Protokoll der Sitzung vom 07.10.2009

Es gibt in diesem Hause eine eindeutige Mehrheit, nämlich von CDU und FDP, die Ja sagt zu moderner Kraftwerkstechnik, zu modernen Kraftwerken bei uns in Nordrhein-Westfalen. Und es gibt eine Minderheit, die eindeutig sagt: Wir wollen damit nichts mehr zu tun haben. Das sind SPD und Grüne, die sich dem Industriestandort NordrheinWestfalen verweigern. – Danke schön.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Ellerbrock. – Für die Landesregierung möchte jetzt noch einmal Frau Ministerin Thoben sprechen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur damit kein wichtiger Sachverhalt untergeht, Herr Römer:

(Svenja Schulze [SPD]: Ach!)

Parallel zur Beteiligung der öffentlichen Stellen und Personen des Privatrechts wurde die Änderung des Regionalplans – das war die Verschiebung des Grünstreifens – öffentlich ausgelegt. Die Auslegung wurde im Amtsblatt für den Regierungsbezirk Münster vom 16. September 2005, Nummer 37, bekanntgemacht. In der Bekanntmachung wurde darauf hingewiesen, dass die Planunterlagen in der Zeit vom 4. Oktober bis einschließlich 5. Dezember ausliegen würden und Anregungen sowie Bedenken bis einschließlich 5. Dezember 2005 abgegeben werden könnten. Innerhalb dieser Frist äußerte sich weder beim Kreis Recklinghausen noch bei der Bezirksregierung Münster jemand. In dem im Vorfeld erstellten Umweltgutachten dazu steht die Einschätzung,

dass sich durch die Verlegung des Waldbereiches aus der Mitte des Gebietes „Löringhof“ an den östlichen und nördlichen Rand keine negativen Auswirkungen auf die Umwelt ergeben und sowohl die Flächenbilanz als auch die Flächenwertigkeiten ausgeglichen werden.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Tobender Ap- plaus!)

Vielen Dank, Frau Ministerin Thoben. – Für die Landesregierung hat jetzt noch Herr Minister Uhlenberg das Wort.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster

umfasst 100 Seiten. Vieles, was hierzu in der Presse zu lesen ist oder was von interessierter Seite aus dem Urteil zitiert wird, erzeugt ein unzutreffendes und tendenziöses Bild.

Der wesentliche Inhalt des Urteils besagt, dass der Bebauungsplan der Stadt Datteln fehlerhaft und unwirksam ist. Die Entscheidung des OVG hat dagegen nur am Rande mit der Frage zu tun, die von den Umweltverbänden im Zusammenhang mit dem Urteil hauptsächlich thematisiert wird, ob und inwieweit Kohlekraftwerke umweltpolitisch sinnvoll sind. Im Urteil befassen sich ganze sieben von 360 Absätzen damit. Der Rest des Urteils besagt, dass der Bebauungsplan nicht im erforderlichen Maß mit der Landesplanung übereinstimmt und dass bei Abwägung handwerkliche Fehler gemacht wurden. Beide Vorwürfe hätten jeden anderen Bebauungsplan in gleicher Form treffen können und haben mit Umwelt- und Energiepolitik nichts zu tun. Frau Thoben hat eben schon darauf hingewiesen.

Die Opposition versucht, den fehlerhaften Bebauungsplan der Stadt Datteln der Landesregierung oder zumindest den Landesbehörden anzulasten.

(Norbert Römer [SPD]: Das sagt das Ge- richt!)

Hierzu muss unterschieden werden zwischen dem planungsrechtlichen Spielraum, den die Stadt Datteln hatte und den sie nach Ansicht des OVG nicht ausreichend genutzt hat, und der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, die von der Bezirksregierung dann erteilt werden muss, wenn ein Bebauungsplan das Vorhaben zulässt. Für das Kraftwerksvorhaben sind von der Bezirksregierung Münster bislang mehrere Teilgenehmigungen erteilt worden. Diese sind zwar im parallelen Klageverfahren beklagt, aber weder das Urteil des OVG vom 3. September noch die Eilentscheidungen des OVG im Zusammenhang mit diesem Verfahren lassen rechtliche Zweifel an diesen Zulassungen erkennen. Was allerdings nach der OVG-Entscheidung jetzt fehlt, ist der zugrunde liegende Bebauungsplan.

