brauchen das, glaube ich. Herr Dr. Orth, Herr Giebels: Jawohl, auch ich lobe Sie. Auch Sie haben sich Lob verdient von der Opposition.
Wenn das für Ihr Ego wichtig ist, dann muss es auch mal sein an dieser Stelle; denn Sie haben wirklich ein Ritual durchbrochen. In den letzten vier Jahren dieser schwarz-gelben Regierungszeit habe ich mich gefragt, wo eigentlich der Parlamentarismus geblieben ist. Er ist bei Gesetzgebungsverfahren oft genug auf der Strecke geblieben ist.
Den alten Spruch, „Kein Gesetz verlässt das Parlament so, wie es reingekommen ist“, haben Sie vier Jahre lang durchbrochen. Sie haben alles durchgewunken, was auf den Tisch gelegt wurde. Deswegen ist es ein etwas vergifteter Dank – das gestatten Sie mir –, aber danke dafür, dass Sie mit dieser Anhörung und mit Ihrem Änderungsantrag Ihre bisherige Praxis durchbrochen haben und somit sehr wohl auf die Stellungnahmen der Sachverständigen eingegangen sind.
Frau Müller-Piepenkötter, ich finde, es ist ein Armutszeugnis, dass uns von Ihnen ein Gesetzentwurf vorgelegt worden ist, der – das finde ich am gravierendsten – im Bereich Nacktuntersuchung nicht der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entspricht; eigentlich alle Sachverständigen haben Ihnen das zurückgemeldet. Ich frage mich, ob niemand im Justizministerium die Gesetzentwürfe auf Verfassungskonformität hin durchschaut.
Dass Herr Wolf das nicht macht, das sind wir ja gewohnt, aber dass uns jetzt solche Gesetzentwürfe auch aus dem Justizministerium vorgelegt werden, finde ich hochbedenklich. Gott sei Dank haben die Koalitionsfraktionen hier korrigiert.
Uns geht die Korrektur aber nicht weit genug, denn jetzt ist der Entwurf lediglich gerade noch so vereinbar mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Aber, Herr Dr. Orth, es ist doch ein riesiger Unterschied zwischen Ihrem Gesetzentwurf, in dem Sie an der Nacktuntersuchung als Regelfall festhalten und festlegen, dass sie nur im Ausnahmefall, wenn es die Sicherheit und Ordnung nicht gefährdet unterbleiben kann, und der ganz klaren Regelung, wie wir sie in unserem Änderungsantrag vorschlagen, dass die Anstaltsleitung nur bei Gefahr im Verzug im Einzelfall eine Nacktuntersuchung anordnen kann.
Sie haben die Nacktuntersuchung als Regel formuliert – Ausnahme vielleicht irgendwann einmal –, während wir ganz klar vorgeschlagen haben, dass die Nacktuntersuchung die Ausnahme sein muss und die vor ihrer Anwendung zu überwindende Hürde Gefahr im Verzug ist und nicht Sicherheit und Ordnung.
Darin unterscheiden wir uns in besonderem Maße von Ihrer Formulierung, die – okay – vielleicht beim Bundesverfassungsgericht noch gerade so durchgeht. Wir sollten uns aber schon mehr Bürgerrechte in der Untersuchungshaft leisten; denn wir wissen alle: In Untersuchungshaft sitzen keine verurteilten Straftäter. Da müssen wir etwas genauer hingucken, und da müssen wir mit den Rechten dieser beschuldigten Menschen auch sorgsam umgehen. Unsere Formulierung geht also sehr viel weiter. Das ist einer der wesentlichen Punkte, warum wir bei unserem Nein zum Gesetzentwurf bleiben.
Zweitens. Warum sollen Untersuchungshäftlinge – ich habe nicht verstanden, warum Sie das nicht aufgenommen haben; das hat mir auch niemand erklären können – in Bezug auf das Arbeitsentgelt schlechter gestellt werden als Häftlinge im allgemeinen Vollzug? Und das tun Sie hier. Beim Arbeitsentgelt soll es weiterhin bei 5 % der Eckvergütung bleiben. Der Zwölf-Länder-Entwurf mag nicht in allem der bessere sein, aber an dieser Stelle ist er es klar: Er spricht von 9 %, und das entspricht auch dem Arbeitsentgelt im Vollzug. Es ist mir nicht nachvollziehbar, warum Sie nicht eine völlige Gleichstellung zum Strafvollzug herstellen wollen. Es sollte gleiches Recht für Untersuchungshäftlinge gelten.
Das ist der zweite Punkt, warum ich meine, dass wir Ihrem Gesetzentwurf nach wie vor nicht zustimmen können. Schade, ich hätte es gut gefunden, wenn Sie auch das aufgenommen hätten.
