Protokoll der Sitzung vom 30.11.2005

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sprachkompetenz - diese Erkenntnis hat sich mittlerweile durchgesetzt - ist die grundlegende Schlüsselkompetenz, auf der jeder weitere Bildungserfolg aufbaut. Sprachkompetenz ist neben anderen Faktoren eine wichtige Voraussetzung für die gelingende Integration in unsere Gesellschaft.

Wir haben alle mit einem gewissen Erschrecken wahrgenommen, dass trotz aller Anstrengungen im Bereich der Sprachförderung, die von der rotgrünen Landes- und Bundesregierung unternommen wurden, dass trotz aller Maßnahmen, die bisher eingeleitet wurden, die jüngsten PisaErgebnisse wiederum erhebliche Defizite in den Deutschkenntnissen von Kindern mit Migrationshintergrund zeigen. Besonders besorgniserregend ist hierbei das unbefriedigende Sprachniveau auch der Kinder der zweiten Generation.

Uns allen hier im Hause ist mehr oder weniger klar: Wir müssen mehr Anstrengungen unternehmen, wir müssen konsequent die Erkenntnisse der modernen Sprachförderung in die Praxis umsetzen, und wir müssen die Erfahrungen aus anderen erfolgreicheren Ländern übernehmen.

Auch die Landesregierung teilt im Kern die Erkenntnis, dass dringender Handlungsbedarf besteht, aber wie in den letzten Wochen in so vielen Bereichen bleibt sie dabei rein auf der Beschreibungsebene und auf der Stufe der Ankündigungspolitik stehen.

Uns aber reicht diese vage Botschaft, die da neulich in trauter Eintracht vom Minister und der FDPFraktion in einer Pressekonferenz mit dem Tenor vertreten wurde, es gebe viele Probleme, und da müsse man ja auch mal was machen, nicht aus. Wir machen unseren Job. Wir legen Konzepte vor, und wir legen Ihnen heute diesen Antrag vor, mit dem die Sprachförderung qualifiziert und weiterentwickelt werden soll.

In der Substanz geht es in unserem Antrag um drei grundlegende Aspekte.

Erstens. Wir müssen eine Sprachförderung möglichst innerhalb der Regelsysteme betreiben und nicht in Sondersysteme wie Extra-Lerngruppen überführen. Das heißt, Erzieherinnen und Lehrer müssen in der Förderung der deutschen Sprache als Zweitsprache kompetent sein und sie im Alltag der Kinder innerhalb der Gruppen oder der Schulklasse vermitteln.

Zweitens. Sprachdiagnostik und Sprachförderung müssen mit evaluierten Konzepten und konsequent von Anfang an bis weit in die Sekundarstufe I hinein stattfinden.

Drittens. Wir müssen das Selbsthilfepotenzial der Eltern beim Erwerb der Zweitsprache Deutsch stärken, und zwar ohne, meine Damen und Herren, die Herkunftssprache zu verdrängen. Besonders in der frühesten Lebensphase nach der Geburt bis zum Kindergarten sind die Eltern die Profis. Sie müssen sich in dieser Zeit richtig verhalten. Sie sind die Hauptbezugspersonen. Das gilt später auch in Abstimmung mit dem Fachpersonal im Kindergarten.

Meine Damen und Herren, sich richtig zu verhalten, dazu gehört viel, und das betrifft nicht nur die Eltern mit Migrationshintergrund. Dazu gehört unter anderem auch ein verantwortlicher Umgang bei der Aufklärung der Eltern darüber, wie eine richtige Sprachförderung denn überhaupt aussehen muss. Sätze wie „die Muttersprache in Deutschland ist Deutsch“ haben fatale Folgen. Sie sind die falsche Botschaft und bedienen lediglich Klischees und darüber hinaus auch noch ganz andere Instinkte.

Das hat auch etwas mit einer Anerkennungskultur zu tun. Eine solche Kultur der Anerkennung und der Wertschätzung der Herkunftssprachen - das belegen alle Studien - begünstigt die Sprachförderung und damit die Integration insgesamt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Darüber, wie eine konsequente und gute Förderung der Mehrsprachigkeit, die Förderung der Zweitsprache Deutsch aussehen muss, gibt es eine völlig einhellige fachliche Meinung. Diese einhellige Meinung wird von Professoren wie Gogolin, Roth, Tenakis vertreten. Wir Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker kennen sie. Ich hatte in der letzten Ausschusssitzung den Eindruck, dass sie auch mehr oder weniger einheitlich geteilt wird.

Auch die internationalen Erfahrungen und Forschungen ergeben ein eindeutiges Bild. Ich erwähne nur beispielhaft und wie sooft Schweden mit seiner konsequenten Sprachförderung, die übrigens bis zu einem Rechtsanspruch auf Förderung in der Muttersprache geht. Zuletzt ist ja auch die EU-Kommission dieser Philosophie gefolgt. Sie verlangt in einer Mitteilung von vergangener Woche von den Mitgliedstaaten nationale Aktionspläne zur Förderung von Mehrsprachigkeit.