Auch dem bemühten Versuch der Opposition, die Stellungnahme des damaligen staatlichen Umweltamtes Herten zum Bebauungsplan als eine umfassende Unbedenklichkeitsbescheinigung zu werten, muss widersprochen werden. Der StUA Herten hat in seiner Stellungnahme darauf hingewiesen, dass gegen die beabsichtigte Genehmigung keine umweltrechtlichen Bedenken bestehen. Das war damals zutreffend und ist auch heute noch richtig. Eine Kontrolle des Plans in Bezug auf das Bauplanungsrecht oder Aspekte der Landesplanung war und ist nicht Aufgabe der Immissionsschutzbehörde. Bis 1998 gab es eine Kontrolle der Bebauungspläne durch die Bezirksregierung. Das ist jedoch damals durch das Bundesgesetz abgeschafft worden.

Im Kern möchte die Opposition dahin gehend argumentieren, die für die Bauleitplanung zuständige SPD-regierte Gemeinde sei zur Beurteilung des Planungsrechts weniger in der Lage gewesen als die hierfür nicht zuständige untere Immissionsschutzbehörde einer CDU-geführten Regierung. Meine Damen und Herren, das lässt sich auch ironisch diskutieren. Aber seriös möchte ich darauf hinweisen, dass die Gemeinde von einer 21köpfigen, auf Baurecht spezialisierten Großkanzlei betreut wurde, deren Mitarbeiter vom Bauplanungsrecht sicherlich mehr verstehen als hierfür nicht zuständige Beamte der Immissionsschutzbehörde.

Zu den umweltpolitischen Fragen möchte ich auf Folgendes Hinweisen. Die Erstellung von Bebauungsplänen und die Genehmigung einzelner Kraftwerke sind nicht die geeigneten Instrumente, um den globalen Erfordernissen einer zukunftsfähigen Energiepolitik Rechnung zu tragen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Klimawandel ist ein weltweites Phänomen. Ob CO2 in Datteln, in Hamburg oder China erzeugt wird, ist unerheblich. Die Bekämpfung des Klimawandels erfolgt international auf der Basis des KyotoProtokolls und in der Europäischen Union durch den Emissionshandel. Dieser Emissionshandel bestimmt die Menge des Ausstoßes klimarelevanter Gase und begrenzt sie für ganz Europa. Hierdurch und nicht durch einen Bebauungsplan der Stadt Datteln erfüllen Deutschland und NordrheinWestfalen ihre klimapolitischen Verpflichtungen.

Für falsch halte ich daher eine Lesart des Urteils, nach der Bebauungspläne sicherstellen müssen, dass es im Ergebnis zu einer CO2-Reduktion durch Stilllegung von Kapazitäten kommt. Das würde nämlich im Ergebnis dazu führen, dass der Strommarkt ein geschlossener Wirtschaftsmarkt wird, in dem nur noch die bisherigen Wettbewerber agieren können. Denn nur diese verfügen über entsprechende Stilllegungskapazitäten. Meine Damen und Herren, mit einer solchen Wettbewerbsverengung wäre niemandem gedient.

Als Lenkungsinstrument ist der Emissionshandel sehr viel besser geeignet. Durch eine Verknappung der Zertifikate wird sichergestellt, dass die Gesamtsumme der klimarelevanten Gase reduziert wird und jeder, der ein Kraftwerk betreiben will, entsprechende Berechtigungen erwerben kann. Anders als die Bauleitplanung ist das ein wirtschaftlich und umweltpolitisch sinnvolles Instrumentarium zur Senkung der globalen CO2-Belastung. Manche meinen, hier habe endlich einmal jemand die politischen Zielsetzungen der Landesplanung ernst genommen.

Eine dieser Zielsetzungen, deren Nichtbeachtung das OVG rügt, liegt in der Nutzung einheimischer Energieträger. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wollen Sie in Nordrhein-Westfalen nur noch Braunkohlekraftwerke?

Das Urteil des OVG und die Situation, die wir danach vorfinden, sind ungeeignet für parteipolitische Gefechte. Die SPD zerreißt sich in einem „Ja, aber“, mit der sie die Realisierung des Kraftwerks Datteln zugleich verurteilt und begrüßt, wie wir es heute wieder gehört haben. Die Grünen sprechen sich mit ihrem Applaus für das Urteil für eine verstärkte Nutzung der Braunkohle aus, die sie so vielleicht auch nicht wollen.