Ich wolle die beiden Punkte herausheben, warum wir Ihren Änderungen heute zustimmen, Herr Giebels. Es handelt sich nämlich um sinnvolle Ergänzungen. Den Gesetzentwurf in Gänze werden wir ablehnen, obwohl Sie – um es ganz deutlich zu sagen – Verbesserungen eingebracht haben. Die Verbesserungen gehen uns aber wirklich nicht weit genug, Herr Dr. Orth. Von Ihnen als FDP-Fraktion hätte ich etwas mehr erwartet. Dazu hat es aber wohl nicht gereicht. Schade!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im März dieses Jahres hatte ich den Gesetzentwurf vorgelegt. Wir haben es gerade mehrfach gehört: In den vergangenen Monaten hat sich der Rechtsausschuss mit diesem Entwurf und auch
dem von der SPD-Fraktion eingebrachten und inzwischen zurückgezogenen Gesetzentwurf über den Vollzug der Untersuchungshaft eingehend befasst.
Die öffentliche Anhörung Sachverständiger aus Lehre und Praxis hat ein eindeutiges Ergebnis gebracht: Verfassungskonformität, Tragfähigkeit, Solidität und Praktikabilität kennzeichnen den Entwurf ebenso wie die gleichzeitig erreichte Verbesserung der Sicherheit in den Justizvollzugsanstalten unseres Landes. Das gilt auch für Durchsuchungen, die an enge Voraussetzungen geknüpft sind. Die wenigen Änderungsvorschläge sind im Wesentlichen redaktioneller Natur
und dienen der Klarstellung dessen, was wir von Anfang an gewollt haben. Das, was Herr Dr. Orth „Abrüstung“ nennt, ist eine Klarstellung. Insoweit danke ich für eine fruchtbare Diskussion im Ausschuss.
Nach dem Jugendstrafvollzugsgesetz ist das vorliegende Untersuchungshaftvollzugsgesetz das zweite Landesgesetz zur Regelung des Vollzugs in Nordrhein-Westfalen nach der Föderalismusreform. Das Gesetz ist knapp gehalten und glücklicherweise im Gesetzgebungsverfahren auch schlank geblieben. Es ist uns, glaube ich, gelungen, ein überschaubares, praxisgerechtes und insbesondere auch sozial ausgewogenes Gesetz zu formulieren. In zahlreichen Regelungen wurden die herausragende Bedeutung der Unschuldsvermutung in den Vordergrund gerückt und die Rechtsstellung der Untersuchungsgefangenen verbessert.
Der umfangreiche Ausbau der Angebote an alle Untersuchungsgefangene wird diesen ermöglichen, ihre Haftzeit sinnvoll und nutzbringend zu gestalten. Ich denke, das ist wichtiger als ein Arbeitsentgelt.
Der Aufbau und die Stärkung sozialer Kompetenzen und damit der Schutz unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger werden nachhaltig verbessert. Darüber hinaus ist es uns gelungen, die hohen Standards, die wir für den Umgang mit inhaftierten jungen Menschen bereits im Jugendstrafvollzugsgesetz gesetzt haben, auch in diesem Gesetz sicherzustellen. Dies war und ist mir ein besonderes Anliegen.
Aber, meine Damen und Herren, ein Gesetz zum Vollzug der Untersuchungshaft muss noch Schwierigeres leisten. Das kennzeichnet unseren Gesetzentwurf auch gegenüber dem Zwölf-Länder-Entwurf. Es muss nämlich einerseits lückenlos sein und andererseits ohne Überschneidungen an die bundesgesetzlichen Regelungen zum Untersuchungshaftrecht anschließen, die weiterhin in der Gesetzgebungskompetenz des Bundes bleiben. Auch dieser Vorgabe wird der Gesetzentwurf gerecht.
Das vom Bundestag beschlossene Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29. Juli 2009, das am 1. Januar 2010 in Kraft treten wird, bestätigt dies. Es bestätigt nicht nur die Rechtsgrundlagen und die Rechtspositionen des hier zu beratenden Entwurfs, sondern ergänzt ihn auch in wesentlichen Teilen, beispielsweise hinsichtlich der Zusammenarbeit zwischen Gericht und Staatsanwaltschaften auf der einen sowie den Justizvollzugsanstalten auf der anderen Seite.
Meine Damen und Herren, mit der in Art. 2 enthaltenen Regelung zur Verbesserung der Sicherheit in Justizvollzugsanstalten wird eine gesetzliche Grundlage geschaffen, um unerlaubte Telekommunikation im Justizvollzug unterbinden zu können. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass durch diese Regelung die Rechte der Gefangenen nicht eingeschränkt werden, sondern ohnehin bestehende Beschränkungen wirksam durchgesetzt werden sollen.
