Protokoll der Sitzung vom 07.05.2009

und zwar nicht nur aus Gründen der Gerechtigkeit oder aus entwicklungspolitischer oder sozialer Verantwortung – Kriterien und Aspekte, die für Sie und Ihre Landesregierung ja offensichtlich für die Ausrichtung Ihrer Hochschulpolitik nicht von Bedeutung sind –,

(Beifall von den GRÜNEN – Christian Lindner [FDP]: Selbstbetrug ist das, was Sie ma- chen!)

nein, Ihre Abschreckungspolitik gegenüber ausländischen Studierenden ist nicht nur ungerecht, sondern sie ist auch wirtschafts- und standortpolitisch dumm. Vielleicht wirkt das bei Ihnen ja noch eher.

(Ralf Witzel [FDP]: Was hat man Ihnen da aufgeschrieben?)

Denn viel mehr, als die jungen Menschen aus Afrika oder Asien unsere Hochschulen für eine gute Ausbildung brauchen, sind wir in Nordrhein-Westfalen doch zukünftig immer stärker auf ausländische Studierende, auf ihre Kenntnisse und ihre Fähigkeiten angewiesen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Nun werden Sie, Herr Minister Pinkwart, sagen, dass Sie das vielleicht genauso sehen und dass Sie die Anwerbung ausländischer Studierender jetzt nur

mit anderen Mitteln vorantreiben wollen. So haben Sie sich ja bereits wiederholt geäußert. Aber das sind aus unserer Sicht alles schöne Worte. Denn leider passen sie so gar nicht zu Ihren Taten. Denn die Studienkollegs sind in Nordrhein-Westfalen faktisch schon abgeschafft: Fünf von sieben schließen in diesem Sommer. Wenn wir dann nach Ersatzangeboten der Hochschulen oder auch von privater Seite fragen, dann heißt es: Fehlanzeige auf der ganzen Linie. – Das ist doch ein Skandal.

(Beifall von den GRÜNEN)

Keine Frage: Es gibt natürlich das Angebot der FH Aachen, wo reiche Studierende überwiegend aus China angeworben werden, die 16.000 € für einen einjährigen Vorbereitungskurs in englischer Sprache bezahlen, einschließlich Unterbringung in Doppelzimmern in einer ehemaligen Kaserne in der Nähe von Jülich. Das gibt es.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Studium für Besserverdienende!)

Aber das ist hoffentlich nicht das Erfolgsmodell, das Ihnen als Muster für das ganze Land vorschwebt. Und wenn Sie dann die wunderbaren Hochschulzugangsstipendien anführen, mit denen Sie das angeblich alles ausgleichen wollen, kann man nur sagen: Auch hier greift wieder Ihre ideologische Mystifizierung von Begabung und angeblicher Exzellenz. Bedürftigkeit spielt keine Rolle.

(Beifall von den GRÜNEN – Ralf Witzel [FDP]: „Mystifizierung“ ist albern!)

Das Ergebnis ist, dass im Zweifelsfall – und das muss man sich jetzt einmal auf der Zunge zergehen lassen – die erwähnten reichen Chinesen von diesen 16.000 €, die sie an die FH Aachen bezahlt haben, vom deutschen Steuerzahler auch noch 5.000 € zurückbekommen.

(Ralf Witzel [FDP]: Fühlen Sie sich von Be- gabten verfolgt? Das ist ja schon manisch!)

Und andere, vor allem solche, die sich diese 16.000 € gar nicht erst leisten können, schauen derweil in die Röhre. So sieht es doch aus. Die kommen dann auch nicht nach NordrheinWestfalen. Das heißt, wir sprechen nicht nur über verschenktes Potenzial, sondern auch über verschenkte Steuergelder – Steuergelder nämlich, die an die falsche Zielgruppe gehen.

Dieser fahrlässige Umgang mit Talenten betrifft übrigens nicht nur junge Menschen, die zum Studium zu uns kommen. So berichtete die Wochenzeitung „Die Zeit“ im Dezember letzten Jahres unter der Überschrift „Verprellte Talente“ über die steigende Neigung vieler Einwandererkinder, aus Deutschland abzuwandern, weil sie nach dem Studium in Deutschland keine Perspektive für sich sehen.

