Protokoll der Sitzung vom 10.09.2009

(Beifall von SPD und FDP)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kuschke. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Asch das Wort. Bitte schön, Frau Abgeordnete.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Regierungsfraktionen bietet wieder einmal Gelegenheit, sich hier im Parlament mit der Geschichte der Zuwanderung in unserem Land zu befassen.

Der Antrag dokumentiert aber auch den Fortschritt innerhalb der CDU, die jahrzehntelang – bis 1998 – immer wieder behauptet hat, Deutschland sei überhaupt gar kein Einwanderungsland. Nun schreiben Sie relativ unbefangen von den 2,5 Millionen Menschen, die seit 1945 nach NRW gekommen sind.

Diese sind allein über die Landesstelle UnnaMassen gekommen. Wir müssen aber auch noch rund 2 Millionen Arbeitsmigrantinnen mit ihren Familien und Nachkommen hinzuzählen. Diese gehen im Antrag etwas unter.

Es sollte uns allen aber wirklich bewusst sein, dass alle Zugewanderten gemeinsam zu dem beigetragen haben, was wir – diese Gesellschaft – seit Jahrzehnten sind, nämlich ein multikulturelles, ein multireligiöses Land, dessen Menschen viele Wurzeln in verschiedenen anderen Ländern und Kulturen haben.

Der Landtag, meine Damen und Herren, hat sich verschiedentlich mit einem Dokumentationszentrum der Geschichte der Zuwanderung nach NRW befasst. Bereits in der Integrationsoffensive von 2001 gab es die Vereinbarung – ich zitiere aus dieser Integrationsoffensive –, eine Einrichtung zu schaffen, die sich der Geschichte der Zuwanderung und der Präsentation der Kultur der Zugewanderten widmet. Leider hat diese Idee, obwohl sie sehr prominente Unterstützung hatte, nämlich durch den

damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau, keine Realisierung erfahren.

Stattdessen haben wir drei weitere Anträge der CDU zum Thema „Dokumentation von Zuwanderungsgeschichte“ erhalten: 2004 gab es einen Antrag, wonach ein Dokumentationsforum aufgebaut werden sollte. 2007, also in dieser Legislaturperiode, hatten wir den Antrag, eine Sammlung zur Geschichte von Migration und Integration zu errichten. Heute nun haben wir die vierte Initiative: Eine Wanderausstellung über die Landesstelle Unna-Massen, die dann auch als Dauerausstellung präsentiert werden soll.

Die Häufung dieser Anträge zu dem Thema „Dokumentation von Zuwanderung“ und die Wortwahl darin lassen gewisse Schlussfolgerungen zu. Meine lautet: Entweder fehlt es an einem schlüssigen Gesamtkonzept, oder Sie haben nicht die notwendigen Ressourcen zur Verfügung, um ein schlüssiges Gesamtkonzept zu bezahlen. Dass Sie den Inhalt Ihres heutigen Antrags von der mittelfristigen Finanzplanung des Landes abhängig machen, scheint den Geldmangel für dieses Thema sehr plastisch zu dokumentieren.

Die Frage, ob es wirklich allein der Geldmangel ist, warum Sie auf eine dezentrale Präsentation der Zuwanderungsgeschichte statt auf die ursprüngliche Idee einer zentralen Einrichtung setzen, ist damit allerdings nicht beantwortet.

Wir wissen, die Landesstelle Unna-Massen ist ganz sicher ein bedeutender Ort für die Geschichte der Zuwanderung nach Nordrhein-Westfalen, und man sollte nach ihrer Schließung in der Tat eine geeignete Form finden, wie die Erinnerung an diese wichtige Einrichtung und die wertvolle Arbeit gewahrt bleibt.

Dazu muss man – so finde ich – auch den Kreis und die Stadt Unna sehr eng einbeziehen. Das ist in diesem Antrag leider nicht erwähnt. Ich gehe aber davon aus, dass das selbstverständlich ist und die Landesregierung, Herr Laschet, dies ihrerseits auch tun wird.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es geht ja auch um die die Vielzahl der Menschen, die dort gearbeitet haben.

Im Rahmen der Beratung in den Ausschüssen sollten wir dann noch einmal darüber sprechen, welche konzeptionellen Gesamtüberlegungen tatsächlich vorhanden sind. Nicht zuletzt gibt es im Migrationshaushalt eine auffällige neue institutionelle Förderung des Kölner Vereins DOMiD. Das ist das Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland. Dafür stehen 150.000 € im Haushalt. Wenn das alles also Bestandteil eines Gesamtkonzepts ist, sollte man das dem Landtag auch mitteilen.

