auf diesen Einzelfall an, wenn wir individuelle Förderung immer wieder so deutlich betonen?
Es gibt an dieser Stelle kein Gegeneinander von Förderschule und gemeinsamem Unterricht, sondern es gibt eine Gleichwertigkeit.
Frau Schneppe, weil Sie vorhin darauf eingegangen sind, sage ich Ihnen Folgendes: Wir haben – diese wird Ihnen bekannt sein – eine Bella-Studie, die in Berlin in Auftrag gegeben worden. Die zeigt sehr deutlich, dass sowohl die Kinder im gemeinsamen Unterricht als auch die Kinder in den Förderschulen kontinuierlich Lernzuwächse haben. Wir müssen uns also an dieser Stelle keine Sorgen machen.
Sehr geehrte Frau Beer, ich halte sehr viel davon, Eltern nicht zu bevormunden und ihrem Willen Rechnung zu tragen. Den Pädagoginnen und Pädagogen und auch der Schulaufsicht, die sich ja auch pädagogisch versteht, geht es um die entscheidende Frage: Wo kann der Auftrag der individuellen Förderung für jedes einzelne Kind am besten realisiert werden? Dieser Frage müssen wir uns immer wieder stellen. Wir sind uns sicherlich darin einig, dass sich Eltern durchaus bewusst für die Förderschule entscheiden. Das ist gut so. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich befürworte die Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf.
Ein solcher Prozess darf nicht am Mangel an Bereitschaft, gemeinsames Lernen zu ermöglichen, scheitern.
Aber ich glaube genauso fest daran, dass wir mit den Kompetenzzentren einen guten Weg eingeschlagen haben, da das Motiv des Behaltens wichtig ist. Und ich unterstütze nach wie vor die sehr gute Arbeit unserer Förderschulen.
Meine Damen und Herren, bitte erlauben Sie mir am Ende meiner Redezeit eine persönliche Bemerkung. Sie wissen, dass ich jahrelang damit beauftragt worden bin, zusammen mit Eltern, Pädagogen und Gutachtern, teilweise auch über Hausbesuche, den Förderort für Kinder zu suchen. Wir haben es uns alle zusammen nicht leicht gemacht. Wir haben die Verantwortung dafür gespürt.
Dieses Pfund – das nehme ich in Anspruch – zeigt jetzt unseren Weg, den ich gerade dargestellt habe. Er ist mir mehr wert, als wenn man Forderungen aus dem Trockendock heraus stellt. Dies ist leider sehr häufig der Fall. – Danke schön.