So ganz allmählich sollten Sie deshalb aufwachen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, und sich bewusst machen, wohin diese Hochschulpolitik des „Privat vor Staat“ und der sogenannten Exzellenz für eine ganz kleine Elite führt.

(Ralf Witzel [FDP]: Das ist dummes Zeug!)

Sie führt, um es kurz zu machen, unsere Hochschulen und unser ganzes Land zurück in die bildungspolitische Steinzeit.

(Lachen von der FDP)

Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Seidl. – Als nächster Redner hat für die Landesregierung Herr Minister Dr. Pinkwart das Wort. Bitte schön, Herr Minister.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben hier eine sehr bemerkenswerte Debatte an diesem sonnigen Nachmittag. Die fette Überschrift des SPD-Antrags, um den es ja hier geht, lautet: „Potential an Fachkräften nicht einfach verschenken“, und dann kommt der bemerkenswerte Satz, nachdem die demografischen Herausforderungen kurz benannt werden – Zitat aus dem Antrag –:

Dafür müssen sie jedoch

die ausländischen Zuwanderer –

zunächst einmal an deutsche Hochschulen kommen und dort auch bleiben.

Das ist genau das, was Sie über lange Zeit gemacht haben. Sie waren nämlich froh, wenn aus dem Ausland überhaupt Menschen kamen, an die Hochschulen gingen und dort blieben. Ob die einen Abschluss gemacht haben, hat Sie schon gar nicht mehr interessiert. Deswegen haben Sie bei Ihrer damaligen leistungsorientierten Mittelverteilung an die Hochschulen auch nur Wert darauf gelegt, dass sie studiert haben. Ob die Studierenden jemals zu einem Abschluss geführt wurden, hat Sie gar nicht interessiert.

(Beifall von der FDP)

Das war für Sie gar nicht Gegenstand Ihrer Erörterung, sondern wichtig war, dass die Hochschulen Studierende hatten. Das war für Sie schon ein Leistungsmerkmal, und dass sie eben auch ausländische Studierende hatten, war ein Erfolgsmerkmal.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Absurd!)

Damit wird aber das, was Sie eigentlich wollen, nämlich ein Fachkräftepotenzial zu erschließen,

noch nicht erreicht. Denn dann müssten Sie Ihren Satz vervollkommnen und sagen: dass sie kommen, bleiben und auch zu einem Abschluss geführt werden.

Dann kommt speziell für die SPD noch etwas hinzu. Dann müssen Sie bitte auch dort, wo Sie Verantwortung tragen, nämlich in der Bundesregierung, bereit sein, dass wir endlich Gesetze bekommen, damit diejenigen, die aus dem Ausland zu uns kommen, hier im Regelfall ein ganz überwiegend kostenloses Studium in Anspruch nehmen und zu einem Abschluss auf Kosten des deutschen Steuerzahlers geführt werden, danach, wenn sie möchten, ihr Fachkräftepotenzial auch hier zur Entfaltung bringen können.

Sie haben aber gesetzliche Regelungen geschaffen, wonach bis vor Kurzem jungen Menschen, die hier in Deutschland zu einem Abschluss gelangten, erst dann eine Weiterbeschäftigung möglich wurde, wenn sie mehr als 85.000 € als Einstiegsgehalt nachweisen konnten. Der Spitzensteuersatz beginnt in Deutschland oberhalb von 50.000 €. Das heißt, Sie haben es zur Bedingung gemacht, dass hier mit deutschen Steuergeldern Qualifizierte erst dann eine Arbeit aufnehmen konnten, wenn sie ein Einstiegsgehalt deutlich oberhalb der Einkommensgrenze für den Spitzensteuersatz vorweisen konnten.

Damit haben Sie doch die hier herangebildeten Potenziale verschenkt, und nicht diese Landesregierung.