Erst im Lichte einer genauer zu erkennenden wirklichen Gesamtkonzeption werden wir als Grüne dann entscheiden, wie wir mit diesem Antrag weiter umgehen werden. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Asch. – Als nächster Redner hat für die Landesregierung Herr Minister Laschet das Wort. Bitte schön, Herr Minister.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor gut zwei Monaten, am 30. Juni 2009, haben wir in einer festlichen und würdevollen Veranstaltung die ehemalige Landesstelle Unna-Massen endgültig geschlossen. Hier ist beschrieben worden, wer dort hingekommen ist. Ich denke, wenn man über einen solchen Antrag spricht, muss man einmal erwähnen, dass zunächst Millionen Heimatvertriebene dort wieder Heimat gefunden haben, dass für viele Unna-Massen der Begriff ist, endlich wieder aufatmen und in Freiheit leben zu können. Die werden diesen ersten Aufenthalt dort nicht vergessen.

Insofern, liebe Frau Kollegin Asch, finde ich das – wenn ich das ehrlich sagen darf – etwas billig, in welcher Form Sie damit umgehen. Sie haben gerade kein einziges Mal die Heimatvertriebenen erwähnt, kein einziges Mal.

(Beifall von der CDU)

Sie haben gesprochen über Einwanderungsland, über multikulturell, über alles, was man an jedem Ort in jeder Phrase abdreschen kann. Aber Sie haben die Menschen, die dahingekommen sind, dem Kommunismus entflohen sind und an die wir erinnern wollen, mit keinem einzigen Wort erwähnt.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Es ist eine wirkliche Meisterleistung von Geschichtsklitterung, hier im Zusammenhang mit Unna-Massen über ausschließlich multikulturelle Zuwanderungsgeschichte zu reden.

Dann haben Sie wieder, wie Sie das immer machen – ich finde es allmählich auch nicht mehr witzig –, gesagt, die Landesregierung habe kein Konzept. Wir haben ein anderes Konzept als Sie, sehr geehrte Frau Asch. Wir wollen dezentral erinnern. Sie denken in Strukturen und wollen irgendwo ein Museum als zentralen Ort hinstellen. Wir wollen an unterschiedlichen Orten an Zuwanderung erinnern: an die Vertriebenen in Unna-Massen mit einer Wanderausstellung, an die Zuwanderung im Ruhrgebiet, an DOMiD in Köln. Das ist ein anderes Denken, als Sie es haben. Insofern leben wir auf zwei Planeten, wenn wir über solche Dinge sprechen.

Ich finde es gegenüber den 2,5 Millionen Menschen schlicht bodenlos, deren Schicksal mit keiner Silbe zu erwähnen und kein bisschen Empathie erkennen zu lassen, was da eigentlich in Unna-Massen stattgefunden hat.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Mir gefällt die Presselage heute nicht!)

Das müssen Sie vor sich selbst verantworten.

Wir wollen genau diese Idee umsetzen, die Sie hier beschrieben haben, Herr Kollege Westkämper und Herr Lindner, und daran erinnern, was das für die Menschen bedeutet, die dahingekommen sind. Das war eine Willkommenskultur, die wir für andere Flüchtlinge jetzt erst schaffen. Die war schon da in Unna-Massen 1951, 1952. Diese Kultur brauchen wir heute für neue Flüchtlinge, die aus anderen Gründen zu uns kommen. Die kann man in UnnaMassen wirklich vorbildlich lernen. Deshalb hat dieser Ort einen besonderen Platz im kollektiven Gedächtnis unseres Landes.

Herr Minister, gestatten Sie eine Unterbrechung? Die Frau Abgeordnete Löhrmann würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie die zu?

Ja.

Bitte schön, Frau Kollegin.

Herr Minister, können Sie sich einmal einen Moment überlegen, ob Ihre Reaktion genau so ausgefallen wäre wie die, die Sie uns gerade haben erleben lassen, wenn der Herr Kollege Keymis die Rede von Frau Asch gehalten hätte?

Ich weiß nicht, ob der Kollege Keymis gleichermaßen geredet hätte.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Es war die glei- che Rede!)

Frau Kollegin Löhrmann, Sie waren bei der Rede nicht anwesend.

(Zuruf von den GRÜNEN: Es war seine Re- de, die sie verlesen hat!)

Ich würde mich schämen, wenn ich über Vertriebene spräche und sie mit keinem Wort erwähnen würde.

(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Frau Löhrmann, wenn Sie mich etwas fragen, sollten Sie wenigstens die Antwort abwarten.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Das tue ich doch!)

Sie haben die Rede nicht gehört.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Das wissen Sie doch gar nicht! Ich habe zwar nicht hier ge- sessen, aber ob ich sie gehört habe, wissen Sie nicht!)

Sie können wahrscheinlich durch geschlossene Türen hören, Frau Löhrmann.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Ich kann sie in meinem Zimmer gehört haben!)

Wollen Sie jetzt die Antwort haben?

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Ja!)

Wenn Sie mir damit als Fraktionsvorsitzende jetzt übermitteln, dass das, was die Frau Kollegin Asch vorgetragen hat, die Position der gesamten GrünenFraktion ist, dann zeigt das, dass Sie ein gebrochenes Verhältnis zu den Vertriebenen haben.

(Beifall von der CDU)

Das ist so. Das gefällt Ihnen nicht. Das sind Menschen, die dem Kommunismus entflohen sind.