Die daraus hier zu ziehenden Konsequenzen sind in unserem Antrag genauso eindeutig formuliert

und zusammengefasst, wie sie fachlich geäußert werden.

Aber weit schwieriger, meine Damen und Herren, sind die Fragen der Umsetzung. Das ist mir voll bewusst; denn die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, sind weitreichend.

Die Professionalisierung des Personals, von Erzieherinnen und Erziehern, Lehrerinnen und Lehrern, hin zu einer konzeptgebundenen Förderung der Zweitsprache Deutsch oder der deutschen Sprache überhaupt - das ist eine neue Aufgabe, die erst einmal in entsprechenden Studiengängen, neuen Ausbildungsordnungen und Weiterbildungsmaßnahmen in einem enormen Umfang münden müsste. Das ist nicht leicht zu schultern. Aber nach dem Ausbau der Quantität im Elementarbereich in den letzten Jahren muss nun auch die qualitative Weiterentwicklung verstärkt werden und in die qualitative Weiterentwicklung investiert werden.

Frau Kollegin Asch, kommen Sie bitte zum Schluss, und zwar rasch.

Ich komme zu meinen letzten Sätzen. - Vieles ist ja schon vorhanden, vieles muss aber noch geleistet werden.

Unser Antrag bildet dafür einen ersten Aufschlag, einen Beitrag zur Diskussion hier im Parlament und zur Entwicklung weiterführender und wirksamer Konzepte. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Solf für die CDU-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist in diesem Hause, dem anzugehören ich jetzt im siebten Jahr die Freude und manchmal auch das Leid habe, üblich, alle Anträge der gegnerischen Fraktionen abzulehnen. Diese Ritualtänze widern mich schon lange an. Deshalb erkläre ich frank und frei: Der Antrag hat Format. Der Antrag ist gut. Einiges Wenige sehe ich anders, aber das ist nebensächlich.

Dennoch ist mir Bitterkeit gekommen, als ich ihn las. Warum? - Er ist die Aufarbeitung der zehnjährigen Miteinanderleidensgeschichte von Rot und Grün. Wenn Rot-Grün diesen Antrag früher beherzigt hätte, hätten wir vielen Migrantenkindern

das Trauma schulischen Scheiterns erspart und der Grundschule übrigens den unmöglich zu schaffenden Spagat zwischen sprachlicher Nachhilfe für die einen und genügend Lernfortschritten für die anderen.

Alle Kinder müssen bei Schulbeginn die Unterrichtssprache Deutsch sprechen können. Fast alle sagen das heute. Aber als Rot-Grün in der Verantwortung war, da durfte die Erde noch nicht rund sein, da wurden wir von Rot und Grün angepöbelt und als Germanisierungsapostel in die rechte Schmuddelecke gestellt. Ich habe noch die Presseartikel von damals zu Hause.

Wenn Sie Pisa richtig lesen und nicht nur als Fundgrube für Einheitsschulgründungsversuche missbrauchen, müssen Sie - ich habe es Ihnen schon vor vielen Jahren nahe zu bringen versucht, aber Sie waren ja in der Mehrheit - endlich eines akzeptieren: Jedes selbstständige und systematische Lernen ist sprachbasiert. Der alles entscheidende Faktor ist die Beherrschung der deutschen Sprache.

Herr Abgeordneter.

Wenn ich den Gedanken eben zu Ende führen darf.

Gerne.

Erst an zweiter Stelle kommen die soziale Lage und der soziokulturelle Hintergrund. Ein Kind, das in Deutschland die deutsche Sprache nicht beherrscht - egal, ob die Eltern Deutsche oder Migranten sind -, ein solches Kind wird beim Lesen und Schreiben, aber auch beim Rechnen und in jedem anderen Schulfach scheitern. Auch bei größtmöglicher sonstiger Förderung wird es täglich weiter zurückfallen. An einem solchen Kind haben sich seine Eltern versündigt, hat sich die Gesellschaft versündigt. - Vielleicht möchte Frau Löhrmann jetzt ihre Frage stellen.

Frau Abgeordnete Löhrmann zu einer Zwischenfrage.

Herr Kollege Solf, wir haben uns ja schon mehrfach darüber ausgetauscht. Mir ist eine Frage an Sie wichtig, nämlich die, wie Sie die heutige Situation beurteilen. Ist die Bundesrepublik Deutschland ein Einwanderungsland? Ja oder nein? Und für welche Ver

säumnisse ist Ihre Partei in diesem Zusammenhang verantwortlich?