Ich spreche jetzt insbesondere die Kolleginnen und Kollegen der SPD an: Vielleicht sollten wir uns gemeinsam einer nach vorne gerichteten Strategie verschreiben, die wir dem Standort NordrheinWestfalen schulden. Dazu gehört, meine Damen und Herren, ein ganz klares Bekenntnis zu diesem Standort Datteln. Herr Abgeordneter Römer, das habe ich Ihren Worten eben nicht entnehmen können. Im Grunde genommen haben Sie das eben abgelehnt.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Minister Uhlenberg. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weise der guten Ordnung halber darauf hin, dass die Landesregierung ihre Redezeit um 8 Minuten und 24 Sekunden überzogen hat.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Nicht nur die Re- dezeit!)

Weitere Wortmeldungen sind deshalb noch möglich. Gleichzeitig weise ich darauf hin, dass es um eine Überweisung in den zuständigen Ausschuss einschließlich der Entschließungsanträge geht. Gibt es noch Wortmeldungen? – Bitte schön, Herr Römer, Sie haben das Wort für die SPD.

Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Wir haben viele Hinweise der Landesregierung, die auf die angebliche Verantwortung der Vorgängerregierung ablenken, gehört. Wir haben viele Hinweise und Appelle gehört, dass wir alle gemeinsam Bekenntnisse abliefern sollen. Wir haben aber von Ihnen, Frau Thoben, keinen einzigen Hinweis dazu gehört, wie Sie denn als Konsequenz aus dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts das zu heilen gedenken, von dem Sie sagen, dass es geheilt werden muss.

(Ministerin Christa Thoben: Sie müssen zu- hören!)

Sie haben uns damit überhaupt keine Gelegenheit gegeben, zu Ihren Konsequenzen Stellung zu beziehen. Nach dieser Debatte ist mein Eindruck: Die Not ist bei Ihnen wirklich ganz groß. Die Aufregung lodert hell. Sie wissen nicht, wie Sie aus dieser selbstverschuldeten Sackgasse wieder herauskommen sollen. Dann helfen politische Bekenntnisse überhaupt nicht. Diese beeindrucken auch ein Oberverwaltungsgericht nicht. Frau Thoben, es

kommt schon darauf an, dass gut regiert wird. Das ist im Übrigen die beste Gewähr für den Industriestandort Nordrhein-Westfalen.

Wir haben in der Vergangenheit viele streitige Verfahren zu bestehen gehabt. Herr Kollege Wittke, ich erinnere im Übrigen an die Zukunft des Braunkohlentagebaus, den Sie heute so vehement auf Ihre Fahne schreiben. Damals haben wir in Regierungsverantwortung mit Bündnis 90/Die Grünen in einem rechtsstaatlich einwandfreien Verfahren dafür gesorgt, dass dieses Verfahren auch gegen viele Widerstände aus den Reihen der CDU – manche von Ihnen sitzen auch heute noch in Ihren Reihen; Kollege Weisbrich ist jetzt nicht da – so zum Abschluss gebracht werden konnte, dass der Braunkohlenbergbau in Nordrhein-Westfalen eine Zukunft bekommen hat, dass die Interessen der Anwohnerinnen und Anwohner geschützt waren, dass das, was mit Genehmigungen verbunden war, rechtssicher war, auch wenn es zu Klagen gekommen ist. Deshalb müssen wir zum Kern der Debatte zurückkommen. Sie haben hier ein schauerliches Bild von schludrigem Regierungshandeln abgeliefert – auch heute noch. Das ist doch der Kern des Vorwurfs, der vor allen Dingen in der Öffentlichkeit für Unruhe sorgt.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Sie können einfach nicht vernünftig regieren. Das wird Ihnen von den Gerichten bescheinigt. Deshalb ermuntern Sie doch all diejenigen, die aus ganz anderen Gründen Schwierigkeiten mit industrieller Produktion haben. Dort, Frau Thoben, wo es darauf ankäme, dass diese Landesregierung endlich einmal Gesicht zeigt, mit den Menschen vor Ort redet, die Ängste und Sorgen haben, tauchen Sie ab, gehen in die Furche und überlassen es Beamtinnen und Beamten. So kann man Regierungsverantwortung in diesem Industrieland nicht erfolgreich wahrnehmen.