Der Innenminister, ich selbst und andere haben im Bundesrat darauf gedrängt, dass diese Einkommensgrenze abgesenkt wird. Frau Schavan hat jetzt ein Punkteprogramm vorgelegt und gesagt, die Grenze müsse auf höchstens 50.000 € gesenkt werden, damit wir keine weiteren Potenziale verschenken. Sie hätte das mutmaßlich auch gerne in der Großen Koalition durchgesetzt. Aber Herr Scholz und Herr Müntefering haben sie daran gehindert. Richten Sie doch bitte die Anträge, die Sie hier stellen, an Ihre eigene Partei, damit sich etwas dort verändert, wo Ihre Partei Verantwortung trägt.

(Beifall von CDU und FDP)

Es geht Ihnen aber doch offensichtlich gar nicht um das Fachkräftepotenzial. Es geht Ihnen um eine ganz andere Debatte, die Sie wiederholt unter unterschiedlichen Überschriften einbringen. Das sind Ihre Studienkollegs.

Dann bemühen Sie auch noch falsche Statistiken. Wie viele ausländische Studierende haben wir denn in Nordrhein-Westfalen? Sie erwecken geradezu den Eindruck, dass durch die nordrhein-westfälische Landesregierung ausländische Studierende gar keine Möglichkeit mehr hätten, zu studieren. Das Gegenteil ist der Fall. Ich möchte Sie mit aktuellen Statistiken konfrontieren. Die „Wissenschaft weltoffen“ von HIS und DAAD schreibt, dass Nordrhein

Westfalen mit Abstand das Bundesland mit den meisten ausländischen Studierenden ist. Mehr als jeder vierte ausländische Student in Deutschland studiert hier in Nordrhein-Westfalen. 24,1 % aller Studierenden aus dem Bundesgebiet studieren in Nordrhein-Westfalen, aber 25,2 % aller ausländischen Studierenden studieren hier, das heißt also ein überproportionaler Anteil.

Da Sie früher angeblich immer so toll waren, lassen Sie mich auch hierzu einen Zahlenvergleich bringen. Das Statistische Landesamt schreibt: Der Ausländeranteil stieg zwischen den Wintersemestern 2002/2003 und 2007/2008 um 0,6 % auf 12,4 %. – Also auch die Statistik besagt, wir sind bundesweit Spitze. Im Vergleich zu Ihrer Bilanz sind wir auch noch besser. Von daher zielt Ihr Antrag sachlich ins Leere.

Mit Blick auf das, was wir positiv tun, möchte ich noch etwas korrigierend sagen. Junge Menschen müssen Begabung mitbringen, um zu einem erfolgreichen Abschluss zu gelangen. Gerade um ihnen bessere Bedingungen zu geben, fördern wir sie mit unserem Stipendienprogramm für Studierende aus Schwellenländern und Entwicklungsländern. Eben wurde gesagt, wir würden dafür 300 € zur Verfügung stellen. Das ist mitnichten der Fall. Wir gewähren den jungen Menschen für BachelorStudiengänge einen Betrag von 800 €. Für MasterStudiengänge ist es ein höherer Betrag. Es gibt darüber hinaus Mittel für Reisekosten und Ausstattung. Unser Stipendienprogramm ist für die jungen Menschen aus den Schwellen- und Entwicklungsländern so gemacht, dass die wirklich Begabten die Förderbedingungen bekommen, die Sie unter Ihrer Regierungszeit leider nicht hatten. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen liegen mir zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor, sodass wir am Schluss der Beratung angelangt sind.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags der SPD Drucksache 14/9071 an den Ausschuss für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie – federführend – sowie an den Ausschuss für Generationen, Familie und Integration. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit Zustimmung aller Fraktionen sowie des Abgeordneten Sagel überwiesen.

Ich rufe auf:

13 Münster, Dortmund, Duisburg und Wuppertal brauchen Hauptbahnhofsmodernisierung – Konjunkturprogramm geht vorbei

Antrag des Abgeordneten Rüdiger Sagel (fraktionslos) Drucksache 14/9056

Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 14/9208