Was sich meine Partei an Versäumnissen geleistet hat, habe ich in vielen Kreisen immer wieder dargestellt. Ich will aber nicht, dass hier wieder Ritualtänze - ich sage das Wort ganz bewusst - miteinander ausgefochten werden und dass man sich gegenseitig vorwirft, was der andere getan hat. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass ich das, was Sie in diesem Antrag geschrieben haben, als sehr gut und passend bezeichnet habe. Wenn Sie immer wieder auf diese alten Frontkämpfe verweisen, werden Sie der Sache nicht nutzen.

Als es Frau Behler vor vier Jahren wagte, unsere Forderungen aufzunehmen, ist sie binnen eines einzigen Tages zurückgepfiffen worden; zurückgepfiffen von roten und grünen Gutmenschen - Frau Löhrmann, da muss ich Sie natürlich anschauen -, die über die Zäune ihres Multikultiziergärtleins nicht hinausgucken konnten und so wieder einmal wertvolle Jahre verschenkt haben.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Wer pflegt denn jetzt die Kultur?)

Die Bildungsabschlüsse von Migranten der zweiten und dritten Generation werden nicht nur nicht besser, sondern in der Tendenz seit Jahren immer schlechter, und zwar vor allem in NordrheinWestfalen und nicht in jenem Bundesland, bei dessen Nennung allein wackere Rote schon die Migräne bekommen.

Wir von CDU und FDP wollen die vorschulische Sprachförderung in die Regelförderung nach dem GTK integrieren. Das bedeutet aber auch: Die jetzigen vorschulischen Schnellkurse müssen - in inhaltlicher und finanzieller Verantwortung des Landes - umgehend wirksamer gestaltet werden. Was da heute geschieht, kann einer späteren Bildungsarmut eben nicht vorbeugen. Wir wissen ja nicht einmal, wie viele Kinder dieses Angebot überhaupt regelmäßig wahrnehmen.

Wir wollen den frühen Sprachtest, wir wollen den Sprachentwicklungsbericht, und wir wollen die Eltern stärker einbeziehen. Hier werden die Familienzentren ansetzen. Ich sage aber auch: Eltern, die ihr Kind nicht an einem verbindlichen vorschulischen Sprachkurs teilnehmen lassen, sollten mit einer Geldbuße belegt werden können.

Meine Damen und Herren, selbstverständlich bleibt auch die Muttersprache wichtig. Ich will eine Sprachförderung, die aus einer - ich formuliere es knapp - unterdrückten Zweisprachigkeit eine wirkliche Zweisprachigkeit macht. Das hilft dem ein

zelnen Menschen, das hilft der Gesellschaft, das hilft unserer Kultur, und das hilft unserer Wirtschaft.

Alles, was wir tun, mag immer noch zu wenig sein, aber wenigstens - so weiß ich - ist es wesentlich mehr als unter der alten Landesregierung, wo die Worte meist stärker waren als die Taten. Und da denke ich natürlich besonders an Frau Schäfer, die so oft in den Schwaden eigener Nebelgranaten herumstocherte und immer noch herumstochert.

Alles, was wir tun, wird aber auch viel Landesgeld kosten - und das, obwohl uns Rot und Grün an den Rand des Offenbarungseides geführt haben.

Andererseits gilt aber auch: Gelingt Sprachförderung nicht, wird es uns noch mehr kosten. Amerikanische und schweizerische Kosten-Nutzen-Analysen weisen eine Rendite vom Sechs- bis Siebenfachen für jede in die Vorschule investierte Summe aus.

Ein Neuanfang tut wirklich Not. Denn potenzielle Analphabeten werden zum sozialen Sprengstoff. Wir brauchen eine Feuerwehr gegen den Flächenbrand der Sprachlosigkeit. Die Lebenschancen vieler Kinder in unserem Land hängen davon ab. - Ich danke Ihnen fürs Zuhören.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Frau Abgeordnete Stotz von der SPD-Fraktion das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Antrag, die vorschulische Sprachförderung von Kindern weiter zu verbessern, greift die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen kein neues Thema in diesem Hause auf; die Vorredner haben das auch schon gesagt. Vielmehr stellt der Antrag einen Politikbereich in den Vordergrund, mit dem sich die Bildungs- und Migrationspolitiker in der letzten Legislatur hier im Landtag bereits intensiv befasst haben, und auch die damalige rot-grüne Landesregierung hat dazu ganz entscheidende Weichenstellungen auf den Weg gebracht.

Das soll nun nicht heißen, dass die Grünen heute einen Antrag einbringen würden, der seiner Zeit hinterherhinkte. Nein, der Antrag knüpft genau dort an und schreibt kontinuierlich das fort, was seine Grundlage bereits in der letzten Legislatur hatte und was nach wie vor hoch aktuell ist.