(Beifall von der SPD)

Fazit des heutigen Tages: Sie können nicht regieren. Sie wollen offensichtlich nicht regieren. Es wird Zeit, dass die Menschen das erkennen. Dann werden wir nach dem 9. Mai eine andere Situation haben. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Römer. – Für die FDP-Fraktion hat sich noch einmal Herr Kollege Ellerbrock zu Wort gemeldet.

Herr Kollege Hovenjürgen, ich muss Ihnen recht geben: Zuhören hat auch etwas mit Bildung und der Fähigkeit zu tun, etwas zu verstehen. Kollege Römer, alleine nur in dieser Debatte etwas zuzuhören – noch nicht einmal ein

Aktenstudium –, das hätte Ihren Redebeitrag obsolet gemacht. Das will ich Ihnen nachweisen:

Erstens. Wir haben eine neue Rechtssituation, weil das Gericht erstmalig – ich wiederhole: erstmalig – bisher allgemein anerkannte Spielregeln neu definiert hat.

Zweitens. Es ist deutlich gemacht worden, auch in den Redebeiträgen, dass infolgedessen die Abwägung noch ausführlicher dargestellt werden muss, als es bislang gemacht worden ist.

Drittens. In bisherigen Redebeiträgen haben neben mir auch Kollegen aus der von mir geschätzten Fraktion der CDU klar gemacht, dass Industriegebiete neben Kraftwerksstandorte gehören. Dies muss zumindest ermöglicht werden. Ich sage sogar, dass es gefordert werden muss. Ich weiß allerdings, dass gerade Sie es als eine unzulässige Einschränkung der kommunalen Planungshoheit bezeichnen, so etwas durchzusetzen.

Viertens. Wenn ich richtig zugehört habe, hat die Ministerin eben erklärt: Aufgrund der derzeitigen Situation wird ein LEP Energie vorgezogen werden.

Fünftens. Die Ministerin hat deutlich gesagt, dass wir in Bezug auf die Auswertung der Gerichtsentscheidungen noch keine abschließende Meinung haben. Die können wir auch noch nicht haben, weil es derzeit zwei Tendenzen beim Oberverwaltungsgericht gibt. Die eine Tendenz lautet: Wir müssen das Gesetz strenger fassen; aus einem Soll muss ein Muss werden. – Die andere Tendenz heißt: Wenn du ein Ziel hast, darfst du nicht so konsequent sein, sondern musst Ausnahmeregelungen zulassen.

Nach beiden Seiten zugleich zu springen, ist erheblich schwieriger, als Sie sich das vorstellen. Ich kann es mir auch nicht vorstellen. Da Sie sich mit dem Sachzusammenhang ohnehin nicht intensiv befasst haben, lässt sich aber leicht fordern: Ministerin, du sollst sagen, wo es hier langgeht. – Danke schön.

(Beifall von FDP und CDU)

Danke schön, Herr Kollege Ellerbrock. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Priggen.

Herr Präsident! Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen! Lassen Sie mich zusammenfassend noch einmal festhalten: Es hilft niemandem, wenn das Oberverwaltungsgericht einen Bebauungsplan für ein Kraftwerk in der eindeutigen Art, in der es das jetzt getan hat, für null und nichtig erklärt, sodass dort nun praktisch ein Schwarzbau steht. Das hilft niemandem. Es hilft weder dem Investor, der 600 Millionen € investiert hat, für den unklar ist, wie das Ganze weitergeht, und der im Übrigen im Gerichtsverfahren auch

schon erklärt hat, dass er die Kosten für einen möglicherweise notwendigen Abriss übernehmen würde, noch hilft es denjenigen Bürgern und direkt Betroffenen, die in mühsamen Wegen über Erörterungstermine und Klageverfahren bis zum höchsten Verwaltungsgericht des Landes gehen müssen, um dann recht zu bekommen – mit all den Argumenten, die sie vorher schon vorgebracht haben, die aber immer abgewiesen worden sind und nicht gehört wurden. Das ist eine fatale Strategie. So etwas hilft niemandem.