Danke schön, Frau Ministerin. Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen gibt es nicht. Wir kommen zum Schluss der Beratung.
Wir stimmen zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 14/9947 ab. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD und Grüne. Wer ist dagegen? – Das sind CDU und FDP. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Wir stimmen dann über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 14/9959 ab. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke, das sind alle. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Das ist einstimmig so beschlossen.
Wir stimmen dann noch über den Gesetzentwurf Drucksache 14/8631 ab. Der Rechtsausschuss empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 14/9864 – Neudruck –, diesen Gesetzentwurf in der Fassung seiner Beschlüsse anzunehmen. Wer ist dafür? – Das sind CDU und FDP. Wer ist dagegen? – Das sind Grüne und SPD. Wer enthält sich? – Niemand. Damit sind dieser Gesetzentwurf und die Beschlussempfehlung angenommen und das Gesetz Drucksache 14/8631 in zweiter Lesung verabschiedet.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Das nordrhein-westfälische Jugendstrafvollzugsgesetz eröffnet die Möglichkeit, junge Gefangene entweder im geschlossenen oder im offenen Vollzug unterzubringen. Diese Differenzierungsmöglichkeit hat sich seit Langem bewährt und wird den weitaus meisten jungen Gefangenen durchaus gerecht.
Diese Binnendifferenzierung möchte ich dadurch erweitern, dass wir eine dritte Vollzugsform einrichten, und zwar den Vollzug in freien Formen. Das bedeutet, dass junge Strafgefangene die Jugendstrafe oder einen Teil davon statt in einer Jugendanstalt in einer Einrichtung der Jugendhilfe verbüßen können.
Zwischen Jugendvollzug und Jugendhilfe gibt es viele Schnittstellen. Diese legen es nahe, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und zu erproben, ob ein Miteinander beider Systeme nicht Ergebnisse bringt, von denen beide profitieren können.
So hat es vor der Föderalismusreform auch der Bundesgesetzgeber gesehen, der mit § 91 Abs. 3 des Jugendgerichtsgesetzes den Jugendvollzug in freien Formen ermöglicht hatte. Nach der Föderalismusreform ist diese Bestimmung gestrichen worden. Deshalb wollen wir diese Regelung wie andere Länder auch in unser Landesgesetz aufnehmen. Wenn wir die Palette der Möglichkeiten, auf junge Gefangene einzuwirken, erweitern, vergrößern wir nämlich die Chance, das Vollzugsziel der Resozialisierung zu erreichen.
Leitlinie unseres Jugendstrafvollzugsgesetzes ist die erzieherische Gestaltung. Dieser sind wir verpflichtet. Ich darf auch sagen, dass es bereits jetzt, noch keine zwei Jahre nach Inkrafttreten des Jugendstrafvollzugsgesetzes, innovative Entwicklungen in den Jugendanstalten unseres Landes gibt. Wir sollten aber – ich bin sicher, dass ich bei Ihnen damit auf offene Ohren stoße – auf diesem Weg voranschreiten und weitere Formen der erzieherischen Ausgestaltung des Jugendstrafvollzuges entwickeln.
Dafür wollen wir die gesetzliche Grundlage schaffen. Einige denkbare konzeptionelle Rahmenbedingungen möchte ich Ihnen schon einmal vorstellen.
Zielgruppen sollten vor allem junge Gefangene im Alter von 14 bis 16 Jahren sein, weil hier die Schnittstellen zwischen Jugendvollzug und Jugendhilfe besonders zahlreich sind.
Der Vollzug der Jugendstrafe in freien Formen soll nicht als Vollzugslockerung, sondern als eigenständige dritte Vollzugsform neben den offenen und den geschlossenen Vollzug treten. Damit ist klar, dass es sich um eine Aufgabe des Jugendstrafvollzuges und somit des Landes und nicht der kommunalen Träger der Jugendhilfe handelt.
Die Jugendhilfeeinrichtung, die mit der Aufgabe betraut würde, den Jugendvollzug in ihrer Einrichtung durchzuführen, soll zum einen Erfahrungen im Umgang mit straffälligen jungen Menschen haben. Vor allem soll sie aber in der Lage sein, entlassene Strafgefangene im Wege der Nachsorge unter anderem Vorzeichen in ihrer Einrichtung weiterhin unterzubringen, soweit das angezeigt ist.
Meine Damen und Herren, Sie wissen, dass mir die Arbeit mit straffällig gewordenen jungen Menschen am Herzen liegt. Für diese Menschen lohnt es sich, neue Wege auszuprobieren; denn wir dürfen sie nicht verloren geben.